31. Dezember 2012 Joachim Bischoff: Ökonomisch-politische Konstellationen zu Beginn des Wahljahrs

Geduld, Folterwerkzeuge und ein Fettnäpfchen-Kandidat

Das wirtschaftliche Umfeld wird im Jahr 2013 nicht besser, sondern schwieriger, so die Einschätzung von Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Ansprache zum Jahreswechsel. Sie mahnt die Bundesbürger zu »viel Geduld. Die Krise ist noch längst nicht überwunden.« Bemerkenswert ist an dieser Aussage, dass die politisch Verantwortlichen in der Bewertung der ökonomischen Rahmenbedingungen dem Großteil der Wirtschaftsinstitute folgen.

In Absetzung von dem häufig üblichen Optimismus wird die bundesdeutsche Wahlbevölkerung darauf eingestellt, dass für das laufende Jahr bestenfalls mit einer Stagnation in der Wirtschaftsleistung gerechnet werden kann, also mit einer schwarzen Null. Dies ist im Unterschied zur großen Mehrzahl der anderen Mitgliedsländer der Euro-Zone ein deutlich besserer Verlauf. Und auch Großbritannien und Japan starten keinesfalls mit einer besseren Ausstattung in die nächsten Monate.

In den USA hängt die Entwicklung der wirtschaftlichen Leistung und damit der Verteilungsrelationen von der Auflösung der politischen Blockade im Kongress ab. Gelingt es, den verbissen geführten Streit um programmierte Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen in einen verträglicheren Sanierungskorridor für die öffentlichen Finanzen umzusetzen, kann die Führungsmacht mit einem leichten Wirtschaftswachstum rechnen. Im Falle des härteren Konsolidierungskurses müssen die USA eine rezessive Entwicklung meistern und dies hätte selbstverständlich auch negative Auswirkungen auf die weltwirtschaftliche Entwicklung.

Aber auch abgesehen von der wirtschafts- und finanzpolitischen Ausrichtung der US-amerikanischen Ökonomie gibt es reichliche Gefahrenpotenziale bei den Versuchen, den Prozess der umfassenden Entschuldung der privaten und öffentlichen Haushalte (deleveraging) voranzubringen.

Die Triade der kapitalistischen Welt (USA, Europa und Japan) leidet an einer Krise, die seit längerem die Bereiche der Ökonomie und der öffentlichen Finanzen überschritten haben. Alle Hoffnungen, der Kapitalismus werde binnen kurzem wie Phönix aus der Asche neu entstehen, haben sich als Illusion entlarvt. Ottmar Issing, langjähriges Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank (EZB) hält in einem Beitrag, den die FAZ »Das System ist korrigierbar« titelte, fest: »Die einzelnen Krisenerscheinungen verdichten sich inzwischen zu einer Vertrauenskrise, eines Verlustes an Vertrauen in das System insgesamt… Keine Rede mehr vom Ende der Geschichte, in der die Menschheit mit Demokratie und Marktwirtschaft vermeintlich die finale Antwort für die Zukunft gefunden hat.« (FAZ vom 29.12.2012)

Gemessen an den ökonomisch-politischen Herausforderungen, den kapitalistischen Akkumulationsprozess von den Bleigewichten eines außer Kontrolle geratenen Kredit- und Vermögenssektors zu befreien, bleiben die Ankündigungen der Kanzlerin zum neuen Jahr allerdings hinter der Wirklichkeit zurück. In den zurückliegenden Jahren ist das schleppende, schwache Wirtschaftswachstum durch Kredite, also Wechsel auf die Zukunft, kompensiert worden. Jetzt geht es für den Großteil der kapitalistischen Länder um einen Anpassungsprozess der aufgehäuften Verbindlichkeiten an das Wirtschaftspotenzial. Angesichts eines weiterhin schwachen Wirtschaftswachstums steht überall die Verschärfung der fiskalpolitischen Auflagen auf der Tagesordnung – geringere Defizite, Sanktionen, härtere Schuldenregelungen etc.

Dieser Kurs führt allerdings immer tiefer in eine Sackgasse. Die Austeritätspolitik zerstört die Formen demokratischer Willensbildung. Zudem ist völlig offen, wie der Schuldenabbau in dieser Konstellation ohne deflationäre Abwärtsspirale gelingen soll, wie die relative Entkoppelung von Finanz- und Realwirtschaft zurückgefahren und das »infernalische Dreieck« (Peter Bofinger) aus Staatsschuldenkrise, Bankenkrise und Rezession aufgebrochen werden kann.

Die Hauptursache für die massive Verschuldung der öffentlichen Haushalte liegt nicht in den Mängeln der Euro-Konstruktion und den staatlichen Interventionsmaßnahmen. Das enorme Anwachsen des Schuldenstandes vieler Staaten in den letzten drei Jahren ist ohne Zweifel auf die Anstrengungen zurückzuführen, die Bankenkrise und ihre Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft zu bewältigen. Aber die Überschuldung von privaten Haushalten, öffentlichem Bereich und Unternehmen gründet in der seit langem wachsenden sozialen Ungleichheit und einer diese Entwicklung verschärfende Verteilungs- und Steuerpolitik.

Auf die chronische Akkumulations- und Wachstumsschwäche reagierten die kapitalistischen Hauptländer seit den 1980er Jahren mit Steuersenkungen. Der öffentliche Sektor wurde geschrumpft. Die Folgen waren verschärfte Einkommens- und Vermögensunterschiede, eine übermäßige Ausdehnung der Finanzsektoren (Finanzialisierung) und eine chronische Verfestigung der Wachstumsschwäche.

Die Bundeskanzlerin hält für das neue Jahr salbungsvolle Phrasen bereit: Die beschlossenen Reformen würden zu wirken beginnen. »Die Welt hat die Lektion der verheerenden Finanzkrise von 2008 noch nicht ausreichend gelernt… Doch nie wieder darf sich eine solche Verantwortungslosigkeit wie damals durchsetzen.« In der sozialen Marktwirtschaft sei der Staat der Hüter der Ordnung. »Darauf müssen die Menschen vertrauen können.«

Die neoliberale Bundesregierung belässt es jedoch nicht bei einer allgemeinen Klage über die verloren gegangene soziale Balance. Im Regierungsapparat werden zugleich »mittelfristige Haushaltsziele des Bundes« definiert und Schritte skizziert, wie sich die grundgesetzlich verankerte Schuldenbremse auch bei einem deutlich verschlechterten wirtschaftlich Umfeld realisieren lässt. Vorgeschlagen wird für den Worst Case, den ermäßigten Mehrwertsteuersatz abzuschaffen und die Lebensarbeitszeit zu verlängern.

Würde auf alle Waren und Dienstleistungen nur noch der reguläre Tarif von 19% erhoben, spülte dies 23 Milliarden Euro zusätzlich in die öffentlichen Kassen. Um zehn Milliarden Euro soll der Bundeszuschuss zum Gesundheitsfonds gesenkt werden und mit einem Aufschlag auf die Einkommensteuer sollen die Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung stabilisiert werden. Schließlich ist daran gedacht die Rentenkassen dadurch zu entlasten, dass die Deutschen über die schon erhöhte Altersgrenze von 67 Jahren hinaus arbeiten müssen. Angesichts der massiven sozialen Einschnitte in den europäischen Nachbarländern ist diese Botschaft aus dem Folterkeller des Neoliberalismus noch vergleichsweise harmlos.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zeigt sich optimistisch, dass trotz verschlechterndem Umfeld das Wirtschaftswachstum leicht ausgebaut werden kann. »Die Lage ist besser als gedacht, weil unter anderem die Geschäfte mit den USA und Asien stärker anziehen.« Die deutsche Wirtschaft werde daher trotz weiterhin schwieriger Rahmenbedingungen »im kommenden Jahr ordentlich wachsen«. Insofern lautet seine Prognose: »Ich glaube, wir haben das Schlimmste hinter uns.«

Diese Einschätzung basiert auf der Hypothese, dass 2013 keine rezessive Entwicklung zu verarbeiten ist. Wenn es dann doch anders kommen sollte, ist die politisch angeschlagene Regierungskoalition gleichwohl auf ein entsprechendes »Konsolidierungsprogramm« vorbereitet, was man von der rot-grünen Alternative nicht behaupten kann.

Stattdessen stolpert der sozialdemokratische Kanzlerkandidat von einem politischen Fettnäpfchen zum nächsten. Und zu der Frage, wie eine neue Koalition mit den sozioökonomischen Herausforderungen und der politischen Vertrauenskrise umgehen will, schweigen sich die beiden Oppositionsparteien bislang aus.

Das eigentliche Problem für das Wahljahr 2013: Es zeichnet sich keine Perspektive der Überwindung dieses Mangels ab.

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