30. September 2011 Bernhard Müller: Arbeitslosenzahlen im September gesunken

Arbeitsmarkt gut – Aussichten trübe

Die Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt hat sich im September erneut verbessert. Infolge der Herbstbelebung ist die Zahl der offiziell registrierten Arbeitslosen von August auf September um 149.000 auf 2.796.000 gesunken. Saisonbereinigt wurde für den September ein Minus von 26.000 errechnet. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit setzt sich damit fort. Im Vergleich zum Vorjahr waren 231.000 weniger Arbeitslose registriert. Der Arbeitslosenquote sank um 0,4% auf nun mehr 6,6%.

Die Konjunkturaussichten sind in fast allen kapitalistischen Metropolen allerdings deutlich trüber geworden. Auch in Deutschland hat die Wirtschaftsleistung im II. Quartal nur mehr geringfügig (0,1%) zugelegt. Neben einem negativen Außenbeitrag dämpfte vor allem der inländische Konsum das Wirtschaftswachstum im Vorquartalsvergleich. Bei der Beschäftigung macht sich diese Verlangsamung jedoch erfahrungsgemäß erst mit zeitlicher Verzögerung bemerkbar.

Der Hintergrund für die sich gleichwohl abzeichnende Wende am Arbeitsmarkt: Die Schuldenkrise in den USA und in der Eurozone, die teils drastischen Korrekturen an den Aktienmärkten und die Abschwächung des Wirtschaftswachstums in den USA, aber auch in vielen europäischen Ländern machen den Rückfall in eine rezessive Abwärtsbewegung immer wahrscheinlicher.

Mit einer solchen Wende rechnet die Agentur für Arbeit allerdings nicht. So erwartet Frank-Jürgen Weise, der Vorstandsvorsitzende BA, zwar eine Eintrübung der Konjunktur. »Aber wir erwarten keinen Einbruch. Der Arbeitsmarkt bleibt stabil«. Auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt sich relativ optimistisch: Im schlechtesten Fall sei ein Schrumpfen des BIP um 0,2% und ein Anstieg der Arbeitslosigkeit um 20.000 zu erwarten.[1] Erwerbstätigkeit und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bewegten sich weiterhin auf einem stabilen Entwicklungspfad.

So lag die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse im Juni mit 28,39 Millionen um 684.000 über dem Vorjahreswert. Vom Zuwachs entfielen 385.000 auf Vollzeitjobs, 298.000 auf Teilzeitbeschäftigung. Im August waren bundesweit 497.000 offene Stellen gemeldet. Das waren 100.000 mehr als vor einem Jahr.

Allerdings darf dabei nicht übersehen werden, dass erstens die Langzeitarbeitslosen von dieser Entwicklung nur wenig profitiert haben. So ist die Zahl der Arbeitslosen im Bereich des SGB II im Vorjahresvergleich nur um 3,6% zurückgegangen. Im Bereich des SGB III war der Rückgang mit 16,5% wesentlich markanter. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen an allen Erwerbslosen hat sich damit auf 35% erhöht. Er liegt damit deutlich über dem europäischen Durchschnitt, nur die Slowakei hat einen noch höheren Anteil von Langzeitarbeitslosen. Mit dem jetzt verabschiedeten Gesetz zur »Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt« mit seinen drastischen Einschränkungen der Förderungsmaßnahmen für Arbeitslose hat die Bundesregierung aber bereits die Weichen gestellt, dass Deutschland in dieser Statistik künftig einen Spitzenplatz belegt.

Auch die Arbeitssuchenden im Alter von 50 bis unter 65 Jahre profitieren vom Aufschwung am Arbeitsmarkt kaum. Die Arbeitslosenquote für diese Altersgruppe ist im Vorjahresvergleich nur um 2,3% gesunken. Bei den 55- bis unter 65-Jährigen sind es sogar nur 0,2%. Und: Während die Arbeitslosigkeit zwischen 2005 und 2011 von mehr als fünf Millionen auf unter drei Millionen sank, stieg die Zahl der registrierten Arbeitslosen zwischen 58 und 65 Jahren sogar noch an. Und die Statistik zeigt dabei nur die halbe Wahrheit.

Nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit waren im August 291.380 Arbeitslose in dieser Altersgruppe registriert. Hinzu kommen weitere 211.222 »nicht arbeitslose Arbeitssuchende«. Sie tauchen nicht in der Arbeitslosenstatistik auf, weil sie als Ein-Euro-Jobber beschäftigt sind, eine Maßnahme des Jobcenters absolvieren oder aber in den Vorruhestand getreten sind. Unter vorruhestandsähnliche Regelungen und damit aus der Statistik fallen fast 92.000 Ältere.

Früher konnten sich Arbeitslose beim Arbeitsamt oder Jobcenter abmelden, wenn sie das 58. Lebensjahr erreicht hatten. Sie bezogen weiter Unterstützung, wurden aber nicht mehr vermittelt und nicht mehr als arbeitslos gezählt. Zugleich mussten sie sich verpflichten, zum frühestmöglichen Zeitpunkt in Rente zu gehen. 2007 wurde die Regelung geändert, denn sie passte schlecht zum Ziel der großen Koalition, Ältere bis zum 67. Lebensjahr arbeiten zu lassen. Doch die Furcht vor einem Hochschnellen der Zahlen war zu groß. So einigte man sich darauf, die Älteren ab 58 Jahren als Arbeitslose zu streichen, wenn sie innerhalb eines Jahres kein Stellenangebot erhalten.

Würden diese Arbeitssuchenden mitgezählt, dann läge die Zahl der offiziell registrierten Arbeitslosen immer noch über der Grenze von drei Millionen.

Der rasante Vormarsch der prekären Beschäftigung

Zweitens hat der Beschäftigungsaufbau vor allem im Bereich der prekären Beschäftigung stattgefunden mit den entsprechenden Folgen für die Lohneinkommen und die private Nachfrage. So ist nach Angaben des Statistischen Bundesamts die Zahl der atypisch Beschäftigten[2] im Jahr 2010 auf 7,84 Mio. gestiegen. Sie erhöhte sich nach Ergebnissen des Mikrozensus gegenüber 2009 um 243.000 Personen. Die Zahl der abhängig Beschäftigten insgesamt nahm zwischen 2009 und 2010 um 322,000 auf 30,90 Millionen zu. Damit trug die atypische Beschäftigung gut 75% zum Gesamtwachstum der Zahl abhängig Beschäftigter zwischen 2009 und 2010 bei. Die Zunahme atypischer Beschäftigung ist wiederum hauptsächlich auf den Zuwachs von Personen in Leiharbeit zurückzuführen: Ihre Zahl wuchs von 2009 bis 2010 um 182.000. Damit trug die Leiharbeit allein zu deutlich mehr als der Hälfte (57%) des gesamten Beschäftigungsanstieges bei und erreichte 2010 mit 742.000 einen neuen Höchststand.

Im Krisenjahr 2009 war die atypische Beschäftigung im Vergleich zum Vorjahr 2008 noch um 129.000 Personen gesunken. Mit der Entwicklung von 2009 auf 2010 ist dieser Rückgang mehr als ausgeglichen worden. Vergleicht man 2010 mit 2008, hat die Zahl atypisch Beschäftigter um 1,5% zugenommen, die der »Normal«arbeitnehmerInnen hingegen nur um 0,6%.

Vor allem Zeitarbeit und befristete Beschäftigung wurden von den Unternehmen als Mittel genutzt, um flexibel auf die konjunkturellen Veränderungen zu reagieren. Bei dem aktuellen Anstieg der Zeitarbeit um 32,5% im Vergleich von 2010 gegenüber 2009 ist zu berücksichtigen, dass die LeiharbeiterInnen die negativen Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise am stärksten gespürt hatten: Ihre Zahl war von 2008 auf 2009 um 8,5% gefallen. Im Vergleich der Situation vor und nach der Krise, hat die Zeitarbeit zwischen 2008 und 2010 im Saldo aber um 21,2% zugenommen. Von den 742 000 LeiharbeiterInnen im Jahr 2010 befanden sich 503.000 oder gut zwei Drittel in einer unbefristeten, sozialversicherungspflichtigen Anstellung und arbeiteten mindestens 21 Stunden pro Woche. Das verbleibende Drittel war mindestens hinsichtlich eines weiteren Merkmals atypisch beschäftigt. Allein 198.000 oder 27% waren als LeiharbeiterInnen zugleich befristet beschäftigt.


Auch die befristete Beschäftigung legte im Jahresvergleich von 2010 gegenüber 2009 deutlich um 121.000 Personen oder 4,6% zu und lieferte damit einen Beitrag von 38% am Gesamtanstieg aller abhängig Beschäftigten. Die befristete Beschäftigung hatte 2009 einen Rückgang von 3,3% gegenüber 2008 verzeichnet, so dass der Vergleich des Jahres 2010 mit dem Vorkrisenniveau im Saldo nur einen leichten Anstieg zeigt (+ 1,1%).

Die Teilzeitbeschäftigung stieg 2010 im Vergleich zu 2009 um 28 000 Personen und weist für die beiden letzten Jahre nur einen geringen Zuwachs auf (+ 0,5%). Bei der geringfügigen Beschäftigung deutet sich in diesem Zeitraum sogar ein leichter Rückgang an (– 2,4%). Von 2009 auf 2010 ist die Zahl der geringfügig Beschäftigten um 57 000 Personen gesunken.

Auffällig ist, dass sich Normal- und atypische Beschäftigung auch 2010 für Frauen und Männer unterschiedlich entwickelten. Die Zahl der Frauen in Normalbeschäftigung stieg zwischen 2009 und 2010 um 122.000 und damit stärker als die der atypisch beschäftigten Frauen, die um 72.000 zulegte. Dabei wurden letztere vorwiegend befristet (+ 52.000) und/oder in Zeitarbeit (+ 53.000) angestellt. Die Zahl der Männer in Normalbeschäftigung ging 2010 im Vorjahresvergleich sogar um 44.000 zurück, wohingegen die Zahl atypisch beschäftigter Männer um 177.000 stieg. Drei Viertel der Zunahme atypischer Beschäftigung bei den Männern gingen auf das Konto der Zeitarbeit (+ 128.000). Trotzdem waren auch im Jahr 2010 Frauen noch deutlich häufiger atypisch beschäftigt als Männer. Bei ihnen lag der Anteil an allen Beschäftigten bei 37,2%, während er bei Männern nur 14,4% betrug. Ursächlich ist der höhere Frauenanteil in Teilzeit- und geringfügiger Beschäftigung.

Deutschland geht so mit einem rasant gewachsenen Anteil prekär Beschäftigter und verfestigter Langzeitarbeitslosigkeit in eine neue konjunkturelle Krise. Hinzu kommt die politischen Entscheidung der schwarz-gelben Bundesregierung, die Haushaltssanierung vor allem zulasten der Langzeitarbeitslosen, aktiver Arbeitsmarktpolitik und der Bundesagentur für Arbeit durchzuführen. Eine Folge besteht in der drastischen Reduktion aller arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. So liegt die Zahl der TeilnehmerInnen an diesen Maßnahmen im September 2011 um 24,4% (absolut: 480.000) unter der des Vorjahres.

Eine andere Folge ist die finanzielle Ausblutung der Bundesagentur für Arbeit. Sie hat ihre Reserven komplett für die erfolgreiche Bekämpfung der Folgen der Wirtschaftskrise 2008ff. (vor allem durch Kurzarbeit) verbraucht und wird durch die drastische Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung seit 2006 und weitere Eingriffe in ihre Einnahmen (Bundeszuschüsse nur mehr als Kredit; Senkung des Anteils an der Umsatzsteuer um 4 Mrd. Euro) zu einem harten Sanierungsprogramm mit massivem Beschäftigungsabbau gezwungen.

Auch die Bundesregierung ist in ihrer Einschätzung der weiteren Entwicklung deutlich zurückhaltender geworden. »Der Arbeitsmarkt zeigt sich auch im September stabil und robust. Die aktuell gute Entwicklung ist aber keine Garantie für die Zukunft. Die Risiken für die weitere konjunkturelle Entwicklung haben zugenommen. Die Turbulenzen an den Aktienmärkten, die Unsicherheiten rund um den Euro und die Indikatoren der Forschungsinstitute, die die Erwartungen der Finanzmärkte und Unternehmen abbilden, bremsen den Optimismus. Der gute deutsche Arbeitsmarkt ist kein Selbstläufer, der sich auf Dauer abkoppeln kann von der Weltkonjunktur.« (Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen)

Schwarz-Gelb hat allerdings mit der systematischen Förderung prekärer Beschäftigung und dem Kahlschlag in der Arbeitsmarktpolitik alles dafür getan, dass die Wirkungen eines konjunkturellen Einbruchs in der Berliner Republik besonders nachhaltig sein werden.


[1] »Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung im Laufe des Jahre 2012 ist außerordentlich großer Unsicherheit ausgesetzt. (…) Als untere Variante betrachten wir ein Schrumpfen der Wirtschaft im Jahr 2012 von 0,2%. In diesem unteren Szenario (…) werden die Zugänge in Arbeitslosigkeit die Abgänge wieder übersteigen, und die Arbeitslosigkeit wird um 20.000 auf 2,99 Mio. steigen.« (Schwere Zeiten für den Arbeitsmarkt, IAB-Kurzbericht 19/2011)

[2] Betrachtet werden hier abhängig Beschäftigte im Alter von 15 bis 64 Jahren, die nicht in Schule, Studium oder Berufsausbildung sind. Zu den atypischen Beschäftigungsformen werden dabei – im Unterschied zum Normalarbeitsverhältnis – befristete und geringfügige Beschäftigung, Teilzeitarbeit bis zu 20 Wochenstunden sowie Zeitarbeit gezählt. Eine atypische Beschäftigung kann auch nach mehreren Merkmalen gleichzeitig vorliegen.

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