3. Juli 2016 Otto König / Richard Detje: Kolumbien – Guerilla und Regierung schließen Waffenstillstand

Ende des längsten Bürgerkrieges in Lateinamerika

Der 22. Juni war »der letzte Tag dieses Krieges«, so die Botschaft aus Havanna. Nach mehr als 50 Jahren Krieg reichten sich Präsident Juan Manuel Santos Calderón und Comandante Timoleón Jiménez die Hände. Die Regierung der Republik Kolumbien und die FARC-EP einigten sich in der kubanischen Hauptstadt auf einen – so die Ankündigung: dauerhaften – Waffenstillstand.

Es handelt sich um einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zu einem Friedensabkommen,[1] das einen Krieg beendet, der einmal – wie Eric Hobsbawm schrieb – »die größte bewaffnete Bauernmobilisierung der neueren Geschichte in der westlichen Hemisphäre« war. Doch dieser Krieg hatte Richtung und Ziel verloren hatte«, so der frühere Tupamaro-Guerillero und ehemalige uruguayische Präsident Jose Mujica.

Die Guerilla war geschwächt, aber militärisch nicht besiegt, was ihr am Verhandlungstisch eine gewisse Stärke verlieh, jedoch gesamtgesellschaftlich eher marginalisiert und von der Umsetzung ihrer politischen Ziele weit entfernt.[2] Bereits vor einem knappen Jahr hatte sie einen einseitigen Waffenstillstand verkündet.

Auch in der Regierung, insbesondere bei Präsident Santos, der unter seinem Amtsvorgänger Álvaro Uribe Vélez noch als einer der härtesten Militärstrategen im Kampf gegen die FARC galt, setzte sich wohl die Erkenntnis durch, dass trotz einer mit Hilfe der USA hochgerüsteten Kriegsmaschinerie der Krieg nicht zu gewinnen ist. Die verheerende Bilanz: Nach Angaben des »Historischen Zentrums der Erinnerung« Kolumbiens gab es in den seit Anfang der 1960er Jahre stattfindenden Kämpfen zwischen den kolumbianischen Streitkräften und Paramilitärs einerseits sowie der FARC-Guerillera und der Nationalen Befreiungsarmee ELN[3] andererseits rund 6,5 Millionen Opfer. 5,7 Millionen Menschen wurden vertrieben und 220.000 Menschen getötet. Zudem sind 25.000 Personen verschwunden, 27.000 Menschen wurden entführt.

Im Zentrum des Abkommens steht neben der Einstellung der Kriegshandlungen die Demobilisierung sowie Sicherheitsgarantien für die Guerilleros. Die rund 6.500 FARC-Kämpfer und mehr als 8.000 Milizionäre sollen in den kommenden Monaten in 22 Sonderzonen des Landes unter Aufsicht der Vereinten Nationen (UN) und der Gemeinschaft lateinamerikanischer und karibischer Staaten (CELAC) ihre Waffen abgeben. Spätestens 180 Tage nach Vertragsunterzeichnung soll dieser Prozess abgeschlossen sein.

Im Gegenzug verpflichtet sich die Regierung, die demobilisierten KämpferInnen, aber auch linke Aktivisten und Politiker zu schützen. Zu diesem Zweck wurde die Bildung einer gemischten Einheit aus staatlichen Sicherheitskräften und bewaffneten Ex-Guerilleros vereinbart. Eine unabdingbare Forderung der FARC aufgrund der bitteren Erfahrungen Mitte der 1980er Jahre nach den Friedensverhandlungen mit der Regierung von Präsident Belisario Betancur (1982-1986).

Nach dem damaligen Friedensabkommen wagte die Guerilla den Schritt aus der Illegalität und gründete mit Aktivisten verschiedener linker Parteien die »Unión Patriótica« (UP). Bei den Wahlen 1986 errang sie 14 Senatoren, 20 Abgeordnete, 23 Bürgermeister und über 300 Gemeinderäte. In dem darauf von extremen Rechten ausgelösten Vernichtungskrieg wurden rund 5.000 UP-Mitglieder ermordet, darunter auch der UP-Präsidentschaftskandidat von 1986, Jaime Pardo Leal. Um zu überleben, gingen die führenden Köpfe der Partei erneut in den Untergrund.

Neben der Abgabe der Sicherheitsgarantien verpflichtet sich die Santos-Regierung nun in Bogotà, die paramilitärischen Strukturen krimineller Organisationen in Kolumbien zu bekämpfen. In einem gemeinsamen Kommuniqué bezeichnen beide Konfliktparteien diese Organisationen als »Nachfolger des Paramilitarismus und seiner Unterstützernetzwerke«. Die paramilitärischen Gruppen organisierten sich in den 1980/90er Jahren auf nationaler Ebene als Vereinigte Bürgerwehren Kolumbiens (Autodefensas Unidas de Colombia) und wurden nach der Jahrtausendwende demobilisiert.

Ihre Nachfolger, die »bacrim« (bandas criminales), so bezeichnet sie die Santos-Regierung, setzten die mörderische Repression fort. Ihre Aufgaben sind, die Interessen von Oligarchen, transnationalen Konzernen und Drogenhändlern durch die physische Vernichtung oppositioneller Kräfte und die Vertreibung indigener Gruppen und Bauern durchzusetzen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Unternehmer zur Sicherstellung ihrer Profite diese Gruppierungen beispielsweise zur Niederschlagung von Streiks nutzen. Einem Bericht des »Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen« (UNDP) zufolge wurden in Kolumbien zwischen 1984 und Februar 2012 rund 2.888 Gewerkschafter ermordet.[4]

Ein weiterer Bestandteil des Abkommens ist die »Verfolgung kriminellen Verhaltens, das die Umsetzung des Abkommens und den Aufbau des Friedens gefährden kann«. Tatsächlich steht Präsident Juan Manuel Santos mit dem von ihm vorgesehenen Referendum über den geplanten Friedensvertrag vor großen Herausforderungen. Denn die Abstimmung bietet rechten Kräften wie dem ehemaligen Staatschef Álvaro Uribe Vélez, der in seiner Amtszeit zwischen 2002 bis 2010 »mit harter Hand und großem Herz« der Guerilla ein Ende bereiten wollte und heute das Abkommen als »Kapitulation vor dem Terrorismus« verdammt, eine Chance, gegen den Frieden mit der Guerilla zu mobilisieren.

Uribes kompromisslose Ablehnung des Friedenabkommens ist wohl auch darin begründet, dass in seine Regierungszeit die schlimmsten Staatsverbrechen fallen. Aus einem von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) 2015 vorgelegten Bericht geht hervor, dass hochrangige kolumbianische Militärs in den Jahren 2002 bis 2008 an 3.000 bis 5.000 Morden von Zivilisten beteiligt waren. Die Armee lockte schutzlose Bewohner aus Armenvierteln mit dem Versprechen, sie bekämen Arbeit an abgelegene Orte, entführten und töteten sie, legten ihnen Kleidung an und fügten Waffen bei, um sie als »gefallene Guerilleros« zur Schau zu stellen. Mit der Praxis »falsos positivos« (falsche Gefallene) schönte das kolumbianische Militär die Statistik über die »im Kampf getöteten Guerilleros« (Amerika 21, 28.6.2015).

Schon im September vergangenen Jahres einigten sich die Unterhändler der kolumbianischen Regierung und der FARC-EP auf die Einsetzung einer »Kommission für die Aufklärung der Wahrheit, für das Zusammenleben und die Nichtwiederholung«, um die Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen des jahrzehntelangen Konflikts aufarbeiten. Das Gremium soll allerdings nur der Aufklärung und nicht der Strafverfolgung dienen.

Die Verhängung von Strafen gegen die Verantwortliche für schwere Delikte in den bewaffneten Konflikten fällt in die Kompetenz der noch einzurichtenden »Sonderrechtsprechung für den Frieden«. Diese künftig aus kolumbianischen Justizangestellten und ausländischen Experten zusammengesetzten »Tribunale des Friedens« sollen die Straflosigkeit beenden und zur Wiedergutmachung für die Opfer beitragen. Die FARC hob hervor, dass sich alle Beteiligten der Strafverfolgung unterwerfen müssen: »Kämpfer und Nichtkämpfer, Agenten des Staates, bislang Straflosigkeit genießende Paramilitärs, Politiker und den Paramilitarismus finanzierende, fördernde und organisierende Zivilisten«.

Die eigentliche Friedensarbeit für Kolumbien fängt nun erst an. Das Abkommen muss mehr als nur die Abwesenheit von Krieg gewährleisten. »Der Frieden bedarf eines neuen gesellschaftlichen Konsenses, der nicht nur im Abkommen aus Havanna festgehalten sein kann, sondern die gesamte Gesellschaft einschließt«, sagte Javier Calderón Castillo vom linken Bündnis »Marcha Patriótica«. Dennoch: Der Frieden eröffnet Möglichkeiten für die sozialen Bewegungen und kann einen demokratischen Prozess in Gang setzen.

Die FARC will ihren Kampf für eine andere Gesellschaft künftig als politische Partei fortsetzen. Die Guerilleros müssten die Chancen bekommen, »sich in der kommenden Wahlperiode der Bevölkerung zuzuwenden«, erklärte Comandante Rodrigo Londoño alias »Timochenko« in einem Interview mit der Zeitschrift Semana: »Wir wollen nicht nur die Waffen abgeben. Wir werden politisch mobilisieren.« (Lateinamerika Nachrichten, März 2016)

Mit der Transformation der FARC in eine politische Kraft ist bei den sozialen Bewegungen, den Gewerkschaften und der kolumbianischen Linken die Hoffnung verbunden, verlorenes politisches Terrain zurück zu gewinnen. Schon deshalb lohnt es sich, »dass Kolumbien eine neue Seite der Geschichte aufschlägt« (Josè Mujica).

[1] Die Friedensgespräche begannen am 18. Oktober 2012 in Norwegen. Die Verhandlungen wurden unter Beteiligung der Garantiemächte Kuba und Norwegen auf Kuba fortgesetzt.
[2] Die ersten kommunistischen Selbstverteidigungsgruppierungen bildeten sich 1949 vor dem Hintergrund der von den Konservativen ausgehenden Gewalt auf dem Lande. Die »Violencia« zwischen 1948 und 1964 war ein Kampf zwischen einfachen Bauern und Großgrundbesitzern um die Nutzung der Ländereien. Als Antwort auf die Gewalt der Herrschenden schlossen sich 1964 diverse Bauernselbstverteidigungen zu den »Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Ejército del Pueblo« (FARC) zusammen. Während die FARC sich stärker an der Kommunistischen Partei orientierte, war die zur gleichen Zeit gegründete »Nationale Befreiungsarmee« (ELN) mehr von den Theorien Che Guevaras beeinflusst (vgl. Raul Zelik/Dario N. Azzellini: Kolumbien, Köln 1990).
[3] Nach zwei Jahren Sondierungsgesprächen verkündete am 30. März 2016 die zweitgrößte Guerilla ELN und die Regierung in der venezolanischen Hauptstadt Caracas den Beginn von offiziellen Friedensverhandlungen. Die im Mai in Ecuador begonnenen Gespräche hat die Regierung Santos jedoch auf Eis gelegt, bis die ELN ihre Gefangenen freilasse.
[4] Dario Azzellini: Paramilitarismus – Der illegale bewaffnete Arm der Eliten und des Kapitals, Amerika 21, 21.6.2016.

 

 

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