12. März 2012 Joachim Bischoff / Richard Detje: Griechenlands Schuldenschnitt

Beginn der eigentlichen Grundsanierung

Griechenland wird mit dem erfolgreichen Schuldenschnitt der privaten Geldgeber (Finanzinvestoren und Privatleute) sowie geringeren Zinszahlungen auf die verbleibenden Verpflichtungen deutlich entlastet, aber die Krise ist noch längst nicht ausgestanden. Der vermutlich größte Schuldenschnitt in der Finanzgeschichte leitet eine weitere Etappe ein.

Griechenland hat mit dem Schuldenschnitt von gut 100 Mrd. Euro zumindest erreicht, dass es für einige Zeit als Dauerkrisenfall aus den Schlagzeilen der Medien verschwindet. Es wird noch einige Aufregung über die Aktivierung von Zwangsklauseln geben, mit denen das Land die bislang unwilligen Gläubiger auch zu einem Verzicht auf die geliehenen Finanzmittel heranziehen will.

Mit der Aktivierung der Zwangsklauseln kann Griechenland eine Beteiligung von gut 95% aller privaten Gläubiger erzwingen. Allerdings greifen die Umschuldungsklauseln nicht für Anleihen, die ausländischem Recht unterliegen. Deren Inhaber versucht Finanzminister Venizelos jetzt mit Drohungen ins Boot zu holen. Auch aus diesem Segment von weniger als 30 Milliarden Euro können länger währende Rechtsauseinandersetzungen erwachsen.

Wichtiger ist: Die Aktivierung der Zwangsklauseln hat den Fall eines Kreditausfall ausgelöst, sodass Ausfallversicherungen fällig werden, was die Bonität des Landes auf längere Zeit belasten und eine Rückkehr an die Finanzmärkte erschweren wird. Die International Swaps and Derivatives Association (ISDA) stellte den Fall eines so genannten Kreditereignis fest.

Unbeschadet der noch zu lösenden Komplikation sind die wesentlichen Voraussetzungen für das zweite Finanzpaket erfüllt. Dieses umfasst rückzahlbare Kredite der Europäischen Finanzstabilitätsfazilität (EFSF) und des IWF über insgesamt 130 Mrd. Euro an Griechenland. Das nötige Geld nimmt die EFSF auf dem Markt auf, garantiert werden die Emissionen durch die Euro-Staaten. Hinzu kommen 34,4 Mrd. Euro aus der ersten Griechenland-Hilfe, die noch ungenutzt sind und ins zweite Programm übertragen werden sollen.

Die Entwicklung der gesamten Wirtschaftsleistung ist der entscheidende Faktor für die weitere Entwicklung. Die Defizit- und Schuldenquoten werden in Relation zur Wirtschaftsleistung berechnet. Die Konjunktur entscheidet also darüber, ob Griechenland die Vorgaben zur Haushaltskonsolidierung einhalten kann. Die bisherigen Kalkulationen zur Schuldentragfähigkeit unterstellen, dass Athen im Budget ab 2013 kontinuierlich Primärüberschüsse erwirtschaftet.

Der Primärsaldo gibt an, wie der Staatshaushalt aussähe, wenn es keine Zinszahlungen und keine Vermögensänderungen, also weder Schuldentilgung, noch Privatisierungserlöse gäbe.[1] Bleiben diese Überschüsse aus, wird die Schuldenquote ab 2013 nicht mehr fallen, sondern wieder ansteigen. Ein Primärsaldo ist wiederum an die Erwartung gebunden, dass die griechische Wirtschaft in den kommenden Jahren um 2-2,5% wächst.

Doch so gut wie nichts spricht dafür. Im vierten Quartal 2011 ging die Wirtschaftsleistung um 7,5% zurück. Die Arbeitslosenquote erreichte im Dezember mit 21% den höchsten Stand seit Kriegsende. Unter den 14- bis 25-Jährigen ist sogar jeder Zweite ohne Job. Das Ende des seit Jahren anhaltenden Schrumpfungsprozesses ist keineswegs sicher.

Das Szenario der so genannten Troika aus EU, EZB und IWF, das Griechenlands Schuldenquote bis 2020 bei gut 120% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegen sieht, ist unrealistisch. Seit Beginn der Rezession im Jahr 2009 ist die Wirtschaftsleistung des Landes schon um mehr als 15% gesunken. Noch immer hat es aber ein sehr hohes Leistungsbilanzdefizit von zuletzt gut 8%, weil es mehr importiert als exportiert. Es fehlen wettbewerbsfähige Industrien, deshalb werden als mögliche Devisenbringer immer wieder die Logistikbranche mit der Schifffahrt, der Tourismus und die Landwirtschaft benannt.

Der größte Teil der »Rettungsgelder« wird nicht in Griechenland ankommen, sondern an Banken und Besitzer von Anleihen gehen. Von dem immer wieder angekündigten Investitionsprojekten (»Marshallplan«) ist außer einer Umgruppierung von Mitteln aus dem EU-Regionalfonds wenig zu sehen. Die Europäische Investitionsbank, die Träger eines europäischen Investitionsprogramms sein könnte, mit dem die großen Handelsbilanzungleichgewichte langfristig eingeebnet werden könnten, ist in dieser Hinsicht weitgehend inaktiv.

Und »Hilfen« von Seiten der deutschen Bundesregierung erschöpfen sich in dem Angebot, Finanzbeamte zu entsenden, die die griechische Steuerverwaltung auf Vordermann bringen sollen – getreu der Maxime von Bundesfinanzminister Schäuble, dass die strikte Umsetzung des Fiskalpaktes der einzig zielführende Weg zur Sanierung Europas sei.

Insofern wird mit einiger Skepsis die Einschätzung begleitet, dass der Schuldenschnitt die Grundlage für ein beschleunigtes Wirtschaftswachstum und eine Ausweitung der Beschäftigung sein soll. Stattdessen werden die negativen Faktoren der zurückliegen Monate weiterhin ihre Wirkung entfalten: massive Kürzungen von Arbeitseinkommen und Versorgungsbezügen, drastischer Personalabbau im öffentlichen Dienst, umfangreiche Privatisierungen staatlicher Unternehmen und die Liberalisierung von geschützten Unternehmensbereichen. Diese Rosskur über eine interne Abwertung soll eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit bewirken.

Wenn es nicht umgehend gelingt, dem Schuldenschnitt ein größere Investitionspaket folgen zulassen, wird das Land weitere Unterstützung benötigen. Sollte die Wirtschaft noch länger in dem Schrumpfungsprozess verharren und das Zinsniveau doch wiederum höher ausfallen als im Umschuldungsplan unterstellt, wird die Absenkung der Schuldenquote bis Ende des Jahrzehnts nicht erreicht werden können. Völlig unrealistisch bleibt die Annahme, dass sich Griechenland von 2015 an wieder Geld auf den internationalen Finanzmärkten besorgen könne.

Mit dem Schuldschnitt und der Freigabe der Hilfskredite ist die Aufgabe der Übergangsregierung Papadimos beendet. Ende April oder Anfang Mai sollen in Griechenland Wahlen stattfinden. Es ist keineswegs sicher, dass aus diesen Parlamentswahlen eine handlungsfähige, politisch legitimierte Regierung hervorgeht.

[1] Mit dieser Kennziffer werden die so genannten Kernausgaben eines Landes beschrieben, die den Personal-, Sach- und Investitionsaufwand abbilden (ohne Zinsausgaben). Sie stellen die gesamten öffentlichen Aktivitäten ohne die vergangenheitsbezogenen Aufwendungen für Zinsen als Folge früher aufgenommener Kredite dar.

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