17. Juli 2015 Ashoka Mody: Der IWF und Griechenland

Ein Chefökonom als Tragödienschreiber

Olivier Blanchard hat mit der ihm eigenen Klarheit und Offenheit auf die Kritik an der Rolle des Internationalen Währungsfonds (IWF) bei der finanziellen Rettung Griechenlands reagiert.[1] Er schreibt zwar in seiner persönlichen Kapazität, aber als Chefökonom des IWF bringt er damit auch die offizielle Sichtweise des IWF zum Ausdruck.

Deswegen ist Blanchards Stellungnahme nicht nur für unsere Überlegungen zur Entwicklung der griechischen Krise wichtig, sondern sie ist auch ein guter Ausgangspunkt, um unsere Sichtweise, welche Rolle für den IWF angemessen ist, zu verdeutlichen. Sein Blogbeitrag verdient eine sorgfältige Lektüre und Auseinandersetzung.


Die »Ansteckungsgefahr« vereitelt Schuldenrestrukturierungen

Die Kritiker, sagt er, beschweren sich, dass die seitens der Institutionen gewährte »Finanzhilfe für Griechenland zur Bezahlung ausländischer Banken genutzt« wurde. Aber, so Blanchard, das sei die falsche Herangehensweise. Die Kernschmelze nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers sei noch ganz frisch im Gedächtnis gewesen. Die Ansteckungsgefahren waren real oder wurden als real wahrgenommen, und es gab keine Schutzwälle, um diese Gefahren einzudämmen. So die offizielle Lesart. Aber entspricht sie den Tatsachen?

Erstens: Es gab zwar eine kurze Zeit großer Unsicherheit, aber es war auch eine Zeit für neue Ideen und Initiativen. Keine zehn Tage nach dem Lehman-Fiasko ging mit der Washington Mutual Bank die größte Bank aller Zeiten in den Vereinigten Staaten Bankrott, und die US-Behörden zwangen die Gläubiger und Anteilseigner, alle Verluste zu tragen.

Der IWF hingegen schlug die entgegengesetzte Richtung ein und setzte sich über seinen bisherigen wissenschaftlich untermauerten Grundsatz [2] hinweg, demzufolge die Schulden eines notleidenden Landes auf ein »tragfähiges« Maß reduziert werden müssen. Im Falle Griechenlands hätte der Schuldenabbau imposante Verluste bei den Gläubigern bedeutet. Aus Angst vor einer »Ansteckung« (weitere Bankenschließungen auf Grund notleidender Kredite) wäre es für die französischen und deutschen Behörden eine einfachere und mit wesentlich geringeren Kosten verbundene Lösung gewesen, ihre Banken mit ausreichend Liquidität zu versorgen, damit sie bei Abschreibungen auf ihre griechischen Schuldenbestände geschützt gewesen wären.

Zweitens: Wenn selbst mit diesen Anstrengungen die Gefahr einer schnellen und weitläufigen Ansteckung nicht hätte beseitigt werden können, dann hätte die Frage lauten müssen, wer die Kosten zwecks Verhinderung der Kettenreaktion hätte tragen können. Ein IWF-Papier, [3] das Blanchard mit verantwortet, legt dem Prinzip nach dar, wie – nämlich mit einem Finanzzuschuss, und nicht mit Krediten – Griechenland hätte kompensiert werden sollen für seine Zustimmung, die nicht tragfähige Schuldenlast im Interesse der Verlustbegrenzung für die anderen weiterhin zu schultern. Im IWF-Papier steht:

»Es können Umstände gegeben sein, wo jede Form der Umschuldung ... unter dem Gesichtspunkt der Ansteckungsgefahr als problematisch hätte angesehen werden können. [...] In diesen Fällen könnten Bedenken wegen der Schuldentragfähigkeit nicht durch eine Umstrukturierung der Schulden ausgeräumt werden, sondern durch vorrangige Hilfen (so der offizielle IWF-Code für Finanzzuschüsse) seitens anderer öffentlicher Kreditgeber.«

Das Argument lautet, dass »Ansteckung« ein globales Problem ist, und dass die internationale Gemeinschaft die Kosten zur Vermeidung der Ansteckung teilen sollte. Ohne eine solche Lastenverteilung lag es auf der Hand, dass die Austeritätspolitik in Griechenland viel härter ausfallen musste als es sonst der Fall gewesen wäre. Und bis endlich die Bedingungen für die die Kreditvergabe geklärt waren, war der griechischen Wirtschaft schon längst der Wind aus den Segeln genommen.


Austeritätspolitik ohne Alternative?

Die Kritiker, sagt Blanchard, liegen falsch, wenn sie beklagen: »Das Programm von 2010 trug nur zur Vermehrung der Schuldenlast bei und forderte übermäßige Haushaltsanpassungen.« Zur Kürzung der Ausgaben und zur Anhebung der Steuern, darauf besteht er, habe es keine Alternative gegeben, es sei einfach notwendig gewesen.

Er stellt eine merkwürdige Behauptung auf: »Hätte man Griechenland auf sich allein gestellt gelassen, hätte es schlichtweg keine Kredite mehr aufnehmen können. … Selbst wenn Griechenland überhaupt nichts von seinen Schulden zurückgezahlt hätte, hätte es bei einem Primärdefizit von mehr als 10% des BIP von einem Tag auf den anderen sein Haushaltsdefizit um 10 % des BIP senken müssen.«

Diese Argumentation trägt nicht. Niemand hatte als Alternative vorgeschlagen, Griechenland hätte »auf sich allein gestellt« bleiben sollen. So agiert der IWF nicht. Das Verfahren erfordert, dass die Gläubiger die Verluste tragen, und dass der IWF gleichzeitig vorübergehend Finanzierungsmittel zur Verfügung stellt. Beide Maßnahmen zusammen tragen dazu bei, den Druck der Austeritätspolitik auf Haushaltseinsparungen abzumildern.

Blanchards Kernthese lautet also, dass es nicht die »Wachstum tötende« Austeritätspolitik war, sondern dass die fehlenden Strukturreformen der Grund gewesen seien, warum in Griechenland kein Wirtschaftswachstum generiert werden konnte.

Hier weicht er in seinem Skript aber von dem ab, was er sonst immer vorträgt. In einem Interview auf Sky News im April 2013 hatte Blanchard die britischen Behörden gewarnt, sie würden ein »Spiel mit dem Feuer« betreiben, wenn sie weiterhin harte Austeritätsmaßnahmen implementierten. Von allen wichtigen Industrieländern – abgesehen von Italien – war Großbritannien das Land, das sich am langsamsten von der Krise erholte.

Wenn Austeritätspolitik in Großbritannien ein Spiel mit dem Feuer war, dann wirkte sie in Griechenland wie ein Würgegriff. Anders als Großbritannien konnte Griechenland keine Hilfe von der Geldpolitik erwarten. Während das Vereinigte Königreich  aggressiv seine Banken stabilisierte, blieben bei den griechischen Banken die notleidenden Aktiva weiterhin in den Büchern. Ohne diese Hilfen durch die Geldpolitik lag in Griechenland die ganze Last auf der Haushaltssanierung. Die griechischen Staatsausgaben sind seit 2010 um ein Drittel gesunken; das strukturelle Haushaltsdefizit ist von 12% des BIP in einen Haushaltsüberschuss von 2% umgewandelt worden. Das ist eine außergewöhnlich harte Austeritätspolitik.

Der wohl bekannteste wissenschaftliche IWF-Beitrag zur Krise ist von Olivier Blanchard und Daniel Leigh verfasst.[4] Dort argumentieren sie, dass Austerität mitten in einer Krise das Wirtschaftswachstum signifikant verlangsamt. Und eine besonders harte Austeritätspolitik schränkt das Wirtschaftswachstum eben besonders stark ein. In einem weiteren IWF-Papier, verfasst von Luc Eyraud und Anke Weber,[5] heißt es, dass bei Fortführung der Austeritätspolitik die Einkommen sinken und die Schuldenlast tatsächlich steigt. Der Einbruch des griechischen Sozialprodukts und der Anstieg der Schuldenquote waren eine Bestätigung dieser wissenschaftlichen Studie.

Blanchard geht in seinem Blogbeitrag nicht auf die vollkommen unrealistischen Annahmen ein, die den Wachstums- und Produktivitätsprognosen auf Grund von Strukturreformen zugrunde lagen. Wie war es möglich, dass der IWF eine so schnelle Rückkehr zu Wachstum unterstellen konnte, trotz fehlender Wechselkursflexibilität und trotz einer angeschlagenen Globalwirtschaft mit allen ihren Traumata? Und bei Strukturreformen, die zwangsläufig zu niedrigeren Löhnen und Preisen führen, musste die Schuldenlast der Unternehmen und Privathaushalte ebenso zwangsläufig steigen, was zu einer weiteren Verlangsamung des Wachstums und weiter steigender Schuldenlast des Staats führte.


Die Krise wird komplexer – der IWF lernt

Die Kritiker sagen: »Die Gläubiger haben nichts gelernt und wiederholen die immer gleichen Fehler.« Stimmt nicht, sagt Blanchard.

Zwischen 2010 und 2012 sank das griechische BIP viel stärker als erwartet. In seinem Blogbeitrag sagt Blanchard: »Die Haushaltskonsolidierung erklärt nur einen Teil des Produktionsrückgangs.« Das ist eine sonderbare These, auch Paul Krugman und Brad De Long haben darauf hingewiesen. Wir wissen, dass die Wirtschaftsproduktion hauptsächlich gerade wegen der harten Austerität kollabiert ist, was genau in den erwähnten IWF-Beitrag von Blanchard und Leigh dokumentiert wird; so auch deutlich zusammenfassend in ihrer Abbildung, in der die Fehler der Wachstumsprognosen (Prognose Frühjahr 2010 und tatsächliche Entwicklung des BIP-Wachstums in 2010 und 2011) mit den Prognosen zur Haushaltskonsolidierung (Prognose  Frühjahr 2010 für die Entwicklung 2010 und 2011) korreliert werden.

Griechenland entspricht also genau dem europäischen Muster: Der griechische Wirtschaftsabschwung war deshalb so gigantisch, weil die Sparpolitik so unglaublich ausgreifend war.

Im Dezember 2012 erklärten die griechischen Behörden, um vom IWF weitere Finanzmittel zu bekommen, pflichtbewusst: »Trotz der Haushaltsanpassungen, die wir bisher durchgeführt haben, sind weitere Anstrengungen erforderlich, um die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen wiederherzustellen.« Eine weitere große Anpassung wurde im Jahr 2013 durchgeführt, das BIP ging weiter zurück. Eine kleinere Anpassung erfolgte im Jahr 2014 und das BIP stabilisierte sich erstmals.  Doch der Beweis ist glasklar: mehr Austerität, geringeres Wachstum.

Dann fielen in 2013 und 2014 die Preise um insgesamt 5%, also genau der Schulden-Deflations-Zyklus, entsprechend der Schulden-Deflationstheorie von Irving Fisher. Werden mehr Schulden zurückgezahlt, wird die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen eingeschränkt, Preise und Löhne fallen, aber weil der Wert der ausstehenden Schulden sich nicht ändert, wächst die Schuldenlast. Dies sind keine Hirngespinste – vielmehr bestätigt der IWF das selbst in seinen Analysen.[6]

Doch selbst in der neuesten IWF-Analyse zur Schuldentragfähigkeit[7] wird weiterhin diese Logik außer Acht gelassen. Der IWF geht davon aus, dass der griechische Staat den Primärüberschuss (Haushaltssaldo ohne Zinszahlungen) von etwa 1% des BIP im Jahr auf über 3½% des BIP in drei Jahren erhöhen wird. Trotz der anhaltenden starken Austerität wird in der Analyse der Schuldentragfähigkeit auch weiterhin von neuem Wachstum und einem Anstieg der Inflation ausgegangen. Insgesamt soll das so genannte nominale BIP zwischen 3 und 4% pro Jahr in den nächsten zwei Jahren wachsen. Eine schöne Aussicht. Aber die Ergebnisse der letzten fünf Jahre legen nahe, dass es viel wahrscheinlicher ist, dass das nominale BIP zwischen 3 und 4% pro Jahr schrumpfen wird.

Wenn die Wirtschaft dann schließlich wegen des Schulden-Deflations-Zyklus und der anhaltenden Sparpolitik schrumpft, werden die Ereignisse der letzten Monate für diese Entwicklung wieder als Ausflucht herhalten müssen. Daher ist es wichtig, daran zu erinnern, dass die Deflation längst auf dem Weg war, bevor die Tsipras-Regierung ins Amt kam. Noch Anfang Februar hatte Präsident Obama diagnostiziert, dass Griechenland mitten in einer Depression stecke. Ja, die letzten fünf Monate haben die Situation nochmals verschlimmert; doch bei der Zuweisung der Verantwortung für diese Entwicklung darf man schon eine sorgfältigere Beweisführung erwarten.

Außerdem wird, wenn die griechische Wirtschaft in den kommenden Jahren weiter schrumpft, die Schuld dafür auch wieder bei einem Mangel an Strukturreformen in Griechenland gesucht werden. Blanchard liefert schon jetzt die Munition für diejenigen, die diesen billigen Vorwurf erheben werden. Aber auch hier ist es ein weiteres Mal die eigene Forschungsabteilung des IWF, die davor warnt, dass die Dividenden von Strukturreformen schwach sind und auf jeden Fall Zeit brauchen, um überhaupt  wirksam zu werden (siehe Kasten 3.5 in diesem Link). Im Gegensatz dazu werden der Schulden-Deflations-Zyklus und die kontraktiven Effekte der Sparpolitik sofort wirksam. Es besteht also die Gefahr, dass die griechische Wirtschaft noch weiter beschädigt wird, bevor überhaupt irgendwelche positiven Resultate der Reformen sichtbar werden.

Zur Erinnerung: Griechenland hat bereits drakonische Sparmaßnahmen durchgeführt, das Wirtschaftswachstum ist zusammengebrochen, und es ist in einen Schulden-Deflations-Zyklus geraten. Irving Fisher hat dargestellt, dass zu diesem Zeitpunkt nur mit einer Reflation – dem genauen Gegenteil von Austerität – das Wachstum wieder belebt werden kann. Man könnte sich darauf einigen, dass derzeit eine Reflation nicht möglich ist. Aber muss deswegen die Austeritätspolitik fortgesetzt werden? Präziser: Was für einen Sinn soll die Fortsetzung der Austeritätspolitik machen?


Gestaltungspolitik in Zeiten politischer Zwänge

Blanchard nimmt zweimal Bezug auf politische Beschränkungen der Gläubiger, die den Spielraum der Wirtschaftspolitik begrenzt haben. Im Mai 2010, sagt er, waren »den öffentlichen Geldgebern politische Grenzen gesetzt, welche Beiträge sie ihren eigenen Bürgern aufbürden konnten«. Für das Jahr 2015 bekräftigt er: »Aber für das, was sie ihren eigenen Bürgern abverlangen können, gab und gibt es klare politische Grenzen.« Die Rolle des IWF sei es, sagt er, die ökonomischen Alternativen darzulegen, die Politik hingegen diktiere die Entscheidungen. Da die Gläubiger nicht bereit seien, sich auf einen Schuldenerlass einzulassen, diktiere die Politik, dass Griechenland noch mehr Austeritätsmaßnahmen durchführen müsse. Klingt einsichtig, ist aber dennoch falsch, und zwar aus zwei Gründen.

Erstens besteht die Aufgabe des IWF nicht nur darin, die Alternativen darzulegen; seine Aufgabe ist es, wissenschaftlich begründete politische Entscheidungen vorzubereiten. In diesem Fall müsste das heißen: Ein Schuldenerlass seitens der Gläubiger heute wird einen höheren Schuldenerlass (oder höhere Ausfälle) zu einem späteren Zeitpunkt verhindern. Da die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass die geforderte Sparpolitik die Einkommen verringert und die Schuldenlast erhöht, wird die Geschichte, die wir in den letzten Monaten durchgemacht haben, nur ein weiteres Mal wiederholt. Ein tropfenweiser Schuldenerlass wird die Qual und den Schmerz der Gläubiger und Schuldner gleichermaßen nur erhöhen.

Zweitens hat in den letzten Monaten der IWF im Schulterschluss mit den europäischen Gläubigern weitere Sparmaßnahmen von den Griechinnen und Griechen gefordert. In der Tat war der Schrei des IWF nach höheren Mehrwertsteuern und Rentenkürzungen weitaus schriller. Blanchard hat jetzt zwar bestätigt, dass der IWF die europäischen Gläubiger über die Notwendigkeit eines Schuldenerlasses in Kenntnis gesetzt hat. Doch es bleibt ein Fakt, dass der IWF seine Auffassung, dass eine erhebliche Entlastung notwendig ist, nicht der Öffentlichkeit mitgeteilt hat. Die Schuldentragfähigkeitsanalyse wurde erst am 2. Juli veröffentlicht, genau drei Tage vor dem griechischen Referendum.

Indem er die Bekanntmachung seiner Analyse hinausgezögert hat, hat der IWF mit Vorsatz gegen seine Pflichten verstoßen. Eine rechtzeitige Veröffentlichung hätte bedeutet, dass ein legitimiertes und transparentes öffentliches Gegengewicht zu den Auffassungen der Gegner eines Schuldenerlasses vorhanden gewesen wäre. So hätte der politische Druck geschwächt und die Chancen für eine bessere ökonomische Entscheidung verbessert werden können.

Warum hat der IWF dann doch noch seine Zahlen für die Notwendigkeit eines Schuldenerlasses veröffentlicht? Hier ist die Rolle der USA von entscheidender Bedeutung. Obwohl Präsident Obama Anfang Februar davor gewarnt hatte, eine Nation, die in der Mitte einer Wirtschaftskrise ist, noch weiter zu bedrängen, hielten sich die US-Behörden bedeckt. Daher behielten die europäischen Gläubiger Oberwasser – mit ihrer signifikanten Stimme im IWF-Exekutivdirektorium. Aber als dann ein Grexit real wurde, konnten die Amerikaner vor der Realität möglicher Turbulenzen auf den Finanzmärkten und geopolitischer Unruhen nicht mehr die Augen verschließen. Es stellt sich jetzt wohl so dar, dass die Entscheidung, die Analyse zur nicht ausreichenden Schuldentragfähigkeit Griechenlands zu veröffentlichen, auf Drängen von amerikanischer Seite erfolgt ist.

Erst am 7. Juli forderte US-Finanzminister Jack Lew von den europäischen Gläubigern einen höheren Schuldenerlass, und fast zeitgleich meldete sich die IWF-Direktorin Christine Lagarde mit einem nahezu identischen Statement zu Wort. Tatsächlich wurde die Wortwahl »Schuldenoperation« – der IWF-Code für Schuldenerlass – fallengelassen, und es wurde jetzt offen von »Umschuldung« gesprochen.


Was haben wir daraus zu lernen?

Die ökonomische Machbarkeit eines Programms für Griechenland, das ich auf Basis der IWF-Analysen vor einigen Wochen skizziert habe, halte ich nach wie vor für realistisch. Der Primärüberschuss sollte in Höhe von 0,5% des BIP für die nächsten drei Jahre beibehalten werden. Es sollte einen ausreichend großen Schuldenerlass geben, jetzt vorab und nicht als ein vages Versprechen auf eine spätere Entlastung. Damit a) wäre Griechenland nicht gezwungen, neues Geld von den institutionellen Kreditgebern zu leihen, um seine alten Kredite zurückzuzahlen; und b) wäre in drei Jahren die Schuldenlast so gering, dass Griechenland sich von privaten Geldgebern durch Pflichtwandelanleihen (sovereign contingent convertibles) Geld besorgen könnte, um die Kreditaufnahme zu begrenzen. Natürlich sei das politisch nicht durchzusetzen, werden jetzt sicherlich wieder viele einwenden.

Dass aber der IWF unter »politischen Restriktionen« agiert, ist viel beunruhigender. Die Erfahrungen der letzten Jahre sind eine Mahnung, dass der IWF im (oft fehlgeleiteten) Interesse der großen Anteilseigner handelt. Aus diesem Grund kann der IWF als eine technokratische Institution den Mächtigen gegenüber nicht auf den wahren Tatsachen beharren. Im Konfliktfall hat er den Befehlen zu gehorchen. Daher muss die Frage gestellt werden: Warum existiert der IWF, und für wen existiert er?

Was die Griechinnen und Griechen angeht, so waren ihre Probleme bis 2009 hausgemacht. Aber dann gerieten sie in die Falle eines Machtspiels, das eine eigene Dynamik entfaltete. In diesem Machtspiel handelte die Politik entgegen der Ökonomie. Das ist keine Überraschung, entstand doch der Euro in einem politischen Prozess, der die Ökonomie missachtete. Die vergangenen Jahre waren nur eine logische Fortsetzung dieser ökonomisch unlogischen Konstruktion.

Das Abkommen, das am 13. Juli ausgehandelt worden ist, widersetzt sich nach wie vor ökonomischer Logik, und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die Griechinnen und Griechen noch mehr zu leiden haben und die Gläubiger schlussendlich weniger von ihrem Geld sehen werden. Das ist die wirkliche griechische Tragödie.

Ashoka Mody ist Visiting Professor für Internationale Wirtschaftspolitik an der Woodrow Wilson School der Universität Princeton. Zuvor war er u.a. stellvertretender Direktor der Forschungsabteilung des Internationalen Währungsfonds. Er war verantwortlich für die Artikel-IV-Konsultationen des IWF mit Deutschland, Irland, der Schweiz und Ungarn und auch für die Gestaltung des Rettungsprogramms für Irland. Er schreibt regelmäßig auf dem Blog bei Bruegel, einem internationalen Think Tank mit Sitz in Brüssel. Dort ist sein Beitrag unter dem Titel Professor Blanchard Writes a Greek Tragedy am 14. Juli 2015 erschienen. Aus dem Englischen von Hinrich Kuhls.

[1] Blanchard, Olivier: Greece: Past Critiques and the Path Forward, iMFdirect, 9.7.2015. Deutsche Version: Griechenland: Kritikpunkte der Vergangenheit und der Weg in die Zukunft.
[2] Schadler, Susan: Unsustainable Debt and the Political Economy of Lending: Contraining the IMF's Role in Sovereign Debt Crises. CIGI Papers No. 19, October 2013.
[3] The Fund's Lending Framework and Sovereign Debt – Preliminary Considerations, May 22, 2014 for the Executive Board's consideration on June 13, 2014.
[4] Blanchard, Olivier/Leigh, Daniel: Growth Forecast Errors and Fiscal Multipliers. IMF Working Papers 2013/1, January 2013.
[5] Eyraud, Luc/Weber, Anke (2013): The Challenge of Debt Reduction during Fiscal Consolidation. IMF Working Papers 2013/63, March 2013.
[6] International Monetary Fund: Greece. Ex Post Evaluation of Exceptional Access under the 2010 Stand-By Arrangement. IMF Staff Country Reports 2013/156, June 2013.
[7] International Monetary Fund: Greece: Preliminary Draft Debt Sustainability Analysis (DSA); June 26 2015; IMF Country Report No. 2015/165.

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