13. Juni 2017 Mario Keßler / Redaktion Sozialismus

Die Stärksten kämpfen ein Leben lang: Theodor Bergmann (7.3.1916 – 12.6.2017)

Am 12. Juni verstarb der langjährige Autor und zeitweilige Mitherausgeber dieser Zeitschrift, Theodor Bergmann, in seinem 102. Lebensjahr in Stuttgart. In einem ausführlichen Nachruf, der im Supplement der Juli/August-Ausgabe von Sozialismus erscheinen wird, schreibt sein langjähriger Freund, Wegbegleiter und Genosse Mario Keßler:

»Je älter er wurde, desto unwahrscheinlicher schien es, dass ihn je der Tod ereilen könnte. Noch lange nach seinem 100. Geburtstag war Theodor Bergmann, Agrarwissenschaftler und später Historiker der Arbeiterbewegung, unermüdlich als Vortragsreisender und sogar als Buchautor tätig. Er sprühte vor Vitalität und Gedankenreichtum. Fragen nach seinem physischen Zustand wischte er lachend beiseite. Erst vor wenigen Monaten erschien im VSA: Verlag Der chinesische Weg. Versuch, eine ferne Entwicklung zu verstehen.

Es sollte das letzte Buch sein: Am 12. Juni 2017 ist Theodor Bergmann in seiner Wahlheimat Stuttgart im 102. Lebensjahr nach kurzer schwerer Krankheit gestorben. Mit seinem Tod bricht die personelle Verbindung zur Arbeiterbewegung der Weimarer Republik ab, deren letzter überlebender Akteur und Zeitzeuge er war.

Es war ein Jahrhundertleben in jedem Wortsinn, das hier zu Ende ging. Geboren am 7. März 1916 in Berlin in der vielköpfigen Familie des Reformrabbiners Julius Jehuda Bergmann und seiner Frau Hedwig geb. Rosenzweig, kam Theodor Bergmann 1927 zur kommunistischen Bewegung. Im Alter von elf Jahren trat er dem Jungspartakusbund bei, ging aber nicht zur KPD. Stattdessen schloss er sich zwei Jahre später der Stalin-kritischen KPD-Opposition, der KPO, um Heinrich Brandler und August Thalheimer an ...

Im Arbeitersport, in der Jugendorganisation der KPO und in der freiwilligen Redaktionsarbeit im Junius-Verlag, der der kleinen Partei nahestand, sammelte der junge Bergmann wichtige Erfahrungen. Mit den so viel älteren Brandler, Thalheimer, Paul Frölich, Jacob Walcher, Heinz (Moses) Grzyb, Franz Cerný, Robert Siewert, Eugen Podrabsky, aber auch M. N. Roy, Eduard Fuchs und Felix Weil (einem stillen Förderer der KPO) sprach er über die Gefahren des aufsteigenden Nazismus, doch auch über die sich verfestigende Stalin-Herrschaft in der Sowjetunion; zwei für Sozialisten noch neue Probleme. Dieser politischen Entscheidung ist Theodor Bergmann ein sehr langes Leben treu geblieben. Er suchte nach einer Welt, in der Freiheit und soziale Gerechtigkeit eine Verbindung eingehen. Dies war für ihn Sozialismus – das Einfache, das so unendlich schwer zu machen ist, wie er wohl wusste...«

1933 musste Theo Bergmann emigrieren, zunächst nach Palästina, wo er u.a. in einem Kibbuz arbeitete. Später ging er in die Tschechoslowakische Republik und nach Schweden. Er kehrte 1946 nach Deutschland zurück, 1955 promovierte er an der Universität Hohenheim zum Strukturwandel in der Landwirtschaft Schwedens. 1965 wurde er dort wissenschaftlicher Mitarbeiter, später Professor für international vergleichende Agrarpolitik. Nach seiner Emeritierung 1981 widmete sich Theodor Bergmann verstärkt der Geschichte der Arbeiterbewegung, besonders der der KPD-O. Er war Mitglied der Partei DIE LINKE. All dies hat er in seiner »Autobiografie eines kritischen Kommunisten« Im Jahrhundert der Katastrophen, die anlässlich seines 100. Geburtstag in einer aktualisierten Neuauflage erschien, ausführlich beschrieben.

»Sein außergewöhnlicher Fleiß, seine Umsicht und die Systematik, mit der er sein Leben organisierte, spornte Manche an, hatte auf Andere jedoch eine teilweise einschüchternde Wirkung«, schließt Mario Keßler seinen Nachruf und fügt hinzu: »›Theo, Du hast doch schon jetzt ein Programm abgearbeitet, das für zehn Leben reicht. Was wirst Du dann tun, wenn du alt wirst?‹, fragte ich den Neunzigjährigen. ›Es gibt immer genug zu tun. Zum Altwerden habe ich gar keine Zeit‹, erwiderte er. So hielt er es bis zuletzt ...

Theodor Bergmann war, trotz manchmal äußerlicher Strenge, eine warmherzige, liebenswerte Persönlichkeit. Jeder Egoismus, jede Kleinlichkeit waren ihm völlig fremd. Er war grundehrlich wie kaum einer sonst, konsequent im Denken und Handeln und hatte doch auch Verständnis für menschliche Schwächen. Nicht jeder könne und nicht jeder müsse auch immer kämpfen, und den Schwachen gebühre nicht immer Kritik, aber immer Solidarität. Hier hielt er es mit Bertolt Brecht: ›Die Schwachen kämpfen nicht. Die Stärkeren kämpfen vielleicht eine Stunde lang. Die noch stärker sind, kämpfen viele Jahre. Aber die Stärksten kämpfen ihr Leben lang. Diese sind unentbehrlich.‹

Theodor Bergmann hielt sich niemals für unentbehrlich. Doch er war es.«

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