13. November 2017 Otto König /Richard Detje: PESCO – Formation eines militaristischen Kerneuropas

Aufrüstung der Willigen und Fähigen

Foto: ResoluteSupportMedia | flickr.com (CC BY 2.0)

Mit dem Aufruf »Abrüsten statt aufrüsten« [1] beziehen derzeit tausende Friedensaktivist_innen – unter ihnen Gewerkschaftsvorsitzende, Künstler, Wissenschaftler, Hochschullehrer, Politiker der Linken, der SPD und der Grünen – Stellung gegen die Absichten der Bundesregierung, die Rüstungsausgaben nahezu zu verdoppeln: auf zwei Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung (BIP).

Die Unterzeichner_innen fordern: militärische Aufrüstung stoppen, Spannungen abbauen, gegenseitiges Vertrauen aufbauen, Perspektiven für Entwicklung und soziale Sicherheit schaffen, Entspannungspolitik auch mit Russland, verhandeln und abrüsten.

Damit wendet sich der Aufruf auch gegen die rasant fortschreitende Militarisierung auf europäischer Ebene. Seit im Juni 2016 die »Globale Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union« (EUGS) veröffentlicht wurde, wird die Debatte über die »Zukunft der Europäischen Verteidigung« vor allem von den politischen Akteuren in Berlin, Brüssel und Paris vorangetrieben. In dem von der EU-Kommission nachgeschobenen »Reflexionspapier« wurden drei Szenarien für die Militärpolitik skizziert, die auf »strategische Autonomie« zielen und es der EU auf lange Sicht ermöglichen sollen, nicht nur »an der Seite ihrer Hauptverbündeten«, sondern bei Bedarf auch »allein zu handeln«.

Folgende Ziele stehen im Mittelpunkt: Erstens soll eine »Ständige Strukturierte Zusammenarbeit« (Permanent Structure Cooperation, PESCO) aktiviert, zweitens eine »Koordinierte Jährliche Überprüfung der Verteidigung« (CARD) über einen systematischen Austausch zwischen den Mitgliedstaaten über ihre Verteidigungspläne institutionalisiert und drittens ein Europäischer Verteidigungsfonds (EVF) geschaffen werden. Aus dem EU-Haushalt sollen künftig jährlich 1,5 Milliarden Euro für die Rüstungsforschung und -entwicklung bereitgestellt werden, um Anreize zu schaffen, die Rüstungsindustrie EU-weit stärker als bisher zu verschmelzen

Auf dem Treffen der Außen- und Verteidigungsminister der EU-Mitgliedstaaten Mitte November in Brüssel soll die Notifizierung für die geplante engere Militärkooperation beginnen. [2] Laut Bundesverteidigungsministerium werden »voraussichtlich 20 der 28 EU-Mitglieder« dabei sein. Die abschließende Entscheidung zur Gründung der PESCO soll auf der darauffolgenden Ratssitzung am 11. Dezember 2017 mit qualifizierter Mehrheit vorgenommen werden.

Sie erfolgt auf der Grundlage des Artikels 42 sowie des entsprechenden Protokollvermerks 10 des Vertrages von Lissabon als offizielle EU-Struktur. An den Sitzungen sollen alle EU-Staaten teilnehmen können, doch stimmberechtigt werden nur jene sein, die bereit sind, sich auf höhere Rüstungsausgaben und eine ausgeweitete militärische »interventionistische« Außenpolitik zu verpflichten.

Da die Forderung nach einem hochgerüsteten Kerneuropa mit einer gemeinsamen EU-Armee nicht nur im scheidenden Großbritannien und in den kleinen EU-Staaten wie Zypern, Malta oder Portugal, sondern auch in Ländern wie Polen und Schweden umstritten ist, da sie nicht nur ökonomisch sondern auch militärisch weiter steigenden Einfluss Deutschlands befürchten, sollen nun im Rahmen von PESCO »willige« Mitgliedstaaten sich in losen Koalitionen verbinden, um spezielle militärische Fähigkeiten kollektiv bereitzustellen.

Die an PESCO teilnehmenden Staaten sollen »ihre Kapazitäten und Fähigkeiten« bei der Europäischen Verteidigungsagentur (European Defence Agency, EDA) melden, um sie dann »im Rahmen der neuen Verteidigungskooperation« jederzeit nach Bedarf zusammenführen zu können. Die Addition dieser einzelnen militärischen Bestandteile könnte langfristig die nach wie vor im Raum stehende EU-Armee ersetzen.

Mit den geplanten Maßnahmen wird die Verschmelzung europäischer Streitkräfte ergänzt, die Berliner Militärpolitiker auch im Rahmen der NATO vorantreiben, u.a. mit der Unterstellung fremder Streitkräfte unter deutsches Kommando und der Bildung sogenannter »Fähigkeitscluster«. So weist das Bundesverteidigungsministerium darauf hin, dass PESCO dem 2014 im britischen Newport beschlossenen »Framework Nations Concept der NATO« ähnlich ist. Auch hier werden »Projekte, die nicht mit allen Partnerstaaten umgesetzt werden können, im kleineren Verbund realisiert." [3] Beide Konzepte seien »nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung« gedacht.

Wie die Autoren der Studie »Ambitionierte Rahmennation: Deutschland in der Nato«, vorgelegt von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), formulieren, soll es künftig möglich sein, »drei multinationale Divisionen mit jeweils bis zu fünf schweren Brigaden in den Einsatz zu bringen.« Dabei sollen zwei dieser drei Divisionen »aus deutschen Divisionsstäben und -strukturen« wie beispielsweise ein »Luftwaffen-Einsatzverband« und ein »deutsch dominierte[s] Marinekommando für die Ostsee« gebildet werden. [4]

Dazu gehört auch der Aufbau von Fähigkeitsclustern wie die Kooperationsvereinbarung zwischen Deutschland und Ungarn vom Mitte Oktober zur Schaffung eines gemeinsamen Transportzuges, der im Jahr 2020 einsatzfähig sein und 2025 Kompaniestärke erreichen soll. Darüber hinaus kooperiert die deutsche Marine mit der niederländischen Marine und ein neues Kommando im maritimen Operationszentrum in Glücksburg (Flensburger Förde) soll künftig die operative Kontrolle über deutsche und polnische U-Boote übernehmen. Die SWP-Autoren schlussfolgern: »Zu Lande, zu Wasser oder in der Luft wäre die Rolle Deutschlands in diesen Verbänden und Strukturen signifikant«.

Die ideologische Vorarbeit für die Militarisierung der EU wird u.a. von Denkfabriken wie die NATO-Exzellenzzentren (Centres of Excellence, COE) geleistet. So liegt der Schwerpunkt des »Air Power Competence Center« (JAPCC) im niederrheinischen Kalkar auf der Analyse sowie der Weiterentwicklung der Kriegsführung im Luft- und im Weltraum. Das »Operations in Confined and Shallow Waters (CSW)« in Kiel entwickelt Grundsätze und Verfahren für maritime Operationen in Randmeeren und Küstengewässern und wirkt mit an der Erstellung des neuen Anti-U-Boot-Krieg-Konzeptes der Allianz.

Einen weiteren zentralen Stellenwert nehmen die Pläne des Aufbaus einer militärischen EU-Kommandozentrale ein. Die im Frühjahr von der EU beschlossene Kommandozentrale soll sich jedoch auf die Koordination sogenannter Beratungs- und Ausbildungseinsätze beschränken, was den Befürwortern gemeinsamer EU-Militäreinsätze nicht genügt. Man müsse sich mit dem Beschluss keineswegs abfinden, beruhigt das European Institute for Security Studies (EUISS) in Paris, da sich die Frage nach dem Ausbau der Zentrale zu einem vollumfänglichen militärischen Hauptquartier in absehbarer Zeit unweigerlich stellen werde.

Zu den maßgeblichen Treibern von PESCO gehören die deutsche Oberbefehlshaberin Ursula von der Leyen, die sich am 18. Oktober vom kommissarischen Bundeskabinett der auslaufenden GroKo grünes Licht für eine deutsche Beteiligung geben ließ, und das französische Ministère des Armées. Mit dem vom französischen Verteidigungsministerium Mitte Oktober veröffentlichten militärpolitischen Grundsatzdokument »Revue stratégique« öffnen sich Frankreichs Streitkräfte »in einem bislang nicht gekannten Maße für Kooperation in Europa«, so die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik. [5]

Zu Beginn der 2020er Jahre sollten die Europäer über eine einheitliche Verteidigungsdoktrin verfügen und fähig sein, »gemeinsam auf glaubwürdige Art und Weise intervenieren zu können«, fordert das Ministère des Armées. Dazu müsse eine »europäische Interventionsinitiative« (Initiative européenne d'intervention) gestartet werden, für die nach den Vorstellungen des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron eine »neue, je nach Einsatzlage zusammengesetzte europäische Interventionstruppe« von den »willigen und militärisch fähigen« EU-Staaten gebildet werden soll.

Wie nötig die EU mehr Zusammenhalt hätte, ließ von der Leyen in der »Strategischen Vorausschau 2040« ihres Ministeriums herausarbeiten. In dem internen, 102 Seiten umfassenden Papier wurden von Bundeswehrstrategen sechs sicherheitspolitische Zukunftsszenarien durchgespielt, darunter im schlimmsten Fall der Zerfall der EU. Für die CDU-Politikerin ist PESCO eine »große Chance«, dem entgegen zu wirken.

Es ist zu befürchten, dass das Vorgehen der kommissarischen Bundesregierung, aber auch einer möglichen Jamaika-Koalition, [6] richtungweisend ist für den weiteren Weg in Richtung EU-Armee. Eine demokratische Beteiligung ist weder bei der Einrichtung des militärischen Kerneuropas noch bei seiner weiteren Ausgestaltung gewünscht. Und dies, obwohl es bei der Entscheidung für die Schaffung eines militärischen Kerneuropas um eine Reihe von bindenden Verpflichtungen für die teilnehmenden Nationalstaaten geht.

Im Rahmen der PESCO werden zum Beispiel Vorgaben gemacht, die die Ausrichtung der Bundeswehr, den Einsatz der Soldat_innen, die Kooperation bei Forschung und Aufrüstung, die Transportkapazitäten in Militäreinsätzen und vor allem die Finanzierung dieser Vorhaben betreffen. So soll die Bundesregierung bis zur Ratsentscheidung im Dezember einen nationalen Umsetzungsplan für die entsprechenden militärischen Verpflichtungen vorlegen.

All dies wird womöglich ohne eine Entscheidung durch den am 24. September neu gewählten Bundestag über die Bühne gehen, obwohl die umfangreichen finanziellen Implikationen massive Auswirkungen auf den Entscheidungsspielraum der nationalen Parlamente bei deren Haushaltsberatungen haben. Damit soll eine öffentliche Diskussion vermieden werden.


[1] www.abruesten.jetzt
[2] Vgl. Claudia Haydt: PESCO ist kein Fisch, IMI-Standpunkt 2017/034.
[3] PESCO: Das Ziel fest im Blick. www.bmvg.de 6.11.2017.
[4] Vgl. Rainer L. Glatz/Martin Zapfe: Ambitionierte Rahmennation: Deutschland in der Nato, SWP-Aktuell 62, August 2017.
[5] Claudia Major/Christian Mölling: Pragmatisch und europäisch: Frankreich setzt neue Ziele in der Verteidigungspolitik, DGAP Standpunkt Oktober 2017.
[6] Nur in wenigen Bereichen laufen die Koalitionsgespräche von CDU/CSU, Grünen und FDP so geräuschlos wie bei der Verteidigung. Die Ausweisung der »Reizziffer« des Anstieges der Militärausgaben auf zwei Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung sei nicht zwingend erforderlich, schließlich sei die Richtung – der kontinuierliche Anstieg des Verteidigungsetats – entscheidend, da die Nato diese Selbstverpflichtung als Ziel auch erst für 2024 ausgegeben habe.

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