21. November 2017 Otto König/Richard Detje: Deutsche Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien

Beihilfe zum Hungertod

Foto: Kronprinz Mohammad bin Salman im Gespräch mit Donald Trump im März 2017 (The White House (Public Domain))

Die Lage im Nahen und Mittleren Osten ist hochgradig angespannt. Saudi Arabiens absolutistische Golfmonarchie führt im Windschatten der kriegerischen Konflikte im Irak und in Syrien im Jemen einen schmutzigen Angriffskrieg.

Durch die Bombardements der saudischen Luftwaffe und ihrer Verbündeten – beteiligt sind die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, Kuwait, Jordanien und Katar – wurde die Infrastruktur des Landes zerstört: Krankenhäuser, Schulen, Fabriken, Straßen und Brücken. 10.000 Jemeniten sind bereits getötet worden, Millionen Menschen haben ihr Zuhause verloren. Laut Uno hat dieser Krieg die »schlimmste humanitäre Krise der Welt« ausgelöst.

»Keine Waffen in Krisengebiete« lautet die rechtliche Vorgabe für deutsche Rüstungsexporte. »Die Lieferung von Kriegswaffen und kriegswaffennahen sonstigen Rüstungsgütern wird nicht genehmigt in Länder«, heißt es u.a., »die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind oder wo eine solche droht« sowie in Gegenden, in denen »bestehende Spannungen und Konflikte durch den Export ausgelöst, aufrechterhalten oder verschärft würden«. Klarer kann man die explosive Lage auf der arabischen Halbinsel nicht beschreiben. Insbesondere die saudische Armee wird immer wieder wegen schwerster Kriegsverbrechen im Jemen kritisiert.

Ungeachtet dessen hat die Bundesregierung im dritten Quartal dieses Jahres erneut Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien im Wert von rund 148 Millionen Euro genehmigt. [1] Dazu zählt die Lieferung von 15 deutschen Patrouillenbooten. Im »Rüstungsexportbericht 2016« [2] stand Saudi-Arabien sogar an dritter Stelle aller von der Bundesregierung genehmigten Rüstungsexporte. Geliefert wurden Hubschrauber, Radar-Spül-Systeme, Teile für Kampfflugzeuge, Kampfhubschrauber, Transportflugzeuge, Tankflugzeuge, Luftbetankungsausrüstung und Bodengeräte im Wert von 530 Millionen Euro. Saudi-Arabien wird ungeachtet seiner aggressiven Politik, die den Mittleren Osten flächendeckend in Brand zu stecken droht, auch in diesem Jahr zu den wichtigsten Kunden deutscher Waffenschmieden gehören.

Deutschland liefert nicht nur Kriegsgerät, es unterstützt auch die in Ansätzen vorhandene saudische Rüstungsindustrie. Beispielsweise hat die staatseigene Military Industries Corporation (MIC) mit Sitz in Riad schon 1969 die Lizenz zur Herstellung des bundesdeutschen Sturmgewehrs G3 erhalten. Es folgten Lizenzen zum Bau der Maschinenpistole MP5 und des Sturmgewehrs G36 im Jahr 2008. 2010 erhielt der südafrikanische Rheinmetall Ableger Rheinmetall Denel Munition (RDM) den Auftrag für den Bau einer Munitionsfabrik in Al Kharj südlich von Riad, in der seit März 2016 Mörser- und Artilleriemunition sowie 500- bis 2.000-Pfund-Bomben für die saudische Luftwaffe produziert werden. [3]

Der im März 2015 maßgeblich auf Betreiben Saudi-Arabiens begonnene Interventionskrieg im Jemen ist nur ein Beispiel für aggressive Einmischung in die arabischen Nachbarstaaten. Das saudische Königshaus betrachtet die arabische Halbinsel als ihren »Hinterhof«. Seit der iranischen Revolution 1979 fürchten die wahhabitischen Herrscher eine Verschwörung der schiitischen Mullahs in Teheran. Als es im Zuge des »Arabischen Frühlings« auch in seinen Nachbarstaaten zu Protesten kam, stand für Riad außer Frage, dass die iranische Führung die schiitischen Minderheiten am Golf aufgestachelt habe, um die Vorherrschaft der Sunniten zu brechen. Vor diesem Hintergrund ist auch das Eingreifen von Riad in Syrien und im Libanon einzuordnen.

Seit die schiitisch geprägten Huthi-Rebellen, die sich von der sunnitischen Zentralregierung benachteiligt fühlten, Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi [4] im Jemen aus dem Amt gejagt hatten, hat das saudische Königshaus militärisch in den jemenitischen Bürgerkrieg eingegriffen. Doch trotz aller Bomben und angeworbener Söldner konnten die Huthis nicht besiegt werden. Im Gegenteil: Mitte 2014 gelang es der militärisch-politischen Huthi-Bewegung, die Hauptstadt Sanaa einzunehmen. Sie sind seitdem de facto die Machthaber im Jemen.

Dies hindert die Golfmonarchie nicht daran, ihren Stellvertreterkrieg mit dem Iran mit Unterstützung westlicher Staaten und insbesondere der USA fortzuführen. Präsident Trump hat die Saudis bei seinem Besuch in Riad geradezu ermuntert, dem Machtstreben Irans und seiner potenziellen Verbündeten Einhalt zu gebieten. Mitte Oktober haben US-amerikanische Raketen zum ersten Mal Stellungen der Huthi-Rebellen bombardiert.

Mittlerweile hat der Konflikt mindestens 10.000 Menschen, hauptsächlich Zivilisten, das Leben gekostet. Millionen von Jemeniten befinden sich auf der Flucht und leiden unter Hunger und Kriegstraumata. Laut der UN sind Saudi-Arabien und seine Verbündeten für die Mehrzahl der Opfer verantwortlich. Der UN-Menschenrechtsrat setzte Saudi-Arabien wegen der wahllosen Bombardierung von Schulen und Krankenhäusern auf die schwarze Liste für »schwere Übergriffe gegen Kinder in Konflikten«.

Doch damit nicht genug: Zusätzlich den mörderischen Bombardierungen verhängten die saudi-arabische Kriegsallianz eine totale Land- und Seeblockade über den Jemen, um angebliche Waffenimporte für die Huthis abzuschneiden. Doch dieses Embargo bewirkte in erster Linie Nahrungsmangel vor allem in den Teilen des Landes, in denen der Großteil der Bevölkerung lebt. Der Jemen ist seit Jahrzehnten auf Getreideimporte aus dem Ausland angewiesen, um seine Bevölkerung zu ernähren. Inzwischen sind die Lebensmittelpreise unerschwinglich hoch, Wasser für die Landwirtschaft ist rar, die Hühnerfarmen sind am Wegbrechen, die Fischerei wurde in vielen Gebieten wegen der Blockade der Häfen eingestellt.

Die UN hat schon im Mai 2016 ein Kontrollsystem etabliert, das dazu beitragen soll, Waffenschmuggel zu verhindern, aber gewöhnliche Warenlieferungen per Schiff in den Jemen zu ermöglichen. Laut Berichten von Journalisten und Hilfsorganisationen scheitert dies an saudischer Obstruktion. Dazu gehört der Fall von 13 Frachtschiffen, die von den Vereinten Nationen überprüft wurden; obwohl sie nachweislich keine Waffen transportierten, wurden sie von den saudischen Behörden nicht in jemenitische Häfen gelassen. Eines von ihnen, das Antibiotika, Medikamente gegen Cholera und Malaria für 300.000 Personen sowie medizinisches Gerät an Bord hatte, wurde drei Monate lang aufgehalten; anschließend war ein erheblicher Teil der Medikamente beschädigt bzw. das Verfallsdatum abgelaufen (German Foreign Policy, 14.11.2017).

Die Importblockade veranlasste die Vereinten Nationen, Anfang November vor der »größten Hungersnot« zu warnen, »die die Welt seit vielen Jahrzehnten gesehen hat – mit Millionen von Opfern«, sagte Nothilfekoordinator Mark Lowcock. [5] Laut Hilfsorganisationen sind inzwischen 20 von insgesamt 27 Millionen Jemeniten dringend auf Lieferung von Lebensmitteln, Medikamenten und Brennstoffen angewiesen. Sieben Millionen können ohne Hilfe von außen nicht überleben.

Mehr als zwei Millionen Kinder sind unterernährt, darunter 400.000 in lebensbedrohlichem Ausmaß. Das hat katastrophale Folgen: Fehlender Zugang zu sauberem Trinkwasser, unzureichende sanitäre Anlagen und mangelnde medizinische Versorgung haben zusammen mit der Unterernährung zum Ausbruch einer Cholera-Epidemie geführt, die alle seit 1949 registrierten übertrifft. Nach Angaben des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (ICRC) sind mittlerweile mehr als 300.000 Menschen – ein Prozent der Bevölkerung – an Cholera erkrankt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rechnet mit einer Million Erkrankter zum Jahresende, darunter 600.000 Kinder. Die Gesundheitsbehörden in Sanaa haben den Notstand ausgerufen.

In dieser Situation wurde die Bundesregierung aktiv, allerdings nicht mit einem Appel, die Blockade sofort aufzuheben, sondern mit der Genehmigung für die Lürssen-Gruppe, weitere Patrouillenboote an die saudische Küstenwache auszuliefern, deren Schiffe in jemenitischen Gewässern operieren. Der Verkauf sei unproblematisch, wiegelte die Bundesregierung ab, da mit diesen Booten »eine Verletzung von Menschenrechten oder die Gefahr von Repressionen« nicht verbunden sei. Sie leisten nur Beihilfe zum Hungertod.

 


[1] Die aktuellen Zahlen stammen aus einer Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums auf eine schriftliche Frage von Stefan Liebrich (LINKE).
[2] BMWI: Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahre 2016. Juni 2017.
[3] Otfried Nassauer: Hemmungslos in alle Welt. Die Munitionsexporte der Rheinmetall AG. BITS-Research Report 16.1. Berlin, Oktober 2016.
[4] Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi, der ursprünglich vom Herrscherhaus in Raid unterstützt wurde, steht inzwischen in Saudi-Arabien unter Hausarrest, weil er sich mit seinen beiden arabischen Kriegspatronen überworfen hat. Hadi warf u.a. den Vereinigten Arabischen Emiraten vor, sich im Südjemen und in der Hafenstadt Aden wie eine Besatzungsmacht aufzuführen (Frankfurter Rundschau, 16.11.2017).
[5] UN: Jemen droht größte Hungersnot seit Jahrzehnten, Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 10.11.2017.

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