21. Juli 2011 Redaktion Sozialismus: Leiharbeit und Geringverdienende nehmen zu

Es trifft vor allem die Ärmeren

Jetzt ist es auch amtlich: Das »German Miracle«, d.h. der beeindruckende Aufstieg aus der schweren Wirtschafts- und Finanzkrise, basiert vor allem auf der Ausweitung prekärer Beschäftigung und weiteren gravierenden Einkommensverlusten der abhängig Beschäftigten.

Den deutschen Unternehmen geht es wieder gut. Nach der Wirtschaftskrise hat die Konjunktur längst Tritt gefasst. Im vergangenen Jahr legte die Wirtschaftsleistung bundesweit um 3,6% zu. Dieser Aufschwung stützt sich auf die Arbeitsleistung von Millionen Erwerbstätigen, die freilich an diesem Erfolg nicht teilhaben.

Zwei aktuelle Studien, eine des Statistischen Bundesamts über »atypische Beschäftigungformen«, vor allem Leiharbeit, die andere des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) über gravierende Einkommensverluste von GeringverdienerInnen, machen auch empirisch eine Entwicklung deutlich, die der französische Soziologe Robert Castel als massive »Krise der Arbeit« beschreibt.

Das Statistische Bundesamt titelt den Tatbestand dezent mit »Beschäftigungszuwachs 2010 zu Teilen von Zeitarbeit getragen«. Die vorgelegte Zahlen sprechen eine deutlichere Sprache: Von dem, was die Statistiker »atypische Beschäftigung« nennen, also Leiharbeit, geringfügige Beschäftigung, Teilzeitjobs und befristete Stellen, sind im Jahr 2010 auf insgesamt 7,84 Millionen Menschen (von insgesamt 30,9 Millionen Beschäftigten) betroffen. Mehr als ein Viertel aller Erwerbstätigen ist im prekären und vor allem Niedriglohnbereich beschäftigt.

Der gern als Erfolg der politischen Klasse reklamierte Beschäftigungszuwachs von 2009 zu 2010 von rund 322.000 Personen beruht zu drei Viertel auf neu geschaffenen Beschäftigungsverhältnissen in diesem Bereich: 243.000 Menschen mehr arbeiten als befristet Beschäftigte, in Teilzeit, geringfügig Beschäftig oder als Leiharbeitnehmer. Der Zuwachs um 32% von 2009 auf 2010 ist im letzten Bereich am höchsten, allein Leiharbeit »trug« mehr als die Hälfte des Beschäftigungszuwachses (57%) in diesem Zeitraum, wie das Statistische Bundesamt es ausdrückt.

Der Hinweis, dass LeiharbeiterInnen »die negativen Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise am stärksten« zu spüren bekommen haben und ihre Zahl im Vorjahr um 8,5% gefallen ist, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der so genannte Aufschwung, was die Beschäftigung betrifft, auf Entwicklungen basiert, die eine langfristige Tendenz ausdrücken und eine drastische »Krise der Lohnarbeit« signalisieren (siehe hierzu ausführlicher Joachim Bischoff u.a., Die Große Krise, Hamburg 2010). Selbst wenn die Daten bei Frauen einen höheren Anstieg von Normalarbeitsverhältnissen anzeigen, bleibt das Fakt, dass auch im Jahr 2010 Frauen deutlich häufiger in prekären Beschäftungsverhältnissen arbeiten als Männer, ihr Anteil an allen Beschäftigten liegt bei 37,2%, der entsprechende der Männer bei »nur« 14,5%.

Die Folgen dieser nunmehr auch »amtlich« bestätigten Entwicklung macht die Studie deutlich, die der DIW-Forscher Markus Grabka in Sonderauswertung der Daten des Sozialökonomischen Panels zusammengestellt hat: »Löhne von Geringverdienern sinken trotz Aufschwungs« titelte die Online-Ausgabe der »Tagesschau« (in der die folgende Infografik veröffentlich wurde). Auch hier dokumentieren die nackten Zahlen eine deutliche Entwicklung: Nicht nur die Nettolöhne der eh schon gebeutelten geringverdienenden Menschen sind weiter gesunken (bei denen um bis zu 22%), sondern das Nettoeinkommen sämtlicher Beschäftigter ist seit dem Jahr 2000 insgesamt um 2,5% zurückgegangen, während die »Wirtschaft« im gleichen Zeitraum um mehr als 16% wuchs. Erst ab einem Gehalt von rund 1.400 Euro pro Monat blieben die Verdienste stabil oder legten sogar etwas zu. So hatte sich die höchste Einkommensgruppe mit durchschnittlich 3.419 Euro im Jahr 2000 zehn Jahre später auf monatlich 3.446 Euro verbessert. Ulrike Herrmann spitzt das in der taz zu Recht zu: »Deutschland ist eine Klassengesellschaft, in der Vermögende und Arbeitnehmer auseinander driften.«


Als Gründe nennt Markus Grabka, der gemeinsam mit Joachim Frick vom DIW regelmäßig zu Armut und Reichtum forscht und publiziert, vor allem die Zunahme von Leiharbeit und Minijobs, die sich in Folge mit den Hartz-Arbeitsmarkt»reformen« massiv ausweiteten. Grabka macht zugleich auf einen Aspekt aufmerksam, der für GewerkschafterInnen ein besonderes Gewicht haben muss: »Das Credo der letzten zehn Jahre war die Arbeitsplatzsicherheit. Die Lohnsteigerung ist klar hinter den Produktivitätszuwächsen und dementsprechend hinter dem Verteilungsspielraum zurückgeblieben.«

Zu Recht weist allerdings der Bereichsleiter Betriebs- und Branchenpolitik der IG Metall, Peter Donath, darauf hin, dass eine Schuldzuweisung an die Gewerkschaften das Problem nicht trifft: »Es ist geradezu zynisch, wenn unter Hinweis auf die starke Verbreitung von Leiharbeit, Befristung und Werkverträgen – mit vielfach damit einhergehenden Niedriglöhnen – allein auf die Tarifvertragsparteien verwiesen wird. Staatliche Rahmenregelungen sollten dazu beitragen, die Handlungsfähigkeit der Gewerkschaften und damit der Tarifautonomie zu stärken.« (Mitbestimmung 7+8/2011, S. 24)

Und zu Recht kritisiert die IG Metall insgesamt die Auswüchse des Niedriglohnsektors als Armutszeugnis für die Politik: »Wenn Arbeit zur Ramschware wird, hat die Politik eindeutig versagt. Wir brauchen eine faire Ordnung auf dem Arbeitsmarkt. Wenn von 40 Millionen Erwerbstätigen sieben Millionen in Minijobs arbeiten, hat die Politik die Reformschraube überdreht«, so der Erste Vorsitzende der Gewerkschaft Berthold Huber.

Es gibt aber keine faire Ordnung mehr auf dem Arbeitsmarkt und wegen der damit verbundenen massiven Schwächung der Gewerkschaften wird die politische Ökonomie des Lohnes mehr und mehr unterlaufen. Berthold Huber weist zudem darauf hin, dass sich mit derartigen prekären Beschäftigungsarten keine Fachkräftebasis sichern lässt. Mehr Regulierung bedeutet nach Auffassung der IG Metall nicht weniger Wirtschaftswachstum, sondern vor allem mehr Sicherheit. Die Bundesregierung hat ihre Hausaufgaben bei der Schieflage der Einkommen noch nicht gemacht.

Die schwarz-gelbe Bundesregierung denkt allerdings keineswegs über Korrekturen nach. Im Gegenteil: sie vergrößert den Druck auf die Beschäftigten und vertieft damit die soziale Spaltung der Gesellschaft. In diese Richtung geht das Sparpaket im Bereich der Arbeitsmarktpolitik: Die Bundesregierung will von 2011 bis 2015 direkt mehr als 20 Milliarden und indirekt (über den Wegfall eines halben Mehrwertsteuerpunktes für die Bundesagentur für Arbeit) ebenfalls bis 2015 weitere zwölf Milliarden Euro in der Arbeitsmarktpolitik streichen.

Die Verlierer dieser Politik sind die Langzeitarbeitslosen, die Geringqualifizierten, die nicht genutzten Arbeitsmarktpotenziale und schließlich die BürgerInnen in prekären Beschäftigungsverhältnissen.

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