16. April 2010 Joachim Bischoff

Langsamer Aufstieg bei großen Risiken

Der Internationale Währungsfonds hat in einer Studie und auch die Konjunkturforschungsinstitute haben in ihrem Frühjahrsgutachten für Deutschland einen langsamen Aufstieg aus der großen Krise prognostiziert. Sind damit die Probleme der Realökonomie bewegbar?

Die IWF-Experten gehen für das laufende Jahr von einem Wirtschaftswachstum von 1,2% aus, für 2011 erwarten sie ein Plus von 1,7%. Staatliche Investitionen, Kurzarbeit, Steuersenkungen und Programme wie die Abwrackprämie hätten die Konjunktur stabilisiert. "Deutschland wurde außergewöhnlich hart von der globalen Krise getroffen, doch haben politische Gegenmaßnahmen eine noch tiefere Rezession verhindert."

Problematisch sei die anhaltende Schwäche des Finanzsektors in Deutschland und die große Abhängigkeit vom Export. Deshalb werde der Aufschwung hier "moderat und krisenanfällig" sein. Als Stabilisierungsmaßnahme rät der IWF zu einer Förderung der Binnennachfrage. Der Abbau von Arbeitsplätzen wird sich demnach bis Jahresende beschleunigen.

Auch die Wirtschaftforschungsinstitute bestätigen in ihrer Gemeinschaftsdiagnose dieses Bild einer Konjunkturerholung ohne Schwung. Sie gehen davon aus, dass die deutsche Wirtschaft 2010 um 1,5% wachsen wird. In ihrem Herbstgutachten waren sie noch von 1,2% ausgegangen. 2011 werde das Wachstum 1,4% betragen. Zwar sei die wirtschaftliche Erholung vorübergehend ins Stocken geraten - für das erste Quartal 2010 wird sogar ein leichtes Schrumpfen des BIP erwartet. In der Grundtendenz dürfte die Konjunktur weiter aufwärts gerichtet sein.

Die längere Zeit kontrovers debattierte Frage ist entschieden: In den kapitalistischen Hauptländern wird die konjunkturelle Dynamik in diesem und im nächsten Jahr voraussichtlich gering sein. Bei der verhaltenen wirtschaftlichen Expansion wird sich die Lage am Arbeitsmarkt nur sehr allmählich bessern. Auch in Ländern, die wie Japan oder Deutschland in der Krise vor allem durch das Wegbrechen der Exporte betroffen waren, dürfte sich die Produktion nur langsam von den erlittenen schweren Einbußen erholen. In den USA bleibt die Konjunktur in der Grundtendenz im Prognosezeitraum zwar aufwärts gerichtet, doch wird sich die wirtschaftliche Expansion nach der kräftigen Ausweitung im zweiten Halbjahr des vergangenen Jahres zunächst spürbar verlangsamen.

Der Export der deutschen Unternehmen war vor einem Jahr mit fast einem Viertel kräftig eingebrochen. Anfang des Jahres zeigt sich eine deutliche Erholung. Grund: Die Weltwirtschaft erholt sich - von den USA bis China. Gleichwohl wäre es ein Fehlschluss, von einer zügigen Wiederherstellung des vor der Krise bestehenden Ungleichgewichtes in der Globalökonomie auszugehen.

Die Kapazitätsauslastung ist immer noch ausgesprochen niedrig. Die Industrieproduktion lag im Februar knapp 20% unter dem Höchstwert vor Beginn der Krise, die Fertigung von Investitionsgütern sogar um rund 25%. Zwar hat sich der Auftragsbestand der Unternehmen verbessert, er ist aber immer noch relativ niedrig. Wegen dieser anhaltenden Umgruppierung und der ausgeprägten Schwäche des Binnenmarktes bleibt der Außenbeitrag der deutsche Wirtschaft im ersten Quartal bescheiden. Die meisten Experten gehen von einer Stagnation oder einer leichten Schrumpfung des Bruttoinlandsprodukts aus.

Die deutsche Wirtschaft wird in den kommenden Jahren aus dem Ausland weniger Anregungen erhalten als in der Zeit vor der Rezession. Eine Reihe wichtiger Länder kämpft mit den Folgen von Immobilienblasen und Bankenkrisen und steht vor der Herausforderung, dass private und öffentliche Haushalte ihre Verschuldung verringern müssen. Die Produktionskapazitäten sind dort vielfach stark unterausgelastet und die Arbeitslosigkeit ist hoch.

Dies wird den Auftrieb von Preisen und Löhnen dämpfen und die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der dort ansässigen Produzenten mittelfristig stärken. Vor diesem Hintergrund ist für den Projektionszeitraum 2010 bis 2014 eine deutlich geringere Ausweitung der deutschen Exporte als in den zurückliegenden Jahren zu erwarten. Zudem verschärft sich preisbedingt die Importkonkurrenz.

Die geringere Bedeutung der Exporte und damit eine niedrigere Drehzahl des Exportmotors für die Akkumulation und das Wirtschaftswachstum hängen auch mit der sich abzeichnenden Tendenz eines Strukturwandels in der Globalökonomie zusammen. Wir sehen die Anfänge einer globalen Machtverlagerung weg von den kapitalistischen Hauptländern wie USA, Japan und Europa hin zu den Schwellenländern in Asien.

Mittel- und langfristig rücken China und Indien in die Rolle der Schrittmacher auf , während kleinere Nationen durch regionale Handelsliberalisierung ihre Abhängigkeit vom Westen abbauen könnten. Nach einem Wachstum von 5,2% im Krisenjahr 2009 nähert sich der Kontinent - gestützt durch eine moderate Erholung im Welthandel sowie dank den Auswirkungen von Konjunkturprogrammen und niedrigen Zinsen - einem nachhaltigen Wachstum.

Zugpferde Asiens sind die beiden Milliardenvölker Chinas und Indiens, denen für das laufende Jahr 9,1% bzw. 8,2% Wachstum prognostiziert werden. Die Wachstumsprognose für Asien ohne Japan liegt für das laufende Jahr bei 7,5%. Durch das Auslaufen der Stimuli und Zinserhöhungen soll sich das Expansionstempo 2011 leicht auf 7,3% verringern.

Anders als in den alten Metropolen läuft die prognostizierte Entwicklung für Asien ohne Japan auf eine V-förmige Konjunkturerholung hinaus. Mit dem anziehenden Wachstum beginnen aber auch wieder die Preise zu steigen. 2009 hatte sich die Teuerung stark zurückgebildet, was aber in nicht unerheblichem Umfang rückläufigen Erdöl- und Rohstoffpreisen zu verdanken gewesen war.

In Deutschland wird es eine langsame, schleppende Erholung von der massiven Schrumpfung geben, die die deutsche Wirtschaft in der Finanzkrise erlebt hat. Und die Gefahr eines weiteren Rückschlags und Umkippens in eine erneute Kontraktion bleibt hoch. Eine weitgehende Bereinigung der Kreditblase ist wegen des massiven Einsatzes des öffentlichen Kredits noch nicht erfolgt. Es ist deshalb davon auszugehen, dass es auf den Finanzmärkten in den USA und in Westeuropa in der nächsten Zeit zu weiteren Vertrauenskrisen kommt.

Sollte es zudem zu einer Krise des Vertrauens in die Solvenz größerer Staaten kommen, würde dies die Konjunktur massiv belasten. Diese Gefahr wäre insbesondere dann gegeben, wenn sich die Zweifel verstärkten, ob die Ökonomie der Metropolen wieder auf einen stabilen Wachstumspfad zurückfindet. Dieser Fall würde dann eintreten, wenn der schrittweise Entzug stützender Maßnahmen doch zu einem schweren konjunkturellen Rückschlag führte.

Auch US-Notenbankpräsident Bernanke unterstreicht in seiner Einschätzung der US-Konjunktur und der Globalökonomie die massiven Risiken. Zwar geht er grundsätzlich davon aus, dass die Wirtschaft sich in den kommenden Quartalen moderat erholt. Doch das Risiko einer Double Dip-Rezession bleibt hoch. Für diese fragile Tendenz gibt es einen eindeutigen Hintergrund: Schon in den zurückliegenden Wirtschafts- oder Konjunkturzyklen basierte das Wachstum auf einer beschleunigten Expansion von Geld- und Leihkapital. Sowohl in den Deutschland wie den anderen Metropolen der Globalökonomie wurde die chronische Überakkumulation überspielt durch eine Expansion des Kredits.

Mit Ausbruch der großen Krise Mitte 2007 platzte diese globale Kreditblase, die sich in den vergangenen Dekaden in den USA und Teilen Europas herausgebildet hatte. Sobald aber die Spekulations-, Kredit- und Immobilienblasen in den USA, Großbritannien, Irland, Spanien und Osteuropa platzten, brach die durch Schuldenaufnahme stabilisierte gesellschaftliche Nachfrage zusammen und die massive Überakkumulation wurde sichtbar und verschärfte sich.

Die sich abzeichnende Kapitalvernichtung und somit Bereinigung und Reproportionierung der Produktion wurde wiederum durch die Expansion des öffentlichen Kredits aufgefangen. Sobald die - private oder staatliche - kreditgestützte Nachfrage wegbricht, setzt eine verhängnisvolle, sich selbst verstärkende Abwärtsspirale ein, in der Überproduktion zu Massenentlassungen und Brachlegung von erheblichen Produktionskapazitäten führt.

Das aktuelle Dilemma besteht also darin, dass der zusammenbrechende Kreditüberbau durch öffentliche Kredite abgefangen und die unumgängliche Bereinigung zunächst vertagt wurde. Die zurückgedrängte Bereinigung kann durch Verwerfungen im internationalen Bereich oder durch neue Verwerfungen im Immobiliensektor oder den Finanzmärkten in einen offenen Krisenprozess übergehen.

In Folge der großen Krise haben sich auch die mittelfristigen Aussichten für die deutsche Wirtschaft eindeutig verschlechtert. Das Bruttoinlandsprodukt wird in den kommenden Jahren spürbar niedriger sein, als vor der Krise erwartet wurde. Die Institute erwarten, dass das Produktionspotenzial im Zeitraum 2009 bis 2014 um 1% pro Jahr zunimmt. Das reale Bruttoinlandsprodukt wird nach dem scharfen Einbruch im vergangenen Jahr erst 2013 das Niveau aus dem Jahr 2008 erreichen.

Und: Die Risiken für die Konjunktur bleiben groß. Diese resultieren zum Teil aus dem weltwirtschaftlichen Umfeld. Zum andern Teil ist die Lage im Bankensektor nach wie vor schwierig, auch wenn die Kreditrestriktionen zuletzt nicht weiter verschärft wurden. Auf den Finanzmärkten können immer wieder Verwerfungen auftreten, z.B. wenn aufgrund der hohen Defizite Zweifel an der Solvenz mancher Staaten aufkommen.

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