15. Februar 2010 Joachim Bischoff /Norbert Weber

Ein neue Phase der großen Krise

Die meisten Regierungen und Notenbanken der entwickelten kapitalistischen Länder haben in den letzten beiden Jahren, gestützt auf ihre hohe Kreditwürdigkeit auf den internationalen Finanzmärkten, massiv gegen die große globale Krise interveniert. Die Konsequenz: In ihrer Funktion als letzter Kreditgeber wurden die öffentlichen Ausgaben massiv ausgeweitet und die Notenbanken haben gleichfalls ohne Rücksicht auf ihre Bilanzen reichlich Liquidität zur Verfügung gestellt.

Das Ergebnis kann sich unter dem Strich sehen lassen: Banken und Finanzinstitute wurden aus dem Krisenschlamassel herausmanövriert und die Abwärtsspirale der Konjunktur gestoppt. Allerdings haben die Akteure auf den Finanzmärkten einige Staaten mittlerweile selbst als potenziell neue Krisenherde ausgemacht. Viel Anleger fragen und prüfen, ob Staatsanleihen in jedem Fall noch ein sicherer Hafen für die Geldanlage sind.

Hier muss differenziert werden: Die Flucht in Staatsanleihen während der Finanzkrise hat dazu geführt, dass die Renditen von 10-jährigen Government Bonds im Vergleich zur vergangenen Dekade auf Tiefststände gesunken sind - und mit Ausnahme der "PIIGS" bis heute zumeist noch immer auf sehr tiefem Niveau stehen. Die fünf Buchstaben PIIGS stehen für das Quintett der europäischen Wackelkandidaten Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien - deren Staatspapiere kamen zuletzt deutlich unter Druck.

Die Schweiz und Deutschland gelten weiter als Hort der Sicherheit und erhalten von den Rating-Agenturen nach wie vor die höchste Einstufung, nämlich das "AAA" für ihre Schuldscheine. Anders sieht es bereits bei den USA und Japan aus. Der Ruf der Vereinigten Staaten ist angeknackst, über eine Herabstufung wird offen debattiert. Japan hat das Top-Rating "AAA" längst verloren, was angesichts von Schulden von weit über 200% des BIP - klar mehr als bei Portugal, Spanien oder Italien - nicht verwundert. Im Zentrum der Panikattacken stehen dennoch die "PIIGS". Mit Ausnahme von Griechenland genießen diese Staaten bei den Rating-Agenturen jedoch noch eine gute Bonität von "AA+" bis "A+".

Der Hintergrund dieser Entwicklung ist die jüngste Schuldenexplosion. Die Höhe der Staatsschulden der kapitalistischen Hauptländer droht über den Umfang hinauszuwachsen, der mit normaler Schuldenrückführung ohne Hilfe von Zahlungsausfällen oder Inflation zu bewältigen wäre. Nach einer Schätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) wird der Schuldenberg der kapitalistischen Metropolen von 78% des Bruttoinlandsproduktes auf 106% in diesem Jahr und 114% im Jahr 2014 steigen. In den Vereinigten Staaten wird die Schuldenquote dieses Jahr auf 60% und bis 2020 auf 87% der Wirtschaftskraft klettern. "Aus fiskalpolitischer Sicht ist die Volkswirtschaft in einer Situation, als ob sie gerade den dritten Weltkrieg überstanden hätte", heißt es in einer Studie der Investmentbank Morgan Stanley.

Welche Chance haben die Länder, diese Schuldenlast abzutragen? Die Möglichkeiten, die Regierungen und Notenbanken haben, hängen von der fiskal-, geld- und währungspolitischen Souveränität eines Staates ab. Auch ist entscheidend, ob die Schulden auf Fremdwährung oder eigene Währung lauten und wie lange die Laufzeit der Schuldtitel ist.

Vor allem Griechenland ist vor diesem Hintergrund ins Zentrum von Befürchtungen über die Sicherheit des Ankaufs von Staatsanleihen gerückt. 2009 lag das Haushaltsdefizit in Griechenland bei knapp13%, der Schuldenstand erreicht demnächst 125% des Bruttoinlandsprodukts. Schuldtitel von Griechenland werden zudem nach Angaben der Deutschen Bank zu 88,1 Prozent im Ausland gehalten. Griechenland wird vom Internationalen Währungsfonds und von der EU unter Druck gesetzt, durch eine rigoroses Sparprogramm die öffentlichen Finanzen zu sanieren. Laut dem von der EU-Kommission gebilligten Programm wird Griechenland unter Aufsicht das Defizit im Staatshaushalt von 12% des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2009 im laufenden Jahr um 4 % reduzieren, um letztlich im Jahr 2012 bei unter 3% anzulangen.

Hilft diese fiskalpolitische Disziplin? Dies ist nicht der Fall und die internationalen Finanzmarktakteure werden ihre Skepsis gegenüber Griechenland und den anderen "PIIGS-Staaten" nicht aufgeben. Denn eine so massive Senkung des Haushaltsdefizits führt zu niedrigerem Wachstum und deshalb überzeugt die Absicht der Senkung der Schuldenquote wenig. Dies ist umso mehr der Fall, wenn ein Land wie Griechenland kein ausreichendes Inlandswachstum generieren kann.

Griechenland und die anderen PIIGS-Staaten mit der roten Schuldenlaterne setzen durch ihre ökonomischen Probleme die gesamte Euro-Zone unter Druck. Denn die Akteure auf den Finanzmärkten haben nicht nur Griechenland und - partiell - die anderen PIIGS-Staaten angegriffen, sondern auch den Euro und damit weitere Euro-Staaten angegriffen. Die Überschuldung der PIIGS und deren Krise sind so zu einem Problem für den ganzen Euro-Raum geworden.

Die Staats- und Regierungschefs der Eurozone haben Griechenland nach einem Sondergipfel Mitte Februar zwar keine konkreten Zusagen der Unterstützung gemacht, aber grundsätzlich Unterstützung in Aussicht gestellt, wenn es seine Staatsschulden nicht mehr refinanzieren kann. Mit dieser Doppelstrategie versucht die EU, eine Beruhigung zu erreichen. Dies soll tatsächlichen Beistand möglichst unnötig machen. Den nächsten größeren Refinanzierungsbedarf hat die griechische Regierung ohnehin erst im April. Bis dahin kann sie die Märkte vielleicht von ihrem Sanierungskurs überzeugen. Dennoch geht die EU weiter als je zuvor: Sie hält erstmals schriftlich fest, was bisher nur implizit klar war: Im Notfall gibt es Hilfe.

Einerseits ist Griechenland ein Sonderfall, weil u.a. der ausgewiesene Fehlbetrag der öffentlichen Haushalte plötzlich massiv nach oben revidiert werden musste. Andererseits sind alle entwickelten kapitalistischen Länder - in unterschiedlichem Ausmaß - von sinkenden Steuereinnahmen getroffen worden. Der Großteil dieser Staaten hat zudem durch eine Steigerung der Staatsausgaben die große Wirtschaftskrise bekämpft. Wir werden also noch längere Zeit mit Umbrüchen auf den Währungs- und Kreditmärkten zu tun haben.

Werden sich die Akteure auf den Finanzmärkten beruhigen lassen? Alle größeren europäischen Versicherer haben Staatsanleihen der "PIIGS-Staaten" im Portfolio. Die Finanzkrise, ausgelöst durch eine maßlose Expansion des privaten und öffentlichen Kredits, hat in der Tat eine langjährig aufgestaute Überakkumulationskrise aufgedeckt. Die große Krise ist nicht vorbei, sie ist in eine neue Phase getreten. Jetzt stehen die Währungsrelationen und die Staatsschulden im Zentrum der Aufmerksamkeit .Weltweit ist zwar Vermögen in unvorstellbarer Höhe durch das Platzen der Kreditblase vernichtet worden, aber eine Redimensionierung des Finanzüberbaus ist nur in kleinem Ausmaß erfolgt.

Anstatt die Finanzmärkte und Banken endlich zu reglementieren, sowie eine Politik der geordneten Abschreibung einzuleiten, wird jetzt, wie im Fall Griechenland, die Realökonomie weiter stranguliert. Statt Gesetze in die Wege zu leiten, um die Banken, also die Verursacher und Brandstifter der Krise, für den von ihnen angerichteten Schaden aufkommen zu lassen, sehen Politiker nahezu tatenlos zu. Gleichzeitig geht man dazu über, Beschäftigte und auf öffentliche Unterstützung angewiesene BürgerInnen, die sich nicht wehren können, für die Kosten der Krise aufkommen zu lassen.

Und was tun die Banken? Sie machen fleißig weiter und wetten nunmehr auf ganze Länder und deren Volkswirtschaften.

Die den Banken hierzu weltweit genehmigten Instrumente nennt man CDS "Credit Default Swaps", eine Art Kreditversicherung. Selbst Warren Buffett warnte Anfang der 1990er Jahre vor der Genehmigung solcher CDS, die Buffet als "finanzielle Massenvernichtungswaffen" bezeichnet. Genehmigt wurden sie trotzdem. Im konkreten Falle Griechenlands kostet es derzeit 34 000 Euro, um eine Summe von 1 Mio. Euro mit einer Laufzeit von 5 Jahren für den Fall des Bankrotts Griechenlands abzusichern.

Die Finanzspekulation trifft jedoch nicht nur Griechenland, sondern die ganze Währungsgemeinschaft. An der für den Handel mit Währungsderivaten maßgeblichen Chicagoer Terminbörse CME halten Finanzakteure (Non-Commercials) so viele Short-Kontrakte auf den Euro wie im Herbst 2008.

Man muss sich die erneut ausgebrochene Spekulation wie folgt vorstellen: Jemand kauft eine Kfz-Vollkaskoversicherungsvertrag, besitzt aber gar nicht das Fahrzeug. Benötigt er auch nicht, denn er wettet auf den Totalcrash. Im Gegensatz zur Kfz-Vollkaskoversicherung wird bei den CDS in jedem Fall ein Betrag geleistet , egal ob ein Schaden eintritt oder nicht. Je teurer ein Schaden aus dem Crash, auf den gewettet wird, desto mehr wird gezahlt, desto höher ist die "Rendite" aus dem investierten Kapitaleinsatz.

Nun haben sich diese Investmentzocker einzelne EU-Mitgliedsländer vorgenommen. Sie wetten auf den "Totalcrash" der Volkswirtschaften. Die Folgen für die Weltgemeinschaft sind unabsehbar.

An dieser Stelle müssen drei Gründe für die Fortführung der Finanzcasinooperationen im Falle Griechenlands angeführt werden:

  1. Regierungsverantwortung. Seit Jahren wechseln sich einige wenige Familien-Clans bei der Regierungsverantwortung ab. Vetternwirtschaft, Korruption, offene Abhängigkeiten lassen keinen Raum für "wirkliche demokratische Kontrolle und Gestaltung ".
  2. Steuerehrlichkeit. In der Folge großen Wirtschaftskrise in den 1930er Jahren wurden hohe Einkommen und Vermögen stark besteuert. Mittlerweile ist von dieser Begrenzung von leistungslosen Einkommen wenig übrig geblieben. Zudem hat sich ein Verfall des Steuervollzugs und eine Tendenz zur Steuerhinterziehung ausgebreitet. Steuerlich gesehen verdienen selbst Spitzen-Freiberufler "kaum mehr als das Existenzminimum". Selbst Mediziner, Steuerberater oder Anwälte geben in ihrer Steuererklärung selten mehr 20.000 bis 30.000 Euro Einkommen im Jahr an, oft gar weniger als 1.000 Euro steuerliches Jahreseinkommen.
  3. Investmentbanken. Wie in den letzten Tagen zu erfahren war, hat die US-Investmentbank Goldman-Sachs den Staat Griechenland seit Jahren beraten und "kreativ" Zahlenmanagement betrieben. Ergebnis dieser Strategie ist, dass der tatsächliche Verschuldungsgrad des Landes über Jahre verschleiert wurde, die wirkliche Lage vertuscht werden konnte. Dieses bot den Zockerbankern überhaupt erst den Boden für ihre derzeitigen Casino-Wetten.

Das Ergebnis aus weltwirtschaftlicher Sicht ist, dass der US-Dollar gegenüber dem Euro ordentlich aufgeholt hat, der US-Dollar wohl zeitweilig wieder als Leitwährung angesehen wird. Auf die Frage, ob die USA aufgrund ihres hohen Haushaltsdefizits und der steigenden Staatsschulden die höchste zu vergebende Bonitätsnote, das "AAA"-Rating, verlieren könnte, antwortete US-Finanzminister Geithner "Nein, das wird nie passieren". Solche vehementen Dementis sind allerdings genau soviel wert wie die Behauptung, dass eine Investmentbank vom Kaliber Lehman niemals in die Insolvenz gehen könnte. Denn über eine Herabstufung des US-Ratings wird an den Finanzmärkten längst spekuliert.

 

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