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29. April 2014 Joachim Bischoff: Neuaufteilung unter Groß-Konzernen

Wem gehört die Industrie?

Frankreichs Staatspräsident François Hollande hat die Zukunft des Industriekonzerns Alstom zur Chefsache gemacht. Er hat die Konzernchefs von Siemens und General Electric (GE) zu Gesprächen in den Élyséepalast gebeten und will in der industriellen Umgruppierung eine Lösung durchsetzen, die das Risiko einer weiteren Deindustrialisierung Frankreichs vermindert.

Alstom, Hersteller von Kraftwerksturbinen, Zugsignaltechnik und des französischen Hochgeschwindigkeitszugs TGV, ist an der Börse derzeit 10,4 Mrd. US-Dollar wert und kämpft mit sinkenden Aufträgen, vor allem aus dem Energiesektor. Mit der Übernahme der Energiesparte (ca. 70% des Konzerns) durch den finanzstarken GE-Konzern entstünde ein starker Konkurrent für Siemens. Im Gasturbinengeschäft würde sich GE mit Alstom einen ordentlichen Vorsprung vor Siemens verschaffen. Mit rund 18.000 Beschäftigten arbeiten 20% der Belegschaft in Frankreich, und Alstom ist extrem abhängig von staatlichen Aufträgen.


Alstom fährt seit Monaten einen Restrukturierungs- und Konsolidierungskurs. Europaweit sind davon ca. 1.300 Arbeitsplätze betroffen (aktuell ca. 93.000 Beschäftigte, davon 18.000 in Frankreich). Die Ursachen liegen in der schwierigen Auftragslage, die wiederum im Zusammenhang steht mit der sich hinziehenden Wirtschaftsflaute in Europa.

Alstom wies Ende 2013 ein Auftragspolster von 51 Mrd. Euro auf; diese Stärke hat sich als trügerisch erwiesen. Zwar hält die Nachfrage zur Nutzung erneuerbarer Energien an, was sich in den ersten neun Monaten 2013 in einem um 50% gestiegenen Auftragseingang äußert. Doch die Achillesferse liegt bei Thermal Power. Die anhaltende Flaute bei thermischen Kraftwerken, deren Bestellungen in den ersten drei Quartalen 2013 rückläufig waren, was sich gegenüber dem Vorjahr zu einem Auftragsminus von 16% addiert, macht Alstom zu schaffen.

Das Unternehmen hat mit einer Gewinnwarnung schlechtere Zeiten angekündigt. Aus strategischer Sicht ist entscheidend, dass die wirtschaftlichen Aussichten unsicher bleiben. Davon ist die Energiesparte, die für 73% des Geschäftsvolumens zeichnet, besonders betroffen. Denn die Nachfrage nach Turbinen ist auch vom Niveau der (heute tiefen) Strompreise abgeleitet. Dass 42% des Alstom-Umsatzes noch auf das krisengeschüttelte Europa entfallen, erschwert die Erholung wesentlich.

Schon vor zehn Jahren hatte die Regierung in Paris den Energie- und Bahnkonzern mit einer milliardenschweren Hilfe vor dem Konkurs gerettet – und damit auch eine Übernahme wichtiger Geschäftsfelder durch den deutschen Konkurrenten Siemens verhindert. Nach der Rettungsaktion im Jahre 2004 musste Alstom rund 8.500 Arbeitsplätze abbauen und zahlreiche Geschäftsfelder abstoßen.

Seit 2006 ist der französische Staat kein Aktionär mehr bei Alstom, doch der Konzern ist stark von staatlichen Aufträgen abhängig. Er stellt unter anderem die TGV-Hochgeschwindigkeitszüge für die Staatsbahn SNCF her und beliefert den staatlichen Kraftwerksbetreiber EdF.

Laut Medienberichten war die Regierung in Paris an Siemens herangetreten und hatte den deutschen Konzern um ein Kaufangebot für Alstoms Energiesparte gebeten. Damit reagierte die Regierung auf ein Angebot des US-Konzerns General Electric (GE). Dieser war vergangene Woche mit einer Milliarden-Offerte für die Energiesparte vorgeprescht, die drei Viertel des Geschäfts von Alstom ausmacht.

Obwohl der französische Staat keine Anteile mehr an Alstom hält, hat er sich direkt in die Verhandlungen eingeschaltet. Paris begründet dies mit der strategischen Bedeutung des Konzerns. Die sozialistische Regierung in Paris steht einem GE-Angebot skeptisch gegenüber. Der Präsident findet, dass der Staat »natürlich« ein Wort mitzureden habe, da er für die Unabhängigkeit des Landes bei der Energieversorgung verantwortlich sei.

Wirtschaftsminister Montebourg fände es »inakzeptabel«, wenn der Großteil von Alstom von den USA aus geführt würden. Französische Unternehmen seien »kein Freiwild«. Siemens soll bereit sein, Geschäfte im Schienenverkehr, wie den Bau von ICE-Zügen und Lokomotiven, an Alstom abzugeben, wenn es im Gegenzug das Energietechnik-Geschäft der Franzosen übernehmen kann.

General Electric würde mit einer Akquisition von Alstom gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Zum einen würde der milliardenschwere Zukauf einen von GE-Chef Jeffrey Immelt eingeleiteten Strategiewechsel stark beschleunigen. Immelt richtet den Konzern seit geraumer Zeit verstärkt auf Industrieaktivitäten wie Flugzeugturbinen, Medizinaltechnik und Stromerzeugung aus und baut das Geschäft mit Finanzdienstleistungen zunehmend ab. Es geht nicht um eine Übernahme von Alstom durch GE, sondern das Angebot des amerikanischen Industriekonglomerats zielt darauf, Teile des französischen Energie- und Zug-Konzerns für insgesamt 13 Mrd. US-Dollar zu übernehmen.

Derzeit erwirtschaftet GE rund 25 Mrd. US-Dollar des Konzernumsatzes in Höhe von 146 Mrd. US-Dollar mit dem Energiebereich. Mit einer Übernahme von Alstom würde GE den Umsatz dieses Bereichs um mehr als 50% ausweiten. Mit dem Zukauf wäre zudem eine willkommene geografische Ausweitung der Produktionsstätten des US-Multies nach Europa verbunden. Im Zuge einer Eingliederung von Alstom in den GE-Konzern dürfte das französische Unternehmen zudem in den Genuss der ausgeprägten Effizienzbemühungen Immelts kommen. Das Energiegeschäft von GE generiert sehr viel höhere Margen als jenes von Alstom. Dieses Kosteneinsparungspotenzial dürfte aus Sicht von GE den Deal nochmals attraktiver machen.

Zum anderen wäre mit einer Akquisition von Alstom ein Stück weit das Problem der sich im Ausland anhäufenden liquiden Mittel gelöst. Amerikas Unternehmen haben im Ausland rund 1.900 Mrd. US-Dollar an Cash angesammelt. Würden diese in die USA zurückgeholt, müssten sie mit rund 30% versteuert werden. Vor diesem Hintergrund ist es oft attraktiver, die im Ausland angehäuften Gewinne für dortige Akquisitionen zu nutzen. GE hatte per Ende Dezember 57 Mrd. US-Dollar im Ausland geparkt.

Für die aktuelle französische Regierung, die sich der Reindustrialisierung Frankreichs verschrieben hat, wäre eine Zerschlagung eines der letzten großen Industriekonzerne, der weltweit 93.000 Mitarbeiter, darunter 18.000 in Frankreich beschäftigt, ein verheerendes Signal. Mit der Zerschlagung von Alstom wäre das Projekt einer Stabilisierung der französischen Industrielandschaft gefährdet.

Nur noch 13% – gegenüber 18% vor zehn Jahren – trägt der Industriesektor gemäss den neuesten Statistiken zur volkswirtschaftlichen Wertschöpfung bei. Vor Monaten sorgten die Großkonzerne ArcelorMittal, Petroplus und PSA für Schlagzeilen und vor ihren Fabriktoren kam es zu Tumulten. Die Entindustrialisierung Frankreichs sei inakzeptabel, hatte Präsident Hollande im Wahlkampf vor zwei Jahren erklärt. Aber sie ist eine Tatsache. Gewerkschaften und Arbeitsgerichte stehen vor einem Berg mit Hunderten von Sozialplänen.

Die Stimmung der französischen Unternehmen ist laut den jüngsten Umfragen schlecht, die Arbeitslosigkeit liegt bei etwa 11%, die Jugendarbeitslosigkeit bei fast 25%. Im vergangenen Jahr hat das Wachstum laut dem Internationalen Währungsfonds (IWF) bei 0,3% gelegen. Es soll sich in diesem Jahr zwar auf ein Prozent und 2015 auf 1,5% beschleunigen. Frankreich hat eine Staatsverschuldung in Höhe von 93% des Bruttoinlandsprodukts (BIP).

Das Land hat in den vergangenen Jahren stark an Wettbewerbsfähigkeit verloren und leidet unter einer Deindustrialisierung. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass der Anteil des Landes an den weltweiten Exporten im Zeitraum 2005 bis 2012 laut IWF um rund 30% gesunken ist. Gleichzeitig war die Gesamtsteuerlast des französischen Privatsektors mit 47,7% des BIP im Jahr 2013 eine der höchsten in westlichen Industrieländern. Die wachsenden Strukturprobleme äußern sich in der hohen Arbeitslosenquote.

Die französischen Unternehmen sind dem zunehmenden Wettbewerbsdruck nicht gewachsen und daher zeichnet sich eine Verlagerung der Investitionen ab. Der Mix aus lahmender Binnenwirtschaft, einer hohen Staatsquote und großen internationalen Konzernen, deren Investitionen sich auf Regionen außerhalb Frankreichs konzentrieren, führt zu einem wachsenden Leistungsbilanzdefizit, einer weiter zunehmenden Staatsverschuldung und zur Deindustrialisierung des Landes.


Der Anteil der Industrie hat seit Anfang der 1990er Jahre von 20% auf 12% abgenommen, der Anteil am Welthandel hat sich auf Grund der kaum international wettbewerbsfähigen Produkte seit Beginn der Währungsunion in etwa halbiert. Frankreichs sozialistische Regierung will den Prozess der Deindustrialisierung stoppen.

Deshalb hatte Präsident Hollande schon vor Monaten vorgeschlagen, eine deutsch-französische Allianz im Energiebereich zu schmieden. Als Vorbild für gelungene Zusammenarbeit nannte er den vor allem von Deutschland und Frankreich geschaffenen Luft- und Raumfahrtkonzern Airbus (früher EADS). Allerdings dürfte es langer Weg bis zu einer Erfolgsgeschichte wie Airbus werden.

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