12. Januar 2011 Bernhard Sander

Die konjunkturellen Herausforderungen in NRW 2011

Das in Essen ansässige Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) hat für das kommende Jahr eine Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung des Bundeslandes gewagt, aus der politische Schlussfolgerungen gezogen werden können.[1]

Verhaltener Aufschwung. NRW hatte unter dem Wirtschaftseinbruch infolge der Konjunkturkrise und der Finanzkrise mehr zu leiden als der Durchschnitt der Republik (-5,8% BIP gegenüber -4,6% im Durchschnitt). Die Stahlproduktion, Vorleistungen und Investitionsgüter-Industrie sind stark exportabhängig und damit von jeder Abkühlung der Weltkonjunktur besonders betroffen. Aus diesen Sektoren kam daher in der Vergangenheit auch ein besonderer Druck auf die Lohnstückkosten und den Preis der Arbeitskraft, um im internationalen Wettbewerb an anderen nationalen Standorten die heimische Konkurrenz unterbieten zu können. Für das erste Halbjahr 2010 stellt das RWI rückblickend fest, dass das Wachstum in NRW (+2,9%) auch weiterhin gegenüber der Bundesdurchschnitt zurückbleibt (+3,1%). /6/ Das war in den vergangenen Jahrzehnten anders.

Höhepunkt schon überschritten? Die Lager der Industrie sind wieder aufgefüllt, nun müsste die Nachfrage aus Export, öffentlichem Sektor und privaten Haushalten kommen. Der Export setzt aber kaum noch Impulse und die Konjunkturprogramme laufen aus. /7/ Im abgelaufenen Jahr wurden viele öffentliche Einrichtungen saniert. Der vom Deutschen Institut für Urbanistik festgestellte Investitionsstau ist allerdings damit nur um ca. ein Viertel des Jahresbedarfs abgearbeitet.[2] Das Kulturhauptstadtjahr 2010 hat für das Hotel- und Gaststättengewerbe sowie über die Kreativwirtschaft positiv auf die Binnennachfrage der Ruhrregion gewirkt /8/; eine vergleichbare Mobilisierung privaten Konsums ist nicht abzusehen. In dieser Situation wäre es verhängnisvoll, im Zeichen der Schuldenbremse und Haushaltskonsolidierung die öffentliche Nachfrage zurückzufahren und beim öffentlichen Personal zu sparen, da sie eine wesentliche Stütze der Binnenkonjunktur sind.

Weg von der Exportorientierung. Sechs von zehn Euro im Außenhandel nordrhein-westfälischer Unternehmen werden in Europa verdient, vor allem in den Nachbarländern Niederlande und Frankreich (zusammen 20,5%), aber auch in Belgien, Italien, Spanien und Großbritannien. Diese vier Länder werden immer wieder mit der Finanzkrise in Verbindung gebracht und haben bereits 2009 eine stagnierende bzw. sinkende Nachfrage erkennen lassen (22,8%). /13-16/ Die Schwierigkeiten, die steigenden Zinsen für Staatsschulden zu finanzieren, führen zur Durchsetzung von Kürzungen öffentlicher Ausgaben und zu erhöhten Abgabenbelastungen für die kleinen Leute, sodass die private Nachfrage die Binnenkonjunktur in diesen Ländern nicht stimuliert. In der Folge bleiben entsprechende Investitionen aus, die Importe aus NRW nach sich ziehen könnten. In diese Länder ging vor allem der Export von Autos aus den beiden NRW-Firmen Opel und Ford. Hier brach 2009 der Export um 33% ein; im Bundesdurchschnitt nur um 29%, da die hochpreisigen Nobelkarossen aus Süddeutschland bei den Reichen im Ausland immer noch KäuferInnen fanden. China wird für NRW wenig Wachstumsdynamik bringen, da diese Autos nicht über so weite Strecken exportiert werden; ähnlich in der Metallproduktion. Aus beiden Segmenten (KFZ, europäische Nachbarn) wird also nur mit begrenzten Nachfrage- und damit Wachstumsimpulsen zu rechnen sein.

Beschäftigungssichernde Landespolitik. Die Arbeitslosigkeit soll in 2011 sinken. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung lag im September des Jahres 2010 um 1,6% höher und damit auf dem höchsten Stand seit dem Jahr 2001. /9/ Diese an sich erfreuliche Meldung hat aber fast ausschließlich mit der deregulierten Branche der Leiharbeit zu tun, wo die Beschäftigungsverhältnisse um +32% aufgestockt wurden. Die Branche baut die 150.000 Stellen wieder auf, die sie im Konjunktureinbruch abgebaut hatte. Die RWI-Autoren rechnen damit, dass es in 2011 noch weitere 90.000 sozialversicherte Stellen geben wird. Zwar sinkt die Zahl der Arbeitssuchenden unter 25 Jahren (- 14,4% gegenüber dem Vorjahr), doch die Zahl der über 55-jährigen Arbeitslosen ist deutlich gestiegen (+10,2%). /9/ Die Arbeitslosigkeit ist teilweise ein sehr geringes Problem (Coesfeld 3,3%) und teilweise ein erschreckend großes (Gelsenkirchen 13,3%). Es besteht die Gefahr einer Abkopplung NRWs von den Beschäftigungszyklen der restlichen Republik.

Von Arbeit muss man leben können. Über den Zuwachs an prekären Arbeitsverhältnissen (befristet, Teilzeit usw.) legt das RWI keine Zahlen vor. Der DGB ermittelte, dass Minijobs (400 Euro) vorwiegend westlich, ländlich und weiblich sind.[3] In NRW werden über 271 Tausend Bedarfsgemeinschaften aus öffentlichen Mitteln unterstützt, obwohl sie ein Erwerbseinkommen nachweisen können. Die Kosten für diese Lohnsubvention an die Unternehmen betrugen im Juni 2010 (letzte verfügbare Zahl) über 228 Mio. Euro. [4] Die Zahl derjenigen, die sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, aber weniger als die Niedriglohnschwelle West 1.870 Euro brutto beziehen, liegt in NRW bei über 846 Tausend Menschen; der Anteil liegt bei knapp 20%.

WestLB vor dem Crash. Die Landesbanken sind in einer schwierigen Lage. Ohne hier auf die Ursachen einzugehen (siehe dazu u.a. Sozialismus Heft 12-2010, das RWI schweigt sich zum WestLB-Thema aus) ist klar, dass die weitere Entwicklung der Bank erheblichen Einfluss auf den Landeshaushalt und den Spielraum der Landesregierung haben wird. Dass der Kollaps der WestLB unvermeidlich scheint, ist aus der Äußerung der Ministerpräsidentin zu entnehmen, „dass das Zeitfenster für eine Konsolidierung zu ist“ (FTD 7.12.10) Der Zusammenbruch der WestLB wird den Konsolidierungsdruck auf die öffentlichen Haushalte erhöhen. Angesichts eines Haushaltes mit Ausgaben von 53 Mrd. Euro ist die verfassungsgebotenen 500 Mio. Euro Rückführung der Neuverschuldung schwerlich ohne Sozialkürzungen vorstellbar. Auch die Rückzahlung drei Mrd. Euro stiller Einlagen des Soffin bei der WestLB oder / und der Ausgleich der Verluste, die über die durch Rückstellungen abgesicherten Garantien von 5 Mrd. Euro hinausgehen, dürfte kaum zu bewältigen sein.

Schlussfolgerungen für die Landespolitik. Mit der Finanzkrise haben sich die Rahmenbedingungen grundlegend geändert, insofern die Tiefe des Konjunktureinbruchs auf die besondere Wirtschaftsstruktur im Land zurückgeführt werden kann. Für NRW wie für die gesamte Republik stellen in diesem Sinne die hohe Exportabhängigkeit, insbesondere Europa-Abhängigkeit, die „Auto-Lastigkeit und die hohe Konzentration der Metallbearbeitung weiterhin ein Risiko dar.

Der sich anbahnende Zusammenbruch der WestLB und die anhaltenden Turbulenzen im Euro-Raum stellen weiterhin eine volkswirtschaftliche Ausnahmesituation dar. Damit ist die Voraussetzung gegeben, die Schuldenbremse weiter außer Kraft zu setzen. Sozialabbau hat in einer sich abkühlenden Konjunktur eine erhebliche kontraktive und zerstörerische Wirkung. Wenn also schon das sogenannte Sparpaket der Bundesregierung nicht verhindert werden konnte, dann sollte mit dem Haushalt der fünftgrößten Volkswirtschaft Europas gegengesteuert werden.

Die Minderheitsregierung aus SPD und Grünen kann sich entscheiden, ob sie Mehrheiten bei der CDU suchen und den neoliberalen Weg wieder einschlagen oder sozialdemokratischer bleiben will (Kapitalismus mit Ansätzen zu „sozialem Ausgleich“). Dazu gehört die Bundesratsinitiative für einen einheitlichen Mindestlohn genauso wie die Notwendigkeit den epidemisch um sich greifenden Niedriglohnsektor einzudämmen. Die Linke hat weiter die Aufgabe, gleiche Arbeits- und Lebensverhältnisse im Land zu begründen und gegen die weitere soziale Spaltung zu kämpfen. Dazu gehören auch Vorschläge zu einer sektoralen und regionalen Industriepolitik.

[1] R. Döhrn, Ph. an de Meulen, T Kitlinksi, S. Vosen Produktionswachstum setzt sich fort - Konjunkturbericht Nordrhein-Westfalen 2011, alle Seiten-Angaben in / / beziehen sich darauf.
[2] Es handelt sich um eine eigene Schätzung: Die Stadt W. (350000 Einw.) hat danach einen jährlichen Investitonsbedarf von ca. 195 Mio. Euro, bekam aus dem Konjunkturpaket II etwa 42 Mio. Euro.
[3] http://www.boeckler.de/pdf/minijob_2010/index_mini.html Kreisgenaue Zahlen abrufbar.
[3] Große Anfrage der Fraktion Die Linke  Bundestagsdrucksache 17/3654 http://dip21.bundestag.de/ dip21/btd/17/036/1703654.pdf Die Zahlen werden dort Kreisverbandsgenau ausgewiesen.

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