29. Januar 2010 Joachim Bischoff

Die Wirtschafts- und Finanzkrise ist noch nicht ausgestanden

Ausgehend von den Immobilienmärkten platzte im Frühjahr 2007 in wichtigen kapitalistischen Ländern die große Kreditblase und verstärkte rückschlagend die seit längerem der Expansion des Kredits unterliegende chronische Überakkumulation. Zeitweilig drohte der gesamte Krisenprozess in mehreren kapitalistischen Metropolen außer Kontrolle zu geraten. Nach immensen Interventionen der Notenbanken und der Regierungen konnte die Abwärtstendenz abgefangen werden. Überall zeichnet sich nun ein zögerlicher Aufschwung ab.

Die Bundesrepublik Deutschland ordnet sich in dieses Muster ein. "Trotz der fortschreitenden Erholung hat Deutschland die schwerste Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit aber noch nicht überwunden. Die Konsolidierung der Bilanzen der Finanzinstitute ist noch nicht abgeschlossen. Auch auf dem Arbeitsmarkt, der sich bislang als bemerkenswert widerstandsfähig erwiesen hat, ist im Laufe dieses Jahres noch mit einem weiteren Rückgang der Beschäftigung zu rechnen. Dies dürfte den privaten Konsum belasten." Dieser Grundtenor des Jahreswirtschaftsberichts der schwarz-gelben Bundesregierung ist nicht sonderlich optimistisch. Mit der Wachstumsprognose für das Jahr 2010 von 1,4% bleibt die Bundesregierung bei dem Mittelwert der bisherigen Schätzungen von Wirtschaftsinstituten des In- und Auslandes.

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(aus NZZ vom 27.1.2010)

Der Internationale Währungsfonds (IMF) signalisiert gleichfalls Entspannung. Die Weltwirtschaft 2010 werde deutlich stärker expandieren als noch vor drei Monaten angenommen. Deshalb prognostiziert der IMF Ende Januar 2010 ein Wachstum der Globalökonomie von 3,9%.

Was auf den ersten Blick als Rückkehr zu einem robusten Wachstum interpretiert werden kann, wird gleichfalls überwiegend den staatlichen Maßnahmen, also der Niedrigzinspolitik der Notenbanken und den Konjunkturprogrammen, zugeschrieben.

Der IMF hat zudem die Prognose für die Entwicklung in den Industrieländern in 2011 leicht zurückgenommen hat, weil von einer Verlängerung oder Ausweitung dieser Expansionspolitik nicht ausgegangen werden kann. Der IMF befürwortet, dass die staatlichen Maßnahmen so lange beibehalten werden, bis die private Nachfrage "selbsttragend" sei.

Der Welthandels wird 2010 noch stärker zulegen, nämlich um 5,8%, nach einer Schrumpfung von 12% im Vorjahr. Angetrieben wird er durch den Aufschwung der Schwellenländer, deren Wachstum der IMF 2010 auf 6% veranschlagt. Immer deutlicher zeichnet sich ab, dass China mit einem Zuwachs von 10% zumindest vorüberübergehend die Wachstumslokomotive des Welthandels und der Globalökonomie ist. Aber auch hier haben wir es nicht mit einem sich selbstragenden Wirtschaftsaufschwung zu tun. Die Volksrepublik China hat mit einem Konjunkturprogramm in der Größenordnung von ca. 13% des BIP versucht, eine Umstrukturierung der nationalen Ökonomie auf eine binnenmarktgetriebene Akkumulation einzuleiten. Hier müssen die weiteren Entwicklungen abgewartet werden.

Für die USA schätzt der Währungsfonds das Wachstum auf 2,7%. Auch hier wird letztlich eine zaghafte Konjunkturerholung unterstellt, die zentral durch die staatlichen Expansionsmaßnahmen getragen wird. Die Stunde der Wahrheit kommt Ende des Jahres. Ohne weitere Impulse – so die Einschätzung des IMF – dürfte das US-BIP 2011 "nur" um 2,4% zunehmen. Die Absicht von Präsident Obama, eine weiteres Konjunkturprogramm aufzulegen, ist angesichts der innenpolitischen Widerstände mindestens vertagt. Die Notenbank FED sieht daher keinen Grund, ihren Kurs zu ändern. Sie behält ihre lockere Geldpolitik bei. Dabei versucht sie, den Zins, zu dem sich die Banken über Nacht gegenseitig Geld ausleihen, zwischen 0% und 0,25% zu halten.

Wachstumsoptimismus in Deutschland?

Vor dem Hintergrund dieser weltweiten Entwicklung soll die nationale Ökonomie in Deutschland 2010 um 1,4% expandieren. Der Schwing wäre beträchtlich, denn 2009 ist die deutsche Wirtschaft um 5% geschrumpft. Immerhin haben die großen Länder Europas die große Krise bislang einigermaßen glimpflich überstanden. Die realen Schrumpfungsprozesse waren im Jahr 2009 beträchtlich – zwischen 2% und 5% des BIP. Dank entsprechender Notenbankpolitik und Konjunkturprogrammen scheinen alle Ökonomie auf einen langsam ansteigenden Wachstumspfad zurück zukommen.

Gleichwohl bieten die Aussichten für Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien wenig Anlass zu Optimismus. Zum einen sind Zweifel über die Nachhaltigkeit des Konjunkturaufschwungs angebracht; zum anderen können die erwarteten Folgen auf den Arbeitsmärkten durchaus weitere Rückschläge auslösen. Nicht nur in Deutschland wird die Arbeitslosigkeit, die bisher in den meisten Ländern auch dank der Kurzarbeit noch in Schach gehalten werden konnte, in den kommenden Monaten ansteigen und den privaten Konsum als Wachstumsfaktor weiter schwächen.

Die Probleme bei den Finanzinstituten sind sowenig gelöst wie die Neuordnung der Finanzaufsicht. Daher wird es bei der Tendenz großer Zurückhaltung bei der Kreditvergabe bleiben. Diese Zurückhaltung unterläuft aber die Investitionspläne der Unternehmen.

Nach wie vor setzen Deutschland und die drei großen europäischen Länder auf die Wettbewerbskraft ihrer Exportindustrien, was sich angesichts der sich abzeichnenden Schwerpunktverlagerung in der Globalökonomie in den asiatisch-chinesischen Raum schnell als Illusion erweisen könnte.

Zu den gravierendsten Problemen zählen die Staatsschulden, die im Rahmen der großzügig geschnürten Hilfspakete in der jüngsten Vergangenheit explosionsartig in die Höhe geschossen sind. Sie sind eine große Herausforderung, denn gewichtige Teile des bürgerlichen Lagers drängen in allen Ländern auf eine Exitstrategie, d.h. die Rückführung der expansiven Geldpolitik der Notenbanken und die Sanierung der öffentlichen Haushalte. Setzt sich bei entsprechenden politischen Kräfteverhältnissen im Laufe dieses Jahres ein Übergang zu einer Exitstrategie durch, könnten wir ein Ende des zögerlichen Erholungskurses sehen.

Entsprechend gedämpft sind denn auch die Wachstumserwartungen für die "vier Großen" Europas. Für das Jahr 2010 laufen die Wachstumsprognosen darauf hinaus, dass die Volkswirtschaften Italiens, Frankreichs, Deutschlands und Großbritanniens durchschnittlich etwa um 1% expandieren werden. Etwas mehr Dynamik ist für 2011 angesagt, wobei die Wachstumsraten in den einzelnen Ländern (mit Steigerungen des Bruttoinlandproduktes von zwischen 1,4% und 1,9% gemäss Prognosen der Europäischen Kommission) voraussichtlich ebenfalls nicht berauschend ausfallen werden. Bis der jüngste Einbruch der Wirtschaft in den Ländern aufgeholt sein wird, dürfte es deshalb Jahre dauern. Dieses gilt neben Deutschland, Frankreich, Großbritannien auch für Italien. Die italienische Wirtschaft ist im letzten Jahr nach ersten Schätzungen um 4,8% geschrumpft, womit die Rezession auch hier tiefer war als im gesamten OECD-Raum (-3,5%).

Auch in Deutschland ist der Optimismus über das Ende der Rezession verflogen. Für Ernüchterung sorgten die Zahlen des Bruttoinlandprodukts (BIP) für das Gesamtjahr 2009, aus denen sich herauslesen lässt, dass die Wirtschaft im vierten Quartal wohl nicht mehr gewachsen ist. Die offiziellen Schätzungen werden zwar erst im Februar bekannt gegeben, doch hatte sich eine geringere Dynamik schon angedeutet. Vor allem die exportorientierte Industrie, die größtenteils für den BIP-Rückgang von 5% im vergangenen Jahr verantwortlich war, hatte im Spätherbst wieder an Fahrt verloren. Auch hier rechnen viele Beobachter für 2010 mit einem schwierigen Erholungsprozess und der Jahreswirtschaftbericht der neuen Regierung gibt wenig her, diese Befürchtungen zu zerstreuen.

Ob sich die Erholung in einen veritablen Aufschwung ummünzen lässt, wird zum einen von der Entwicklung am Arbeitsmarkt und dem damit eng verknüpften privaten Konsum abhängen. Zum anderen bleibt abzuwarten, wie sich die Sanierung der angeschlagenen Finanzinstitute gestalten wird.

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