12. Mai 2015 Joachim Bischoff / Björn Radke: (Nicht nur) Griechenland braucht einen »New Deal«

Alternativen statt Staatspleite!

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat vor der Möglichkeit einer überraschenden Staatspleite Griechenlands gewarnt. »Erfahrungen anderswo auf der Welt haben gezeigt: Ein Land kann plötzlich in die Zahlungsunfähigkeit rutschen.« Selbstverständlich hat für den neoliberalen Finanzpolitiker die Mehrheit der Euro-Gruppe keinen Anteil an einer negativen Entwicklung.

Denn die seit Ende Januar 2015 andauernden Verhandlungen zwischen der Linksregierung und den Gläubigern Internationaler Währungsfonds (IWF), Europäischer Zentralbank (EZB) und der EU werden – so Schäuble – von den Griechen nicht ernsthaft geführt. »Die Atmosphäre hat sich immerhin verbessert. In der Substanz hat sich noch nicht viel bewegt. Und möglicherweise besteht in den Verhandlungen ein Missverständnis von griechischer Seite: Es geht nicht darum, ein neues Reformprogramm aufzulegen. Es geht darum, das laufende Programm zu erfüllen.«

Mit dieser Bemerkung macht der Finanzminister eindeutig klar, dass die Gläubiger an ihrem bisherigen Kurs festhalten: Sie bestehen auf der Umsetzung des vereinbarten Programms. Die Syriza-Regierung hält den EU-Gremien vor, dass der IWF mit Vehemenz auf strukturellen Reformen (Rentenreform, Liberalisierung des Arbeitsmarkts) bestehe und mehr Flexibilität bei der Bestimmung des Primärüberschusses einfordere, weil er von einem weiteren Schuldenschnitt ausgehe. Im Gegensatz dazu verlange die EU-Kommission, die einen Schuldenschnitt partout nicht wolle, hohe Primärüberschüsse. Das beweise, dass die Gläubiger in keinem Verhandlungsfeld kompromissbereit seien, während die griechische Regierung Kompromissbereitschaft signalisiert habe.


Um welche »Reformen« geht es?

Die linksgeführte Regierung in Athen verhandelt seit Monaten mit den »Institutionen« über die weitere finanzielle Unterstützung. Dafür sollte Griechenland eine mit seinen Geldgebern abgestimmte Liste mit Reformen vorlegen, was sich aber seit Wochen immer wieder verzögert. Um welche Reformen geht es?

  • Renten: Die Absicht der Linksregierung, für die niedrigsten Renten bis 700 Euro einen 13. Rentenbetrag auszuzahlen, kann absehbar nicht umgesetzt werden, da die Rentenkassen defizitär sind. Der Staat kann die nötigen Subventionen nicht aufbringen. Die »Institutionen« bestehen auf weiteren Kürzungen bei den Rentenzahlungen. Die Regierung unterliegt aber auch einem innenpolitischen Druck, denn gegen die bisherigen Rentenkürzungen gibt es Rechtsklagen. Syriza beharrt also nicht auf der 13. Rente und die Regierung habe auch dem Grundsatz zugestimmt, dass die Rentenkasse nicht bezuschusst werden dürfe; in logischer Konsequenz müssten dann (höhere) Renten gekürzt und künftige Ansprüche vermindert werden.
  • Mindestlohn: Der allgemeine Mindestlohn wird nicht sofort erhöht, vielmehr soll die Erhöhung etappenweise bis Ende 2016 erfolgen, und zwar in Absprache mit Gewerkschaften und Arbeitgebern. Außerdem soll aber die Deregulierung fortgesetzt werden. Die Rückkehr zu Flächentarifen sei ein Rückschritt.
  • Steuern: Eine kurzfristige Entlastung für niedrige Einkommensbezieher ist gleichfalls nicht umzusetzen. Streit gibt es mit den Gläubigern auch über eine Reform der Mehrwertsteuer. Schließlich kann die einheitliche Immobiliensteuer (ENFIA) nicht abgeschafft und wie versprochen durch eine sozial gerechtere Steuer ersetzt werden, die auf Immobilien der gehobenen Preisklasse beschränkt ist (FMAP). Athen will auch den Mehrwertsteuersatz vereinheitlichen. Die Regierung schlägt 16% vor, die Geldgeber 18%. Für wenige Leistungen soll nach griechischem Willen ein reduzierter Satz von 6,5% gelten, die Geldgeber verlangen 9%.
  • Entlassungen im öffentlichen Sektor: Die sofortige Wiedereinstellung aller Entlassenen ist nicht erfolgt (noch nicht einmal im Fall der Putzkräfte des Finanzministeriums, die monatelang bis zum Wahlsieg von Syriza ihre alte Arbeitsstätte belagert hatten). Die Kosten der Wiedereinstellung müssen erst im Einzelnen durchgerechnet und durch andere Einsparungen finanzierbar gemacht werden.
  • Privatisierungen: Die laufenden Privatisierungsverfahren wurden nicht gestoppt und die vollzogenen Privatisierungen werden nicht überprüft, wie es im Wahlprogramm vorgesehen war. Syriza ist bereit, Privatisierungen im Umfang von 17 Mrd. Euro zuzulassen; damit nähert er sich deutlich den Vereinbarungen mit der Vorgängerregierung unter Samaras an. Damals waren 22 Mrd. Euro Privatisierungserlöse vereinbart worden. Angesichts solcher Kompromissangebote, fordert Griechenlands Premier Alexis Tsipras daher die Gläubiger auf, den »politischen Willen« für eine Einigung aufzubringen.


Veränderte ökonomische Rahmenbedingungen

Neben diesen »Reformen« ist ein weiterer großer Streitpunkt die ökonomische Entwicklung und wie man aus der Abwärtsspirale herauskommt. Noch Anfang des Jahres hatte die EU-Kommission ein kräftiges Wachstum für Griechenland von 2,5 % vorausgesagt. Das letzte Quartal 2014 brachte erneut eine leichte Schrumpfung von 0,4% und die Linksregierung nahm die Prognose für 2015 auf 1,4 % zurück.

Doch nachdem sich die neue griechische Regierung mit ihren internationalen Geldgebern nicht einigen kann, wird 2015 wohl ein verlorenes Jahr für Griechenland werden. »Im Lichte der fortdauernden Unsicherheit war es unvermeidlich, die Prognose nach unten zu korrigieren. Die griechische Wirtschaft wird in diesem Jahr nur um 0,5% wachsen. Nächstes Jahr kann es einen starken Aufschwung von 2,9% geben«, prognostizierte EU-Kommissar Pierre Moscovici. Das setze aber voraus, dass sich Griechenland und die Euro-Zone bis Ende Juni einigten. »Das strebt die EU-Kommission weiter an.«

Als Folge der schwachen Konjunktur rechnet die EU-Kommission im griechischen Staatshaushalt mit einem Primärüberschuss – also ohne Berücksichtigung von Zinszahlungen – von 2,1% statt erwarteten 4,8%. 2016 fällt er demnach sogar auf 1,8%, anstatt wie im Winter prognostiziert um 5,2% zu steigen. Der Primärüberschuss ist einer der Knackpunkte bei den Verhandlungen, weil sich darin die Fähigkeit des Euro-Landes spiegelt, langfristig seine Schulden abzutragen.

Ob diese Prognosen der EU-Kommission nach der Korrektur realistischer sind, ist gleichfalls strittig. Die Regierung in Athen senkte die Prognose für das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr von 1,4 auf 0,8% des Bruttoinlandsprodukts. Ende des letzten Jahres war man in Athen noch von einem Wachstum von 2,9% ausgegangen.

Bleibt der Trend zur Schrumpfung oder Stagnation der griechischen Ökonomie erhalten, wird es immer schwieriger die Kredite der Gläubiger mit den vorgesehenen Zins- und Tilgungsraten zu bedienen. Eigentlich müssten alle Beteiligten ein Interesse an der Stabilisierung der Ökonomie haben. Mit weiteren Kürzungen wird man aus der vorherrschenden Abwärtslogik nicht herauskommen.


Widersprüchliche Rolle der EZB

Die EZB hat der griechischen Zentralbank weitere zwei Mrd. Euro an Notkrediten (ELA-Mittel) bewilligt, die für die Liquidität der griechischen Banken unabdingbar sind. Ohne diese flexible Politik der EZB wäre die Überlebenschance für Griechenland kleiner. EZB-Chef Mario Draghi wiederholte allerdings die Drohung, die Bewertung griechischer Staatspapiere zu senken, die die Athener Banken als Sicherheit bei weiteren Käufen von T-Bills hinterlegen müssen. Damit würde die Fähigkeit dieser Banken, den Fiskus zahlungsfähig zu halten, erheblich beschnitten. Die Haltung der EZB bleibt also widersprüchlich.

Logischerweise hängen Art und Umfang von Reformen entscheidend an den Aussichten für das Wirtschaftswachstum. Die griechische Regierung will aus der sozial-ökonomischen Abwärtsspirale heraus und kann in der Fortsetzung der Austeritätspolitik keinerlei Sinn mehr erkennen. Schäuble bekräftigt hingegen, Griechenland müsse Reformauflagen erfüllen, damit es weitere finanzielle Hilfen bekomme. Reformbedarf sieht Schäuble in der Steuerverwaltung, auf dem Arbeitsmarkt, in der Altersversorgung und im »aufgeblähten öffentlichen Dienst«.

Angesichts dieser Entwicklungen weiterhin auf die starre Einhaltung der Konsolidierungsprogramme der nicht mehr so genannten Troika zu setzen, verstärkt den weiteren ökonomischen und sozialen Absturz Griechenlands. Ein »failing state« in Europa wäre das Ende des politischen Projektes einer gemeinsamen europäischen Zukunft. Es geht letztlich um die Änderung des bisherigen zerstörerischen Austeritätskurses hin zu einer Reformpolitik der Rekonstruktion der Wertschöpfung.

Und das nicht nur für Griechenland, sondern im gesamten Euroraum, dessen Situation durch ökonomische und soziale Spaltungen charakterisiert ist. Das politische Krisenmanagement des Establishments konzentriert sich auf Spardiktate, Lohn-, Renten- und Sozialkürzungen, was vor allem bei den südlichen Krisenländern zu einer wirtschaftlichen Talfahrt geführt hat.

Sieben Jahre Schuldendeflation, verstärkt durch die Erwartung zeitlich unbegrenzter Austerität, haben die privaten und öffentlichen Investitionen dezimiert. Entgegen den vielen Prognosen, die über eine bevorstehende Pleite Griechenlands spekulieren, hat es die Syriza-Regierung bisher geschafft, trotz diverser Schwierigkeiten genug Geld zusammenzubringen um ihre Gläubiger – einschließlich der am 7. Mai 2015 fällig gewordenen Rate von 200 Mio. Euro an den IWF – und die Renten und Gehälter der öffentlichen Bediensteten zu bezahlen. Angesichts des mangelnden finanziellen Spielraums der Regierung und der Belastung der griechischen Banken durch notleidende Kredite ist es wichtig, die verbleibenden staatlichen Aktiva zu mobilisieren und den freien Kreditfluss der Banken zu den gesunden Teilen des Privatsektors hin wieder in Gang zu bringen.

Das europäische Projekt steht auf dem Spiel. Europa benötigt einen langfristig angelegten Wachstums- und Modernisierungspfad, der den Kontinent zukunftsfest macht, die Jobs des 21. Jahrhunderts schafft und Wohlstand für alle ermöglicht. Es geht vor allem um das Zustandebringen eines europäischen New Deals, einer Rekonstruktion der nationalen Wirtschaftsstrukturen in Griechenland, Portugal und Spanien in Verbindung mit Investitionsprojekten auf europäischer Ebene.

Eine nachhaltige Erholung erfordert kurzfristig greifende Maßnahmen zur Stabilisierung und eine mittelfristige Reformperspektive, mit der das beträchtliche Potenzial des Landes freigesetzt werden kann: bei den produktiven Investitionen, der Kreditvergabe, bei Innovation und Wettbewerb, der sozialen Sicherung, öffentlicher Verwaltung und Justiz, auf dem Arbeitsmarkt, im Bereich des kulturellen Schaffens und – last but not least – bei der demokratischen Regierungsführung.

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