12. Juli 2015 Joachim Bischoff: Gibt es ein 3. Hilfspaket für Griechenland?

Isch over?

Die Verhandlungen über ein neues, drittes Hilfspaket für Griechenland gestalten sich zäh. Die Finanzminister der Euro-Zone (Euro-Gruppe) haben ihre Beratungen wieder aufgenommen, die sie zuvor nach neunstündiger Dauer die Sitzung unterbrochen hatten. Die Nerven bei den Teilnehmern der Eurogruppengespräche waren arg strapaziert.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble wird mit dem Spruch zitiert: »Ich bin doch nicht blöd«. Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, wollte ihm in der Diskussion ein Schuldenproblem erläutern.

Zur Diskussion steht, ob man den Institutionen – der EU-Kommission, der EZB und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) – ein Mandat zur Aufnahme von Verhandlungen über das von Athen beantragte Hilfsprogramm des Euro-Krisenfonds ESM erteilt. Ohne weitere Hilfe droht Griechenland der Staatsbankrott und in weiterer Folge wohl das Ausscheiden aus dem Euro-Raum (Grexit).

Fest steht: Es hat keine Einigung in der Euro-Gruppe gegeben, der weitere Fortgang ist somit Chefsache geworden. Die Staats- und Regierungschefs der 19 Euro-Staaten beraten nun auf einem Euro-Gipfel in Brüssel, um einen Ausweg aus der zugespitzten Situation zu finden. Ob es klare Entscheidungen oder eine weitere Verschiebung geben wird, ist aktuelle nicht abzusehen. Den geplanten EU-Gipfel aller 28 EU-Staaten hat EU-Ratspräsident Donald Tusk abgesagt.

Das Hauptproblem liegt nach Angaben vieler Akteure im Mangel an »Vertrauen in die griechische Regierung«. Diese hatte eine Liste mit Reformvorschlägen eingereicht (siehe hierzu »Eine Alternative zum Grexit«), die sie im Gegenzug zu neuer Kredithilfe umsetzen will. Die Institutionen sind bei einer ersten Prüfung zum Schluss gekommen, dass die Vorschläge »unter gewissen Bedingungen« die Grundlage für Verhandlungen über ein Hilfspaket bilden könnten.

Zahlreiche Akteure äußern Zweifel, ob die Regierung das vorgeschlagene Reformpaket tatsächlich zügig umsetzen werde. Zudem betonten mehrere Minister, dass es für ein dreijähriges, drittes Programm mehr Reformen brauche, als es für den Abschluss des zweiten gebraucht hätte.

Schlussfolgerung in der Euro-Gruppe: Erstens müsse Griechenland die Reformliste nachbessern, laut EU-Kommissar Pierre Moscovici vor allem im Bereich der mittelfristigen Maßnahmen. Zweitens brauche man Garantien, dass die Politik auch umgesetzt werde. Der italienische Finanzminister Pier Carlo Padoan forderte, zur Vertrauensbildung müsse Griechenland mit der Umsetzung durch Parlamentsbeschlüsse beginnen. Nach den Worten von Finnlands Finanzminister Alexander Stubb geht es um 10 bis 15 konkrete Bedingungen, die Griechenland als Vorleistung erfüllen muss.

Die dritte Komponente des dritten Reformpaket, das die Voraussetzung für neue Hilfe bildet, sondern auch über die Finanzierung, enthält eine Brückenfinanzierung für die Zeit, die die Aushandlung des neuen Abkommens benötigen würde, und über Maßnahmen zur Sicherstellung der Schuldentragfähigkeit.

Laut einer vorläufigen Analyse der Institutionen sind für die drei Jahre neue Hilfskredite im Umfang von 74 Mrd. € nötig, unter Einrechnung einer Beteiligung des IWF. Bis August ist eine Brückenfinanzierung notwendig, wenn weitere Beschädigungen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Griechenlands vermieden werden sollen. Um die griechischen Schulden tragfähiger zu machen, sind Verlängerungen der Laufzeiten von Hilfskrediten im Gespräch. Einen Schuldenschnitt, also den Verzicht auf die Rückzahlung eines Teils der Schulden gegenüber den Euro-Staaten und dem Euro-Krisenfonds, lehnen viele Minister weiterhin ab.

In der teilweise durchgesickerten Analyse der Euro-Gruppe haben die Institutionen einen durch externe Mittel zu deckenden Finanzbedarf von 81,7 Mrd. € von August 2015 bis Ende Juli 2018 ermittelt. Hiervon wären 25 Mrd. € für die Rekapitalisierung von Banken reserviert, da das Bankensystem zunächst durch den Abzug von Einlagen und dann die Schließung der Banken arg in Mitleidenschaft gezogen worden ist. Der Rest würde fast ausschließlich für die Rückzahlung von Schulden und für Schuldzinsen benötigt.

Von den 81,7 Mrd. € könnten 7,7 Mrd. € aus den so genannten SMP-Gewinnen gedeckt werden, so dass einschließlich einer Beteiligung des IWF neue Kredite im Umfang von 74 Mrd. € nötig würden. SMP-Gewinne erwachsen dem Euro-System (EZB, nationale Notenbanken) aus einem früheren Aufkaufprogramm für Staatsanleihen. Die Euro-Staaten hatten schon 2012 zugesagt, unter bestimmten Bedingungen eine Summe, die dem Anteil »ihrer« Notenbank aus den mit griechischen Anleihen erzielten Anleihen entspricht, Griechenland zu überlassen.

 

In der Euro-Gruppe kommt auch nach langen Debatten kein Konsens zustande. Besonders skeptisch hat sich der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble geäußert. Man rede jetzt über ein drittes, dreijähriges Programm statt wie zuvor über den Abschluss des zweiten Programms. Damit gehe es um ganz andere Finanzierungslücken, und die für Letzteres diskutierten Reformen würden für Ersteres bei weitem nicht ausreichen.

Erschwert wurden die Verhandlungen dadurch, dass in Finnland die populistischen (wahren) »Finnen« offenbar mit dem Verlassen der Koalitionsregierung drohen, sollte diese einem dritten Hilfspaket zustimmen. Eine besonders harte Haltung nimmt daher Finnland ein, dessen Finanzminister Alexander Stubb frühzeitig signalisierte, dass es keine Empfehlung für den Einstieg in ESM-Verhandlungen geben werde.

Nach seiner Ansicht hätten die Finanzminister mit ihren Forderungen zur Nachbesserung nun einen »sehr guten Vorschlag« für die weitere finanzielle Unterstützung Griechenlands auf dem Tisch gelegt. Dazu gehörten »harte Bedingungen« mit Blick auf die Arbeitsmarkt- und Rentenreform sowie Steuererhöhungen und die verlangten »harten Maßnahmen bei Privatisierungen«. Das erste Maßnahmenpaket soll dem Papier zufolge bis kommenden Mittwoch durch das Parlament gebracht werden. Erst dann werde es Verhandlungen über ein drittes Hilfspaket geben.

Ein Schuldenschnitt wird in dem Entwurf ausdrücklich ausgeschlossen. Gleichwohl stellt die Euro-Gruppe dem Dokument zufolge eine Verlängerung des Zahlungsaufschubs und eine längere Rückzahlungsdauer zur Begleichung der Schulden in Aussicht. Eine ähnliche Zusicherung hatte es vonseiten der Euro-Finanzminister schon im November 2012 gegeben.

Unter anderem fordert die Euro-Gruppe nun die Stärkung des Steuersystems in Griechenland, um die Einnahmen des Staates zu erhöhen. Für die Binnenwirtschaft soll die Regierung mehr »Liberalisierungen« vornehmen und Empfehlungen der OECD umsetzen. Das gilt unter anderem für Bäckereien, Ladenöffnungszeiten am Sonntag und Verkäufe von Arzneimitteln.

Der Arbeitsmarkt soll ebenfalls stärker »liberalisiert« und der Finanzsektor durch die Umsetzung von EU-Regeln gestärkt werden. In Klammern gesetzt – d.h. als eine weitere Option notiert – ist in dem Dokument der am Samstag bekannt gewordene Vorschlag der deutschen Bundesregierung, einen Treuhandsfonds mit Vermögenswerten des griechischen Staates in Höhe von 50 Milliarden Euro zu schaffen, der mithilfe von Privatisierungen die Schuldenlast des Landes reduzieren soll.

Bevor ein drittes Programm ausverhandelt ist, rechnet die Euro-Gruppe mit einem Finanzbedarf Griechenlands von sieben Milliarden Euro im Juli und zwölf Milliarden Euro im August. Durch welche Mittel dieser Bedarf gedeckt werden soll, wird nicht genannt. Im Sommer stehen vor allem milliardenschwere Rückzahlungen Griechenlands an die Europäische Zentralbank an. Ein neues Programm solle zudem einen Puffer zur Stärkung des griechischen Bankensektors enthalten. In dem Dokument werden dafür Summen von zehn bis 25 Milliarden Euro genannt.

Im Unterschied zu den deutschen, niederländischen, baltischen und finnischen Hardlinern setzt sich Frankreich seit längerem vehement dafür ein, mit der griechischen Linksregierung zu einer Vereinbarung zu kommen. Mit Blick auf das deutsche Papier über einen möglichen vorläufigen Austritt Griechenlands aus der Eurozone sagte Staatspräsident Hollande, es gebe keinen provisorischen »Grexit«, »Es gibt einen ›Grexit‹ oder keinen ›Grexit‹. Um es einfach in Französisch zu sagen: Es gibt Griechenland in der Eurozone, oder Griechenland (ist) nicht mehr in der Eurozone.«

Nach rund neunstündigen kontroversen Debatten vertagten die Euro-Finanzminister ihre Debatten. Eine geplante gemeinsame Erklärung blieb unveröffentlicht. Die Differenzen unter den europäischen Politikern spiegeln auch unterschiedliche Bewertungen in den Bevölkerungen der Mitgliedsländer wieder.

Die die harte Haltung der Hegemonialmacht Deutschland, wie sie vor allem Finanzminister Schäuble vertritt, sind mit der Kanzlerin Angela Merkel und SPD-Chef Sigmar Gabriel abgestimmt. Könnte Merkel überhaupt mit dem Vorschlag für ein drittes Hilfsprogramm in den Bundestag gehen, kann sie damit vor ihre Fraktion treten?

Im Februar hatten von 311 Unions-Abgeordneten 29 gegen eine Verlängerung des zweiten Hilfsprogramms für Griechenland votiert; 118 weitere gaben persönliche Erklärungen ab, um ihre Bauchschmerzen bei der Zustimmung zu dokumentieren. Das ist zusammen fast die Hälfte der Fraktion – und die Zahl von Skeptikern ist inzwischen nach Einschätzung der Fraktionsführung noch gewachsen. »Der Juncker-Vorschlag, den die griechische Regierung jetzt angeblich akzeptieren will, war nie zustimmungsfähig«, behauptet Hans-Peter Friedrich von der CSU, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende für Europapolitik. Der hier vorherrschende Aspekt sind die entstandenen Verluste und die – kleinkarierte Ansicht – besser jetzt alles Abschreiben als neue Risiken auf weitere Verluste einzugehen.

 

Die bundesdeutsche Sozialdemokratie liefert wie in den vergangenen Monaten ein uneinheitliches Bild. Nachdem Parteichef Gabriel zunächst einräumen musste, dass Schäubles Vorschlag eines »provisorischen Grexits« abgestimmt war, erklärte er wenig später: »Die SPD verfolgt nach wie vor das Ziel, Griechenland in der Eurozone zu halten, wenn die dafür notwendigen Bedingungen geschaffen werden können. Das ist auch das gemeinsame Ziel der Bundesregierung. Und darüber wird derzeit in Brüssel beraten. Die SPD legt dabei besonderen Wert auf ein gemeinsames und abgestimmtes Vorgehen mit Frankreich. Der Vorschlag des Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble für ein zeitlich befristetes Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone ist der SPD natürlich bekannt. In einer derart schwierigen Situation muss auch jeder denkbare Vorschlag unvoreingenommen geprüft werden. Dieser Vorschlag wäre aber nur realisierbar, wenn die griechische Regierung ihn selbst für die bessere Alternative halten würde.«

Der geschwächte linke SPD-Flügel hat mit Gesine Schwan eine klare Opponentin zur Mehrheitslinie gefunden. Sie sieht »die Hauptverantwortung bei der Eurozone und beim IWF. Denn Griechenland wirft die Frage auf, ob die Politik in der Europäischen Union so weitergehen kann oder nicht. Das ist eine ganz radikale Frage. Dabei hat es unsere Leute nicht gestört, dass sowohl die Arbeitslosen- als auch die Schuldenquoten in allen ›Reformländern‹ immer weiter gestiegen sind… Es gibt bei uns mittlerweile eine Abdankung des demokratischen Gedankens. Schließlich fühlt sich die griechische Regierung verantwortlich für ihr Land. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass sich die Institutionen verantwortlich fühlen für Griechenland. In einem Land, das immer weiter den Bach runtergeht, gibt es glücklicherweise Kräfte, die sagen, das können wir einfach nicht akzeptieren. Darüber bin ich froh, wenn ich sehe, wie opportunistisch Politik bei uns mittlerweile betrieben wird.«

Die Juso-Chefin Johanna Uekermann spitzt zu: »Schäubles Politik ist schon lange untragbar. Erst hat die von ihm durchgesetzte Sparpolitik Griechenland in eine tiefe soziale Krise gestürzt, jetzt möchte er mit seinen Grexitfantasien Griechenland den Rest geben. Merkel und Gabriel müssen Schäuble sofort stoppen!«

Die Grexit-Strategie des Finanzministers der europäischen Hegemonialmacht ruft leider nicht den geschlossenen Protest der bundesdeutschen Mosaik-Linken hervor. Oskar Lafontaine, der mit seiner Position im Widerspruch zur Führung und Teilen Linkspartei steht, die am Euro festhält und einen Grexit ablehnt, verfolgt eine andere Perspektive: »Der Euro ist schon gescheitert, wir dürfen uns da keinen Illusionen hingeben«.

Er plädiert dafür, zur so genannten Währungsschlange zurückzukehren, in der eine Bandbreite von Wechselkursen für die verschiedenen europäischen Währungen festgelegt wird. Griechenland werde nur dann wirtschaftlich wieder auf die Beine kommen, wenn es eine eigene Währung einführe. »Wichtig ist, dass Griechenland wieder die Möglichkeit erhält abzuwerten, um mit seinen Produkten wettbewerbsfähig zu werden. Es ist überdeutlich, dass Griechenland unter den gegenwärtigen Bedingungen einer starren Währung keinen wirtschaftlichen Erfolg haben kann.«

Die Debatte darüber, was eigentlich hinter der beinharten Politik von CDU/CSU und der Mehrheitssozialdemokratie steckt und wie nicht nur Griechenland wieder auf die Beine kommen kann, ist noch nicht beendet. Der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis hat im britischen »Guardian« eine Deutung angeboten: Deutschland wolle mit einem Grexit Frankreich zur Übernahme des deutschen Modells der Eurozone zwingen. Der CDU-Politiker Schäuble wolle Griechenland aus der Währungsunion drängen, »um klare Verhältnisse zu schaffen, auf die eine oder andere Weise«. Er wolle damit die Franzosen das Fürchten lehren und sie zwingen, »sein Modell einer Zuchtmeister-Eurozone« zu akzeptieren.

Schon seit längerem verfolge Schäuble das Ziel einer Stärkung der neoliberalen Vorherrschaft. Varoufakis kitisiert, dass die Euroländer zu Beginn der Schuldenkrise 2010 statt einer Umschuldung und einer Reform der Wirtschaft eine »toxische Option« gewählt zu haben. Es seien »neue Kredite an eine bankrotte Einheit vergeben worden, während so getan wurde, als bleibe sie solvent«.

Die Verhandlungen über ein drittes Hilfsprogramm werden Österreichs Finanzminister Hans Jörg Schelling zufolge aufgenommen, wenn das griechische Parlament ab Montag die verschärften Bedingungen verabschiedet. Erst danach erhielten die Institutionen ein Verhandlungsmandat. Auf die Frage, ob ein »Grexit« vom Tisch sei, antwortet er: »Aktuell ist er vom Tisch.« Es isch also noch nicht over.

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