1. August 2012 Joachim Bischoff

Euro-Krise: Autoritäre Rosskuren ohne Ausweg

Die Euro-Krise spitzt sich im Sommer 2012 wieder dramatisch zu. Der Chef der europäischen Zentralbank, Draghi, stellt sich der erneuten Spannung . Er hat angekündigt, alles Erforderliche zum Erhalt des Euro zu tun. Seine These: Erneut ist die Geldpolitik ins Zentrum gerückt. Deren Wirkung – eine Kernaufgabe der EZB – sei durch das hohe Zinsniveau bei den Staatsanleihen der Krisenländer gestört.

Diese Aussage wurde von vielen Akteuren als Fingerzeig für neue Käufe von Staatsanleihen interpretiert, weil Draghi so auch früher schon Eingriffe am Anleihemarkt gerechtfertigt hatte. Der Europäischen Zentralbank ist die direkte Staatsfinanzierung nach ihren Statuten verboten. Indirekt tat sie dies bis Jahresanfang, indem sie Staatsanleihen im Wert von 211 Mrd. Euro am Sekundärmarkt kaufte und so die Kreditkosten von Krisenländern senkte.

Staatspräsident Hollande und Bundeskanzlerin Merkel haben die Intervention von EZB-Präsident Draghi unterstützt, indem sie gleichfalls ihre Entschlossenheit unterstrichen, die Euro-Zone zu schützen. Auf der anderen Seite hat dies die politischen Spekulationen befördert, was denn das neue Maßnahmenpaket alles umfassen wird. Im Zentrum der Debatte: eine Ausweitung der Brandmauer– sprich der im Aufbau begriffene permanente Finanzfonds EMS soll eine Banklizenz erhalten. Dadurch würde dem ESM erlaubt, ohne Limit Kredite bei der EZB aufzunehmen. Er würde so mit einer enormen Refinanzierungskraft ausgestattet. Konkret hieße das, der ESM kauft Ländern wie Spanien oder Italien in großem Stil Anleihen ab. Das soll die gefährlich hohen Zinsen dieser Länder senken und so deren Kreditkosten.

Auf dem Gipfel Ende Juni 2012 hatten die Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone mehrere Schritte vereinbart, um die Euro-Krise einzudämmen. Dazu gehört der erleichterte Aufkauf von Staatsanleihen durch die beiden Euro-Rettungsfonds EFSF und ESM. Zudem soll als Voraussetzung für die direkte Kapitalversorgung angeschlagener Banken durch den ESM eine einheitliche Aufsicht für Europas Banken geschaffen werden.

Derzeit steht nur der vorläufige Finanzfonds EFSF zur Verfügung, dessen Kapazitäten begrenzt sind. Mit den bereits laufenden Länderprogrammen für Griechenland, Irland und Portugal sowie dem zugesagten spanischen Bankenprogramm ist seine Kreditvergabe-Kapazität von 440 Mrd. Euro bis zu etwa zwei Dritteln ausgeschöpft. Hinzu kommen soll noch ein Unterstützungsprogramm für Zypern. Mit den verbleibenden Mittel des EFSF sind die Grenzen abgesteckt, wenn es um große Länder wie Spanien oder Italien geht. Der EFSF kann noch etwa 140 Mrd. Euro ausreichen. Wenn das Bundesverfassungsgericht den ESM passieren lässt, kommen noch einmal 500 Mrd. Euro hinzu. Für begrenzte Stützungsmaßnahmen reicht das.

Spanien und Italien ganz vom Markt zu nehmen ist mit den derzeit vorhandenen Rettungsschirmen jedoch nicht möglich. Der Refinanzierungsbedarf Italiens und Spaniens beträgt allein in den Jahren 2013 und 2014 fast 700 Mrd. Euro. Damit ist der Springpunkt der weiteren Entwicklungen definiert: Rutscht die Euro-Zone im Konzert mit der Globalökonomie weiter abwärts in eine Schrumpfungsspirale, werden die Immobilienmärkte weitere Verluste erleiden und damit die Banken höheren Sanierungsbedarf anmelden.

Die Eurozone kommt aus dieser strukturellen Schieflage nur heraus, wenn die wirtschaftliche Abwärtsbewegung gestoppt werden kann. Von den Rahmenbedingung her gesehen wäre dazu eine großes Investitions- und Stabilisierungsprogramm auf europäischer Ebene notwendig. Selbst der neoliberale Ökonom Issing konstatierte Anfang des Jahres: Die Krise der Währungsunion kann nur überwunden werden, wenn die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen von strukturellen Reformen begleitet wird. »So wichtig etwa der einschneidende finanzpolitische Kurswechsel in Italien ist, ohne dauerhafte Wiederbelebung des Wachstums wird selbst eine Rosskur keinen Erfolg haben.« (FAZ 6.1.2012)

Mit der Rosskur werden Krisenländer wie Griechenland, Irland, Portugal und Spanien immer tiefer in den wirtschaftlichen Abwärtsstrudel und eine Zerstörung ihrer Binnenökonomien hineingetrieben.

Das Beispiel Griechenland

Das Land Bevölkerung soll bis 2020 seine Schuldenlast auf 120,5% der Wirtschaftskraft drücken. Darauf haben sich die Experten aus IWF, EZB und EU-Kommission (»Troika«) festgelegt. Dabei ist dieser Wert willkürlich gewählt: Die »Euro-Retter« nahmen den aktuellen Schuldenstand Italiens als Maßstab. Doch obwohl es für die 120,5% keine konkrete ökonomische Erklärung gibt, spielen sie eine zentrale Rolle: Alle Berechnungen für den Schuldenschnitt orientierten sich an diesem Richtwert.

Im Szenario aus dem Oktober 2011 setzte die Troika für Griechenland ein durchschnittliches Wachstum von 2,5% bis 2020 an. Dieser Wert wurde in den Verhandlungen zwar auf durchschnittlich 0,9% reduziert. Aber angesichts des desolaten Zustands der griechischen Wirtschaft wirkt auch dieser Wert utopisch: 2011 schrumpfte die griechische Wirtschaftsleistung um 6,8%. Für 2012 wird ebenfalls ein deutlicher Rückgang erwartet: Die griechische Regierung muss davon ausgehen, dass die Wirtschaft erneut um ca. 7% statt zuvor angenommenen 2,8% schrumpfen wird.

In Griechenland laufen die Beratungen über ein rund 11,5 Mrd. Euro schweres neues Sparprogramm auf Hochtouren. Von diesem Sparprogramm und weiteren Reformen hängt der Bericht der »Troika« ab. Die Experten der EU, des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank (EZB) wollen im September ihren Bericht zur Lage in Griechenland vorlegen. Von dieser Bewertung hängen weitere Finanzspritzen für das pleitebedrohte Land ab. Generell wird dem Land, der Bevölkerung und seiner politischen Klasse vorgeworfen, reformunwillig zu sein. Griechenland habe die Konditionen oder massiven Sparprogramme nicht umgesetzt, daher sei es immer tiefer in eine Schulden-Krisen-Spirale hineingeraten.

Exemplarisch für diese Interpretation steht Bundesfinanzminister Schäuble: »Das Problem ist nicht dadurch entstanden, dass das Programm Fehler hätte, sondern dadurch, dass es von Griechenland unzureichend umgesetzt wurde. Die Zugehörigkeit zu einer Währungsunion setzt ein Land unter einen hohen Wettbewerbsdruck. Deshalb kommt das Land nicht umhin, seine Wettbewerbsfähigkeit substanziell durch tief greifende Reformen zu verbessern. Zudem muss Griechenland durch eine Reduzierung seines Defizits auf eine tragfähige Verschuldung kommen.« (Welt am Sonntag 29.7)

Bei aller Berechtigung des Arguments einer verschleppten und unzureichenden Umsetzung der Auflagenprogramms für die griechische Ökonomie (Rosskur), entscheidend ist die anhaltende Selbstzerstörung der Binnenökonomie. Statt Stabilisierung der Kaufkraft durch Investitions- und Strukturprogramme oder durch Umverteilung gibt es »Reformen«, statt äußerer Abwertung durch Währungsschnitt die innere: »Wettbewerbsfähigkeit« durch Lohnsenkungen, Rentenkürzungen, »flexible« Beschäftigung jedweder Art – ein Fass ohne Boden. Die politische Ökonomie des Konsolidierungsstaats zielt auf strikte Regeln – etwa wenn die Troika für Griechenland vorsieht, dass das Land nicht nur »sparen«, sondern in seinem öffentlichen Haushalt einen Primärüberschuss erwirtschaften müsse, und zwar über 25 Jahre, egal wer regiert. »Konsolidierung« soll dabei vor allem durch Ausgabenkürzungen stattfinden.

Diese programmatische Ausrichtung ist sowohl ökonomisch wie politisch abenteuerlich. Ziel ist die Umwidmung der Europäischen Union zu einem Einlagensicherungssystem und Inkassobüro für Staatsschulden. »Der Euro muss erhalten bleiben, damit den Schuldnerstaaten der Ausweg in die Abwertung versperrt bleibt, jetzt und dauerhaft; die Staaten müssen gehindert werden, von ihrer Souveränität Gebrauch zu machen und ihre Schulden zu annullieren; die noch zahlungsfähigen Staaten müssen sich bereitfinden, für die anderen geradezustehen; und damit sie dies tun, müssen sich die Staaten, denen geholfen werden muss, unter Kuratel stellen lassen.« (Wolfgang Streeck, Das Ende der Nachkriegsdemokratie, in: Süddeutsche Zeitung 27.7.2012)

Solange die europäischen Institutionen und die politischen Eliten nicht endlich dazu gezwungen werden , die wirtschaftlichen Abwärtstendenzen zu bekämpfen, wird die Zerstörung der Ökonomien und der demokratische Willensbildung voranschreiten. Die Austeritätsprogramme verschärfen den Abwärtstrend und erhöhen den Zwang zur Ausweitung der Finanzunterstützung. Notwendig wäre ein Politikwechsel in Richtung der Stabilisierung der Binnenökonomien der europäischen Länder insgesamt. Ein Prozess der »Entschuldung« kann ohne Stabilisierung der wirtschaftlichen Reproduktionsprozesse nicht funktionieren.

»Von Demokratie ist bei alledem nur noch die Rede, wenn zu begründen ist, warum griechische Rentner und Arbeitnehmer die Schulden zurückzahlen sollen, die ihre Regierungen in ihrem Namen aufgenommen haben – schließlich haben sie sie ja gewählt.«(ebd.). Allerdings vergisst die demokratietheoretische Zurechnung der Staatsschulden an das Staatsvolk die Mitschuld der Gläubiger und die Logik der kapitalistischen Akkumulation. »Was sich in Wahrheit abzeichnet, ist eine rapide Ausbreitung dessen, was heute Postdemokratie genannt wird. In ihr bleibt die Wirtschaft von dem, was man den ›Druck der Straße‹ nennt, verschont und wird einer von Zentralbanken und Regulierungsbehörden exekutierten regelgebundenen Wirtschaftspolitik unterstellt.« (ebd.)

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