5. November 2013 Joachim Bischoff: Die Herbstprognose der EU-Kommission

Licht am Ende des Tunnels?

Die EU-Kommission sieht die Euro-Zone in einer konjunkturellen Trendwende, allerdings kann auch in den nächsten Jahren nur ein schwacher Aufschwung erwartet werden – die Gefahr eines verlorenen Jahrzehnts der sozioökonomischen Entwicklung wird immer deutlicher.

Bei der Präsentation der EU-Herbstprognose konstatierte Währungskommissar Rehn, es gebe »wachsende Anzeichen, dass die Wirtschaft einen Wendepunkt erreicht hat. Die fiskale Konsolidierung und die Strukturreformen haben die Basis für eine Erholung geschaffen. Aber es ist zu früh, einen Sieg auszurufen«. Daher bleibe die Arbeitslosigkeit auf einem »inakzeptablen hohen Wert«. Und als praktische Schlussfolgerung: Die EU-Staaten müssten die Anstrengungen »fortsetzen, die europäische Wirtschaft zu modernisieren, hin zu nachhaltigem Wachstum und der Schaffung von Jobs«.

In der EU 28 wird es gemäß der Herbstprognose im laufenden Jahr kein Wirtschaftswachstum geben, in der Eurozone ist eine Schrumpfung um 0,4% wahrscheinlich. Dies ist zwar geringer als das Minus von 0,7% im Vorjahr (in der EU hatte es 2012 eine Abnahme von 0,4% gegeben), doch wird erst für 2014 wieder ein Plus in beiden Gebieten prognostiziert. So soll das Wirtschaftswachstum in der Eurozone im nächsten Jahr 1,1% betragen und 2015 auf 1,7% steigen. In der EU 28 wird eine Zunahme um 1,4% für 2014 und ein Plus von 1,9% für 2015 prognostiziert.

Vor allem die südlichen Krisenländer verharren im laufenden Jahr tief in der Abwärtsspirale. Den schlechtesten Wert weist das Krisenland Zypern auf, wo die Wirtschaft um 8,7% schrumpft. Dahinter liegen Griechenland (-4,0%), Slowenien (-2,7%), Italien und Portugal (je -1,8%), Spanien (-1,3%), Niederlande (-1,0%), als erstes Nicht-Euroland Tschechien (-1,0%), dann der EU-Neuling Kroatien (-0,7%) und Finnland (-0,6%).

Ein Plus in der Wirtschaftsleistung verzeichnen Litauen (3,4%), Rumänien (2,2%), Luxemburg (+1,9%), Malta (+1,8%), Estland, Polen, Großbritannien (je 1,3%), Slowakei (+0,9%) Schweden (1,1%), Ungarn (0,7%), Bulgarien (0,5%) und Deutschland (+0,5%). Irland, Dänemark (je 0,3%), Frankreich (0,2%) und Belgien (0,1%) verzeichnen nur geringfügige BIP-Zuwächse.

Was heißt dies für die eigentlichen Krisenländer?

Irland

Von allen Krisenländern steht Irland am besten da. 2013 soll die Wirtschaft das dritte Jahr in Folge wachsen, wenn auch nur um 0,3%. Das Tempo soll sich 2014 auf 1,7% und 2015 sogar auf 2,5% beschleunigen. Sowohl Konsum als auch Exporte sollen immer besser in Schwung kommen. Bis 2015 soll die Arbeitslosenquote auf 11,7% fallen, nachdem sie 2012 noch bei 14,7% lag. Das Defizit soll übernächstes Jahr nur noch bei 3% des BIP liegen, nach 7,4% in diesem Jahr. Der Schuldenstand dürfte von 124,4% auf 119,1% sinken.

Irland, das vor drei Jahren mit einem Hilfskredit in Höhe von 85 Mrd. Euro vor dem Staatsbankrott gerettet wurde, will Mitte Dezember den Euro-Rettungsschirm verlassen. Die positive Entwicklung an den Kapitalmärkten erlaubt es, dass sich das Land im kommenden Jahr wie geplant wieder an den Finanzmärkten refinanzieren und somit auf weitere Hilfskredite verzichten kann. Seit Sommer 2013 sind die Renditen für irische Staatsanleihen (10 Jahre) von 4,2% auf 3,6% gefallen. Sie sind damit tiefer als diejenige für Staatsanleihen Italiens, ein Land, das nicht unter dem so genannten Rettungsschirm steckt.

Griechenland

Das am schwersten von der Schuldenkrise betroffene Land soll am Ende der Abwärtsspirale angelangt sein. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) soll 2014 erstmals seit sechs Jahren wieder wachsen, wenn auch nur um 0,6%. Das reicht nicht annähernd aus, um den in diesem Jahr erwarteten Einbruch von 4,0% auszugleichen. »2015 dürfte die Erholung an Kraft gewinnen, wenn die Investitionen zum Motor der Belebung werden«, hofft die EU-Kommission, die dann mit einem Plus von 2,9% rechnet. Allerdings bleibt die Arbeitslosigkeit hoch. Sie soll von rund 27% auf 24% im Jahr 2015 sinken. Auch die Verschuldung bleibt problematisch: Sie soll dann immer noch bei 170,9% der Wirtschaftsleistung liegen. In diesem Jahr werden 176,2% erwartet. Immerhin: Die Neuverschuldung, die in diesem Jahr bei 13,5% gesehen wird, soll in zwei Jahren auf 1,1% fallen. Das Land muss 2014 noch eine Finanzierungslücke in Höhe von bis zu 4,4 Mrd. Euro schließen – so lauten die Schätzungen von EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds (IMF).

Außerdem gibt es Differenzen zwischen der Troika und der nationalen Regierung über die Haushaltspolitik. Die Troika überprüft regelmäßig, inwieweit Griechenland die mit der Finanzhilfe verbundenen Sparauflagen erfüllt hat. Die Griechen sind der Auffassung, sie unternähmen genug, um ein Loch von zwei Milliarden Euro im Haushalt 2014 zu schließen. Die Troika hingegen ist überzeugt, dass das Land mehr tun müsse und fordert weitere Kürzungsmaßnahmen, zusätzlich zu den bereits vereinbarten.

Portugal

Der dreijährige Abschwung endet voraussichtlich im kommenden Jahr: Dann soll ein Wachstum von 0,8% herausspringen, das sich 2015 auf 1,5% nahezu verdoppeln soll. »Die Exporte sind der Wachstumstreiber, während die Binnennachfrage 2014 wieder anziehen wird«, prophezeit die EU-Kommission. 2015 soll die Arbeitslosenquote mit 17,3% leicht unter den diesjährigen Wert fallen. Dann könnte sich die Neuverschuldung mit 2,5% der Wirtschaftsleistung wieder im erlaubten EU-Rahmen bewegen. Der Schuldenstand dürfte in diesem Jahr den Rekordwert von 127,8% erreichen, bis 2015 aber wieder auf 125,7% zurückgehen.

Die Troika hatte Portugal im Jahr 2011 mit Notkrediten in Höhe von 78 Mrd. Euro vor einer Staatspleite gerettet. Im Gegenzug zwang sie dem Land eine Austeritätspolitik auf. Zum Teil wurden die rigiden Sparmaßnahmen – vor allem für die Beschäftigten des öffentlichen Bereichs – vom Verfassungsgericht einkassiert. Die konservative Regierung von Ministerpräsident Pedro Passos Coelho hat nun weitere Einschnitte für den Haushalt 2014 in Höhe von insgesamt 3,9 Mrd. Euro durchgesetzt.

Italien

Auf zwei Rezessionsjahre folgt eine kraftlose Erholung: 2014 wird ein Wachstum von 0,7% erwartet, das sich 2015 auf 1,2% erhöhen soll. Eine steigende Exportnachfrage soll die Unternehmen zu mehr Investitionen ermutigen und die Rückkehr in ein dauerhaftes Wachstum garantieren. Die Arbeitslosenquote soll im kommenden Jahr leicht steigen, 2015 aber mit 12,1% wieder leicht unter dem Niveau von 2013 liegen. Der Schuldenstand bleibt hartnäckig hoch: 2015 soll er mit 133,1% des BIP leicht über dem diesjährigen Niveau bleiben. Immerhin: Die Neuverschuldung dürfte unter der erlaubten Drei-Prozent-Grenze bleiben.

Spanien

Die viertgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone könnte 2014 nach zwei Rezessionsjahren in Folge erstmals wieder wachsen, aber nur um magere 0,5%. Das Plus soll sich 2015 auf 1,7% erhöhen. »Die großen Anpassungen werden die Erholung einschränken«, befürchtet die Kommission. Sowohl Unternehmen als auch Verbraucher dürften durch den Umbau des Bankensektors nach wie vor schwer an Kredite kommen. Die Exporte sollen dagegen gut laufen und stetig zulegen. Das Tempo der Erholung reicht aber nicht, um die Arbeitslosigkeit kräftig zu drücken. Die Quote soll von 26,6% in diesem Jahr lediglich auf 25,3% im übernächsten Jahr schrumpfen. Die Staatsverschuldung soll bis dahin sogar von 94,8 auf 104,3% klettern.

Zypern

Um 8,7% soll das BIP in diesem Jahr einbrechen. 2014 wird ein Rückgang um 3,9% erwartet. »Die zyprische Volkswirtschaft sieht sich starkem Gegenwind ausgesetzt«, so die Kommission. Sowohl der Konsum als auch die Exporte dürften sinken. Erst 2015 wird wieder mit einem Wachstum gerechnet, das aber mit 1,1% dünn ausfallen soll. Die Arbeitslosenquote dürfte 2014 auf 19,2% hochschnellen und erst 2015 wieder leicht auf 18,4% nachgeben. Das Defizit bleibt weit über der EU-Höchstgrenze von 3%, was den Schuldenstand bis 2015 auf 127,4% treibt.

Frankreich

Nach der faktischen Stagnation sieht Frankreich einem fragilen  Aufschwung entgegen. 2014 soll es nur zu einem Plus von 0,9% reichen, was etwa halb so viel ist wie in Deutschland. »Steigende Arbeitslosigkeit und Steuererhöhungen wirken sich negativ auf die Einkommen aus«, befürchtet die Kommission, was wiederum den Konsum bremst. Obwohl das Wachstum 2015 auf 1,7% anziehen soll, dürfte die Arbeitslosenquote bis dahin auf 11,3% zulegen.

Die Neuverschuldung dürfte in diesem Jahr bei 4,1% liegen. Auch 2014 und 2015 wird das Land der Prognose zufolge mit 3,8 und 3,7% über der 3%-Grenze liegen. Vor allem mit Einsparungen bei öffentlichen Ausgaben, aber auch mit Steuererhöhungen will die Regierung die problematische Haushaltslage 2014 in den Griff bekommen. Eingespart und aufgebracht werden sollen 18 Mrd. Euro, für 2013 waren es noch rund 30 Mrd. Euro. Die Austeritätspolitik ist somit ein Risiko für das Wirtschaftswachstum. Die Gesamtverschuldung des Staates wird den Rekordwert von 95,1% des Bruttoinlandproduktes (BIP) erreichen, gegenüber 93,4% im Jahr 2013. Bisher hatte die Regierung nur mit 94,3% gerechnet.

Euro-Krise nach wie vor lebensbedrohlich

Folgt man der EU-Kommission, dann wird es auch 2014 keine deutlichen Wachstumsimpulse geben, auch nicht für die Länder im erklärten Krisenmodus. Im Gegenteil: Die Austeritätspolitik hat tiefe Schneisen gerissen. Aber durch die massiven Kürzungen sind weder die öffentlichen Finanzen unter Kontrolle gebracht worden, noch konnte die Konjunktur stabilisiert werden. In einigen EU-Ländern wachsen die gesellschaftlichen Widersprüche in der politischen Willensbildung und in den Entscheidungsprozessen. Die politisch-soziale Unterstützung der Austeritätspolitik wird in einigen Ländern so fraglich, dass auch ein politisches Scheitern des immer noch verfolgten Kurses nicht ausgeschlossen werden kann.

Das Bruttoinlandprodukt (BIP) der Euro-Zone liegt noch immer 3% unter dem Niveau von 2007/08. In Griechenland beträgt der Einbruch des BIP zum Jahresende über 25%, und die Staatsschulden werden dieses Jahr auf 175% des BIP steigen; eine Abschreibung dieser Schuld ist schwierig, da sie mittlerweile zu 90% von öffentlichen Institutionen gehalten wird. Auch andere Länder verzeichnen Einbußen des BIP bei gleichzeitig gestiegener Verschuldung. Ein Erfolgsausweis sind die Ergebnisse dieser Politik gewiss nicht.

Die Euro-Krise ist nach wie vor lebensbedrohlich. Trotz massiver Kürzungen dominieren weiterhin ungelöste strukturelle Probleme der Euro-Zone, zu denen auch der notwendige Umbau der deutschen Wirtschaft zu intensiverer Investitionstätigkeit und breiteren Dienstleistungen gehört. Nicht beseitigt ist zudem der Krisenzusammenhang von Staaten und Banken und die damit verbundene Monetisierung von Staatsschulden. Banken müssen bei Staatsanleihen anders als bei Krediten an Unternehmen kein Kapital unterlegen und auch keine Mengenbeschränkungen einhalten.

Die Bewertung der EU-Kommission ist auch deshalb fragwürdig, weil völlig ausgeklammert bleibt, wann die Notenbanken mit dem Zurückfahren ihrer Bilanzen beginnen werden. Die Banken der Euro-Zone sind anhaltend in fragilem Zustand. Sie müssen ihre Bilanzen weiter sanieren, um neue Aufsichtsregeln erfüllen zu können. Gegen neue Verwerfungen an den Finanzmärkten sind sie schlecht gewappnet. Die Vernetzung der Banken mit Schuldnerstaaten ist nicht nur sehr eng, sondern auch gewachsen.

Nicht nur die Qualität der Erholung ist fraglich, auch der Beitrag der Austerität zur Krisenlösung wird immer häufiger in Frage gestellt. Die bisherigen Erfolge in der Antikrisenpolitik – die Stabilisierung der Wirtschaft und die Reduktion der Zinsunterschiede der Staatsanleihen von Peripherie und Kernzone – werden auch von etablierten politischen Kräften eher auf das OMT-Programm der Europäischen Zentralbank zurückgeführt.

Das krasseste Merkmal für das Scheitern der Austeritätspolitik ergibt sich aus der Tendenz, dass in einigen Ländern an der Peripherie die Schuldentragfähigkeit kaum mehr gegeben ist. Die Schuldenquoten sind infolge der Finanz- und Bankenkrise von 2007/2008 gestiegen, doch die ab 2010 verfolgte Austerität hat diesen Anstieg nicht gebremst. Austeritätspolitik fällt mit steigenden Verschuldungsquoten zusammen .Um den durch Austerität erhöhten Schuldenberg abzubauen, müssen die verschuldeten Länder ein höheres Wirtschaftswachstum und größere Primärüberschüsse der Staatshaushalte erzielen.

Aber selbst unter der Annahme relativ günstiger makroökonomischer Umstände wird es Jahrzehnte dauern, um die Schuldenquote deutlich zurückzuführen. Während dieses Zeitraumes dominiert in den Ländern eine massive Tendenz der Absenkung des Lebensstandards, bei gleichzeitiger Vertiefung der sozialen Spaltung.

Nach den kräftigen Sparbemühungen der vergangenen Jahre kommen die Länder der Euro-Zone nach Einschätzung der EU-Kommission beim Abbau ihrer Haushaltsdefizite künftig nur noch langsam voran. Bereits im laufenden Jahr schrumpften die Fehlbeträge in der Euro-Zone mit gedrosseltem Tempo um 0,6% auf 3,1. Das Tempo dürfte in den kommenden Jahren weiter zurückgehen.

Die Haushaltskonsolidierung habe den Boden für die Konjunkturerholung bereitet, glaubt trotz aller Kritik EU-Währungskommissar Olli Rehn. Entscheidend sei es nun, zu verhindern, dass es bei einer möglichen künftigen Bankenkrise erneut zu einer Belastung der Staatsfinanzen komme. Daher müsse die Bankenunion rasch umgesetzt werden. Innerhalb der Euro-Zone seien die Unterschiede aber beträchtlich, sagen die Experten der EU-Kommission voraus. Während Deutschland ab dem kommenden Jahr kleine Haushaltsüberschüsse schaffen dürfte, steige der Fehlbetrag in Spanien 2015 sogar wieder auf dann 6,6%.

Die wirtschaftlichen und politischen Eliten haben mit Banken- und Konjunkturpaketen nur die Symptome der großen Krise bekämpft, ihre systemischen Ursachen blieben unberührt. Die schwierigste Phase der großen Krise liegt keineswegs hinter uns. Die katastrophalen Resultate der Austeritätspolitik verweisen vielmehr auf einen langjährigen Anpassungsprozess. Die Erreichung der Ziele einer Rückkehr zu einem befriedigenden Wirtschaftswachstum, einer zukunftsorientierten Wirtschaftspolitik und eines stabilen Finanzsystems liegt nach wie vor in weiter Ferne.

Die wachsende soziale Spaltung in den Krisenländern bedroht längst den gesamtstaatlichen Prozess der politischen Willensbildung. Sparpolitik, Lohn- und Pensionskürzungen, die Zerschlagung kollektivvertraglicher Lohnbildung zerstören in Südeuropa die Reste des »Europäischen Sozialmodells«.

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