21. Januar 2018 Joachim Bischoff: SPD-Parteitag knapp für Koalitionsverhandlungen

Bessermacher – ohne genügend Antworten auf die Zukunft

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Der nordrhein-westfälische SPD-Landesvorsitzende Michael Groschek hat seine Partei zur Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union aufgerufen, um das Leben der Menschen in Deutschland verbessern zu können. Nach einigen Stunden Diskussion folgte eine Mehrheit von rd. 56% der Delegierten auf dem Sonderparteitag in Bonn dem Vorschlag des Führungsteams der SPD.

Zu Parteitagsbeginn legte die SPD-Führung einen erweiterten Leitantrag vor, um auf die GroKo-Kritiker zuzugehen. Diese Brücke durch inhaltliche Nachbesserung für die Koalitionsverhandlungen und das massive Engagement der Spitzenpolitiker*innen reichte zwar für eine knappe Mehrheit, aber die Kritiker des politischen Kurses können ohne Zweifel einen Erfolg verbuchen.

Denn nur eine relativ knappe Mehrheit von 362 der 642 Delegierten stimmte nach kontroverser Debatte für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen, 279 waren dagegen. »Der Druck war enorm«, sagte der Vorsitzende der Initiative NoGroKo, Steve Hudson, dennoch hätten immerhin 44% der Delegierten, von denen viele Mandate und Jobs via SPD-Parteibuch haben, mit Nein votiert.

Die Koalitionsverhandlungen können damit in den nächsten Tagen beginnen und im besten Fall bereits im Februar abgeschlossen werden. Danach muss aber noch eine weitere hohe Hürde überwunden werden: Die mehr als 440.000 SPD-Mitglieder müssen über einen Koalitionsvertrag abstimmen und haben damit das letzte Wort.

In dem erweiterten Antrag werden mit Blick auf mögliche Koalitionsverhandlungen »konkret wirksame Verbesserungen« bei der Abschaffung sachgrundloser Befristungen, bei der Angleichung von Arzthonoraren für privat und gesetzlich Versicherte sowie beim Familiennachzug für Flüchtlinge mit eingeschränktem subsidiären Schutz verlangt. Diese Forderungen wurden vor allem von dem mächtigen SPD-Landesverband Nordrhein-Westfalen erhoben.

Die Mehrheit der SPD-Führungskader kämpfte für Annahme des Sondierungspapiers und für weitere Koalitionsverhandlungen, obwohl ihnen klar ist, dass in diesen keine wesentlichen Fortschritte mehr durchzusetzen sind, und dass keineswegs nur der Widerstand der bürgerlichen Parteien für das widersprüchliche Ergebnis verantwortlich ist. Die Ergebnisse der Sondierungen sind auch deshalb bescheiden, weil die SPD keine überzeugende Konzeption zu einer sozialeren Gestaltung des Kapitalismus aufzubieten hat.

Schon das »Regierungsprogramm 2017« für den Wahlkampf war keine überzeugende Antwort auf die großen Herausforderungen wie soziale Ungleichheit, Wohnungsmangel, Klimawandel, Industrie 4.0, Digitalisierung, Migration, Pflegenotstand und Europazerfall, sondern ein Gemischtwarenangebot von verschiedenen Wähler*innen- und Interessengruppen und Arbeitsgemeinschaften. Die Partei konnte für den Warenhauskatalog kein übergreifendes Bild entwickeln und kassierte für diese Schwäche zu Recht bei höherer Wahlbeteiligung nur 20,5% der Stimmen. Noch nie in ihrer 150-jährigen Geschichte war die SPD so weit entfernt vom Zeitgeist wie in den letzten 15 Jahren.

Die unzureichende gesellschaftspolitische Konzeption wurde vom Parteivorsitzenden Martin Schulz indirekt bestätigt: »Wir müssen ehrlich sein, wir haben nicht alles erreicht.« Allerdings würden sich viele sozialdemokratische Ziele sich in den bisher erreichten Sondierungspapieren finden lassen. Auch das von vielen vermisste Leuchtturmprojekt sei enthalten: »Deutschland braucht nichts weniger als einen völligen Aufbruch in der Bildungspolitik«, sagte Schulz zu den Genoss*innen. Dafür wolle sich die SPD einsetzen. »Wir sind mit diesen Sondierungspapieren auf einem guten Weg.«

Dieser Weg wird allerdings nur zum Ziel führen, wenn die Sozialdemokratie in ihrem Erneuerungsprozess die Konturen eines sozialregulierten Kapitalismus in eine Strategie umsetzen kann. Der NRW-Vorsitzende Groschek forderte daher, die nach dem historisch schlechten Bundestagswahlergebnis angekündigte Erneuerung der Partei endlich umzusetzen.

»Wir brauchen einen Erneuerungsprozess, der sich gewaschen hat, sonst kommen wir nicht über die Runden.« Es sei nicht notwendig, dass sich die SPD für diesen Prozess in die Opposition begibt. »Lasst uns miteinander keine faulen Ausreden suchen. Keine Regierung der Welt hat uns daran gehindert, uns zu erneuern. Uns hat daran gehindert, dass wir eine gewisse Bequemlichkeit an den Tag gelegt haben.«

Auch die Chefin der SPD-Bundestagsfraktion Andrea Nahles hat in ihrer Rede erkennen lassen, dass sie den Ernst der politischen Konstellation erfasst hat. Sie hat zu Recht vor einem weiteren Absturz der SPD bei vorgezogenen Neuwahlen gewarnt und deshalb energisch für Koalitionsverhandlungen mit der Union plädiert. Die Bürger würden der SPD einen Vogel zeigen und sagen, sie hätte doch das meiste durchsetzen können, wenn die SPD dann mit dem erreichten Sondierungsergebnis und weitergehenden Forderungen in eine Neuwahl ziehe. Es könne nicht sein, dass die SPD nur noch mitregiere, wenn sie absolute Mehrheiten habe oder in einem derzeit illusorischen Linksbündnis regiere.

»Das ist Blödsinn, verdammt noch mal«, rief Nahles, deren Auftritt mit großem Beifall quittiert wurde. Zugleich warnte auch sie vor dem Irrglauben, eine Erneuerung der Partei sei nur in der Opposition möglich. Die SPD habe in den vergangenen beiden großen Koalitionen unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) möglicherweise nicht genügend Antworten auf die Zukunft gegeben, sagte Nahles selbstkritisch und fügte hinzu: »Aber was um alles in der Welt hat das mit der Merkel, dem blöden (CSU-Landesgruppenchef Alexander) Dobrindt und den anderen zu tun? Das ist ausschließlich unser Problem, das wir lösen müssen. Und zwar jetzt.«

Der Trend zu einem weiteren Niedergang der Sozialdemokratie ist mit dem Eintritt in Koalitionsverhandlungen und einer neuen Regierungsperiode nicht gebrochen. In gerade noch einer Handvoll von EU-Staaten halten sich Sozialdemokraten mühsam an der Macht. Selbst in traditionellen Hochburgen wie den skandinavischen Ländern sind sie unter Druck. Sucht man nach den Gründen, muss man also tiefer schürfen, als nur die vier Jahre Große Koalition in der Bundesrepublik verantwortlich zu machen.

Eine ausführliche Analyse der aktuellen SPD-Situation und ihrer Hintergründe erscheint in Februar-Ausgabe von Sozialismus.

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