24. Mai 2013 Hasko Hüning

Das traurige betriebswirtschaftliche Abbild der Euro-Krise

In der aktuellen Debatte um den Euro fällt auf, dass – auch innerhalb der LINKEN – die im engen Sinne ökonomie- und währungspolitischen Argumentationsweisen überwiegen. Neben anderen Akzentsetzungen in den Beiträgen von Joachim Bischoff und Björn Radke sowie von Heinz Bierbaum im Heft 6-2012 von »Sozialismus« sollen im Folgenden auch einige »lebensweltliche« Aspekte ins Blickfeld gerückt werden.

Was wir gegenwärtig erleben, ist eine weitgehende Abkoppelung der Welt der Finanzen, des Geldes vom gesellschaftlichen und individuell erlebbaren Lebenszusammenhang und vom Produktionsprozess des gesellschaftlichen Reichtums. Die Wertschöpfung durch Arbeit wird durch den Abfluss des Geldes in die Finanzsphäre enteignet und damit werden die sich heute eröffnenden Möglichkeiten für eine die Lebensgrundlagen der Menschen glücklich gestaltende Politik aus dem alltäglichen Lebensprozess ausgegrenzt.

Die Argumentationslinien der öffentlichen Krisendiskurse verlassen den Realitätssinn des monetären Sektors kaum. Sie dringen nicht mehr in die notwendigen Handlungsfelder realer Krisenbewältigung vor. Wir haben es mit einer argumentativen und gestalterischen Verengung zu tun, die darin ihren schlagenden Ausdruck findet, dass für die Bewältigung der sozialen und kulturellen Erosion offenbar nur noch die phantasielosen Begrifflichkeiten betriebswirtschaftlicher Rationalität zur Verfügung stehen.

Unübersehbare Grundlage der aktuellen sozialen (Gesundheit etc.) und kulturellen (Bildung etc.) Erosion war in den letzten zwei Jahrzehnten die (noch) nicht gänzlich korrigierte sozialdemokratische Modernisierungsthese, dass soziale Differenzierung und Polarisierung zum Medium gesellschaftlicher Entwicklung tauge. Dies hat sich empirisch nicht bewahrheitet.

Das Gegenteil ist der Fall, soziale Bindungen wurden und werden aufgelöst und institutionell zerstört, den Bindungsbedürfnissen der mit hoher Kompetenz und Eigenverantwortung ausgestatteten Subjekte keine neuen, adäquaten Angebote gemacht. Der daraus resultierende »Angstrohstoff« wird zunehmend von rechts aufgegriffen und bedroht die demokratische Kultur. Die Gesellschaft muss dagegen wieder neu lernen, den sozialen Zusammenhalt zu organisieren.

Die wachsende Polarisierung in der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums durch Verteilungsungleichheiten und -spreizungen bei Einkommen und Vermögen entzieht der Gesellschaft einen Großteil des überschießenden gesamtgesellschaftlichen Produkt- und Dienstleistungsangebotes, und damit die Mittel, die sie eigentlich zur Strukturveränderung (Investitionen in die materielle, ideelle und soziale Infrastruktur) und für Auswege aus der Krise dringend bräuchte.

Polarisierung ist keine sinnvoll produktive Strategie zur Veränderung der Gesellschaft. Sie erhöht vielmehr die Störanfälligkeit sozial-kultureller Zusammenhänge (Unterminierung der »Kultur des Sozialen« – Robert Castel) und führt eben nicht zu einer solidarischen Ökonomie. Der finanzmarktgetriebene Kapitalismus ist nicht in der Lage, die arbeitssuchenden Menschen und die unausgelasteten Produktionskapazitäten von sich aus so zu steuern, dass die Menschen durch den Verkauf ihrer Arbeitskraft eigenständig und unter Achtung ihrer Würde ihre Existenz gestalten können.

Die große Aufgabe besteht darin, einen Übergang in die Integration zu bewerkstelligen, nämlich die Wiedereinbindung von Unterstützungsempfängern in die organisierte Lohnarbeit und in die daran gebundene soziale Sicherung, damit sie einen eigenständigen Platz in der Gesellschaft finden und behaupten können.

Auch wenn sich für die Bundesrepublik verglichen mit anderen europäischen Staaten erst in Anfängen Ghettos der an den Rand der Gesellschaft Gedrängten zeigen, so sind die Anzeichen eines gestörten Verhältnisses – auch hier von Zentrum und Peripherie – nicht zu übersehen. Im europäischen Einigungsprozess bilden sich peripher verödende Regionen heraus, die durch die ökonomische Förderung und Stärkung von Landeszentren bzw. auch sogar einiger Staaten der EU als deren Kern und Zentrum nicht so ohne weiteres wieder eingegliedert werden können, da sie aus sich selbst heraus kaum eigene Entwicklungspotenziale haben.

Um gegen die »Prekarisierung von Regionen« eine Ausgleichsunion für die EU anstoßen und in Gang setzen zu können, ist allerdings eine auf europäischer Ebene funktionierende Ressourcenallokation notwendig, deren Voraussetzung wiederum ein entwickelter und eben nicht krisenhaft gestörter Reproduktionszusammenhang in gesamtwirtschaftlicher Dimension ist. Für den dafür notwendigen gestalterischen Eingriff sind zudem institutionelle Bedingungen zu schaffen (räumliche und technische Infrastruktur), die ohne einen weitgehenden gesellschaftlichen Konsens für einen solchen Weg nicht auskommen.

Im Mittelpunkt eines so gearteten Modernisierungsprojektes einer Ausgleichsunion steht die Revitalisierung der produktiven Arbeit und einer – im regulierten Rahmen des Marktes – gesellschaftlichen Steuerung der Wertschöpfung. Es geht also

  • erstens um die bewusste Zusammenführung von Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik, um neue Wertschöpfungspotentiale zu generieren;
  • zweitens um den Auf- und Ausbau neuer Wirtschaftssektoren, die mit den Branchen und Regionen anderer Länder abzustimmen sind;
  • drittens um ein qualitatives Wachstum mit nachhaltiger Entwicklung und
  • viertens um einen Neubau des öffentlichen Sektors und den Umbau des Sozialstaates, um die Deformationen bisheriger – nachsorgender – Sozialpolitik zugunsten emanzipativer Gestaltungsformen zu überwinden.

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