20. Februar 2012 Joachim Bischoff / Richard Detje

Griechenland: Fass ohne Boden?

Das griechische Kabinett hat nach zähen Verhandlungen die noch offenen Kürzungen auf den Weg gebracht, die EU, EZB und IWF zur Bedingung für das zweite »Rettungspaket« in Höhe von 130 Mrd. Euro gemacht haben. Von Griechenland wird für das Haushaltsjahr 2012 eine Absenkung der öffentlichen Ausgaben von 3,3 Mrd. Euro gefordert. Zuletzt waren davon noch 325 Mio. Euro offen.

Beschlossen waren bereits die Absenkungen des Mindestlohns, Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst und die Kürzung der staatlichen Transferleistungen im Falle von Arbeitslosigkeit. Nach den neuen Regierungsbeschlüssen sollen bei den Altersrenten die Beträge oberhalb von 1.300 Euro im Monat um 12% gekürzt und die Zusatzrenten um 10 bis 20% verringert werden.

Auch das umstrittene Sperrkonto für einen Teil der griechischen Staatseinnahmen soll jetzt eingerichtet werden. Damit würde Griechenland erneut Budgetsouveränität abgeben. Offizielle Begründung der EU: So solle erreicht werden, dass das Land seinen Schuldendienst erfüllt und die Liquidität nicht für andere öffentliche Ausgaben eingesetzt wird.

Die Freigabe eines zweiten Griechenland-Pakets ist auch Voraussetzung für die Einleitung des Schuldenschnitts mit privaten Gläubigern wie Banken und Versicherungen. Damit sollen Athens Schulden um rund 100 Mrd. Euro sinken und der Schuldenstand unter 125% der Wirtschaftsleistung im Jahr 2020 gedrückt werden. Das liegt leicht über der Quote von 120%, die die Troika aus EU, EZB und IWF als Indikator für die Schuldentragfähigkeit des Landes gewählt hatte. Die EZB beabsichtigt zusammen mit den nationalen Notenbanken, mit einem Anleihentausch sicherzustellen, dass ihr kein Verlust durch einen Kapitalschnitt entsteht.

Gleichwohl mehren sich die Stimmen aus Politik und Wirtschaftseliten, dass die Unterstützung von Griechenland mangels Erfolgsaussichten eingestellt werden sollte. Immer häufiger werden Formeln wie »Staatspleite« und »Austritt aus der Euro-Zone«, die bisher unter den politischen Entscheidungsträgern des Euro-Raums tabu waren, offen ausgesprochen. »Das Risiko einer Insolvenz Griechenlands ist nicht vom Tisch«, sagt Österreichs Finanzministerin Maria Fekter. Der deutsche Finanzminister Schäuble weist darauf hin, dass die Euro-Zone für den Fall einer Staatspleite heute besser vorbereitet sei als vor zwei Jahren. Ähnlich der niederländische Ministerpräsident Rutte: Die Euro-Zone sei derzeit so stark, dass sie einen Austritt Griechenlands verkraften könnte.

Der Ifo-Chef Hans-Werner Sinn empfahl Griechenland in der FAZ erneut, im eigenen Interesse die Euro-Zone zu verlassen: An der Anforderung, mit weiteren Sparprogrammen die zum Wachstum der Wirtschaft erforderliche Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen, zerbreche das Land. Wer wirklich helfen wolle, sollte der griechischen Regierung die 130 Mrd. Euro des zweiten Hilfspakets als Austrittshilfe zur Verfügung stellen. Nur die Rückkehr zu einer drastisch abgewerteten Drachme erlaube es den Unternehmen, preislich konkurrenzfähig zu werden. Dass gleichzeitig die Importpreise drastisch steigen, damit auch das Gros der Lebenshaltungskosten, und die Bevölkerung Griechenlands einem noch härteren Verarmungsprogramm ausgesetzt wird, lässt Sinn unerwähnt.

Peter Bofinger, Mitglied des Sachverständigenrates, warnt hingegen davor, Griechenland kaputt zu sparen. Wenn weiter Renten gekürzt und der öffentliche Dienst abgebaut werde, setze sich die wirtschaftliche Talfahrt fort (»Tödliche Therapie« in der Süddeutschen Zeitung vom 15.2.2012). Für ihn ist die katastrophale Lage der griechischen Wirtschaft anders als für Bundesfinanzminister Schäuble und dem Mainstream in der Debatte nicht primär auf mangelnde Sparbemühungen und Reformbereitschaft Griechenlands zurückzuführen. »Sie ist vor allem das Resultat einer überzogenen Sparpolitik, die, wie der IWF selbst einräumt, so bisher keinem anderen Land verordnet worden ist. Für Griechenland kommt erschwerend hinzu, dass ihm das bei ähnlichen Rosskuren hilfreiche Instrument der Abwertung nicht zur Verfügung steht.« Im Ergebnis hat die Mainstream-Therapie – so Bofinger – in eine wirtschaftliche Depression geführt, wie man sie zuletzt Anfang der 1930er Jahre erlebt hat.

Das griechische Bruttoinlandsprodukt ist von 2007 bis heute um über 15% Prozent geschrumpft. Die Investitionen sind im selben Zeitraum um fast 50% eingebrochen, was die Wettbewerbsfähigkeit in den Keller zieht. Die Senkung des Mindestlohns, Rentenkürzungen und die Entlassung von 15.000 Staatsbediensteten noch im laufenden Jahr erinnern den »Wirtschaftsweisen« fatal an die Notverordnungspolitik des deutschen Reichskanzlers Heinrich Brüning in den Jahren 1930 bis 1932. Peter Bofinger prognostiziert: »Sie werden die Nachfrageschwäche weiter verschärfen, zum Schaden der öffentlichen Finanzen und der Wettbewerbsfähigkeit.«

Griechenland droht bei Fortführung dieser Therapie ein wirtschaftlicher und politischer GAU, der das Potenzial hat, die Stabilität des gesamten Euroraums zu gefährden. Die Staatsausgaben sind – ohne Zinsen – von 2009 bis 2011 um 17% gesunken, die Ausgaben für Angestellte des Staates sogar um 20%. Gleichzeitig erhöhte die Regierung die Mehrwertsteuer von 19 auf 23%, den Steuersatz für Lebensmittel stieg von 9 auf 13%. Zur Erinnerung: Bereits im »Februar 2011 beurteilte der IWF die bis dahin erbrachten Leistungen als auch im internationalen Maßstab sehr eindrucksvoll« (Bofinger).

Der Ausstieg eines Staates aus der Euro-Zone ist schon juristisch keine einfache Operation. Im Lissabon-Vertrag ist weder ein Ausschluss noch ein Austritt aus der Währungsunion vorgesehen. Ein Ausscheiden müsste somit von den Staaten ausgehandelt, beschlossen und dann ratifiziert werden. Hinzu kommen praktische Probleme: Nicht nur der Beschluss über einen Austritt, sondern auch die logistischen Vorbereitungen für die Einführung einer neuen nationalen Währung würden kaum über Nacht erfolgen und zuvor strikt geheim gehalten werden können. Um zu verhindern, dass der bereits laufende Abzug von Euro-Beständen aus Griechenland nicht panikartige Formen annimmt, müsste deshalb nicht nur der Kapital-, sondern auch der Personenverkehr an den griechischen Grenzen scharf kontrolliert werden.

Sinns Rechnung zufolge müsste die Wirtschaft Griechenlands mit ihren Preisen um 31% runter, um auf das türkische Niveau zu kommen. Durch eine Abwertung einer neuen Drachme gegenüber dem Euro wäre das machbar: »Durch Austritt und Abwertung werden die Bankschulden abgewertet. Daher bleiben die Bilanzen der Firmen in Ordnung. Das ist der Riesenvorteil. Die Außenschulden bleiben natürlich und steigen im Verhältnis zum abgewerteten Bruttoinlandsprodukt. Aber das wäre bei einer inneren Abwertung durch Preissenkung genauso. Beim Austritt kann man allerdings das Lex Monetae anwenden und die Außenschulden ebenfalls in Drachme verwandeln. Das ist ein weiterer Vorteil.«

Aber wie soll ein Anstieg der von Importen abhängigen Lebenshaltungskosten um ein Drittel kompensiert werden, bei einer Arbeitslosigkeit, die gegenwärtig bereits bei knapp 20% liegt und nach den bereits exekutierten Einkommens- und Sozialkürzungen?

Hinzu kommt der Einschnitt durch einen Default oder eine »harte« Umschuldung, die für eine gewisse Zeit die Aufnahme neuer Mittel auf den Märkten erschweren dürften. Der Schuldenschnitt von 70% muss mit einer – durch die ausländischen Hilfskredite finanzierten – Rekapitalisierung der griechischen Banken verbunden werden, weil diese große Bestände an griechischen Staatsanleihen halten. Eine Verstärkung der Kapitalflucht im Zuge eines Austritts Griechenlands aus der Euro-Zone ohne tatsächlich effektive Kapitalverkehrskontrollen müsste zwangsläufig eine Vergesellschaftung des Kreditgeschäfts nach sich ziehen. Privatkapitalistisch ist eine Bankensanierung kaum vorstellbar.

Ein Hauptargument gegen einen Ausstieg/Ausschluss waren bisher stets die Ansteckungseffekte, die sich aus den engen Verflechtungen innerhalb des Euro-Raums ergeben. Den direktesten Übertragungskanal bildet das Finanzsystem: Ein Default Griechenlands würde jene ausländischen Banken in Bedrängnis bringen, die hohe Bestände an griechischen Staatsanleihen in ihren Büchern stehen haben, und es würden – im Gegensatz zum jetzt angestrebten »freiwilligen« Schuldenschnitt – Kreditausfallversicherungen fällig.

Tatsache ist: Die Griechen haben ohne ein massives gesamteuropäisch gestütztes Investitions- und Modernisierungsprogramm nur eine minimale Chance, mit Fortführung der Euro-Zonen-Mitgliedschaft ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Das gilt umso mehr, als im laufenden Jahr nicht nur die Euro-Zone mit einer schwächeren Konjunkturentwicklung konfrontiert ist. Nimmt an die Aussichten für die Wirtschaftsentwicklung der Gesamt-EU, Nordamerika und Japans hinzu, liefe der berühmte Schlussstrich unter die Sanierung Griechenlands auch auf die Gefahr der Auslösung einer Schrumpfungsbewegung der Globalökonomie hinaus.

Entscheidend bleibt für den Sanierungsfall Griechenland freilich: Die strukturellen Probleme der griechischen Wirtschaft werden mit Abwertung und Schuldenschnitt nicht gelöst. Ob die griechische Politik die grundlegende Erneuerung ihrer Wirtschaftsstrukturen ohne Finanzhilfe von außen schaffen würde – ohne einen Europäischen New Deal – ist mehr als fraglich. Doch ohne ihn sind auch die Folgewirkungen eines Crash-Kurses auf die Euro-Länder insgesamt gefährlich.

Zurück