5. Mai 2011 Joachim Bischoff / Richard Detje: Portugal unter dem »Rettungsschirm«

Das dritte Euro-Protektorat

Mittlerweile herrscht in Europa so etwas wie Rettungsschirm-Routine. Nur drei Wochen haben Unterhändler benötigt, um auch Portugal gegenüber den Kapitalmärkten abzuschirmen. Nach 110 Mrd. für Griechenland und 85 Mrd. für Irland erhält jenes Land, das erst am 25. April den 37. Jahrestag der »Nelkenrevolution« und damit seine demokratische Neugründung feiern konnte, 78 Mrd. Euro aus dem EU/IWF-Krisenfonds – und wird damit zum dritten Protektorat der Europäischen Union.

Der offizielle Stichtag dafür ist der 16. Mai. Dann tagen die EU-Finanzminister in Brüssel, um den Transfer abzusegnen. Gerade noch rechtzeitig, um eine Insolvenz abzuwehren. Denn: Müsste Portugal seine Zahlungsverpflichtungen im Juni (7 Mrd. Euro) kurzfristig über die Kapitalmärkte finanzieren, würde es – wenn überhaupt – nur noch zu liquidatorischen Wucherzinsen an frisches Geld kommen. Last exit?

Daran, dass sich nun mehr ein drittes Land unter den »Rettungsschirm« stellt, sind drei Erwartungen geknüpft:

Erstens soll Portugal mit den 78 Mrd. in die Lage versetzt werden, bis 2014 seine Kreditschulden bedienen zu können. Ob der Kreditrahmen reicht, sehen einige Bankenvertreter skeptisch, die das erforderliche Volumen eher auf 100 Mrd. Euro taxieren. Tatsächlich ist zunächst einmal ein politischer Mindestrahmen abgesteckt worden, um nicht noch mehr Widerstand gegen den EU/IWF-Krisenmechanismus heraufzubeschwören. Allein die Regierungsbildung in Finnland mit den »Wahren Finnen« als Wahlsieger ist kompliziert genug – bis zum 13. Mai soll der designierte Ministerpräsident Jyrki Katainen klären, wie eine Obstruktionspolitik der Rechtspopulisten aus dem Wege geräumt oder umgangen werden kann. Aber nicht nur in Finnland: Antieuropäische Ressentiments engen die Handlungsspielräume in zahlreichen EU-Staaten in zunehmendem Maße ein.

Zweitens gilt es das Bankensystem zu stabilisieren, wofür 12 Mrd. Euro aus dem Rettungsfonds vorgesehen sind. Ironie der Geschichte: Das Paket, das der nur noch geschäftsführende Ministerpräsident José Sócrates mit EU und IWF verhandelte, hilft maßgeblich jenen Banken, die seine Regierung im März kippten, indem sie öffentlich erklärten, keine Staatsanleihen mehr kaufen zu wollen. Hintergrund: Portugals Banken können sich seit geraumer Zeit nicht mehr über den Interbankenmarkt finanzieren, nachdem die in ihren Depots liegenden Schuldverschreibungen des Staates von Ratingagenturen mehrfach – zuletzt von A- auf BBB – herabgestuft wurden. Nur via EZB waren sie in der Lage, sich mit entsprechender Liquidität zu versorgen. Mit 12 Mrd. soll nun die Kernkapitalquote der Banken auf ein Maß erhöht werden, das eine hinreichende Kreditversorgung ermöglicht, zumindest eine Kreditklemme verhindert.

Über den dritten Punkt erfährt man am wenigsten, obwohl er der entscheidende ist: wie nämlich die so genannten Strukturprobleme des Landes gelöst werden sollen. Tatsächlich sind die Krisenbedingungen national spezifisch. Während Griechenland durch ein (öffentliches und privates) Verschuldungsproblem und Irland durch Fehlspekulationen der Banken in den Krisenstrudel geraten ist, laboriert Portugal an hartnäckiger Akkumulationsschwäche (durchschnittlich 0,7% BIP-Zuwachs in den vergangenen zehn Jahren) und massiv gestiegener Arbeitslosigkeit (von 3,9 auf offiziell 11,1%) – ein verlorenes Jahrzehnt. Nicht nur der öffentliche Sektor ist überschuldet, auch die privaten Haushalte sind  mit rund 130% ihrer verfügbaren Jahreseinkommen bei den Banken im Minus.

Die OECD bescheinigte Portugal eine stark segmentierte Ökonomie. Nur ein kleiner Sektor stütze sich auf moderne, konkurrenzfähige Produktionsstrukturen. Der Großteil basiere auf traditionellen Mustern mit  geringer Qualifikation und Produktivität. Trotz geringen Löhnen hätten Produktionsverlagerungen im Zeitraum von  2003-2006 einen erheblichen Verlust an Jobs bewirkt. In Portugal seien 25% der verlorenen Arbeitsplätze der Produktionsverlagerung in andere Länder zum Opfer gefallen – bei einem EU-Mittel von 8%. Betroffen waren vor allem die Autobranche, aber auch traditionelle Sektoren wie die Textil- und Schuhindustrie.

Hier liegt der sprichwörtliche Hase im Pfeffer. Das Krisenpaket für Portugal verspricht keine ökonomische Gesundung, sondern anhaltende Rezession. Die Prognose: Um jeweils 2% wird das Bruttosozialprodukt in 2011 und 2012 in Folge der Austeritätspolitik von EU und IWF schrumpfen – und das wiederum dürfte sehr optimistisch geschätzt sein. Sicher: Portugal erhält zinsgünstigere Kredite, aber unter den absehbaren Perspektiven sind selbst diese immer noch zu hoch und können keinen nachhaltigen Sanierungsprozess einleiten. Die Mehrheit der  PortugiesInnen wird nach den drastischen Sparmaßnahmen der vergangenen 15 Monate weiteren Kürzungen ausgesetzt.  Die große Frage aber ist, ob dies Portugal eine Trendwende bringt oder lediglich eine Verlängerung des Niedergangsprozesses

Die Vorgaben für den Staatshaushalt lauten: Bereits im laufenden Jahr soll die Neuverschuldung von 9,1% auf 5,9% sinken, danach auf 4,5% und 2013 schließlich auf den Maastricht-Wert von 3%. Dass der noch amtierende Ministerpräsident Sócrates dies als »Verhandlungserfolg« verkündet, ist im portugiesischen Wahlkampf verständlich – am 5. Juni wird das Parlament neu gewählt und bisherige Umfragen sehen die »Sozialisten« an der Spitze. Es mag auch sein, dass sich die Gralshüter des EU/IWF-Krisenfonds etwas mehr Realismus angeeignet haben: Bereits im »Fall« Griechenland war man gezwungen »einzusehen«, dass strangulierende Entschuldungsprogramme zu Nahtoterfahrung führen können. Doch selbst wenn es entsprechende „Lernfortschritte“ geben sollte, sind sie homöopathisch dosiert. Tatsächlich sollte die Verschuldungsgrenze von 3% bereits im kommenden Jahr erreicht sein, doch ging man bei dieser Projektion noch von einer Ausgangsverschuldung von 8,6% aus.

Tatsächlich geht es um harte Privatisierungspolitik. Bis 2013 sollen 5,3 Mrd. Euro durch die Verscherbelung öffentlichen Eigentums in die Kassen kommen – statt dieses Eigentum zu nutzen, um mit steigenden Investitionen einen Beitrag zur Lösung der Strukturprobleme des Landes zu leisten. Doch einen derartigen wirtschaftsdemokratischen Ansatz hat die »sozialistische« Regierung Sócrates nie verfolgt (sondern durch defizitäre Public-Private-Partnerships Investitionsruinen geschaffen). Es spricht einiges dafür, große Infrastrukturprojekte wie den Ausbau der Flughäfen und Hochgeschwindigkeitstrassen der Bahn zunächst zu stoppen. Doch diese Gelder wären für die Erneuerung öffentlicher Unternehmen essentiell – statt sie zu streichen.

Und es geht um harte Sparpolitik. Wobei Sócrates durchaus Recht hat, wenn er die EU/IWF-Auflagen als »Vertiefung« seiner bisherigen drei »Sparpakete« verkauft. Deren Bestandteil war bereits eine 20prozentige Kürzung der monatlichen Arbeitslosenunterstützung, die zudem künftig nur noch 18 statt 36 Monate ausgezahlt wird. Zudem beinhalten diese bereits eine Senkung der Gehälter im öffentlichen Dienst um 5%, nebst Schließung etlicher Behörden und gleichzeitiger Anhebung der Mehrwertsteuer auf 25%. Diese Gehälter in kurzer Zeit nicht erneut zu kappen und Pensionen unter 600 Euro von nominellen Kürzungen ausnehmen zu wollen (real sinken sie ohnehin), ist sicherlich wahlkampfpolitisches Gebot. Das Mindesteinkommen  liegt in Portugal  bei nur 475 Euro. Und dieser Betrag soll laut Hilfsabkommen in den nächsten Jahren trotz allgemein steigender Preise nicht erhöht werden. Man kann den Familien eigentlich keine Opfer mehr abverlangen. Gleichwohl wird die Mixtur von Rezession und Preissteigerungen den Lebensstandard des Großteils der Bevölkerung weiter herabdrücken. Deshalb wird man über das Gesamttableau der von EU und IWF oktoyierten Austeritätspolitik wahrscheinlich auch erst nach dem Parlamentswahlen am 5. Juni erfahren.

Eine Belastungsprobe für die Regierung Sócrates im Wahlkampf könnten die Streiks der Gewerkschaften werden. Sie hatten sich im bisherigen Krisenverlauf zurückgehalten – auch, um der rechten Opposition keine zusätzliche Propaganda zu bieten. Ihnen kommt jetzt die Verantwortung zu, über den ökonomischen Widersinn und den sozialen Niedergang der Rettungsschirm-Politik aufzuklären. Und nicht zuletzt über eine EU-Politik, die keine Wahl lässt bei Wahlen: Die festlegt, was traditionelle Mehrheitsparteien in peripheren Ländern unabhängig vom WählerInnenvotum abzusegnen haben. Gelingt den Gewerkschaften die entsprechende soziale und demokratische Mobilisierung im Vorfeld der Parlamentswahlen nicht, werden nicht zuletzt sie die Verlierer sein.

Die Akteure auf den Finanzmärkten haben sowohl Griechenland als auch Irland im Würgegriff – trotz einer massiven Kürzungs- und Umverteilungspolitik. Portugal ist also das dritte Land, dass dem Euro-Mechanismus beitritt, von dem wir wissen, dass er nicht funktioniert. Dafür gibt es auch einen guten Grund: Griechenland und Irland sind faktisch  bankrott. Ohne eine Umschuldung werden sie es nicht schaffen. Und dies gilt auch für Portugal. Die Chance, einer folgenreichen Umschuldung  zu entgehen, ist sehr klein.

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