4. April 2015 Joachim Bischoff / Björn Radke: Griechenlands Liste

Der Streit um »Strukturreformen«

Die griechische Regierung wehrt sich heftig gegen die kampagnenartig vorgetragenen Spekulationen in den europäischen Medien, wonach eine Zahlungsunfähigkeit des Landes unmittelbar bevorstehe. Dabei müssen immer wieder herbei geredete »Insider«-Quellen herhalten. Dagegen betont der stellvertretende Finanzminister Dimitris Mardas, der Staat könne seinen anstehenden Zahlungsverpflichtungen nachkommen.

»So wie es derzeit aussieht, werden wir das zahlen, was wir zahlen müssen. Nach den Daten, die uns vorliegen, reicht das Geld aus.« Griechenland muss am 9. April dem Weltwährungsfonds (IWF) eine Rückzahlung von rund 450 Millionen Euro leisten.

Die Regierung unterstreicht, dass sie den nationalen und internationalen Zahlungsverpflichtungen pünktlich nachkommen wird. Die Verhandlungen mit den Geldgebern könnten dazu führen, dass die Liquidität auf Dauer gesichert werde. Die Szenarien von einem möglichen Austritt Griechenlands aus der Eurozone seien eine »Scheinrealität«.

Im Tauziehen um die Auszahlungen der ausstehenden Finanztranchen sind keine schnellen Entscheidungen zu erwarten. Die Finanzstaatssekretäre der Mitgliedsländer der Euro-Zone werden 8.4. wieder zusammenkommen. Doch eine Eurogruppe mit den Ministern wird in der Woche nach Ostern nicht erwartet.

In dem verlängerten Hilfsprogramm sind aus verschiedenen Quellen noch insgesamt 7,2 Milliarden Euro offen. Die Auszahlung hängt an der Verständigung über das weitere Reformprogramm Griechenlands. Experten der »Institutionen«, also der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB) und des IWF führen mit einer griechischen Delegation zähe Gespräche über die nächsten Strukturreformen und Maßnahmen zur Haushaltssanierung. Parallel dazu arbeiteten Experten in Athen an der Datenbeschaffung.

Griechenlands hartes Austeritätsprogramm – ausgearbeitet und kontrolliert noch von der Troika, wie die »Institutionen« früher hieß – hätte dazu führen sollen, dass das Krisenland seine Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnt und daher die griechischen Exporte im Ausland wieder bessere Absatzchancen haben, was wiederum das Wirtschaftswachstum ankurbeln würde. Nach fünf Jahren der Schrumpfung sollte die griechische Wirtschaft im Jahr 2014 ein Wirtschaftswachstum von ca. 1,7% aufweisen. Allerdings blieben die Exportpreise immer noch vergleichsweise zu hoch. Die geringen Konjunkturimpulse aus dem Exportsektor sind nicht überraschend. Dass Griechenland von der internen Abwertung außenwirtschaftlich wenig profitiert, ist angesichts des Exportvolumens nicht erstaunlich, denn der Außenhandelssektor ist schlicht zu klein.

Griechenland ist eine kleine Volkswirtschaft, dessen Exportindustrie seit längerem zerstört ist. Die Ökonomie stützt sich auf den Tourismus, den Schiffstransport und Landwirtschaft. Bei den Ausfuhrgütern (Gemüse, Früchte, Metalle, Textilien, Fisch) handelt es sich um Rohwaren oder Massengüter mit geringer Wertschöpfung, niedrigem Wachstumspotenzial und hoher Arbeitsintensität. Die Austeritätsstrategie war von Beginn an falsch und konnte das Land international nicht wettbewerbsfähig machen. Das Land hat wegen der internen Abwertung beim Tourismus zugelegt, aber diese Effekte sind wegen der Schrumpfung der binnenorientierten Wirtschaftsstruktur nicht zum Tragen gekommen.

 

Quelle: Priewe, Jan/Stachelsky, Philipp: Griechische Depression –wenn die Chefärzte versagen, Friedrich-Ebert-Stiftung, Abt. Wirtschafts- und Sozialpolitik, März 2015

 

Die neue Regierung will eine Neuordnung der Politik

Die im Januar 2015 neu vereidigte Regierung will daher ein anderes Reformprogramm auf den Weg bringen und die durch die erzwungene Schrumpfung verursachte humanitäre Krise aufheben (Arbeitslosigkeit, Verarmung und Zerstörung des Sozialstaates). In der Verhandlungsliste über andere Strukturreformen besteht die Linksregierung zunächst auf einer nüchternen Korrektur der makroökonomischen Größen:[1]

 

 

Entscheidend ist, dass das Wirtschaftswachstum 2014 mit 0,6% deutlich niedrigerer ausgefallen ist und daher auch der Primärüberschuss des öffentlichen Gesamthaushaltes nicht den Prognosen der Troika entsprach. Statt 1,80 % sind nur 0,3 % erwirtschaftet worden. Logischerweise wird daher auch das Wachstum in den Jahren 2015 und 2016 deutlich geringer ausfallen. Mit weiteren Kürzungen bei Löhnen und Gehältern, sowie den Sozialleistungen wird man aus dieser Spirale nicht herauskommen. Die Linksregierung kämpft daher um einen Bruch mit der bisherigen Politik und will über eine Stärkung der Binnenwirtschaft eine bessere Grundlage für die öffentlichen Finanzen und damit auch die Schuldentilgung schaffen.

Griechenland will also endlich eine andere Grundlage für die Wirtschaftsentwicklung und die Neuordnung der Finanzen erreichen. Absehbar sind ein Primärüberschuss für 2014 von 0,3% und 1,2% für 2015: Es muss eine Expansion der Wirtschaftswachstums von durchschnittlich 2,5% erreicht werden, wenn das Land seinen ökonomischen Absturz beenden und einen Zahlungsverpflichtungen nachkommen soll. Selbst wenn man aktuell einen partiellen Schuldenerlass erreichen könnte, muss die Realökonomie auf einen Wachstumskurs von ca. 2,5% gebracht und bis 2019 gehalten werden, damit das Land ohne weitere Sozialkürzungen einen Gesundungsprozess erreichen kann. Dies soll im Gegensatz zur Troika-Politik mit den Reformvorschlägen erreicht werden.


Die Liste

Die griechische Regierung hat eine Liste von Vorschlägen auf Basis der korrigierten makroökonomischen Daten und Projektionen vorgelegt. Das Ziel dieses Dokuments sei es die kurzfristige Finanzierung sicher zu stellen und der griechischen Regierung Spielraum zu geben, ihre unmittelbaren Verpflichtungen zu erfüllen. Die offenen Tranchen in Höhe von 7,2 Milliarden können freigegeben werden, wenn die Reformliste von den Geldgebern akzeptiert wird.

Die Linksregierung will Mehreinnahmen bis zu 6 Milliarden Euro erzeugen. Weitere Einnahmen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro werden aus Privatisierungen erwartet. Insgesamt beinhaltet die Liste 72 Vorschläge, die in 16 Bereiche aufgeteilt worden sind. Große Hoffnungen setzt die griechische Regierung auf die Bekämpfung der Steuerhinterziehung und Steuerbetrug. Allein 875 Millionen Euro soll die Prüfungen von Offshore-Überweisungen bringen. Weitere 400 Millionen Euro sollen durch den Kampf gegen den illegalen Handel von Zigaretten, Alkohol und Öl eingenommen werden. Außerdem soll die Mehrwertsteuer reformiert werden. Dadurch soll eine weitere Milliarde Euro eingenommen werden.

Die Regierung schätzt, dass 85% der Steuerschulden nicht eingetrieben werden können. Das Steuersystem der Vorgängerregierung sei ineffizient. 3,5 Millionen Steuerzahler könnten ihre Schulden wegen wirtschaftlicher Zwangslagen nicht mehr bezahlen. Die Regierung hofft, dass sie durch den Verzicht auf einen Teil der Schulden dafür sorgen kann, dass sie wenigstens den anderen Teil der Steuern erhält. Auch der Kampf gegen die Schwarzarbeit soll intensiviert werden. Durch neue elektronische Zahlungen sollen bis zu 266 Millionen Euro eingenommen werden.

Die Regierung will Steuerverfahren abkürzen: Wer seine Steuern voll bezahlt, soll nicht mehr bestraft werden. Außerdem soll es neue, modernere Computersysteme geben, was allerdings bis zu 70 Millionen Euro kostet. Dafür stehen auf der Gegenseite 100 bis 200 Millionen Euro Einnahmen und Einsparungen. Durch die strengere Regulierung des Glücksspieles sollen weitere 175 Millionen Euro erwirtschaftet werden. Außerdem ist die Versteigerung von TV-Lizenzen geplant.

Nicht vorgesehen sind hingegen weitere Kürzungen im griechischen Rentensystem oder eine Liberalisierung des Arbeitsmarktes. Zudem sind 1,1 Milliarden Euro neuer Ausgaben zur Bekämpfung der humanitären Krise vorgesehen.

Ähnlich wie bei den Makroökonomischen Projektionen stimmten die Annahmen der Troika über Einnahmen durch Privatisierungen von öffentlichem Eigentum nicht. Bis 2016 sollten etwa 50 Milliarden Euro durch Verkäufe von Staatseigentum eingenommen werden. Doch bis 2013 wurden lediglich 2,6 Milliarden Euro realisiert. »Das Interesse der Anleger ist gering und der Wettbewerb unter den Bietern schwach«, argumentiert die Linksregierung. Alle begonnenen Privatisierungsverfahren sollen zum Abschluss gebracht werden. Die griechische Regierung erwartet statt der ursprünglichen 2,2 Milliarden Euro Einnahmen nur 1,5 Milliarden Euro.

Die nächste reguläre Sitzung der Finanzminister der Eurozone findet am 24. April in der lettischen Hauptstadt Riga statt. Zentraler Streitpunkt dürften weitere Kürzungen im griechischen Rentensystem sein. Der größte Punkt davon ist die so genannte »dreizehnte Rente« für besonders einkommensschwache Rentner – die griechische Regierung kalkuliert mit 600 Millionen Euro Kosten pro Jahr. Strittig weiterhin: eine schrittweise Erhöhung des Mindestlohns und die Stärkung von Tarifverhandlungen.

Die griechische Regierung erklärt zu ihren Vorschlägen der Liste: »Die griechische Regierung legt hiermit eine umfassende Liste vor von Steuer-, Verwaltungs- und politische Reformen im Einklang mit seinen Verpflichtungen gegenüber seinen Gläubigern und dem griechischen Volk. Die Regierung fordert einen zügigen und erfolgreichen Abschluss der letzten Prüfung auf der Grundlage dieser Liste, so dass kurzfristige Finanzierungsprobleme gelöst werden und die aktuellen lähmenden wirtschaftlichen und finanziellen Unsicherheiten zu einem Ende gebracht können. Dies ist eine dringende und notwendige Voraussetzung für den Erfolg des Wirtschafts- und Reformprogramms.«

Es handelt sich um ein Sofortprogramm zur Überwindung der humanitären Krise mit Teilen eines Übergangsprogramms zur Stärkung der Wirtschaftskraft. Das geht den neoliberalen Hardlinern in der EU schon zu weit.

Der Nervenkrieg zwischen den EU-Gremien und der griechischen Linksregierung macht deutlich, in welche unsichere Etappe der Kontinent Europa driftet. Eine Reise des griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras nach Moskau ist heutzutage kein normaler Vorgang im politisch-diplomatischen Geschäft, sondern wird schon unter dem Schatten der weiteren Konfliktherde in Europa betrachtet.

Für den sozialdemokratischen EU-Präsidenten Martin Schulz ist es »nicht akzeptabel«, wenn Tsipras damit spekuliere, dass als Gegenleistung für erbetene Investitionen Russlands in seinem Land »die einheitliche Haltung Europas etwa in der Russland-Politik aufs Spiel gesetzt wird«. Mit seiner Reformliste und dem jüngsten Besuch in Berlin habe Tsipras begonnen, wieder Verlässlichkeit und Vertrauen geschaffen. »Die griechische Regierung sollte daher alles vermeiden, beides jetzt wieder zu gefährden und ihre europäischen Partner zu verprellen.«

Das sind keine Botschaften, die auf einen Kompromisspfad schließen lassen.

[1] Tabellen 1-3 aus: https://cdn.fbsbx.com/hphotos-xta1/v/t59.2708-21/11114261_851362424902048_390229035_n.pdf/Reformliste_Athen_Stand_010415.pdf?oh=33b3b06876b639c56e5afca54c3d7dfd&oe=5521F786&dl=1

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