24. November 2015 Axel Troost

Griechenlands steiniger Reformpfad

Noch immer wird auch in der Bundesrepublik Deutschland über die Politik von Syriza und die Perspektiven in Griechenland debattiert und gestritten. Die Fortsetzung des Kampfes zwischen der harten Austeritätspolitik, die die internationalen Investoren einfordern, und der Linksregierung ist auf die hinteren Seiten der Medien gerückt.

Gleichwohl steht innerhalb der gesellschaftlichen Linken trotz der Verschiebung des europäischen Kongresses über einen »Plan B«, also den konfrontativen Austritt aus der europäischen Währungszone, immer noch die Frage nach der Reformierbarkeit der EU und des Euro im Mittelpunkt.

Die Positionen der Kontrahenten sind weiterhin unüberbrückbar: ein Teil plädiert für das Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone, wie sie etwa von Heiner Flassbeck und Costas Lapavitsas skizziert wurden, als einzig realistische Strategie. Die Kritiker der Position verweisen auf den geringen Rückhalt dieser politischen Option unter der griechischen Wahlbevölkerung und fürchten die dramatischen Folgen, die sich durch eine Verschärfung der humanitären Krise des Landes einstellen würden.

Auch die Linkspartei Syriza und die Linksregierung sehen sich zu einer Offenlegung der Strategie ihrer Reformagenda verpflichtet. Um die Voraussetzungen für ein neues Griechenland zu schaffen, müsse das Programm, auf das man seit den Brüsseler Vereinbarungen vom 13. Juli und den Neuwahlen im September verpflichtet sei, rasch abgearbeitet werden. Diese Umsetzung sei zum einen die Bedingung für die Auszahlung der nächsten Kredittranchen, für die Rekapitalisierung der Banken, für eine Schuldenentlastung und für die Erholung der Wirtschaft, also neue Arbeitsplätze.

Zum anderen kommt Griechenland nur auf diese Weise wieder auf die Beine – heraus aus wachsender Armut und Einschränkung der Souveränität. Dafür, so Ministerpräsident Alexis Tspiras, »müssen wir hart arbeiten, die Zähne zusammenbeißen und die schwierigen Aufgaben anpacken«. Ja, die Realisierung der gesellschaftlichen Reformen, vor denen sich die politische Klasse stets gedrückt hat, ist kein Parkspaziergang.

Seit Beginn der Krise im Jahr 2010 sind die gravierenden Probleme der Gesellschaft noch nie so offen und brutal benannt worden. Tsipras erklärt der Bevölkerung, dass Schuldenabbau, Rückkehr zu Wachstum und innere Reformen den Ausweg aus der Memorandumspolitik eröffnen. Und eine erneute Etappe ist gerade mühsam erkämpft worden.

Das gesamte dritte Hilfspaket umfasst Kredite von bis zu 86 Mrd. Euro, davon sind 13 Mrd. Euro bereits im August ausbezahlt worden. In diesen Tagen hat das griechische Parlament die Voraussetzung für die Freigabe einer weiteren Tranche geschaffen, indem es ein zwischen den Institutionen und den griechischen Behörden ausgehandeltes Reformpaket verabschiedet hat. Besonders umstritten war dabei, wie stark der Schutz von Hypothekarschuldnern, die ihren Kredit nicht mehr bedienen, gegen die Zwangsversteigerung ihres Erstwohnsitzes gelockert werde.

Die Eurogroup Working Group (EWG), in der die Euro-Staaten durch ihre Vize-Finanzminister vertreten sind, ist sich einig, dass die griechischen Behörden das erste Bündel an Reform-Meilensteinen und die für die Banken-Rekapitalisierung nötigen Maßnahmen im Finanzsektor nun abgeschlossen hätten. Die Konsequenz: Es gibt eine weitere Kredittranche für den Staatshaushalt von 2 Mrd. Euro und die Übertragung der für die Rekapitalisierung des griechischen Bankensystems nötigen Gelder an den staatlichen Hellenic Financial Stability Fund (HFSF) von einem Treuhandkonto des ESM in Höhe von 10 Mrd. Euro.

EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici sprach mit Blick auf die erreichte Einigung von einem »guten Tag«. Bei einer namentlichen Abstimmung stimmten 153 Abgeordnete der Koalitionsregierung für das Paket, 137 stimmten dagegen. Zehn Abgeordnete waren abwesend, teilte das Parlamentspräsidium mit. Sowohl ein Vertreter der rechtspopulistischen Partei der Unabhängigen Griechen (Anel) stimmte gegen die Vorlage und ein Abgeordneter der Syriza-Partei blieb der Abstimmung absichtlich fern. Beide wurden aus der Fraktion ausgeschlossen, was eine weitere Schwächung der Koalition bedeutet. Auch der ehemalige Regierungssprecher Gabriel Sakellarides gab sein Parlamentsmandat zurück, weil er das Regierungsprogramm nicht mehr unterstützen könne.

Die neuen Reformen sind ein weiterer Beleg dafür, dass es keine »magischen Lösungen« gibt. Bei den aktuellen Verhandlungen ging es um faule Kredite im Immobiliensektor – und um eines der zentralen Versprechen von Syriza an die Bevölkerung, das bisher den Sparforderungen nicht geopfert wurde. Der Ministerpräsident wollte durchsetzen, dass ImmobilienbesitzerInnen einer Zwangsräumung ihrer Häuser entgehen, auch wenn sie mit der Rückzahlung ihres Hypothekenkredites im Rückstand sind. »Der Erstwohnsitz muss geschützt werden«, sagte Tsipras immer wieder und forderte, dass Immobilien mit einem Wert bis zu 325.000 Euro nicht an die Banken fallen dürfen. Tausende GriechInnen fürchten um ihr Zuhause: Denn auf Druck der internationalen Geldgeber sollte ein Gesetz gelockert werden, das bisher vor Zwangsräumung schützte. Von der Lockerung wären Schätzungen zufolge rund 300.000 Haushalte betroffen.

Im Kern ging es um die Frage, unter welchen Umständen Banken eine Immobilie übernehmen und zwangsversteigern dürfen, wenn Eigentümer den dafür aufgenommenen Hypothekarkredit nicht mehr bedienen können. 40% der 1,2 Millionen Hypotheken in Griechenland sind notleidend. Hier war ein Kompromiss zu finden zwischen dem Anspruch der Regierung nach sozialem Schutz und der Notwendigkeit, den Banken den Abbau ihrer »faulen Kredite« zu erleichtern. Letztere sind ein Schlüsselproblem des Finanzsektors, ohne dessen Lösung keine dauerhafte Sanierung möglich ist.

Laut dem erzielten Kompromiss sind Hausbesitzer, deren Immobilien weniger als 170.000 Euro wert sind und die über ein Einkommen von weniger als 8.180 Euro pro Person verfügen, von der Zwangsvollstreckung ausgenommen. Eine weitere Gruppe, deren Einkommen etwas höher ist, soll mit den Banken über individuelle Lösungen verhandeln können. Somit blieben laut Medienberichten etwa 60% von Zwangsräumungen ausgenommen. Die internationalen Gläubiger hatten diese Option nur für 20% vorgesehen.

Angesichts der realen gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse in Griechenland hat die SYRIZA-Regierung tatsächlich die härtesten Forderungen der Gläubiger zugunsten der Betroffenen abmildern können. Das ist aus meiner Sicht ein wichtiges Ergebnis in Richtung all derer, die nach dem desillusionierenden Ergebnis des von den Institutionen durchgedrückten dritten Memorandums von einer nur noch zu verzeichnenden »Ohnmacht« der linken Regierung sprachen und die einzige Alternative in einem Ausstieg aus dem Euro sehen.

Ein weiterer Streitpunkt war die Sanierung der Banken. Die vier größten Institute des Euro-Staates brauchen bis zu 14,4 Mrd. Euro an Kapital, um mit faulen Krediten und der Wirtschaftskrise klar zu kommen. Das ist deutlich weniger als die 25 Mrd. Euro, die von den europäischen Partnern als Puffer zur Rekapitalisierung der Banken vorgesehen waren. Geeinigt hat man sich jetzt auf zehn Milliarden Euro für die Sanierung der Banken. Weitere 4,4 Milliarden sollen bei privaten Investoren eingesammelt werden. Ob diese Summe tatsächlich zur Sanierung der Banken beiträgt, ist noch offen.

Auf jeden Fall werden die Banken gestärkt und ohne funktionsfähige Banken kann die Ökonomie nicht weiter saniert werden. In ihrer Herbstprognose schätzt die EU-Kommission für das Euro-Krisenland in 2016 erneut einen Rückgang seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 1,3%. Als Gründe nannte sie die fortwirkenden Effekte der in diesem Jahr nur knapp vermiedenen Staatspleite und die Probleme der Banken. 2015 erwartet die Kommission einen BIP-Rückgang um 1,4%. Licht am Ende des Tunnels sieht sie erst ab 2017, wenn das griechische BIP um 2,7% zulegen dürfte. Der Schrumpfungsprozess der Realökonomie ist nicht zu Ende, aber die Aussichten sind Grund für einen leichten Optimismus.

Neben der Sanierung der Ökonomie hat die griechische Regierung eine weitere, ähnlich große Herausforderung zu bewältigen: Seit Jahresanfang kamen 560.000 Flüchtlinge über das Meer in das Land. Mittlerweile machen Menschen aus Syrien einen großen Teil der Flüchtlinge aus, was auch zu einer Verlagerung der Fluchtrouten Richtung Osten führte. Die Menschen versuchen nun von der Westküste der Türkei auf eine der griechischen Inseln – in den meisten Fällen Lesbos – überzusetzen. Dabei sind bis zu 470 Menschen ertrunken. Amnesty International zufolge sind im gesamten Mittelmeer bis November mindestens 3.500 Flüchtlinge bei diesem Versuch ums Leben gekommen. Darunter sind auch viele Kinder gewesen. In der Türkei halten sich derzeit 2,2 Millionen Menschen auf, die aus dem Krieg in Syrien geflüchtet sind.

Jetzt gerät Griechenland noch weiter unter Druck, da Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien beschlossen, ihre Grenzen für alle Flüchtlinge zu schließen, die nicht aus Kriegsgebieten kommen, also aus Syrien, Afghanistan oder dem Irak. Während bislang jedes Land die Flüchtlinge einfach weiterreisen ließ und dies noch aktiv beförderte, sind die Tausende von Flüchtlingen damit konfrontiert, auf dem Weg stecken zu bleiben und nach Griechenland zurück geschickt zu werden.

Griechenland muss die Hauptlast tragen, wenn die Balkanroute für viele versperrt ist, da die Route über das Meer auf die griechischen Inseln kaum geschlossen werden kann und das Land dann mit dem aufgestauten Flüchtlingsstrom zurechtkommen muss. Die europäischen Eliten und Institutionen fordern zwar von Griechenland die Einrichtung von »Hot Spots«, einer verharmlosenden Umschreibung von weiteren Aufnahme- und Registrierungslagern, zeigen aber eine erbärmliche Zurückhaltung dem ökonomisch geschwächten Land mit entsprechender finanzieller und logistischer Unterstützung zu helfen.

So nimmt es nicht Wunder, dass Alexis Tsipras die Regierung der Türkei auffordert die »Hot Spots« auf türkischem Territorium zu errichten und nicht auf griechischen Inseln. Wenn die Flüchtlinge nicht mehr versuchen müssten, illegal auf nicht seetüchtigen und hoffnungslos überfüllten Booten über die Ägäis nach Europa zu gelangen, könnten viele Menschenleben gerettet werden, argumentierte der Ministerpräsident.

Der Wiederaufbau Griechenlands und der anderen Krisenländer muss mit einer grundlegenden Reform der Währungsunion verknüpft werden, die u.a. auch die gigantischen deutschen Leistungsbilanzüberschüsse durch mehr öffentliche Investitionen in die Daseinsvorsorge und steigende Löhne und Transferzahlungen überwinden hilft. Das kann nur durch eine sehr viel stärker koordinierte Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik erreicht werden – und das setzt notwendig die grundsätzliche Bereitschaft voraus, nationale Politikspielräume zugunsten gemeinsamer europäischer Ziele zurückzunehmen. Europa und vor allem Deutschland müssen die neoliberale Konsolidierungspolitik aufgeben und die Herausforderung der Flüchtlingszuwanderung zu einer europaweiten Aufnahme- und Integrationspolitik schaffen.

Axel Troost ist finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE und stellvertretender Vorsitzender der Partei DIE LINKE.

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