8. März 2010 Joachim Bischoff

Labour als Konkursverwalter?

Rückt nach Griechenland jetzt Großbritannien in den Mittelpunkt des Interesses auf den Finanzmärkten? Mervyn King, Notenbankgouverneur der Bank von England, hält einen Vergleich von Großbritannien und Griechenland für absurd: "Ich wäre extrem überrascht, wenn die Agenturen die Bonität Großbritanniens abstufen würden."

Großbritannien drohe derzeit keine Abwertung seiner Bonität von AAA mehr, obwohl dies im November 2009 der Fall gewesen sei. Das Problem der gestiegenen Staatsschulden müsse jedoch dringend angegangen werden.

Gleichwohl: Nicht nur in Großbritannien warten die Banken, Finanzinvestoren , die Ratingagenturen und die Teilnehmer an den Finanzmärkten auf die für den Frühsommer geplante Parlamentswahl. Nach ihr dürfte die dann amtierende Regierung auch Sparmaßnahmen zur Eindämmung des Haushaltsdefizits und Pläne für eine langfristige Schuldenreduktion verkünden. Großbritannien steht ohne Zweifel eine schwere Phase der Sanierung der öffentlichen Finanzen bevor. Im laufenden Fiskaljahr (bis Anfang April 2010) ist ein Staatsdefizit von 12,6% des Bruttoinlandprodukts (BIP) budgetiert, im kommenden Jahr sollen es immer noch 12,0% sein. Das ist kaum weniger als der Fehlbetrag Griechenlands. Die Staatsschulden werden deshalb von einem Tiefststand von 35% des BIP auf über 80% springen.

Abbildung 1

Der Handlungsdruck ist gleichfalls groß: Großbritanniens Schuldenquote betrug im Januar 2010 nach Angaben des britischen Statistikamtes 59,9% des Bruttoinlandproduktes. Das sind fast 10% mehr als im Vorjahr. Die Staatsschuld belief sich auf 848 Mrd. Pfund (965 Mrd. Euro). Ohne Einrechnung der Ausgaben für die staatliche Bankenrettung waren es 743 Mrd. Pfund (846 Mrd. Euro).

Von den kapitalistischen Metropolen hat Großbritannien die größten strukturellen Probleme. London musste 1976 einen Notkredit des Internationalen Währungsfonds in Anspruch nehmen, um ein Budgetdefizit von 7% der gesamtwirtschaftlichen Leistung zu verarbeiten. 2010 klafft ein fast doppelt so großes Loch im britischen Staatshaushalt. Während Griechenlands Außenverschuldung 88% des Bruttoinlandproduktes ausmacht und das Land daher hochgradig abhängig von ausländischer Kapitalzufuhr ist, macht dies bei Großbritannien allerdings nur 18% der Wirtschaftskraft aus. Gleichzeitig hat sich London in längeren Laufzeiten verschuldet. Die Staatsschulden werden nach Schätzungen der Europäischen Kommission bis 2011 auf 88,2% des BIP anschwellen.

Auch dass die Inflation auf der Insel höher ist als bei den anderen kapitalistischen Metropolen und, dass das AAA-Rating in Gefahr ist, verbessert die Langfristperspektive für die Eigentümer von Staatsanleihen (Bonds) nicht gerade. Wenn die zehnjährigen Anleihen (auch "Gilts" genannt) dennoch nur mit rund 4%t verzinst werden, liegt das an den Interventionen der Bank of England, die für 225 Mrd. Pfund Regierungstitel aufgekauft und den Markt dadurch gestützt hat. Spätestens nach Auslaufen der "quantitativen Lockerung" Ende März könnte es mit den Kursen bergab und mit der Rendite nach oben gehen. Seit 2007 hat das Pfund um 25% gegenüber den wichtigsten Handelswährungen an Wert verloren. Dies hilft dem Export und entwertet die Auslandsschulden.

Die britische Wirtschaft beginnt sich langsam zu erholen. Im vierten Quartal 2009 wuchs das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 0,3%. Das Plus beendete eine Negativserie, die seit dem zweiten Quartal 2008 andauerte. Während der Rezession brach die Wirtschaftsleistung um 6,2% ein. Das ist der größte Rückgang seit Beginn der BIP-Berechnung.

Sonderlich groß sind die Erwartungen für 2010 nicht. Die Bank of England (BoE) nahm ihre BIP-Prognose von 2,2% auf 1,4% zurück. Zwar beginnt sich das verarbeitende Gewerbe zu erholen. Doch gerade der private Konsum bleibt schwach: Im Januar fielen die Einzelhandelsumsätze um 1,8% auf Monatssicht. Das ist das größte Minus seit Juni 2008. Mitverantwortlich dafür war die Wiederanhebung der Mehrwertsteuer. Die Haushalte sind hoch verschuldet, die Einkommen stehen unter Druck, die Steuern steigen. Deshalb halten sich die Briten mit ihren Ausgaben zurück.

Risiken gibt es weiterhin auf dem Hausmarkt, der nach einer jahrelangen Aufwärtsphase ähnlich wie beim Häusermarkt in den USA einen massiven Korrekturbedarf implementiert hat. Laut der Nationwide Building Society fielen die Hauspreise im Februar wieder. Der Einkaufsmanagerindex für das Baugewerbe ging auf 48,5 Punkte zurück. Werte unter 50 Zähler signalisieren ein Schrumpfen der Wirtschaft. Jüngste Zahlen des britischen Bankenverbandes zeigen darüber hinaus, dass die Kreditvergabe der Banken an Unternehmen sinkt und die Hypothekenvergabe rückläufig ist. Die Banken schnallen den Gürtel angesichts ihrer Eigenkapitalbelastungen enger, und der Staat muss sparen und Ausgaben senken. Damit drohen negative Auswirkungen auf die Binnenwirtschaft, den Arbeitsmarkt und den privaten Konsum.

Vor diesem Hintergrund spielt sich der Wahlkampf ab. Der amtierende Premier Brown von der Labour Party kämpft gegen eine deutlich in den Umfragen vorne liegende Konservative Partei. Brown wendet sich an die "mainstream majority", die Mitte der Gesellschaft, und wirbt darum, der seit 13 Jahren regierende Labour-Partei eine erneute Chance einzuräumen. Labour werde die wirtschaftliche Erholung sichern und nicht gefährden wie die Tories. Labour werde die öffentlichen Dienste bewahren und nicht beschneiden. Die Partei werde neue Arbeitsplätze durch die Förderung von Zukunftsbranchen schaffen, und sie werde eine Politik für die Mehrheit der Gesellschaft machen und nicht bloß für die Interessen einer privilegierten Minderheit, wie das von den Konservativen zu erwarten sei.

Ähnlich verhält es sich mit dem zweiten Schwerpunkt von Labours Wahlstrategie, dem Versprechen, eine fairere Gesellschaft zu schaffen. Auch hier ist der Leistungsausweis von Labour wenig überzeugend. Die britische Gesellschaft ist in den vergangenen 13 Jahren nach verschiedenen Indikatoren nicht gleicher oder fairer geworden, sondern die soziale Spaltung hat sich vertieft und verfestigt.

Die nächste Regierung – gleich wie sie parteipolitisch ausgerichtet sein wird – muss mit gewaltigen sozialen Widerständen rechnen. Die bis zur Mitte des Jahrzehnts notwendigen Einschnitte in die Budgets der einzelnen Ministerien werden vom Institute for Fiscal Studies, dem führenden finanzpolitischen Think-Tank, auf 15% bis 20% geschätzt. Das bedeutet wie in Griechenland eine sozialpolitische Rosskur, bei der die breiten Bevölkerungsschichten die Quittung für die ökonomisch-finanzielle Fehlentwicklung begleichen sollen.

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