13. März 2011 Joachim Bischoff / Richard Detje: Beschwichtigungsformeln aus Brüssel

Euro-Club geht in nächste Krise

Folgt man den offiziellen Statements der Regierungschefs des Euro-Clubs, dann steht die Architektur für ein krisenresistentes Europa. Die auf dem Euro-Gipfel am 11. März verabredeten Maßnahmen sollen das Haus Europa vor einem neuen ökonomischen Erdbeben sicher machen und die Gefahr einer »Kernschmelze« – eine der 2009 am häufigsten verwendeten Vokabeln – bannen. Wer glaubt nach den Ereignissen in Japan mit der Realität tektonischer Verwerfungen und atomarem Super-GAU, die zugleich die Entwicklung der Weltwirtschaft erschüttern, noch an derartige Beschwichtigungsformeln?

Beschlossen wurde in Brüssel, die tatsächlich zur Verfügung stehenden Mittel des so genannten Euro-Rettungsschirms von 250 auf 440 Mrd. Euro (und ab 2013 auf 500 Mrd. Euro) aufzustocken. Die deutsche Bundesregierung hatte das zunächst abgelehnt – nicht zuletzt aufgrund des populistischen Drucks in den eigenen Reihen, den Schuldenstaaten keine weiteren Steuergelder »in den Rachen zu werfen«. Doch einen Tag vor dem Euro-Gipfel waren die Risikoprämien (für zehnjährige Staatsanleihen) noch mal kräftig in die Höhe geschossen: im Fall Griechenland auf 12,8%, Irland 9,5%, Portugal 7,5%. Damit war klar, dass sich diese Staaten in den kommenden Monaten nur durch Plünderung ihrer Ressourcen über die Kapitalmärkte werden refinanzieren können. Nicht die politische Klasse des Euro-Clubs gibt die Richtung vor. Umgekehrt: Sie befindet sich im Schlepptau der Finanzmärkte.

Um die Spannung der Schleppleine zu verringern, wurde ein zweiter Beschluss gefasst: Künftig darf die EFSF (European Financial Stability Facility, vulgo Rettungsschirm) direkt Staatsanleihen der Krisenländer zu kaufen, die damit die exorbitanten Risikoprämien der Kapitalmärkte teilweise umgehen können. Der entscheidende Druck kam von der Europäischen Zentralbank, die in den zurückliegenden Monaten für rund 77 Mrd. Euro Anleihen vor allem aus Griechenland, Irland und Portugal erworben hatte, von diesen Stützungsaktionen aber entbunden werden will. Ein nicht unbedeutender Teil der aufgestockten EFSF-Mittel dient somit der Finanzierung des Rückzugs der EZB und keine per Saldo zusätzliche Liquidität.

In diesem Zusammenhang muss gesehen werden, was nicht beschlossen wurde, was aber das Gros der Finanzmarktakteure und politischen Beobachter für unumgänglich halten: eine Umschuldung. Im Fall Griechenland liegt der Umschuldungssatz aktuell bei 66%. Das heißt: Finanzmarktakteure, die griechische Staatsanleihen weiter veräußern, müssen derzeit Abschläge vom Nennwert in Höhe von 34% kalkulieren. Das ist mehr als es auf dem ersten Blick scheint, denn in den bis auf knapp 13% hochgehenden Risikoprämien ist eine entsprechende Umschuldung »eingepreist«.

Dass es dennoch keine politische Beschlusslage zur Umschuldung gibt, hat zwei Gründe. Der erste: Das europäische Bankensystem ist erheblich fragiler als offiziell verlautbart. Würde es zu einer umfassenden Umschuldung kommen, würde das die Insolvenz etlicher Banken zur Folge haben (die deshalb auch darauf gedrängt haben, diesen Fall im neuen Banken-Stresstest nicht zu berücksichtigen). Ein politischer Beschluss zur Umschuldung von Staatsschulden müsste deshalb mit einer Insolvenzordnung für Banken gekoppelt werden und der Neuauflage eines Banken-Rettungsschirms. Denn den würde der Europäische Bankenverband umgehend mit Verweis auf die Gefahr einer Kreditverknappung und damit der Gefahr der Abbremsung des konjunkturellen Aufschwungs erzwingen.

Es gibt noch einen zweiten Grund: In erheblichem Umfang haben Banken, die sich bei der EZB mit billigem Kapital versorgen, als Sicherheit Staatsanleihen hinterlegt. Eine Umschuldung illiquider Staaten würde also in den Büchern der EZB – und den nationalen Zentralbanken – massive Abschreibungen erforderlich machen, und neben einer Kreditklemme auch noch eine erhebliche Belastung des Währungssystems hervorrufen.

Der Euro-Club ist damit in einem Widerspruch zwischen der Einsicht in die Notwendigkeit einer Umschuldung einerseits und den systemischen Insolvenzrisiken andererseits gefangen. Der Club setzt darauf, Zeit zu gewinnen. So viel Zeit, bis die Banken sich »gesundbereichert« haben: indem sie bei den Zentralbanken für rund 1% Geld aufnehmen und Kredite zu 7-13% ausreichen. Die Eigenkapitalausstattung der Banken gibt aber wenig Anlass zur Erwartung, dass mit diesen Renditen Risikovorsorge betrieben wird (siehe die Kurzanalyse vom 7.3.). Und so benötigt viel Zeit, die die EZB braucht, um ihre Bilanz zu bereinigen.

Das Zeitfenster ist offen, solange die Krisenländer zahlungsfähig sind und solange die Konjunkturerwartung »Aufschwung« heißt – womit wir bei dem Euro-Gipfel-Beschlüssen drei und vier sind.

Beschluss Nr. 3: Im »Fall Griechenland« wurde beschlossen, den Zins für den im Frühjahr 2010 ausgereichten 110 Mrd. Euro-Kredit um einen Prozentpunkt auf knapp 5% zu senken sowie dessen Laufzeit von drei auf siebeneinhalb Jahre zu verlängern. Mit einem »Herz für Athen« hat das nichts zu tun: so versucht der Club bis 2013 um eine Umschuldung herum zu kommen. Doch bereits hier sind Bedenken am Zeitfenster manifest. Der Entschuldungsplan funktioniert nämlich nicht. Die Senkung des Staatsdefizits von 9,4% in 2010 auf 7,4% im laufenden Jahr kommt nicht voran. Trotz massiver Kürzungen bei den öffentlich Beschäftigten, den Investitionen und den Sozialleistungen liegt die Quote derzeit bei 9%. Nicht wegen subversiver Politik der regierenden PASOK, sondern weil infolge der Austeritätspolitik die Wirtschaftskrise ins vierte Jahr verlängert wird und damit die Steuereinnahmen wegbrechen.

Anders im »Fall Irland«. Deren erst wenige Tage im Amt befindliche Regierung war angetreten, das Diktat des Euro-Clubs vom November 2010, als Irland unter den »Rettungsschirm« gezwungen wurde, nachzuverhandeln. Da Umschuldung derzeit noch nicht in Frage kommt, setzten Fianna Geal und Labour wie die PASOK auf Zinserleichterungen. Und bissen auf Granit. Der Zankapfel: die Steuerpolitik. Nicht die Massensteuern, sondern die Unternehmenssteuern. Hier lässt sich vortrefflich streiten. Nicht darüber, dass die Republik Irland in der Vergangenheit Unternehmenssteuerdumping betrieben hat, um durch dadurch angezogene ausländische Direktinvestitionen den Aufstieg des »keltischen Tigers« zu finanzieren.

Sondern darüber, wie viele es dem regierenden Neoliberalismus in Dublin nachgemacht haben. Gerade die deutsche Bundesregierung ist als Kritikerin äußerst unglaubwürdig, sind doch die Unternehmenssteuersätze von Rot-Grün über Rot-Schwarz bis Schwarz-Gelb seit der Jahrhundertwende von 45% auf 15% gesenkt worden (siehe Tabelle 7 in: Euro Memo 2010/11, Supplement der Zeitschrift Sozialismus 3/2011, S. 24). Was die neue irische Regierung zusätzlich ins Feld führt: Laut einer Studie von PricewaterhouseCoopers (PwC) im Auftrag der Weltbank soll der Unternehmenssteuersatz in Frankreich mittlerweile bei 8,2% und damit bei zwei Dritteln der irischen Dumpingsteuern liegen (SPIEGEL online, 11.3.2011 ). Irland mag den Steuerwettlauf gestartet haben, aber an dem Rennen beteiligten sich von vornherein viele – und Scheinheilige an vordersten Positionen.

Damit sind wir bei den Wettbewerbsregimen und bei Beschluss Nr. 4 des Euro-Clubs: dem »Pakt für den Euro«, Merkels Wettbewerbspakt. Ursprünglich war damit die Europäisierung der deutschen »Schuldenbremse« intendiert. Zwischenzeitlich ist daraus eine nicht-sanktionsbewährte Absichtserklärung geworden: Lohn»zurückhaltung«, Anhebung des Rentenalters, Arbeitsmarkt»reformen«, Abbau öffentlicher Verschuldung – und eben jene umstrittene Unternehmenssteuerpolitik. Vieles davon steht seit Jahren auf der EU-Agenda. Und man kann von Glück sagen, dass sich dennoch eine solche Austeritätspolitik nicht verpflichtend (!) durchsetzen ließ. Gleichwohl sollte man sich nicht täuschen, was jenseits des Pakts bereits durchgedrückt wurde:

  • massive Einkommenssenkungen der im öffentlichen Dienst Beschäftigten – in Irland beispielsweise um real 15%,
  • in Portugal Senkung der Ausgaben im Gesundheitswesen und den anderen Zweigen der sozialen Sicherheit, »Verschlankung« der öffentlichen Unternehmen und Streichung öffentlicher Infrastrukturinvestitionen in Höhe eines knappen Prozentpunktes des BIP,
  • in Griechenland aktuell auf dem Euro-Gipfel die Zusage, die geplanten Privatisierungserlöse auf 50 Mrd. Euro zu erhöhen – ein Beispiel für das, was David Harvey »Akkumulation durch Enteignung« nennen würde.

Merkels Wettbewerbspakt liegt exakt auf dieser Linie, euphemistisch gesprochen »eine neue Qualität der wirtschaftspolitischen Koordinierung im Euro-Währungsgebiet« (Abschlusserklärung vom 11.3) zu erzwingen. Doch mit Koordinierung meint Merkel nicht, die Wettbewerbsstärke der deutschen Exportindustrie durch eine Stärkung des deutschen Binnenmarktes und dessen Öffnung für Importe aus den EU-Nachbarländern zu kompensieren. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos Anfang dieses Jahres hat sie die Maxime ihrer Politik zum Besten gegeben: Expansive, auf den Weltmarkt ausgerichtete Wettbewerbspolitik lässt mit restriktiver Austeritätspolitik im Innern kombinieren. Das haben vor ihr schon viele andere geglaubt – und sind gescheitert.

Deshalb meinen wir: Der Euro-Club befindet sich auf dem Weg in die nächste Krise. Eine Krise, die seit der ökologischen Katastrophe in Japan nicht mehr die Hintertür der Expansion auf dem Weltmarkt offen hat.

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