11. Dezember 2014 Ulrich Bochum: Der Food Bank Report

Hungernde Briten

13 Mio. Menschen, das sind etwa 20% der Bevölkerung, leben in Großbritannien unter der Armutsgrenze, das heißt sie haben weniger als 60% des durchschnittlichen mittleren Einkommens für die Bestreitung ihres Lebensunterhaltes zur Verfügung. Der Trussel Trust, eine Wohltätigkeitsorganisation, die 420 Food Banks (Tafeln) im Vereinigten Königreich betreibt, hat 2012/2013 insgesamt 350.000 Lebensmittel-Pakete für einen Drei-Tages-Bedarf an Bedürftige ausgegeben, im Jahr 2013/2014 waren es 913.000 Pakete.

Diese Zahlen verdeutlichen, dass in den letzten Jahren immer mehr Menschen auf die Food Banks als letzte Lösung zurückgreifen müssen, obwohl sich die wirtschaftliche Entwicklung nach der Rezession verbessert hat und die britische Ökonomie um 3% gewachsen ist.

Für diese Entwicklung sind mehrere Faktoren verantwortlich. Zum einen sind die Lebenshaltungskosten in Großbritannien sehr viel stärker gestiegen als zum Beispiel in Deutschland. Die Preise für Lebensmittel stiegen in den letzten zehn Jahren um 47%, die für Wohnungen um 30% und die Kraftstoffpreise um 154%.

Die Einkommen aus den weit verbreiteten Niedrig-Lohn-Jobs, Teilzeitbeschäftigungen, Zeitarbeit und so genannten Null-Stunden-Verträgen können diese Preissteigerungen nicht auffangen und verwandeln Arbeitende in Bedürftige. Verschärfend wirken weiterhin die seit 2010 gekürzten staatlichen Sozialleistungen, so z.B. das Wohngeld, die getreu der konservativ-liberalen Vorstellungen Menschen dazu bringen soll, jede angebotene Arbeit anzunehmen. In diesen Jobs wird jedoch wesentlich weniger verdient, als zum Leben notwendig wäre.

Da es keine offiziellen Statistiken über die Gründe und den Umfang der Inanspruchnahme von Food Banks gibt, haben Oxfam, die Child Poverty Action Group, die Kirche von England und der Trussel Trust gemeinsam die Untersuchung Emergency Use Only. Understanding and reducing the use of food banks in the UK angestoßen, die das Phänomen der steigenden Bedeutung dieser Notversorgung für immer größere Teile der Bevölkerung klären sollte.

Die in der Untersuchung präsentierten Fallstudien persönlicher Schicksale sind erschütternd. Die Gründe, warum Personen in akute finanzielle Not geraten und dann auf die Versorgung durch Food Banks angewiesen sind, können vielfältig sein: plötzlicher Verlust des Einkommens durch Job-Verlust, familiäre Umstände wie Todesfälle, Krankheit oder Verlust der Wohnung.

Allerdings sticht hervor, dass über die Hälfte bis zu Zweidrittel der in der Untersuchung befragten Personen durch verspätete staatliche Unterstützungszahlungen (benefits) in eine finanzielle Notsituation geraten sind. Dazu zählen langes Warten auf die Bewilligung von Leistungen, Sanktionen durch die entsprechenden staatlichen Stellen, plötzlicher und unangekündigter Wegfall von Unterstützungsleistungen oder Steuervergünstigungen, die für die Bestreitung des Lebensunterhaltes einkalkuliert waren. Zwar können die Betroffenen in diesen Fällen kurzfristige Überbrückungszahlungen (emergency payments) erhalten, allerdings ist dies in vielen Fällen nicht genutzt worden, weil dies entweder nicht bekannt oder der Zugang zu diesen Leistungen umständlich und schwierig ist.

Der Umgang staatlicher Stellen mit Personen, die sich Hilfe suchend und um Aufklärung bittend, warum Unterstützungszahlungen plötzlich ausbleiben, an sie wenden, ist kalt und bürokratisch. Die ausgegebenen Help-Line-Telefonnummern enden häufig bei einem Anrufbeantworter oder sind nicht erreichbar, eine Bearbeitung des Falles kann nicht erfolgen.

Die Anrufe verursachen zudem zusätzliche Kosten. In einem Fall dauerte es acht Wochen, bis eine Kürzungsentscheidung wieder zurück genommen wurde. Das Fazit der allein erziehenden Mutter lautete: »Ich dachte das System beschützt mich. Die Unterstützungen sind mein Sicherheitsnetz – wenn sie weggenommen werden, wie sollen Familien wie unsere überleben?«

Diese Fakten werfen kein gutes Licht auf das zuständige Arbeits- und Sozialministerium (Department for Work and Pensions), das sofort versicherte, neue Leitlinien für den Umgang mit Leistungsbeziehern heraus zu geben. Es wolle dafür sorgen, dass Antragsteller darüber informiert werden, dass ihnen bis zur Bewilligungsentscheidung kurzfristige Überbrückungsgelder zur Verfügung stehen.

Der zuständige Minister wies darauf hin, dass nicht allein sein Ministerium für die zunehmende Inanspruchnahme der Food Banks verantwortlich gemacht werden könne – dies behauptet der Bericht auch nicht. Aber aus ihm wird deutlich, dass dysfunktionales Handeln sozialstaatlicher Stellen durch Wohltätigkeitsorganisationen kompensiert werden muss.

Ähnlich kritisch äußert sich eine All-Parteien-Untersuchungskommission zur Verbreitung von Food Banks. Dieser Bericht beschäftigt sich mit den ökonomischen Hintergründen und hier liegen die eigentlichen Ursachen für die Not. Britannien hat im OECD-Vergleich das niedrigste Einkommen bei den unteren 20% der Haushalte (9.530 US-Dollar im Jahr) und eine sehr große Anzahl von Personen, die in diese niedrige Einkommenskategorie fallen.

Gleichzeitig haben sich die Basis-Aufwendungen (Unterkunft, Lebensmittel, Energie) für den Lebensunterhalt zwischen 2003 und 2012 im unteren Einkommensbereich von 31% auf 40% erhöht. Die mittleren Haushaltseinkommen in diesem Bereich verringerten sich von 180 Pfund in der Woche im Jahr 2003 auf 177 Pfund im Jahr 2013.

Die All-Parteien Untersuchungskommission geht davon aus, dass es kurzfristig nicht zu einer Entwicklung kommen wird, in der die Food Banks überflüssig werden. Sie schlägt daher vor, die Koordination zwischen staatlich-lokalen Stellen, Wohltätigkeitsorganisationen mit ihren ehrenamtlichen Helfern, Supermarkt-Ketten, die über überflüssige Lebensmittel verfügen, und der Lebensmittelindustrie zu verbessern und in einem Netzwerk namens Feeding Britain zusammen zu fassen, um das Ziel eines Hunger freien Britanniens zu erreichen.

In dem Dokument ist viel von Ermutigung und horizontaler und vertikaler Kooperation und von der Einrichtung von Pilotprojekten die Rede, das eigentliche von der Kommission selbst benannte Problem zu niedriger Löhne und Einkommen für viele Beschäftigte wird nur beiläufig angesprochen, etwa wenn von einer Erhöhung des nationalen Mindestlohns die Rede ist. Die Erhöhung der Löhne ist umso wichtiger, als die konservativ-liberale Regierung nach wie vor der Meinung ist, Menschen in Arbeit zu bringen, sei die Hauptsache. Die Zunahme der Food Banks zeigt aber, dass gerade die Bezieher von Niedrigeinkommen am ehesten in Notsituationen geraten.

Im übrigen hat das Mitglied der Untersuchungskommission, Baroness Jenkin, die ganze Sache auf den Punkt gebracht, in dem sie auf der Pressekonferenz meinte, das Hauptproblem sei, dass »poor people do not know how to cook«.

Zurück