3. Oktober 2011 Joachim Bischoff: Vor der Entscheidung der Troika

Die griechische Tragödie spitzt sich zu

Jetzt ist es keine Vermutung mehr: Griechenland wird im laufenden Jahr die verabredeten Sanierungsvorgaben verfehlen. Damit dreht sich die Krisenspirale weiter, Europas Politiker sind sich nicht einig, wie es weitergehen kann und soll.

Das griechische Staatsdefizit wird in diesem Jahr bei 8,5% des Bruttoinlandsprodukts liegen und damit das angestrebte Ziel von 7,8% verfehlen. Das Defizit wird demnach mit über 18 Milliarden Euro rund 1,5 Mrd. Euro höher ausfallen. Der Grund für das höhere Minus ist keineswegs eine zögerliche Umsetzung des massiven Kürzungskurses, das die griechische Regierung mit der Troika aus IWF, EZB und EU ausgehandelt hatte, um die notwendigen Unterstützungsgelder zu erhalten. Verantwortlich für die Verfehlung der Zielvorgaben ist die stärker als erwartet ausgefallene wirtschaftliche Rezession. Die Wirtschaft des Landes wird um rund 5,5% schrumpfen, im Mai des Jahres waren noch 3,8% unterstellt worden.

Griechenland war das erste europäische Land, in dem sich schon Anfang 2010 deutliche Symptome einer möglichen Insolvenz des Banken- und Staatssystems zeigten. Messlatte hierfür war die zunehmende Unmöglichkeit der Refinanzierung der aufgelaufenen öffentlichen Kredite an den internationalen Finanzmärkten. Mit einem Hilfskredit von Eurostaaten und IWF in Höhe von 110 Mrd. Euro wurde Griechenland im Mai 2010 eine zeitlich begrenzte Unabhängigkeit von den Finanzmärkten verschafft – wie kurz darauf auch dem in Folge der Immobilien- und Bankenkrise hoch verschuldeten Irland und dem seit Jahren unter massiver Akkumulationsschwäche leidendem Portugal. Mittlerweile sind auch Spanien und Italien näher an die Grenze der Schuldentragfähigkeit gerückt.

Der wirtschaftliche Schrumpfungsprozess ist das entscheidende Problem und der Grund für die vielfältigen Krisensymptome. Das unter Auflagen der Troika verschärfte Kürzungsprogramm hat entscheidend dazu beigetragen, dass Griechenland aus der ökonomischen Abwärtsspirale nicht herauskommt.

Gegen eine Krise solcher Dimension kann man sich auch mit der härtesten Austeritätspolitik nicht herausarbeiten. Wenn die Zahl der Insolvenzen von Monat zu Monat zunimmt, die Arbeitslosigkeit auf nunmehr bereits 18% steigt und die Einkommen sinken, nimmt der Staat trotz diverser Steuererhöhungen und Leistungskürzungen weniger ein. Zumal mit einer asymmetrischen Steuerpolitik, die unfähig ist, nicht nur symbolisch sondern konfiskatorisch auf Vermögen zuzugreifen und Steuerbetrüger in den Rängen der »feinen Gesellschaft« habhaft zu werden. Stattdessen lässt man mit höheren Massensteuern den Konsum zusätzlich einbrechen.

Die Regierung in Athen hatte vor knapp zwei Wochen als Verschärfung des Kürzungskruses beschlossen, Renten über 1.200 Euro um 20% zu kappen und 30.000 Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes in »Reserve« zu schicken. Dort sollen ihnen nur noch 60% ihres Gehalts ausgezahlt werden. Sie haben ein Jahr Zeit, sich im öffentlichen Sektor eine neue Stelle zu suchen, sonst verlieren sie ihren Arbeitsplatz. Die Verkleinerung des aufgeblähten Staatsdienstes hat die Troika zur Bedingung für die Auszahlung der nächsten Tranche von acht Milliarden Euro erhoben. Dabei wurde deutlich, dass der Troika die bisherigen Beschlüsse nicht weit genug gingen. Reicht deren Zahl nicht, sollen zusätzlich öffentliche Institutionen und Unternehmen geschlossen werden. Die Troika verlangt, dass dies bis zum 31.12.2011 abgeschlossen sein muss.

Nicht die griechische Politik ist gescheitert, sondern der sinnlose Versuch der europäischen Sanierungsbeauftragten, die offenkundige Schuldenkrise durch eine Austeritätskonzeption lösen zu wollen. Die seit Mai 2010 beständig radikalisierten Versuche konnten – wie von vielen Kritikern prognostiziert – den verheerenden Kreislauf nicht durchbrechen, dass Austerität und Deflation in peripheren Ländern ohne eine deutliche Reduktion der Schulden- und Zinslast, ohne ein massive Förderungsprogramm zur Verbesserung der Wirtschaftsstruktur oder ohne eine Verbesserung der verlorenen externen Wettbewerbsfähigkeit (durch Abwertung) nur zu einer Verschärfung der Rezession und einer weiteren Verschlechterung der Staatsfinanzen und damit zu zusätzlichem Sparzwang führen kann.

Finanzminister Evangelos Venizelos macht weiterhin auf Optimismus und erklärt, die nächste Tranche des Finanzpaketes sei sicher. Schlussfolgerung: Es gibt keinen neuen Sachstand und das Krisenkarussell dreht sich mit gleicher Geschwindigkeit weiter. Mit einem Bericht der Troika wird in zwei bis drei Wochen gerechnet. Von dessen Votum wird abhängen, ob weitere Mittel fließen, um die Staatspleite abzuwenden. Die Bevölkerung in Griechenland ist allerdings pessimistischer. In Meinungsumfragen, die in Athener Zeitungen veröffentlicht wurden, rechnet die Mehrheit (67,3% bzw. 56,9%) der Griechen damit, dass das Land einem Bankrott nicht mehr entkommen kann.

Die griechische Regierung geht davon aus, dass die mit den Geldgebern vereinbarten Defizitziele 2012 nicht erreicht werden können. Auch 2012 ist aus heutiger Sicht mit einem massiven Defizit von 6,8% des Bruttoinlandprodukts zu rechnen und wiederum ist unter diesen Bedingungen kein ausgeglichener öffentlicher Haushalt zu erreichen. Gleichwohl verabschiedete der griechische Ministerrat den Haushalt für 2012, der erstmals keine Neuverschuldung vorsieht. Das Budget sieht Kürzungen und Mindereinnahmen von insgesamt 6,6 Milliarden Euro vor. Die griechische Regierung plant deshalb für 2012 zusätzliche Einsparungen von rund 6,5 Mrd. €, was etwa 5,5% des BIP entspricht. Die Einkommen im öffentlichen Sektor sowie die Renten sollen weiter gekürzt, Steuerentlastungen abgeschafft und öffentliche Unternehmen geschlossen werden. Hinzu kommen Ausgabenkürzungen im Bildungs- und Gesundheitswesen sowie bei den Streitkräften. Würde man diese Rosskur für die angeschlagene Ökonomie umsetzen, erreichte man ein vergleichbares Ergebnis wie im laufenden Jahr. Die Schrumpfung der gesamtwirtschaftlichen Leistung fällt massiver aus, die vereinbarten Sanierungsziele können nicht erreicht werden.

Bislang betont auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) stets, die 8 Mrd. Euro könnten nur bei einem positiven Bescheid der Troika ausgezahlt werden. Eine Fortführung des Unterstützungsprogramms bei dem deutlichen Verfehlen der Sanierungszielsetzungen dürfte auf dem politischen Feld ein massives Beben auslösen. Insofern wird in den nächsten Tagen auch über den Plan B, einer geordneten Insolvenz verhandelt werden müssen.

Gelegenheit zu Erörterung anderer Lösungsansätze zur Herstellung der Schuldentragfähigkeit der griechischen Ökonomie gibt es auf der Beratung in Luxemburg. Dort geht die Griechenland-Rettung in eine neue Runde: Die Finanzminister der 17 Euro-Staaten hoffen auf eine Lösung im Streit über das so genannte Finnen-Pfand: Helsinki stemmt sich bislang gegen eine weitere Unterstützung Athens, wenn es nicht für neue Notkredite zusätzliche Absicherungen erhält. Zudem wollen die Ressortchefs an der Reform des Rettungsschirms EFSF feilen. Zwar hat Bundesfinanzminister Schäuble eine weitere Aufstockung des Fonds ausgeschlossen. Allerdings wird in der Euro-Zone darüber diskutiert, wie dem EFSF ohne höhere Garantiesumme durch einen »Finanzhebel« zu mehr »Feuerkraft« verholfen werden kann.

Es wäre endlich an der Zeit einen Kurswechsel zu vollziehen. Eine erfolgreiche Umschuldung Griechenlands unterstellt einen Tilgungsplan, der auf die ausgepowerte Ökonomie Rücksicht nimmt. Die nicht unwichtigen Fragen, wie ein weiteres Finanzpaket ausgestattet sein muss, um eine zeitlich befristete Abkopplung Griechenland von den Finanzmärkten zu garantieren, oder wie hoch die Zinsen für ein solches Paket sein können, sind letztlich nicht ausschlaggebend.

Entscheidend für einen erfolgreichen Verlauf der Sanierung ist erstens, wie ein neuer Wachstumspfad aussehen kann. Nur widerwillig nähern sich die EU-Kommission und die Euro-Länder der Überlegung eines Investitions- und Strukturprogramms für die griechische Ökonomie, das in ein entsprechendes Strukturprogramm für die europäische Wirtschaft eingebunden sein müsste.[1] Zweitens jedoch stößt die Fortführung des Sanierungsprozesses an wachsenden Widerstand innerhalb der Bevölkerungen der Euro-Länder und der wirtschaftlich-politischen Eliten. Krisen verschaffen Zweiflern und Populisten Auftrieb – ob in Finnland oder in den Niederlanden, in Belgien, Österreich oder Dänemark.

Die EU ist dankbare Projektionsfläche für innenpolitische Probleme, selbst dann, wenn diese gar nicht der Vergemeinschaftung geschuldet sind.

[1] Griechenland zustehende Gelder aus dem EU-Strukturfonds sollen vorzeitig freigegeben werden. Für das Mittelmeerland waren von 2007 bis 2013 20 Mrd. Euro Strukturinvestitionen vorgesehen, 5 Mrd. Euro hat Griechenland bereits abgerufen; die konzentrierte Freigabe von 15 Mrd. Euro könnte in der Tat eine Stabilisierung der nationalen Ökonomie bewirken, wenngleich eine deutlich Abflachungstendenz in der Wirtschaftsleistung eine solche Trendwende erschweren wird.

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