8. April 2011 Joachim Bischoff: Konjunkturoptimismus und Konjunkturrisiken

Aufschwung und Schuldenkrise

Die gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen werden heftiger, während die Große Krise zunehmend in Vergessenheit gerät. Mit Blick auf die aktuellen Wirtschaftsdaten läuft die bundesdeutsche Konjunktur vorzüglich, sodass längst wieder reichlich Ideologen unterwegs sind. Einer der bekanntesten unter ihnen, Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn, warnt angesichts der Anfrage Portugals nach EU-Finanzhilfen, vor staatlichen Rettungsmaßnahmen.

»Es reicht jetzt. Damit übernehmen wir uns. Das schaffen selbst wir nicht.« In der Bild-Zeitung verkündet der selbsternannte Gralshüter: »Je mehr Geld fließt, desto länger leben die überschuldeten Länder über ihre Verhältnisse, desto mehr ist verloren. Gutes Geld dem schlechten hinterher zu werfen, war noch nie eine besonders gute Idee.« Neue und größere Rettungsschirme würden nicht ohne Folgen für die Verbraucher und Steuerzahler bleiben. Die Politiker setzten »mit dieser Politik unsere Rente aufs Spiel«.

Sicherlich ist eine nachhaltige Unterstützung der Länder an der europäischen Peripherie keine einfache und ungefährliche Operation. Die Altersrenten werden aber eher durch eine Privatisierungspolitik gefährdet, die letztlich nur den Anlagebedürfnissen der großen Finanzmarktakteure dient.

Auch der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) betreibt die Verteidigung der Bessergestellten. Der Zinssatz für Ausleihungen bei der EZB lag seit Mai 2009 bei 1,0%. Vergleichbare Tiefstzinssätze gab es bei allen Notenbanken der kapitalistischen Hauptländer. Jetzt hat die EZB erstmals seit Beginn der Finanzkrise die Zinsen um 0,25% höht. Diese geldpolitische Wende wird mit Preissteigerungen begründet. Im März betrug die jährliche Teuerungsrate im Euroraum 2,6% – deutlich über der Zielinflationsrate von 2%.

Die EZB setzt sich mit ihrer Zinsentscheidung von der Politik der Notenbanken in den USA, Japan und Großbritannien ab. So beließ die Bank von England den Leitzins trotz einer deutlich auf 4,4% gestiegenen Inflationsrate bei 0,5%. Begründung: wachsende Konjunkturrisiken. Gleichermaßen will die US-amerikanische FED wegen der großen Arbeitsmarktprobleme ihre Nullzinspolitik fortführen.

Muss die EZB in dieser fragilen Situation die Kreditzinsen anheben und auf diese Weise Investitionen von Firmen und Einkäufe von Konsumenten verteuern? Der Hinweis auf die Preissteigerungsraten überzeugt nicht: Ursachen der Preissteigerungen der letzten Wochen sind vor allem die gestiegenen Preise für Ö l– Folge der Erschütterungen in der arabischen Welt – und andere Rohstoffe. Auch die Erhöhung der Weltmarktpreise für viele Nahrungsmittel seit Sommer 2010 sind besonderen Faktoren zuzuschreiben (siehe den Beitrag von Guido Speckmann in Sozialismus 4-2011, S. 10-14). Eine Überhitzung der Produktionspotenziale ist nirgends in Sicht.

Die EZB ignoriert mit ihrer Geldpolitik zudem, dass die ökonomische Entwicklung innerhalb der Euro-Zone immer stärker auseinanderdriftet. Der Rat erhöhte neben dem Leitzins auch die Zinsen für die Einlagen der Banken auf 0,5 und für die Spitzenrefinanzierungen (Kredite über Nacht an die Banken) auf 2%. Vor allem die Banken der finanzschwachen Euro-Staaten gelten bei der Konkurrenz nicht als kreditwürdig. Deshalb müssen sie sich überwiegend direkt bei der Notenbank finanzieren.

Die Länder an der Peripherie stecken tief in einer Schuldenkrise und die Austeritätsprogramme drücken das Wirtschaftswachstum. Nach Griechenland und Irland wird nun auch Portugal unter den EU/IWF-»Rettungs«schirm getrieben, um vor einer Ausblutung durch hohe Kreditzinsen der Finanzmärkte bewahrt zu werden. Die EZB hatte Portugal dazu ermutigt.

Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) kommt in seiner Bewertung der aktuellen Konjunktureinschätzung zu der These: »Die Weltwirtschaft wächst kräftig, getragen vor allem von der robusten Konjunktur in den asiatischen Schwellenländern. In den USA expandiert die Nachfrage stetig, wozu auch eine anhaltend expansive Wirtschaftspolitik beiträgt. Hingegen bleibt die Erholung in der EU insgesamt sehr verhalten. Die wichtigsten Risiken für die Weltkonjunktur bestehen im Anziehen der Rohstoffpreise, in der anhaltend labilen Lage im Finanz-und Bankensystem, der Bewältigung der Euroschuldenkrise sowie im Ausstieg aus der expansiven Orientierung der Wirtschaftspolitik in den Industrieländern.« Demzufolge sieht das IMK in der Zinspolitik der EZB deutliche Risiken und mahnt: »Die EZB sollte ihren Leitzins im Einklang mit ihrer mittelfristigen Strategie unverändert lassen, da keine Zweitrundeneffekte der jüngsten Preisschocks zu erwarten sind.« (IMK-Report 61, April 2011)

Auch in der Gemeinschaftsdiagnose von wirtschaftswissenschaftlichen Instituten werden trotz einer positiveren Prognose der wirtschaftlichen Aussichten für Deutschland der die Risiken unterstrichen: »Es besteht aber das Risiko, dass es zu einem Rückschlag kommt. Vor allem jene fortgeschrittenen Volkswirtschaften, in denen die Krise große strukturelle Probleme offen legte, und in denen sich bisher kein dynamischer Aufschwung herausgebildet hat, sind nach wie vor anfällig für negative Schocks. Dazu zählen insbesondere die USA und einige Länder des Euroraums. Ein solcher negativer Schock könnte entweder der Verlust an Vertrauen der Kapitalmärkte in die Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen von Ländern mit hohen Schuldenstanden oder Defiziten sein. Die drastischen Folgen eines solchen Vertrauensverlustes lassen sich gegenwärtig am Fall der Peripherieländer des Euroraums ablesen. Eine Verschärfung der Schulden- und Vertrauenskrise dieser Länder ist ein Risiko speziell für die Konjunktur im Euroraum. Sollte es in großen Ländern mit erheblichen finanzpolitischen Schieflagen, etwa in Japan oder den USA, zu einer solchen Entwicklung kommen, würde die gesamte Weltwirtschaft in Mitleidenschaft gezogen werden.« (Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2011)

Im Widerspruch zu der Risikoanalyse steht die wirtschaftspolitische Philosophie der Gutachter. In dem Gemeinschaftsgutachten wird die Konsolidierungspolitik begrüßt. Die Perspektive: »Besonders groß sind die Herausforderungen für die Finanzpolitik nach wie vor in den Ländern der Peripherie… Im Euroraum insgesamt wird die Finanzpolitik im laufenden Jahr spürbar bremsend wirken. Hierzu trägt neben den neuerlichen Sparprogrammen in den Krisenländern bei, dass die Konjunkturprogramme nun endgültig ausgelaufen sind. Hinzu kommt, dass nun auch in anderen Ländern, die ihre Finanzpolitik bisher allenfalls vorsichtig gestrafft haben, zunehmend Konsolidierungsmaßnahmen ergriffen werden, um die Defizite zurückzuführen… Im Prognosezeitraum wird die EZB, beginnend im zweiten Quartal 2011, den Hauptrefinanzierungssatz allmählich anheben. Ende 2012 durfte er bei 2% liegen. In der Folge werden auch die Geld- und Kapitalmarktzinsen steigen.«

In ihrem Gutachten vom Herbst 2010 hatten die Institute darauf hingewiesen, dass sich die Europäische Wirtschaftspolitik an einem Scheideweg befindet. Die Beschreibung ist auch ein Jahr später noch zutreffend. Die Lage der öffentlichen Haushalte wird sich im Prognosezeitraum deutlich verbessern. Dies ist zum Teil den »Sparprogrammen«, zum Teil der besseren Konjunktur zu verdanken. Konjunkturbedingte Mehreinnahmen seien jedoch – so die Gutachter – kein Grund, in den Konsolidierungsbemühungen nachzulassen, denn sie verbessern den strukturellen Budgetsaldo nicht. Ebenso entstehe dadurch – anders als vielfach von politischer Seite behauptet – kein zusätzlicher Spielraum für Steuersenkungen.

In der Summe tragen die Akteure und ihre Gutachter dazu bei, dass sich an der labilen Grundkonstellation der kapitalistischen Ökonomie nichts ändert.

Zurück