3. Januar 2012 Joachim Bischoff / Bernhard Müller: Die europäische Hegemonialmacht als Ausnahme

Arbeitsmarkt: Alles gut im Jahr 2012?

Die ökonomische Schlechtwetterfront – Rückgang der Weltkonjunktur, Krise der öffentlichen Finanzen, Krise der Banken und des Finanzmarktes – schlägt sich auf den Arbeitsmärkten in den kapitalistischen Metropolen, darunter auch in der Euro-Zone, deutlich nieder. Die Situation ist in vielen europäischen Nachbarstaaten bedrückend.

Im Oktober belief sich die saisonbereinigte Erwerbslosenquote in der Eurozone (EZ 17) auf 10,3% und in der Europäischen Union (EU 27) auf 9,8%. Von den Mitgliedstaaten der EU verzeichneten Österreich (4,1%) die niedrigste und das krisengeschüttelte Spanien (22,8%) die höchste Quote. Deutschland liegt mit 5,6% deutlich unter dem Durchschnitt.

Im Vergleich zum Vorjahresmonat hat die saisonbereinigte Erwerbslosenquote in der Eurozone und in der EU um jeweils 0,2% zugenommen. Den größten Rückgang verzeichnete Estland (-3,2%), den stärksten Anstieg das am ökonomischen Abgrund stehende Griechenland (+4,4%). In Deutschland betrug das Minus 1,2%. Besonders hart trifft die ökonomische Unsicherheit vor allem die junge Generation: Fast jeder zweite Spanier unter 25 Jahren ist erwerbslos. Auch in den Nachbarländern Italien und Frankreich herrscht hohe Jugendarbeitslosigkeit.

Und: Die Aussichten sind trübe. Denn die Situation innerhalb der Euro-Zone wird sich mit den beschlossenen Austeritätsprogrammen weiter verschlechtern – mit der Konsequenz einer tiefe Rezession nicht nur in der Euro-Zone. Die Medizin von immer mehr »Sparpolitik«, die die Europäische Union und der Internationale Währungsfonds überall verordnen, verschlechtert die ökonomischen Rahmenbedingungen der Globalökonomie immer mehr. Wird diese Politik nicht geändert, droht die Gefahr, dass die Euro-Zone den Rest der Welt wie ein »schwarzes Loch« in eine Depression saugt.

Auf den Arbeitsmärkten der Berliner Republik herrscht freilich noch Spätsommerstimmung. Der Grund: »Die deutsche Wirtschaft ist bis in das dritte Quartal 2011 gewachsen, die konjunkturellen Frühindikatoren lassen jedoch für das vierte Quartal eine Abschwächung erwarten. Auf dem Arbeitsmarkt ist davon aber nichts zu erkennen. Die Erwerbstätigkeit und die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nahmen saisonbereinigt weiter zu. Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung haben sich im Dezember allein aus jahreszeitlichen Gründen erhöht, saisonbereinigt sind sie weiter rückläufig«, so die Bundesagentur für Arbeit. Im Jahresdurchschnitt erreichte die Erwerbstätigkeit mit 41,09 Mio. (+541.000 bzw. 1,3%) sogar ihre höchsten Stand seit Anfang der 1990er Jahre.

Zum Jahresausklang vermeldete die BA zwar einen Anstieg der Arbeitslosen. Die Zahl der Menschen ohne Job ist im Dezember im Vergleich zum Vormonat um 67.000 auf 2,78 Mio. gestiegen. Die Quote erhöhte sich um 0,2% auf 6,6%. Doch Experten machen vor allem das Winterwetter dafür verantwortlich. In der kalten Jahreszeit gibt es auf dem Bau, in der Landwirtschaft, in Gärtnereien und der Gastronomie weniger Jobs.

Die Statistiker berechnen auch, wie hoch die Arbeitslosigkeit läge, wenn man diese saisonbedingten Effekte beachtet. Demnach ist die Zahl der Menschen ohne Job im Dezember saisonbereinigt um 22.000 gesunken. Im Westen nahm die um jahreszeitliche Einflüsse bereinigte Erwerbslosenzahl um 13.000 ab, im Osten um 9.000.

Damit fiel der für die Winterzeit übliche Anstieg im vergangenen Monat geringer aus als in den Vorjahren. Im Vergleich zum Dezember 2010 stand der deutsche Arbeitsmarkt zum Jahresende sehr viel besser da. Im Dezember 2011 waren 231.000 Menschen weniger arbeitslos als ein Jahr zuvor. Damals hatte die Arbeitslosenquote bei 7,1% gelegen.

Maßgeblicher Faktor für den Rückgang in Deutschland ist der Zuwachs sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Sie hat 2011 noch stärker zugenommen als die Erwerbstätigkeit. Im Juni waren 28,38 Mio. Lohnabhängige sozialversicherungspflichtig beschäftigt, 671.000 oder 2,4% mehr als vor einem Jahr, nach +330.000 oder +1,2% im Jahr 2010. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung hat damit die Verluste der Krise mehr als aufgeholt und liegt nun eine knappe Million (923.000) über dem Vorkrisenniveau.

Dieser Anstieg beruht sowohl auf mehr Vollzeit- als auch auf mehr Teilzeitbeschäftigung. Die Vollzeitbeschäftigung ist im Juni gegenüber dem Vorjahr um 377.000 oder 1,7% auf 22,68 Mio. und die Teilzeitbeschäftigung um 281.000 oder 5,2% auf 5,67 Mio. gestiegen. Der Anteil der sozialversicherungspflichtigen Teilzeitbeschäftigung an der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung hat sich weiter erhöht; 2011 lag er bei 20,0%, nach 19,4% in 2010. Im Jahr 2000 hatte der Anteil 14,1% und 1992 noch 12,0% betragen.

Das größte absolute Plus bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung gab es im Verarbeitenden Gewerbe, gefolgt von den wirtschaftlichen Dienstleistungen (ohne Leiharbeit), der Leiharbeit und dem Gesundheits- und Sozialwesen. Der Anstieg im Verarbeitenden Gewerbe wird insbesondere getragen von mehr Beschäftigten in den stark exportorientierten Bereichen Maschinenbau, Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen und Herstellung von Metallerzeugnissen. Allerdings liegt die Beschäftigtenzahl im Verarbeitenden Gewerbe noch unter dem Vorkrisenniveau von 2008.

Die Leiharbeit hat nach der Krise kräftig zugenommen und ihre krisenbedingten Beschäftigtenverluste mehr als ausgeglichen, scheint aber zur Jahresmitte 2011 an eine Expansionsgrenze gestoßen zu sein. Leichte Beschäftigungsabnahmen waren bei sonstigen Dienstleistungen, Bergbau, Energie- und Wasserversorgung, Erziehung und Unterricht sowie in der öffentlichen Verwaltung zu verzeichnen.

Angesichts der positiven Beschäftigungsentwicklung klagen die Unternehmen und ihre politischen Dolmetscher über die sich abzeichnenden Grenzen bei den qualifizierten Arbeitskräften. Diese Heuchelei ist kaum zu toppen, weil zugleich die Mittel für die Qualifizierung und Eingliederung der Arbeitslosen im Jahr 2011 dramatisch abgesenkt wurden. Dies hat aber wiederum einen positiven Effekt für die Bilanzierung der öffentlichen Finanzen: Die Bundesagentur für Arbeit schließt 2011 mit einem Überschuss ab. Ursprünglich hatte die Bundesagentur mit einem Defizit von rund 5,4 Mrd. Euro gerechnet.

Statt eines bisher erwarteten Fehlbetrags von etwa 500 Mio. Euro werde nach derzeitigem Stand ein Überschuss von etwa 70 Mio. Euro anfallen, konstatierte der Vorstandsvorsitzende der BA, Frank-Jürgen Weise. Zur besseren Haushaltslage hätten um eine Mrd. Euro höhere Beitragseinnahmen beigetragen, während die Ausgaben u.a. für Arbeitslosengeld I, arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und Verwaltung um 4,5 Mrd. Euro niedriger ausgefallen seien.

Als positiver Effekt der Arbeitsmarktentwicklung wird weiter vermerkt, dass die Zahl der Arbeitslosengeld II-Empfänger (erwerbsfähige Hilfebedürftige) zurückgegangen ist. Sie belief sich im Jahresdurchschnitt nach vorläufiger Hochrechnung auf 4.617.000. Das waren knapp 6% (-277.000) weniger als im Vorjahr. Mit etwas mehr als 5% (-251.000) fiel der Rückgang im Jahresverlauf – von Dezember 2010 auf Dezember 2011 – leicht schwächer aus. Insbesondere in der ersten Jahreshälfte waren starke saisonbereinigte Rückgänge zu verzeichnen. In der zweiten Jahreshälfte lies die Dynamik des Abbaus etwas nach.

Die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten lebten gemeinsam mit 1.740.000 nicht erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in 3.425.000 Bedarfsgemeinschaften. Nicht erwerbsfähige Hilfebedürftige sind vor allem Kinder unter 15 Jahren (im gleitenden Jahresdurchschnitt bis August 2011: 96%). Im Vergleich zum Vorjahr hat die Zahl der Leistungsberechtigten insgesamt jahresdurchschnittlich um gut 5% (-356.000) auf 6.357.000 abgenommen.

Die SGB II-Hilfequote – die Zahl der Hilfebedürftigen bezogen auf die Wohnbevölkerung unter 65 Jahren – belief sich im Jahresdurchschnitt 2011 auf 9,8%. Sie lag damit 0,5% niedriger als im Vorjahr. Auch die Hilfequote für erwerbsfähige Leistungsberechtigte – bezogen auf alle 15 bis unter 65-Jährigen – lag mit 8,6% im Jahresdurchschnitt um 0,5% unter dem Vorjahreswert.

Allerdings haben erstens die Langzeitarbeitslosen am wenigsten von der positiven wirtschaftlichen Entwicklung profitiert. So ist die Zahl der Arbeitslosen im Bereich des SGB II (Hartz IV) jahresdurchschnittlich nur um 4% zurückgegangen. Im Bereich des SGB III war der Rückgang mit 17% wesentlich markanter. Bei Arbeitssuchenden im Alter von 50 bis unter 65 Jahre ist die Arbeitslosigkeit im Jahresdurchschnitt nur um 1% gesunken. Im Bereich des SGB II hat sie in diesem Altersbereich im Dezember 2011 sogar um 5,8% gegenüber dem Vorjahresmonat zugenommen.

Es gibt also weiterhin Problemgruppen am Arbeitsmarkt, die von der positiven Beschäftigungsentwicklung nicht partizipieren. Das sind vor allem gering Qualifizierte, Langzeitarbeitslose und ältere Arbeitssuchende über 49 Jahre. Nur mit Maßnahmen, die allein an individueller Beschäftigung am Arbeitsmarkt ansetzen, wird ein höherer Beschäftigungsstand auch von Langzeiterwerbslosen nicht erreicht werden können. Überall wird gespart, gekürzt, abgebaut, reduziert.

Zweitens hat der Beschäftigungsaufbau vor allem im Bereich der prekären Beschäftigung stattgefunden – mit den entsprechenden Folgen für die Lohneinkommen und damit die private Nachfrage. Dazu gehört, dass bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung vor allem die Teilzeitarbeit zugenommen hat. So entfielen von den etwa 970.000 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen, die seit September 2008, also noch vor der Wirtschaftskrise, neu entstanden sind, 710.000 (74%) auf die Teilzeit.

In dieses Bild einer sozial differenzierten Entwicklung passt die Abflachung der Expansion bei der Leiharbeit. Im Oktober 2011 befanden sich etwa 950.000 Lohnabhängige (davon 840.000 in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung) in einem Leiharbeitsverhältnis. Das waren 10% mehr als im Vorjahresmonat. Insgesamt sind seit Mitte 2009, als vor allem LeiharbeiterInnen krisenbedingt ihre Arbeitsplätze räumen mussten, wieder über 300.000 Leiharbeitsplätze neu geschaffen worden.

Zugenommen haben auch alle anderen Formen prekärer Beschäftigung. So gibt es aktuell 1,3 Mio. sozialversicherungspflichtige Midi-JobberInnen (12/2010), 300.000 kurzfristig Beschäftigte (12/2010), 1,37 Mio. AufstockerInnen (8/2011) und 4,85 Mio. ausschließlich geringfügig Beschäftigte (11/2011). Darüber hinaus übten im Oktober 2,62 Mio. oder 9,0% der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zusätzlich einen geringfügig entlohnten Nebenjob aus, gegenüber dem Vorjahr 152.000 oder 6,2% mehr. Die Zahl der Zeitarbeiter wird auf über eine Mio. geschätzt. Fast jedes zweite neue Arbeitsverhältnis ist zeitlich befristet. Einzig bei den Ein-Euro-JobberInnen hat es im November 2011 einen Rückgang um 105.000 oder 40% gegeben.

Viele prekär Beschäftigte sind nicht in der Lage Anwartschaften für den (ausreichenden) Bezug von Arbeitslosengeld I aufzubauen. Die Gründe: »Entweder war die Beschäftigungszeit zu kurz, um Ansprüche zu erwerben, oder das früher erzielte Lohneinkommen war zu niedrig, um mit dem daraus abgeleiteten Arbeitslosengeld-Anspruch den Bedarf zu decken und muss mit Arbeitslosengeld II aufgestockt werden«, so die Bundesagentur. Der Effekt: Jeder vierte Beschäftigte, der arbeitslos wird, ist sofort auf ALG II bzw. Harz IV angewiesen. So verloren nach Angaben der Bundesagentur in den letzten zwölf Monaten bis Ende November 2011 etwa 2,8 Mio. Beschäftigte ihren Job. 737.000 wanderten danach sofort ins Hartz IV-System, pro Monat waren dies 61.000. Vor drei Jahren, im November 2008 waren es monatlich noch 51.000.

Wie die Armutsrutsche ins Hartz IV-System, basiert auch der Rückgang bei den Ein-Euro-Jobs auf einer politischen Entscheidung: dem Beschluss der schwarz-gelben Bundesregierung, die Haushaltssanierung vor allem zu Lasten der Langzeitarbeitslosen, aktiver Arbeitsmarktpolitik und der Bundesagentur für Arbeit durchzuführen. Eine Folge ist die drastische Reduktion aller arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen.

So befanden sich nach einer aktuellen Hochrechnung im Jahr 2011 durchschnittlich nur mehr 1,23 Mio. Personen in einer von Bund oder Bundesagentur für Arbeit geförderten arbeitsmarktpolitischen Maßnahme. Das waren 21% weniger als im Vorjahr. Den stärksten Rückgang gab es bei Arbeitsgelegenheiten, die jahresdurchschnittlich um 118.000 gesunken sind. Die Teilnehmerzahlen bei Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung (einschließlich Trainingsmaßnahmen) haben sich um 64.000 und bei Weiterbildungsmaßnahmen um 28.000 verringert. Der Beschäftigungszuschuss nahm um 19.000 und die Förderung der Selbständigkeit um 18.000 ab.

Statt anhaltender Kürzungen und Streichungen vor allem bei den Ein-Euro-jobs müsste ein Gesamtkonzept für öffentlich geförderte, voll-sozialversicherte und existenzsichernde Beschäftigungsverhältnisse entwickelt werden. Eine zukunftsorientierte Beschäftigungspolitik muss eng mit Wirtschaftspolitik verzahnt werden. Um stabile, umweltgerechte und sozial nachhaltige neue Arbeitsplätze zu schaffen, brauchen wir eine nachfrage- und investitionsorientierte Wirtschaftspolitik und sozial-ökologische Strukturreformen.

Es müssen vor allem gesellschaftlich nützliche Arbeitsplätze und ein öffentlich finanzierter sozialer Dienstleistungssektor gefördert werden – bei den öffentlichen Diensten, bei Gesundheit, Pflege, Sozialdiensten, Kultur und Bildung. Selbst wenn dies den politischen Eliten zu weit geht, könnten sie über Qualifikation und Fortbildung die Zukunftschancen des abgehängten und verfestigten Prekariats deutlich verbessern.

Der von Schwarz-Gelb vollzogene arbeitsmarktpolitische Kahlschlag hat zudem noch einen schönen Effekt für die Statistik: Die Unterbeschäftigung (ohne Kurzarbeit), zu der auch Personen zählen, die z.B. an entlastenden Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik teilnehmen oder aus anderen Gründen nicht als arbeitslos gelten, und die deshalb ein umfassenderes Bild der tatsächlichen Arbeitslosigkeit gibt, ist deutlich zurückgegangen. Im Jahresdurchschnitt 2011 belief sie sich (ohne Kurzarbeit) auf 4,15 Mio., eine Verringerung gegenüber dem Vorjahr um 549.000 oder 12%. Die Unterbeschäftigung hat damit – vor allem wegen des Herunterfahrens der Arbeitsmarktpolitik (Rückgang um 250.000 Geförderte) – im Jahresdurchschnitt stärker abgenommen als die Arbeitslosigkeit abgenommen.

Allerdings ist in der Unterbeschäftigungsstatistik auch eine Gruppe von BürgerInnen untergebracht, die eigentlich arbeitslos ist und deren Zahl markant zugenommen hat. Nach einer Vereinbarung noch der schwarz-roten Koalition gilt: Wer mindestens 58 Jahre alt ist und wenigstens zwölf Monate Hartz IV bezieht, ohne ein Jobangebot bekommen zu haben, wird nicht mehr als arbeitslos gezählt. Unter diese Kategorie »Vorruhestandsähnliche Regelungen (Sonderstatus §53a SGB II)« fallen im Dezember 2011 immerhin 106.248 BürgerInnen. Das waren knapp 18.000 oder 20% mehr als im Vorjahr. Die tatsächliche Arbeitslosenquote in der Bevölkerungsgruppe zwischen 55 und 64 Jahren beträgt daher nicht, wie in der Statistik ausgewiesen, 8,2%, sondern etwa 10%.

Eine andere Folge des schwarz-gelben Kurses in der Arbeitsmarktpolitik ist die finanzielle Ausblutung der Bundesagentur für Arbeit. Sie hat ihre Reserven komplett für die erfolgreiche Bekämpfung der Folgen der Wirtschaftskrise 2008ff. (vor allem durch Kurzarbeit) verbraucht und wird durch die drastische Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung seit 2006 und weitere Eingriffe in ihre Einnahmen (Bundeszuschüsse nur mehr als Kredit) zu einem harten Sanierungsprogramm mit einem massiven Beschäftigungsabbau gezwungen. Durch die günstige Arbeitsmarktlage wird sie zwar 2011 sogar einen leichten Einnahmeüberschuss (siehe oben) erzielen, und muss nicht, wie ursprünglich befürchtet, auf rückzahlungspflichtige Zuschüsse vom Bund zurückgreifen. Gleichwohl gilt: Die Taschen der Bundesagentur sind leer. Für absehbar notwendige Antikrisenmaßnahmen am Arbeitsmarkt gibt es keinerlei finanzpolitischen Spielraum.

Schließlich gehört zur Arbeitsmarkt- und Sozialbilanz auch, dass durch Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigung und die drastische Schieflage in der Einkommensverteilung die Armutsbevölkerung stetig wächst. So waren nach Angaben des Statistischen Bundesamts im Jahr 2010 durchschnittlich 14,5% der Bevölkerung in Deutschland arm. Das betrifft etwa 12 Mio. BürgerInnen. Die Schwelle, bei der selbst die Behörden eine Armutsnähe einräumen, liegt bei einem monatlichen Einkommen für einen Single-Haushalt von weniger als 826 Euro. Der durchschnittliche Regelsatz bei Hartz IV-Betroffenen inklusive der Kosten der Unterkunft liegt bei 701 Euro. Besonders betroffen von Armut sind Alleinerziehende (38,6%). Erwerbslose (54,0%) und Menschen mit Migrationshintergrund (26,2%)

So schlittert die Berliner Republik mit einem massiv ausgedehnten Sektor prekärer Beschäftigung, gedrückten Lohneinkommen, wachsender Armut, einem überschuldeten Gemeinwesen und einer finanziell ausgebluteten Bundesagentur für Arbeit in die nächste konjunkturelle Belastungsprobe. Die Voraussetzungen dafür, diese wie in den Jahren 2008ff. einigermaßen glimpflich durchlaufen zu können, existieren nicht mehr.

Vermutet werden darf, dass es dennoch im Falle einer rezessiven Entwicklung kurzfristig zum Einsatz von Arbeitsmarktinstrumenten kommt. Allerdings fehlt der politische Wille, Maßnahmen zur Gegensteuerung durch ein Konjunktur- und Strukturprogramm auch durch die Inanspruchnahme des öffentlichen Kredits zu finanzieren. Dies verhindert allein schon die – bis auf DIE LINKE – Allparteienkoalition in Sachen »Schuldenbremse«.

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