21. September 2015 Joachim Bischoff / Björn Radke: Ein klarer Auftrag der Wahlbevölkerung

»Ein Weg von Arbeit und Kampf« (Alexis Tsipras)

In Griechenland zeichnet sich nach einem klaren Wahlsieg des Linksbündnisses von Alexis Tsipras eine zügige Regierungsbildung ab. Die bisherige Koalition der linken Syriza und der rechtspopulistischen »Unabhängigen Griechen« soll fortgeführt werden. Die Koalitionsmehrheit beträgt 155 von 300 Parlamentssitzen. Tsipras sagte vor jubelnden AnhängerInnen, seine Partei habe jetzt ein neues und klares Mandat für eine vierjährige Amtszeit.

Kurz nach Vorliegen der ersten Hochrechnungen twitterte der alte und wohl auch neue Ministerpräsident: »Vor uns öffnet sich ein Weg von Arbeit und Kampf.« Die neue Regierung hat die Absicht bekräftigt, die Vereinbarungen mit den europäischen Geldgebern konsequent umzusetzen und mit Blick auf die Nöte der unteren sozialen Schichten einen umfassenden Modernisierungsprozess einzuleiten.[1]

Die Syriza-Partei kommt auf 35,5% und – inklusive der 50 Bonus-Sitze für die stärkste Fraktion – auf 145 der 300 Sitze im Parlament. Die konservative Nea Dimokratia erreichte 28,1%, was 75 Sitzen entspricht. Der wahrscheinliche Syriza-Koalitionspartner, die »Unabhängigen Griechen«, erhielt 3,7% der Stimmen und damit zehn Mandate. Um alleine regieren zu können, wären rund 38% der Stimmen erforderlich gewesen. Drittstärkste Kraft ist die faschistische »Goldene Morgenröte« mit 7% und 18 Sitzen. Insgesamt ziehen acht Parteien ins Parlament ein. Die Wahlbeteiligung lag bei 56,5%. Im Januar waren es noch 63,6%.

Die Wahlbeteiligung ist deutlich zurückgegangen. Auch für Griechenland ist festzuhalten, dass vor allem die unteren sozialen Schichten sich aus der politischen Willensbildung ausklinken. Als wichtiges Faktum bleibt gleichwohl festzuhalten: Das Parteien- und politische System ist nicht implodiert. Die Wahlergebnisse belegen deutlich, dass es in Griechenland fast wie zu Vorkrisenzeiten nur zwei Volksparteien gibt und ansonsten ein halbes Dutzend politische Kleinpartien mit einer Unterstützung im einstelligen Prozentbereich. Syriza liegt als stärkste Kraft deutlich vorn – auch weil sie die Abspaltung von Panagiotis Lafazanis und seinen Leuten besser verkraftet hat als erwartet. Hinter der rechtsextremen Partei folgen die Kommunisten, die um die Demokratische Linke verstärkte PASOK und To Potami.

Die neue Regierung wird bei Amtsantritt bereits wieder unter erheblichem Druck von Sanierungsmaßnahmen stehen. Sie muss schon im Oktober die Sparmaßnahmen und Privatisierungen durchsetzen, denen das letzte Parlament zugestimmt hatte. Anderenfalls werden die nächsten Tranchen aus dem Hilfspaket nicht nach Athen fließen, auf die das Land angewiesen ist. Wegen einer parteiinternen Rebellion brachte Ministerpräsident Alexis Tsipras die Vorlagen nur mit Unterstützung der Opposition durch das Parlament. Er trat in der Folge zurück und erzwang damit Neuwahlen.

Die Neuwahlen waren unvermeidlich, weil der linke Flügel des Linksbündnisses die Vereinbarung eines Dritten Memorandums mit breiter Unterstützung von europäischen Linkspolitikern (Jean-Luc Mélanchon, Oskar Lafontaine, Steffano Fassina) als Kapitulation vor dem Neoliberalismus bekämpfte. Der frühere Finanzminister Yanis Varoufakis rief dazu auf, für die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) oder eine der kleineren Parteien zu stimmen. Er erklärte, dass er für die neugegründete Partei »Laiki Enotita« (Volkseinheit) stimmen wird.

Seine Unterstützung gelte vor allem zwei Mitgliedern: Nadia Valavani (61), ehemalige stellvertretende Finanzministerin, und Kostas Isichos, ehemaliger stellvertretender Verteidigungsminister. Varoufakis lobte die beiden für ihre Moral sowie ihre Arbeitsmoral. Er hob besonders ihre konstante Haltung gegen Korruption und für die Verteidigung der nationalen Souveränität Griechenlands hervor. Der politische Sinn der Neuwahlen müsse sein, die Legitimation der Kapitulation vor den europäischen Geldgebern herabzusetzen. Gleichwohl blieb die »Volkseinheit« mit 2,8% unter der 3%-Grenze und zog nichts ins Parlament ein.

In einer ersten Rede erklärte Alexis Tsipras nach der Wahl, jetzt würden die Ärmel hochgekrempelt und hart gearbeitet. Griechenland habe wegen des Sparprogramms schwierige Zeiten vor sich. Um aus der Krise zu kommen, gebe es keine »magischen Lösungen«. Er versprach, die sozial Schwachen zu schützen.

Zunächst geht es um die weitere Stabilisierung der Ökonomie und die Fortführung des Kampfes gegen die humanitäre Katastrophe. Trotz einer schwierigen Ausgangslage, die durch die Flüchtlingsbewegung weiter verschärft wurde, ist Pessimismus keine Option. Auch wenn es ein Großteil der politischen Linken in Europa nicht wahrhaben will: Es gibt auch positive Ansatzpunkte.

Die Bankenschließungen führten zu keinen Massenentlassungen und die Kapitalverkehrskontrollen sind zwar eine Einschränkung, haben den Wirtschaftsprozess aber nicht blockiert. Der zentrale Wirtschaftssektor Tourismus hat eine gute Saison hinter sich, und der Staatsbankrott ist abgewendet. Die internationalen Geldgeber haben angekündigt, über die Tragfähigkeit der griechischen Schulden zu diskutieren.

Die Euro-Gruppe hat zudem zugesagt, nach einer erfolgreichen Zwischenprüfung die Gewährung von Schuldenerleichterungen zu prüfen. Zwar schließt sie einen nominalen Schuldenschnitt (»hair cut«) weiterhin aus. Doch sie ist bereit, über Schritte wie die Verlängerung der Laufzeiten und der tilgungsfreien Zeiten europäischer Hilfskredite zu reden.

Statt primär die Sanierung des Staatshaushaltes über Steuererhöhungen und Leistungskürzungen durchzusetzen, ist auch ein Wachstumsprogramm aus einem kleinen Teil der im EU-Haushalt bereit gestellten 35 Mrd. Euro vorgesehen. Diese Investitionen sollen dazu beitragen, die Spar- und Reformmaßnahmen in Griechenland in einen Wachstumsprozess einzubinden. Immerhin bedeuten die gleichfalls beschlossenen und weiter zu beschließenden Kürzungsmaßnahmen – Steuervorteile für die Inseln und vor allem Neuordnung des Rentensystems – nicht zwangsläufig, dass die griechische Ökonomie weiter schrumpfen wird.

Der dritte anstehende Schritt ist die Rekapitalisierung der vier großen griechischen Banken, deren Bedarf die europäische Bankenaufsicht (SSM) derzeit ermittelt. Das Programm sieht hierfür bis zu 25 Mrd. Euro vor, doch 15 Mrd. Euro davon können erst nach der ersten Überprüfung freigegeben werden.

Politisch entscheidend ist, ob sich aus dem Wahlergebnis eine Machtkonstellation ergibt, die das alte System der Oligarchen aufbrechen und die staatlichen Strukturen modernisieren kann. Nicht nur unter diesem Blickwinkel war die Politik der Troika bzw. der Institutionen wenig hilfreich. Die hat sich nicht auf die Oligarchen konzentriert, sondern auf Dinge wie Regulierung des Brot-Marktes oder Definitionen von Frischmilch, alles interessante Dinge, aber keine Angelegenheiten, die die Struktur des Landes fundamental ändern werden.

[1] Eine ausführliche Analyse erscheint im Oktober-Heft von Sozialismus, das nächste Woche ausgeliefert wird. Wir verweisen auch auf unsere Buchveröffentlichung »Isch over«? Griechenland und die Eurozone. Das Buch erscheint in den nächsten Tagen.

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