19. Juni 2011 Joachim Bischoff / Richard Detje: Griechenlands Pleite wäre ansteckend

Auf dem Weg in die Aussichtslosigkeit

Griechenland braucht dringlich neue Finanzhilfen. Es geht zum einen um die Auszahlung der nächsten Tranche eines im Mai 2010 beschlossenen Finanzkredits in Höhe von 110 Mrd. Euro. Griechenland hat von diesem Hilfspaket bislang 53 Mrd. Euro erhalten, eine nächste Tranche in Höhe von 12 Mrd. muss bis Mitte Juli ausgezahlt werden, wenn das Land zahlungsfähig bleiben soll.

Zum anderen muss Griechenland ein neues Hilfspaket erhalten, weil die ursprüngliche Annahme sich als irreal herausgestellt hat, das Land könne bereits Mitte 2012 neue Kredite auf den internationalen Finanzmärkten erhalten. In der internationalen Presse wird dieses neue Hilfsprogramm in einer Größenordnung von 90 bis 120 Mrd. Euro taxiert.

Die Auszahlung der nächsten Tranche des laufenden Kredits stößt deshalb auf Schwierigkeiten, weil der mitbeteiligte IWF seinen Anteil nur auszahlen darf, wenn eine Rückzahlung innerhalb der nächsten zwölf Monate gewährleistet ist. Investoren sind zunehmend darüber in Sorge, dass die griechische Regierung einen Staatsbankrott letztlich nicht verhindern kann. Zugleich unterstreicht der IWF in einer neuen Stellungnahme, dass die Krise Griechenlands über Europa hinaus eine Gefahr für die Weltwirtschaft darstelle. Hinzu kämen massive Komplikationen des Dollar-Regimes, wenn die Opposition im US-Repräsentantenhaus eine Erhöhung der Schuldengrenze für den US-Haushalt weiter hinauszögert. Man sei in eine politische Phase der Krise eingetreten. Die Politik spiele mit dem Feuer, wenn sie wichtige Entscheidungen verzögere.

Ein Spiel mit dem Feuer sind in der Tat auch die Verhandlungen um ein neues Hilfspaket für Griechenland. Einerseits nehmen populistische Ressentiments zu, andererseits wächst der Widerstand gegen die deflationären Folgen der Austeritätspolitik. Sowohl innerhalb der Bevölkerungen der Euro-Länder als auch innerhalb der nationalen politischen Systeme wird die Zustimmung zu neuen Krediten mehr und mehr an die Bedingung geknüpft, dass sich auch private kapitalistische Banken und andere Finanzinvestoren an einem Umschuldungsprojekt für Griechenland beteiligen.

Die Verhandlungen über eine solche Einbindung von privaten Gläubigern sind sehr kompliziert, weil die europäischen PolitikerInnen und die beteiligten Institutionen damit Neuland betreten. Die Einbeziehung privater Gläubiger könne derzeit nur auf freiwilliger Basis geschehen, da es für eine verpflichtende Lösung noch kein Regelwerk gebe, konzedierte die deutsche Regierungschefin Merkel.

Die Europäische Zentralbank hat sich deutlich gegen eine Umschuldung unter Beteiligung von privaten Gläubigern ausgesprochen. Die Ratingagenturen könnten diese Beteiligung zum Anlass nehmen, Griechenland für zahlungsunfähig zu erklären. Und der Vorsitzende der EU-Finanzminister, Jean-Claude Juncker warnt vor einem Dominoeffekt: »Die Pleite kann Portugal anstecken und Irland und dann wegen der hohen Schulden auch Belgien und Italien, noch vor Spanien.«

Aber selbst in den politischen Mehrheitsklassen wächst die Kritik an dieser einseitigen Verteilung der Krisenlasten. Die Kompromissformel lautet, dass die Beteiligung von Banken, Versicherungen, Fonds etc. nicht verpflichtend, sondern auf freiwilliger Basis erfolgen soll. Abgesehen davon, dass sich die Politik mit dieser Argumentation der Diktatur jener Ratingagenturen unterwirft, die sie 2009 noch zu den Mitverursachern des Finanzcrashs gezählt hatte, ist die Argumentation fadenscheinig. Denn ab Mitte 2013 sind mit der Einführung des dauerhaften »Stabilisierungsmechanismus« Umschuldungen ausdrücklich vorgesehen. Warum soll das, was in zwei Jahren möglich sein soll, heute ausgeschlossen sein? Dieser Widerspruch lässt sich nur erhellen, wenn man erwartet, dass sich die privaten Finanzmarktakteure bis dahin der griechischen (und anderer) Staatsanleihen entledigt und damit keine weiteren Verluste mehr zu vergegenwärtigen haben. Eine Umschuldung in zwei Jahren hätten dann allein die SteuerzahlerInnen zu tragen.

Die europäischen Politiker, allen voran die Regierungen aus Frankreich und Deutschland, vermeiden Verhandlungen darüber, eine Änderung der Bedingungen für die Geldgeber Griechenlands zu erzwingen und ihnen ohne ihre Zustimmung Verluste auf ihre Vermögenswerte abzuverlangen. Experten und Analysten sehen einen solchen Schritt aber als einzigen Weg, die Schuldenlast Griechenlands zu verringern. Thomas Mayer, der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, taxiert die Kosten für eine Umschuldung Griechenlands auf 200 Mrd. Euro. Die Gläubiger müssten zur Hälfte auf Ihre Ansprüche verzichten. Von den aktuell 340 Mrd. Euro Schulden Griechenlands könnten 170 Mrd. den Gläubigern abgekauft werden. Dann müssten noch 20 bis 30 Mrd. Euro in die Hand genommen werden, um das griechische Bankensystem abzuwickeln oder zu stabilisieren. Keine Frage: Selbst wenn eine solche Umschuldung ohne weitere Komplikationen umzusetzen wäre, die Lastenverteilung innerhalb der Euro-Länder ist nicht ohne massive Widerstände zu vereinbaren.

Die Rettungsbemühungen Griechenlands geraten immer tiefer in eine politische Sackgasse und gefährden die gesamte europäische Konstruktion. Nicht die gemeinsame Währung – der Euro – steht im Zentrum der Antikrisenpolitik, sondern es geht darum, einen tragfähigen Ausweg aus der Konstellation der Überschuldung zu finden, in die einige europäische Länder verstrickt sind.

Die deutsche Bundesregierung kann die wachsenden Vorbehalte in Teilen der Bevölkerung und in Teilen der Regierungsparteien gegen weitere Finanzhilfen an Griechenland nicht ignorieren. Wegen dieses wachsenden Widerstandes fordert die schwarz-gelbe Regierung immer weitere Verschärfungen des schon heute beispiellosen Sparprogramms der griechischen Regierung. Sie eröffnen letztlich keinen Ausweg, sondern führen nur dazu, dass das Land immer tiefer in eine wirtschaftliche Depression abgeleitet. Die politische Akzeptanz von weiteren Finanzhilfen für Griechenland hängt außerdem entscheidend davon ab, dass die Belastungen für eine Schuldenhilfe nicht, wie in den zurück liegenden Monaten, ausschließlich vom öffentlichen Sektor und den öffentlichen Finanzen getragen werden. Die europäische Politik gerät mehr und mehr in eine Konstellation der Ausweglosigkeit.

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