20. September 2010 Joachim Bischoff: Der Fall Griechenland ist nicht zu Ende

Die Krise des Euro-Systems hält an

Die Krise des Euro-Systems und der europäischen Staatsschulden, die im Frühjahr dieses Jahres die Märkte und vor allem die Politik erschütterte, ist noch nicht überwunden. Eines der Symptome dafür ist die volatile Unruhe im gesamten Währungssystem, in dem der Euro nicht durch eine sonderlich stabile Rolle auffällt.

Ein weiteres Symptom ist die anhaltende kritische Konstellation im irischen Bankensystem, in dem vor Wochen die Aufspaltung der verstaatlichten Anglo Irish Bank zur Vermeidung eines vollständigen Kollapses für erhebliche Unruhe auf den Kapitalmärkten sorgte. Ein unübersehbares Symptom der fortgesetzten Krise der Staatsschulden sind zudem die Zinsen von Anleihen peripherer europäischer Länder, die trotz der umfangreichen Rettungsbemühungen nicht nur weiterhin auf hohem Niveau sind, sondern zum Teil sogar die im Frühjahr erzielten Rekorde übertreffen.

Die Zinsen von irischen Staatsanleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren ist im September auf über 6% gestiegen, das höchste Niveau seit Einführung des Euro. Auf fast gleicher Höhe liegen die Zinsen für portugiesische Obligationen. In einer anderen Liga spielen griechische Staatsanleihen. Die am Markt geforderte Rendite beispielsweise für zweijährige Papiere ist zwar etwas gefallen, hat aber nahe der 10%-Marke weiter ein außerordentlich hohes Niveau. Bei zehnjährigen Staatsanleihen beträgt der „Spread“ zu deutschen Bundesanleihen deutlich mehr als 900 Basispunkte.

Außerdem sind die Kosten der Versicherung gegen Zahlungsausfall (zehnjährige „Credit Default Swaps“, abgekürzt CDS) massiv angestiegen. Bei Anleihen von Irland und Portugal liegen sie bei fast 400 bzw. 350 Basispunkten. Griechenland nimmt auch hier mit gegen 900 Basispunkten die einsame Spitze ein. Für spanische und italienische Bonds müssen dagegen relativ geringe 200 bis 250 Basispunkte gezahlt werden. Auch der Euro-Region nicht angehörende Länder haben Probleme, wie gescheiterte Auktionen von Obligationen in Rumänien, Ungarn und Serbien zeigen. Die Tatsache, dass diese Länder vom Internationalen Währungsfonds (IMF) unterstützt werden, verhinderte Misserfolge nicht.

Es lässt sich nicht bestreiten, dass die Bekämpfung der Banken- und Staatsschuldenkrisen bisher nur teilweise erfolgreich gewesen ist. Für manche Anleger sind diese hohen Renditen ein deutliches Kaufsignal. So bestätigte der norwegische Staatsfonds, der zweitgrößte „Sovereign Wealth Fund“ der Welt (nach jenem von Abu Dhabi), dass er griechische Anleihen und Papiere von Spanien, Italien und Portugal erworben habe.

Die Hilfen der Euro-Zone und des IMF für das überschuldete Griechenland haben die Finanzmärkte zeitweilig beruhigen können. Trotzdem konstatiert auch der IMF mit Blick auf die jüngste Entwicklung, dass bei neuen Anleihe-Turbulenzen widrige Wechselwirkungen mit der Finanzbranche nicht auszuschließen sind, die auf die Realwirtschaft übergreifen könnten. Die Finanzierungskosten der Banken könnten steigen, die Kreditbedingungen sich verschlechtern und die Kapitalflüsse abebben.

Die Staaten der Euro-Zone und der IMF hatten im Mai 2010 gleichsam blitzartig ein Rettungspaket für Griechenland über 110 Mrd. Euro geschnürt. Deshalb wird Griechenlands Politik nun vierteljährlich evaluiert. Nach Einschätzung des IMF steht Griechenland am Beginn eines jahrelangen steinigen Weges. Die Organisation geht davon aus, dass der Sanierungsprozess etwa zehn Jahre andauern wird. Die Griechen sollen in den kommenden drei Jahren eine Herkules-Aufgabe umsetzen. Als Gegenleistung zu dem Finanzhilfsprogramm muss Athen ein hartes Sparprogramm umsetzen, was zum Großteil die breite Bevölkerung trifft. Nur dann kann die griechische Regierung auf die Kredithilfen des IMF und der Euro-Länder zurückgreifen. Griechenland soll bis 2013 im Haushalt 30 Mrd. Euro einsparen.

Beim Defizitabbau für 2010 ist die Zentralregierung in Athen laut IMF im Plan. Dieser sieht ein Minus von 8% gemessen am BIP vor. Trotz des Lobs des IMF hat sich jedoch an der Verschuldungssituation wenig geändert. So wird jetzt eine maximale Schuldenquote von 144% im Jahr 2013 erwartet, statt den noch im Mai veranschlagten 149%. Die externe Verschuldung des Landes wird bis 2015 bei über 100% des BIP bleiben, während im Mai noch ein Rückgang auf 95,8% prognostiziert worden war. Das hat damit zu tun, dass das Leistungsbilanzdefizit weniger rasch zurückgeht als gedacht.

Beim Wirtschaftswachstum bleiben die Perspektiven unverändert: Hier wird im laufenden Jahr eine Schrumpfung von 4% und 2011 von 2,6% erwartet. Die griechische Wirtschaft hat also die Intensivstation noch nicht verlassen. So ist nicht nur der Staat, sondern auch der Bankensektor vom Kapitalmarkt praktisch ausgeschlossen. Nur Dank der Repo-Geschäfte mit der Europäischen Zentralbank kommen die Banken an Liquidität. Zudem werden die Sparanstrengungen Athens zum Teil durch massiven sozialen Widerstand erschwert. Sprunghaft sollen die Rahmenbedingungen bei der Altersversicherung geändert werden, weshalb hier die Betroffenheit und der politisch-soziale Widerstand besonders heftig ist.

Die Finanzinvestoren zeigen sich beeindruckt von der eingeleiteten Reform der Altersvorsorge. Ohne „Reform“ hätte sich der Anteil der staatlichen Altersvorsorge am Bruttoinlandprodukt zwischen 2010 und 2050 auf 24% verdoppelt. Wird die angestrebte Reform dagegen umgesetzt, dürfte der Anteil nur auf 14,5% bis 16,5% steigen.

Da das Sparprogramm hauptsächlich die Kaufkraft der breiten Bevölkerung abschöpft, wird durch die verschärfte Rezession ein noch größeres Loch in die Staatsfinanzen gerissen. In den kommenden Jahren wird Griechenland durch eine länger anhaltende Rezession und anschließende Stagnation gehen. Es sind keineswegs nur Kritiker dieser Sanierungspolitik, die noch nicht von dieser Rosskur überzeugt sind. Auch die Kapitalmärkte konservieren ihre Vorbehalte. Laut CMA DataVision muss man pro Jahr eine Prämie von 880.000 US-Dollar bezahlen, um sich für die nächsten fünf Jahre gegen einen Ausfall von griechischen Schulden im Volumen von 10 Mio. US-Dollar abzusichern. Zum Vergleich: Bei Deutschland kostet diese Absicherung nur 39.000 US-Dollar. Von Entspannung kann also die Rede nicht sein.

Insgesamt belegt der Fall Griechenland, dass es ohne umfassende gesellschaftliche Kontrolle und letztlich die Vergesellschaftung des Finanz- und Leihkapitals keine durchgreifenden Fortschritte im Prozess der Krisenüberwindung geben wird. Der Finanzsektor schreibt infolge der massiven Kredit- und Stützungsprogramme Supergewinne. Alle Ansätze der Redimensionierung und der Regulierung der Finanzinvestoren sind im Ansatz stecken geblieben.

Deutsche Banken sind mit ca. 31 Mrd. Euro die zweitgrößten Investoren in griechischen Staatsanleihen. Daher müsste die deutsche Regierung ebenfalls an der Vermeidung eines Default Griechenlands interessiert sein. Dies gilt umso mehr, als offensichtlich die größten Außenstände bei Banken im Staatsbesitz liegen, allen voran bei der Hypo Real Estate.

Die Bedrohung für das gesamte Euro-Währungssystem hält an: Wenn die „Ansteckung“ auf Spanien, Portugal und Irland übergreift, dann steht eine Refinanzierung von über einer Bio. Euro auf der Tagesordnung. Die kapitalistischen Staaten sind in Abhängigkeit von den Finanzmärkten. Sie könnten die z.T. bestehende Erpressungssituation durch Umschuldungen oder das ersatzlose Streichen von Teilen der Staatsschulden mindern und Zeit gewinnen. Letztlich hängt die Neuordnung der öffentlichen Finanzen und der Ausbruch aus der Schuldenfalle an der Reorganisation der gesellschaftlichen Wertschöpfung und einer entsprechenden Verteilung. Es wird sich in der nächsten Zeit immer deutlicher die Alternative herausschälen: entweder Verdichtung der aufgeschobenen Bereinigungen durch einen naturwüchsigen Verlauf der kapitalistischen Krisen oder aber Redimensionierung der Schuldenlasten durch Staatseingriff und strukturelle Veränderungen der Ökonomien.

Auch der im Mai von der EU gespannte Schutzschirm für hochverschuldete Euro-Länder kann die Währungsunion nicht vor dem Zerfall bewahren, wenn nicht eine kohärente Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik für einen Gleichlauf in der ökonomischen Entwicklung sorgt. Die Finanzminister der 27 EU-Länder haben die Einrichtung eines Krisenfonds mit einem Kreditrahmen von insgesamt 500 Mrd. Euro beschlossen. Der Internationale Währungsfonds soll mit weiteren 250 Mrd. Euro beteiligt werden. Für die kleinen Länder funktioniert die Logik des Rettungs- oder Abwehrschirms. Wenn aber Spanien oder Italien in den Strudel der Schuldenkrise hingerissen werden, sind auch Frankreich, Deutschland und der IMF überfordert.

Nach der Errichtung des Schutzschirmes hätten weitere Schritte zum Abbau der unterschiedlichen ökonomischen Entwicklungspfade erfolgen müssen. Dies ist nicht passiert. Letztlich können die kapitalistischen Länder die Herrschaft des Finanzkapitals nur dann beenden, wenn sie einen Ausweg aus der Schuldenkrise entwickeln und dieser Ausweg wird nicht ohne eine Neustrukturierung der Realökonomien zu haben sein. Die Zwischenbilanz zum Herbst verdeutlich erneut: Die EU-Länder entwickeln sich auseinander.

In Übereinstimmung mit  andern internationalen Organisation hat die EU-Kommission ihre Wachstumsprognosen für 2010 nach oben korrigiert. Allerdings muss auch sie konstatieren: Die Entwicklung in den Staaten verläuft höchst uneinheitlich.

Das Bruttoinlandprodukt (BIP) des Euro-Raums dürfte nach Einschätzung der EU-Kommission 2010 real um 1,7% wachsen, jenes der ganzen EU (EU-27) um 1,8%. Die EU-Kommission folgt andern Prognosen und erwartet für das zweite Halbjahr 2010 eine Verlangsamung, weil sich das Weltwirtschaftswachstum abschwächen dürfte und auch in der EU temporäre Wachstumsfaktoren (staatliche Stimulierungspolitik, Wiederauffüllung der Lager) abklingen werden. Sorgen macht freilich vor allem die uneinheitliche Entwicklung der Mitgliedstaaten. Während vor allem Deutschland und Polen kräftig wachsen, steht am anderen Ende des Spektrums – abgesehen von Griechenland – Spanien, dessen BIP sowohl im dritten Quartal als auch im ganzen Jahr sinken wird.

Die Schlussfolgerung: Im zweiten Quartal hat die wirtschaftliche Aufwärtsbewegung den Finanzmärkten und dem Euro Auftrieb verliehen, aber diese Entwicklung kann erstens nicht einfach fortgeschrieben werden und verstärkt zweitens die bestehenden Zentrifugalkräfte. In allen Randstaaten der Euro-Zone schrumpft das Bruttoinlandsprodukt (Spanien, Irland, Griechenland) oder es wächst nur marginal (Italien und Portugal).

Diese Unterschiede resultieren aus den unterschiedlichen  Produktionsstrukturen einerseits und dem Ausmaß der krisenbedingten Anpassungen andererseits. Aus dieser Auseinanderentwicklung speist sich die anhaltende Unsicherheit: Während zum Beispiel der Einfluss des deutschen Wachstums auf andere Staaten größer ausfallen könnte als erwartet, könnten unter anderem weitere Spannungen an den Finanzmärkten in die Gegenrichtung wirken.

Die grundlegenden Probleme der Euro-Zone sind keineswegs gelöst. Der globale Konjunkturabschwung wird hier unweigerlich auf die Exporte und das unterschiedliche Wachstum durchschlagen. Wir werden in den nächsten Monaten eine weitere Verschärfung im globalen Währungssystem und um die Position des Euro sehen.

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