1. Juli 2010 Redaktion Sozialismus

Aufschwungsignale?

Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland ist im Juni erneut gesunken. Bundesweit waren 3,153 Mio. Menschen auf Jobsuche, wie die Bundesagentur für Arbeit (BA) mitteilte. Das waren 88.000 Menschen weniger als im Mai und 257.000 weniger als vor einem Jahr. Saisonbereinigt ging die Arbeitslosenzahl um 21.000 auf 3,230 Millionen zurück.

Im Westen nahm die um jahreszeitliche Einflüsse bereinigte Erwerbslosenzahl um 14.000, im Osten um 7.000 ab. Die Arbeitslosenquote nahm im Juni um 0,2 Punkte auf 7,5% ab, nachdem sie im Vorjahresmonat noch bei 8,1% gelegen hatte.

"Die gute Arbeitsmarktentwicklung der letzten Monate hat sich auch im Juni fortgesetzt. Die wesentlichen Indikatoren haben sich erneut verbessert", erläuterte BA-Vorstandschef Frank-Jürgen Weise. Im Vergleich mit der Zeit vor der Wirtschaftskrise hätten Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung zwar zugenommen, hieß es von Seiten der BA. "Der Anstieg ist aber erheblich geringer als angesichts der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erwartet wurde."

Alles gut? Von einem sich selbst tragenden konjunkturellen Aufschwung, einem nachhaltigen Anspringen der Kapitalakkumulation mit massiver Neuanlage von Kapital sind wir weit entfernt. Die relativ gute Arbeitsmarktentwicklung beruht vor allem auf politischem Gegensteuern. Kurzarbeit und Konjunkturprogramme hatten wesentlich dazu beigetragen, dass in Deutschland der Schrumpfungsprozess der Ökonomie nicht wie in anderen europäischen Ländern die Zahlen der erwerbslosen BürgerInnen nach oben drückte.

Seit wenigen Monaten haben die verbesserte Exportkonjunktur (China etc. ), die Tendenz zur Lagerauffüllung und die öffentlichen Konjunkturmittel eine leichte Aufwärtsbewegung des Wirtschaftsprodukts ausgelöst. Keine Frage: Die anziehende Konjunktur entwickelt sich zum Jobmotor. Die Orderbücher füllen sich kontinuierlich, die Produktionsbänder laufen ohne lange Pausen, und viele Mitarbeiter haben wieder beide Hände voll zu tun.

Bereits im weiteren Verlauf des Jahres 2010 wird das Tempo der Erholung deutlich abflachen. Die weltwirtschaftliche Expansion hat ihren Höhepunkt überschritten und somit dürften die Impulse aus dem Ausland nachlassen. Besonders bedeutsam für die Tendenz ist, dass die Nachfrage im übrigen Euroraum wegen der voraussichtlich sehr restriktiven Finanzpolitik in vielen Ländern nur bescheiden zunehmen wird; in China und Asien stehen die Konjunkturampeln eher auf rot, weil eine Überhitzung droht und in den USA zeichnet sich eine Abschwächung der Aufwärtsbewegung ab.

Sollten jetzt - wie von der Bundesregierung auch auf internationalem Parkett hartnäckig gefordert - Exitstrategien mit massiven Sparpaketen umgesetzt werden, werden die zarten Aufschwungtendenzen konterkariert - mit entsprechenden Folgen für den Arbeitsmarkt.

Auf dem Arbeitsmarkt selbst haben sich auch in der Krise die Tendenzen der Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen und des sozialen Ausschlusses weiter fortgesetzt und verfestigt.

  Die Kurzarbeit ist immer noch höher als ursprünglich erwartet. Nach den jüngsten Daten vom April haben 613.000 Beschäftigte Kurzarbeitergeld bezogen. Dies sind lediglich 250.000 weniger als am Jahresanfang. Nach wie vor sind der Maschinenbau, die Autoindustrie und deren Zulieferer sowie Transportunternehmen am stärksten betroffen.

  Der Beschäftigungsaufbau basiert u.a. auf einer deutlichen Zunahme der Zeitarbeit, eine der Hauptverkehrsstraßen in prekäre Beschäftigung. Die Branche legte gegenüber dem Vorjahr um 115.000 Stellen oder 22,7% zu. Etwa jede dritte gemeldete Stelle am ersten Arbeitsmarkt kommt derzeit aus der Zeitarbeit. Die Beschäftigung der Zeitarbeitsbranche nähere sich mit rund 750.000 Beschäftigten dem Vorkrisenniveau, stellt die Bundesagentur fest. Im Juli 2008 hatte die Zeitarbeit mit 823.000 Mitarbeitern ihren bisherigen Höchststand erreicht. Den Arbeitgebern kommt die Zeitarbeit wegen der unsicheren Konjunkturaussichten gerade recht. Viele Unternehmen stellen zusätzliches Personal zunächst befristet einstellen, weil sie unsicher sind, ob der Aufschwung nachhaltig ist.

  Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse ist zwar im April um 118.000 oder 0,4% gegenüber dem Vorjahresmonat gestiegen. Ohne den anhaltenden Zuwachs der Teilzeitbeschäftigung wäre sie allerdings gesunken. Denn gegenüber April 2009 hat die Teilzeitbeschäftigung um 180.000 zugelegt, während die Zahl der Vollzeitbeschäftigten um 60.000 gesunken ist.

  Auch die Zahl der geringfügig Beschäftigten ist weiter gestiegen. Im April waren das in Deutschland 7,19 Mio. Menschen und damit 32.000 oder 0,5% mehr als im Vorjahresvergleich. Davon waren 4,86 Mio. oder 68% ausschließlich geringfügig beschäftigt.

  Deutlich zugenommen gegenüber dem entsprechenden Vorjahresmonat hat auch die Zahl der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen. Das waren im 2010 5 Mio. Menschen oder etwa 70.000 mehr (jeweils hochgeschätzte Werte) als im Juni 2009. Insgesamt sind damit 6.85 Mio. Personen auf Hartz IV-Leistungen angewiesen.

 

Der massive Ausbau prekärer Beschäftigungsverhältnissen mit miserablen Arbeitsbedingungen und schlechter Entlohnung, die rückwirkend auch die Normalarbeitsverhältnisse negativ beeinflussen, führt dazu, dass eine wachsende Zahl von Menschen arbeitslos oder unterbeschäftigt ist.

Nach einer Untersuchung der Bundesagentur für Arbeit würde 8,6 Mio. Menschen gerne mehr arbeiten, als sie es derzeit tun. Neben den 3,2 Mio. Erwerbslosen, wünschen sich auch 4,2 Mio. Erwerbstätige mehr Arbeit. Dies beschränkt sich keineswegs nur auf Teilzeitbeschäftigte. Sie geben insgesamt häufiger (22,8%) an, unterbeschäftigt zu sein als Vollzeitbeschäftigte. Bei Vollzeitbeschäftigten liegt der Anteil immerhin bei 6,8%. Hinzu kommen 1,2 Mio. Menschen aus der Stillen Reserve, die keine Hoffnung haben, einen Arbeitsplatz zu finden, obwohl sie gerne arbeiten würden.

Bezogen auf die Gesamtheit aus Erwerbspersonen und Stiller Reserve im Alter von 15 bis 74 Jahren ergibt sich damit für Deutschland ein ungenutztes Arbeitspotenzial von 20,1%.

Die Erschließung dieses Arbeitspotenzials unterstellt weitreichende gesellschaftspolitische Weichenstellungen - nämlich eine Politik der Arbeitszeitverkürzung und der Einleitung eines gesellschaftlichen Strukturwandels über massive öffentliche Investitionen. Schwarz-Gelb setzt offensichtlich darauf, dass die Wirtschaft schon wieder ins Laufen kommt (vor allem über Export) und betreibt durch den Übergang zu einem radikalen Sparkurs und den Versuch, ihn auch den anderen Ländern der EU aufzuoktroyieren, eine abenteuerliche Konsolidierungspolitik mit schwerwiegenden Folgen für die Realökonomie. Für die Arbeitssuchenden sind das schlechte Aussichten.

Die fallende Tendenz bei den registrierten Arbeitslosen ist eine erfreuliche Meldung. Gleichwohl: Von einem sich selbstragenden Aufschwung sind wir weit entfernt und die Ausbreitung der Prekarisierung ist noch längst nicht gestoppt.

 

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