31. August 2013 Bernhard Müller

Arbeitslosigkeit: ein Wahlkampf Thema?

Die Parteien des bürgerlichen Lagers preisen die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt als Erfolg der Regierungspolitik. Die Behauptung lautet: In Deutschland haben so viele Menschen Arbeit wie noch nie, insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit ist die niedrigste in ganz Europa.

Die mäßige Konjunkturbelebung der zurückliegenden Monate reicht allerdings für eine erneute Belebung auf dem Arbeitsmarkt nicht aus. Der Arbeitsmarkt befindet sich deshalb seit einigen Monaten in einer Seitwärtsbewegung. Die Arbeitslosigkeit stagniert oder nimmt leicht zu. So waren im August 2013 32.000 oder 1% mehr Menschen ohne Job als noch im Juli. Absolut waren das 2.946.000 Menschen, die offiziell als arbeitslos registriert waren. Saisonbereinigt ergibt das für den August 2013 einen Anstieg von 7.000. Dieser Anstieg im August hängt auch damit zusammen, dass wegen der Sparbeschlüsse der schwarz-gelben Bundesregierung die Arbeitsmarktpolitik weniger entlastet hat. Die Unterbeschäftigung (ohne Kurzarbeit), die auch Personen in entlastenden arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und in kurzfristiger Arbeitsunfähigkeit mitzählt, hat sich im August verringert, und zwar um 4.000.

Im Vergleich zum Vorjahr waren im August 41.000 oder 1% mehr Arbeitslose registriert. Weil die Entlastung durch Arbeitsmarktpolitik im Jahresvergleich rückläufig war, lag die Unterbeschäftigung (ohne Kurzarbeit) geringfügig unter dem Niveau des Vorjahres, und zwar um 6.000 oder 0,2%.

Gleichwohl findet immer noch ein wenn auch sehr gebremster Beschäftigungsaufbau statt. So hat die Zahl der Erwerbstätigen (nach dem Inlandskonzept) hat nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Juli saisonbereinigt um 21.000 zugenommen. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist nach vorläufigen, hochgerechneten Daten der Bundesagentur für Arbeit, die bis Juni reichen, saisonbereinigt um 18.000 gestiegen.

Nicht saisonbereinigt lag die Erwerbstätigkeit im Juli bei 41,91 Mio. Gegenüber dem Vorjahr ist sie um 218.000 oder 0,5% gestiegen. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung belief sich im Juni nach der Hochrechnung der Bundesagentur für Arbeit auf 29,27 Mio. Gegenüber dem Vorjahr war das ein Zuwachs von 348.000 oder 1,2%.

Allerdings hat dieser Beschäftigungsaufbau kaum noch Wirkungen auf Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung. So ist die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Juni gegenüber dem Vorjahr um 348.000 gestiegen, während die Unterbeschäftigung (ohne Kurzarbeit) nur um 6.000 gesunken ist und die Arbeitslosigkeit sogar um 41.000 zugenommen hat.


Jobwunder?

Die wirtschaftliche Erholung der letzten Jahre hat sich erfreulicherweise in wachsende Beschäftigung umgesetzt. Die Erwerbstätigkeit erreichte den höchsten Stand seit der deutschen Einigung, die Zahl der Arbeitslosen ist im europäischen Vergleich beeindruckend niedrig. Die schwarz-gelbe Bundesregierung sonnt sich im Glanz dieser Zahlen und hofft bei der Bundestagswahl auf ein entsprechend gutes Zeugnis von der Wahlbevölkerung.

Doch nur oberflächlich betrachtet kann von einem Erfolg in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gesprochen werden. Die schwarz-gelbe Arbeitsmarktbilanz hält keiner Überprüfung stand. Das vermeintliche Jobwunder resultiert aus der Umverteilung vorhandener Arbeit. Denn gezählt wird bei der Beschäftigungsstatistik nicht nur Arbeit, von der man leben kann, sondern jede Art von Job, seien es Ein-Euro-Jobs oder sozialversicherte Vollzeitbeschäftigung bzw. Mini-Jobs, die am Schicksal der Arbeitslosigkeit möglicherweise nichts ändern oder der Niedriglohnjob, der nicht aus Hartz IV herausführt. Der Rekord bei der Erwerbstätigkeit wird daher gerne zur Schönfärberei genutzt, da er insbesondere auf die gestiegene Zahl von Kleinstarbeitsverhältnissen und prekärer Beschäftigung zurück zu führen ist.

Quelle Statistisches Bundesamt

So blieb das von allen geleistete gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen in den letzten 20 Jahren deutlich hinter dem Anstieg der Erwerbstätigenzahl zurück. Auch 2012 war es noch niedriger als Anfang der 1990er Jahre. Ein niedrigeres Arbeitsvolumen (2012 waren das immerhin noch etwa 3 Mrd. Arbeitsstunden weniger als 1991) wurde demzufolge auf mehr Schultern verteilt. Entfielen 1991 noch 1.473 Stunden im Jahr auf einen Lohnabhängigen, waren es 2012 nur mehr 1.316 Stunden.


Die Kehrseite der auf den ersten Blick äußerst positiven Entwicklung zeigt sich also erst bei einer differenzierteren Analyse und Berücksichtigung der Veränderungen im Beschäftigungssystem, in denen eine massive Tendenz zur Prekarisierung der Lohnarbeit zum Ausdruck kommt. So hat sich die Zahl der atypischen Beschäftigungsverhältnisse und insbesondere auch der prekären Beschäftigung von 4,4 Mio. Anfang der 1990er Jahre auf 7,9 Mio. 2012 deutlich erhöht, während sich die Zahl der im Normalarbeitsverhältnis (inkl. Teilzeitbeschäftigte mit mehr als 20 Wochenstunden) stehenden Beschäftigten über die Konjunkturzyklen verringerte – von 26,9 Mio. Anfang der 1990er Jahre auf 24,2 Mio. in 2012. Deutliche Zuwächse zeigen sich demgegenüber bei den Minijobs. Bereinigt man die Gesamtzahlen lediglich um diejenigen, die nur einer geringfügigen Beschäftigung nachgehen, so liegt die Zahl der verbleibenden Erwerbstätigen auch absolut noch unter dem Niveau von 1991 und 1992.

Die Zahl der atypisch Beschäftigten ist zwar nach der Analyse des Statistischen Bundesamts (siehe Pressemitteilung vom 28.8.2013) im Jahr 2012 leicht zurückgegangen. »Der Anteil atypisch Beschäftigter an allen Erwerbstätigen ging zwischen 2011 und 2012 von 22,4% auf 21,8% zurück. Seit 1991 war der Anteil atypisch Beschäftigter (12,8%) nahezu kontinuierlich gestiegen und hatte 2007 seinen bislang höchsten Wert von 22,6% erreicht. Seitdem blieb er knapp unter diesem Niveau und war 2012 nun erstmals deutlich rückläufig.«

Daraus ein Entwicklungstendenz abzuleiten, wäre allerdings völlig verfehlt, denn erstens zeigt die Konjunkturentwicklung leichte Bremsspuren, die zur weiteren Zunahme prekärer Beschäftigung führen werden. Zweitens unterzeichnet die StaBu-Statistik das Ausmaß prekärer Beschäftigung deutlich, weil etwa 25% der dort ausgewiesenen »Normalarbeitsverhältnisse« im Niedriglohnbereich angesiedelt, also prekär sind. In Summe müssen heute etwa ein Drittel aller Lohnarbeitsverhältnisse als prekär angesehen werden, die einen entsprechen Druck auch auf die »Normalarbeitsverhältnisse« entwickeln.

Diese massive Ausbreitung prekärer Beschäftigung hat vor allem mit der durch den Finanzmarktkapitalismus ausgelösten Verschiebung der Machtverhältnisse zugunsten der organisierten Vermögensverwaltung zu tun, die in der Folge eine Auflösung der Form der organisierten Lohnarbeit und über die Prekrarisierung eine Veränderung der Verteilungsverhältnisse im nationalstaatlich organisierten Kapitalismus nach sich zieht. Die Ausrichtung am Shareholder-Value und die dahinter steckende Begünstigung der leistungslosen Kapital- und Vermögenseinkommen schlagen sich in einer gesamtgesellschaftlich fallenden Quote des Arbeitseinkommens. Und: Öffentliche Dienste sowie wichtige soziale Dienstleistungs- und Infrastrukturbereiche wie Bildung, Gesundheit, Alterssicherung, Umwelt, Wasser, Energie werden der Kapitalverwertung geöffnet.

Die Arbeitsmärkte haben sich in den kapitalistischen Hauptländern stark verändert und es ist in der Beschäftigungsstruktur zu erheblichen Umwälzungen gekommen. Eine verfestigte chronische Massenarbeitslosigkeit hat sich in allen europäischen Ländern eingenistet. Zudem breiten sich informelle, ungeschützte, nicht regulierte Arbeitsverhältnisse aus. Immer mehr Menschen sind so von der Teilhabe an ausreichendem Einkommen, Bildung, Gesundheitsversorgung und sozialer Sicherheit ausgeschlossen.


Verfestigte Armut

Die Wirkung von prekären Beschäftigungsverhältnissen und Niedriglöhnen kann an der Entkoppelung der Einkommensentwicklung der Lohnabhängigen und der auf Sozialleistungen angewiesenen BürgerInnnen von den Zuwächsen der gesellschaftlichen Wertschöpfung abgelesen werden, an der die relativ gute Konjunktur der letzten Jahre nichts geändert hat. »Gute Konjunkturen, so zeigen die Daten, schlagen nicht mehr auf die Armutsentwicklung durch und werden auch politisch nicht dazu genutzt, die Schere zwischen Armut und Reich wenigstens etwas zu schließen.« (Paritätischer Wohlfahrtsverband)

So wurde im Jahr 2012 mit einer Armutsgefährdungsquote (siehe die Pressemeldung des Statistischen Bundesamtes vom 29.8.2013) von 15,2% erneut ein absoluter Höchststand seit Anfang 1990er Jahre erreicht. Die Daten zeigen seit 2006 einen klaren Trend nach oben. Armuts- und Wirtschaftsentwicklung haben sich völlig voneinander gelöst: Ging im Jahr 2006 ein signifikantes Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 4% noch mit einem Rückgang der Armutsgefährdungsquote von immerhin 0,7% einher, so kann in den letzten Jahren überhaupt kein positiver Zusammenhang mehr zwischen Wirtschafts- und Armutsentwicklung festgestellt werden. Ganz im Gegenteil: Obwohl das BIP im Zeitraum von 2010-2012 um 8% wuchs, stieg auch die Armut um 4,8%. Damit hat sich die Dynamik der sozialen Spaltung zuletzt deutlich verstärkt.

Dies auch trotz der relativ guten Arbeitsmarktsituation, die zu einem Rückgang bei der Langzeitarbeitslosigkeit geführt hat. Die Armut wächst seit 2006, obwohl die SGB-II Quote leicht zurückgegangen ist – auch wenn sie mit 9,4% in 2011 nach wie vor auf sehr hohem Niveau verharrt. Noch deutlicher wird dieser umgekehrt proportionale Zusammenhang zwischen Armuts- und Arbeitsmarktentwicklung, wenn man die Entwicklung der Arbeitslosenquote betrachtet: Die guten statistischen Erfolge in der Arbeitsmarktpolitik werden mit einer »Amerikanisierung« des Arbeitsmarktes, dem Phänomen der »working poor«, erkauft.


Während Armut und Prekarisierung für die noch amtierende schwarz-gelbe Bundesregierung kein Thema ist, plädieren SPD und Grüne für die Abmilderung der sozialen Schieflage vor allem durch Mindestlohn, Regulierung der Leiharbeit, Mindestrente und Steuererhöhungen für Bestverdiener und Vermögensbesitzer. Das könnte angesichts des Ausmaßes von Prekarisierung und Armut allerdings höchstens ein bescheidener Anfang sein, wofür sich gegenwärtig allerdings kein WählerInnenmandat abzeichnet.

Entscheidend für die weitere Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt wird daher, ob und in welcher Höhe nach den Wahlen ein Mindestlohn flächendeckend umgesetzt wird. Im Verbund mit weiteren Maßnahmen gegen die Prekarisierung der Arbeit könnten Impulse für die Entwicklung des Binnenmarktes entstehen. Würde diese Veränderung mit einer qualitativ anderen Arbeitmarktpolitik verbunden, könnte die nach wie vor weitergeschleppte Sockelarbeitslosigkeit endlich reduziert werden.

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