21. Mai 2010 Joachim Bischoff

Front gegen Spekulanten

Für die politische Führung des bürgerlichen Lagers in Deutschlands wird die Euro-Krise mehr und mehr zu einem politischen Desaster. Die schwarz-gelbe Regierungskoalition ist zu einem von den internationalen Finanzmärkten getriebenen Faktor geworden.

Über Wochen hinweg hatte die politische Elite der Bundesrepublik eine Unterstützungsoperation gegenüber Griechenland verzögert. Offenkundig waren die Regierenden in Berlin schlecht informiert, denn die faktische Verschuldung Griechenlands stellte in Kombination mit dem geringen Sparvolumen und der hohen Auslandsabhängigkeit bei der Umschuldung ohne Zweifel eine Zeitbombe dar, deren Zünder längst tickte. Infolge ihrer Verzögerungspolitik wurde die schwarz-gelbe Koalition von den Finanzmärkten in die Euro-Krise hineingerissen.

Erst hat sie die Grundlagen der Währungsstabilität preisgegeben, was viele BundesbürgerInnen überrascht und unter der kräftigen Mitwirkung der Boulevardpresse in Ressentiments gegenüber "den Griechen" getrieben hat. Nachdem in einigen Segmenten der Finanzmärkte dann auch der Handel nichtgriechischer Staatsanleihen ins Stocken gerieten, ließ sich die schwarz-gelbe Koalition von der französischen Regierung in eine Aktion einspannen, die auf einen 750-Milliarden-Schutzschirm hinauslief.

In der weiteren Konsequenz vollzog die politische Führung des bürgerlichen Lagers einen weiteren abrupten Kurswechsel, indem sie plötzlich Steuerungsinstrumente für die Finanzmärkte anpries, die sie zusammen mit ihrem Koalitionspartner, den Liberalen, noch vor wenigen Tagen abgelehnt hatte.

Die Bundeskanzlerin betonte, Europa stehe vor der größten Bewährungsprobe seit mehr als 50 Jahren. Angela Merkel bekräftigte das Ziel, sich auf internationaler Ebene für eine Finanztransaktionssteuer stark zu machen. Sie will sich dafür einsetzen, dass Europa beim Treffen der wichtigsten Wirtschaftsnationen (G 20) Ende Juni einheitlich auftritt. Sollte keine Einigung über eine internationale Steuer erzielt werden, werde in Europa darüber eine Diskussion geführt.

Der Versuch, Stärke gegenüber den Spekulanten zu demonstrieren, blieb wenig überzeugend. Über den fragwürdigen Alleingang beim Verbot der ungedeckten Leerverkäufe sind nicht nur die Akteure auf den Finanzmärkten verstört, sondern auch der Großteil der befreundeten Regierungen.

Auch die BürgerInnen haben wenig Verständnis für diese hektische Geschäftigkeit. Die Regierungsparteien sackten in den aktuellen in Umfragen auf 38% Zustimmung ab. Viele WählerInnen wünschen sich die schwarz-rote große Koalition zurück. Einer Umfrage zufolge sind 63% der Befragten der Meinung, dass die Kanzlerin ihre Regierung nicht mehr im Griff habe. Die Liberalen schneiden allerdings noch schlechter ab. Auch sie scheinen nun dem Druck der Umfragen nachzugeben und handeln populistisch. Ihre heilige Kuh Steuererleichterungen haben sie bereits opfern müssen. Nun sind sie offenkundig aus Koalitionsräson bereit, die Transaktionssteuer zu akzeptieren, die sie so lange als üble Trickserei verschrieen haben.

Mit der Ankündigung schärferer Regeln für die Finanzmärkte hat die deutsche Bundeskanzlerin versucht, die ihr entglittene europapolitische Initiative wieder an sich zu ziehen. In einer Regierungserklärung zum Euro-Rettungsschirm sagte sie, wenn der Euro scheitere, scheitere auch Europa. Sie verlangte eine "neue Stabilitätskultur" in Europa und forderte die wichtigsten Wirtschaftsnationen auf, Maßnahmen zu ergreifen, um derartige Krisen künftig zu vermeiden. Das Instrument, das Merkel zur Bändigung der Spekulanten vorschwebt, ist eine Finanzmarkttransaktions- oder eine Steuer auf internationalen Finanzaktivitäten.

Ist eine einheitliche globale Lösung nicht zu verwirklichen, käme für die Kanzlerin auch eine europäische Lösung in Frage. Selbst ein nationaler Alleingang wäre denkbar, allerdings nur, wenn Deutschland dadurch kein Schaden entstünde. Als Beispiel nannte Merkel das seit Mitternacht geltende Verbot von Leerverkäufen, das die deutsche Finanzaufsicht erlassen hat und das in Kraft bleiben soll, bis auf europäischer Ebene eine Einigung erreicht worden ist.

In ihrer Rede auf einer internationalen Finanzmarktkonferenz ließ Merkel erneut offen, ob die Belastung der Finanzakteure in Form einer Finanzmarkttransaktions- oder einer Finanzaktivitätsteuer geschehen soll. Auch diese Unklarheit trägt zum deutlichen Kompetenzverlust bei.

Über die Gründe der Euro-Krise äußerte sich die Kanzlerin taktierend. Einerseits nannte sie, die Hand am Puls der Volksseele, die Banken "Brandbeschleuniger", anderseits betonte sie, viele Euro-Länder hätten über ihre Verhältnisse gelebt. Dies sei die wahre Ursache des Problems, wobei die Schuld aber nicht einseitig verteilt werden dürfe: "Auch wir leben auf Pump."

Die Schuldenkrise etlicher Euro-Staaten wird die Wachstumsaussichten in Europa für längere Zeit belasten. Das von den Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone ausgearbeitete Stabilisierungspaket löst das Problem nur teilweise. Daneben muss in diesen Ländern eine Sanierung der öffentlichen Finanzen stattfinden, die über ein rigoroses Sparprogramm nicht zu erreichen ist. Die Schuldenkrise in Europa stellt in Bezug auf die Preis- und Wechselkursstabilität sowie die Konjunktur ein beträchtliches Gefährdungspotenzial dar.

Die Art und Weise, wie die Entwicklungen an den Finanzmärkten die politischen Akteure vor sich her treibt, macht deutlich wie notwendig eine durchdachte Finanzmarktregulierung ist. Um das Hase und Igel-Rennen zu beenden, müssen die Finanzmärkte reguliert und durch eine geordnete Abwertung der Besitztitel redimensioniert werden.

Man kann nicht immer neue Rettungspakete auflegen, sondern muss Casinogeschäfte ächten oder zumindest vom Bankgeschäft trennen. Der Kern des Problems besteht darin, dass Banken keinerlei Auflagen erhalten, was sie mit dem billigen Geld von den Zentralbanken tun dürfen. Das gibt ihnen die Möglichkeit auch gegen die Staaten zu wetten, die ihnen das Geld geliehen haben.

Selbst innerhalb der Regierung scheinen die einzelnen Akteure in unterschiedliche Richtungen zu arbeiten. Während sich Frau Merkel nicht eindeutig zwischen Finanztransaktions- und Finanzaktivitätssteuer entscheiden will, erklärte Finanzminister Schäuble im Europaausschuss, er werde sich für eine weltweite Finanztransaktionssteuer einsetzen, machte aber zugleich wenig Hoffnung, dass dies durchsetzbar sei. Jedoch könne er sich auch eine EU-weite Lösung vorstellen - notfalls gar ohne Großbritannien.

Nicht nur der Euro steckt in einer Vertrauenskrise, sondern ebenso die politische Klasse. Sie wäscht ihre Hände in Unschuld, als ob sie nie im großen Stil die Finanzmärkte dereguliert und die öffentliche Haushalte durch massive Steuersenkungen auf den Hund gebracht hätte, und fabuliert - angetrieben von der Massenpresse - von verantwortungslosen Spekulanten. Statt die Finanzmärkte zu redimensionieren, also die Ansprüche der Vermögensbesitzer auf ein vernünftiges Maß zu reduzieren, fällt der politischen Klasse nichts anderes ein, als sich aus Verschuldungsfalle durch immer neue Schulden herausretten zu wollen.

Es hat sich eine Kultur der Verantwortungslosigkeit breit gemacht. Bei den Finanzalchimisten, die mit Billionen-Werten aus Kreditausfallversicherungen zocken dürfen, ohne einen Kredit zu haben, bei Managern, deren größtes Risiko eine Millionen-Abfindung ist, und bei PolitikerInnen, die völlig orientierungslos von den Finanzmarktakteuren getrieben werden.

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