31. Januar 2010 Joachim Bischoff

Lokomotive der Weltwirtschaft und Entwicklungsland zugleich

Die ökonomische Entwicklung der VR China steht weltweit im Zentrum kritischer Betrachtung. China hat in der großen Finanz- und Wirtschaftskrise politisch konsequent reagiert und durch ein großes Konjunkturprogramm verhindert, dass auch die chinesische Ökonomie in den Abwärtsstrudel der Globalökonomie hineingerissen wurde.

Chinas Ökonomie ist im Jahr 2009 nicht geschrumpft und zusammen mit anderen asiatischen Ländern (z.B. Indien) deutet sich eine Verlagerung des Kraftzentrums der Weltwirtschaft von Nordamerika hin zum asiatischen Raum an.

Die chinesische Wirtschaft hat das Wachstumsziel der Regierung 2009 deutlich übertroffen, steht aber auch nach offiziellen Angaben vor großen Herausforderungen. Man müsse 2010 versuchen, die Preissteigerung unter Kontrolle zu halten und gleichzeitig für Wirtschaftswachstum zu sorgen. China will 2010 seine "proaktive Fiskalpolitik und die gemäßigt leichte Geldpolitik" fortsetzen. Deshalb könnte "der Preisanstieg mild ausfallen und unter Kontrolle bleiben".

Abbildung: Kennzahlen der chinesischen Wirtschaft
Quelle: FAZ vom 22.1.2010

Nach Angaben der Statistiker stieg Chinas Bruttoinlandsprodukt (BIP) im vergangenen Jahr um 8,7% und somit um 0,7% stärker als geplant. Im vierten Quartal habe das Wachstum 10,7% betragen, nicht zuletzt wegen des schwachen Vergleichszeitraums 2008. Ökonomen hatten 10,9% vorausgesagt. 8,7% im Gesamtjahr sei ein guter Wert, sagte Statistik-Chef Ma, doch habe das jährliche Wachstum zwischen 1978 und 2008 im Durchschnitt 9,7% betragen. Der Statistik-Chef vermied es, eine Erwartung für 2010 zu äußern, sagte aber: "Chinas Wirtschaft wird 2010 ihr stetiges und relativ schnelles Wachstum fortsetzen." Wegen des schwachen Vergleichszeitraums werde man im ersten Quartal 2010 vermutlich ein "ziemlich hohes" Wachstum ausweisen. Begünstigt werde die Entwicklung von den steigenden Investitionen und dem zunehmenden Verbrauch. Hinzu kämen neue Impulse aus dem Außenhandel. 2009 sei der Export um 16% auf 1.202 Mrd. US-Dollar gefallen. Der Import habe sich um 11,2% auf 1.006 Mrd. US-Dollar verringert, wodurch der Handelsbilanzüberschuss um ein Drittel auf 196 Mrd. US-Dollar geschrumpft sei.

Überhaupt erst möglich gemacht hat das Wachstum von 8,7% ein enormes Konjunkturprogramm des Zentralstaates zur Stimulierung der inländischen Nachfrage. Dieses wurde durch Investitionen von lokalen öffentlichen Körperschaften und großen Staatsbetrieben sowie die Ausdehnung der Kreditvergabe der Staatsbanken zusätzlich befördert. Korrigiert um die Entwicklung der Produzentenpreise, haben sich die Anlageinvestitionen gegenüber dem Vorjahr um mehr als einen Drittel erhöht, womit sich ihr Wachstumstempo nahezu verdoppelt hat. Der allergrößte Teil davon waren Investitionen der öffentlichen Hand. Insgesamt schätzt das statistische Amt, dass die Investitionen rund zwei Drittel des BIP-Wachstums beisteuerten. Die Banken haben 2009 mehr als doppelt so viele Kredite vergeben wie im Vorjahr.

Diese Entwicklung schlägt sich auch auf der Jahrestagung des neoliberal geprägten Weltwirtschaftsforums nieder, auf der der stellvertretende chinesische Ministerpräsident Li Keqiang eine viel beachtete Rede hielt. Er unterstrich nicht nur die Effekte der wirtschaftspolitischen Intervention für die Ankurbelung der Weltwirtschaft, sondern nahm auch zu den strittigen Punkten Stellung, wie die Nachhaltigkeit der ökonomischen Entwicklung, die Bekämpfung des Handelsprotektionismus und die Herausforderung des Klimawandels.

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hat den Gegenpart zur chinesischen Position übernommen. Nach einem generellen Plädoyer für den Freihandel warnte Sarkozy vor der Tendenz, die Welt im uneingeschränkten Handel mit Waren zu überschwemmen. Dies würde zu protektionistischen Reaktionen führen. An die Adresse Chinas war auch der Vorwurf der "Währungsmanipulation" gerichtet. Chinas Währung, der Yuan, ist an den US-Dollar gekoppelt und gilt deswegen als unterbewertet. Es wurde schon mehrfach seitens der USA wie auch von der EU der Vorwurf erhoben, China würde dadurch seine Exporte unverhältnismäßig schützen.

Fakt ist, dass in China am eindeutigsten auf die Finanz- und Wirtschaftskrise reagiert wurde. Es sei eine Zeit der Ernte gewesen, fasste der Chef des Nationalen Statistischen Amtes, Ma Jiantang, die wirtschaftliche Entwicklung Chinas im Jahr 2009 zusammen. In der weltweiten Jahrhundertkrise und damit verbunden den schwierigsten Zeiten für China seit langem hätten das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei und die Regierung "wissenschaftlich gehandelt" und die ganze Nation geeint aus der Krise geführt. Nun sei das Resultat ersichtlich: Ein Abgleiten der Wirtschaft habe verhindert werden können.

Allerdings sitzen Chinas verantwortliche Wirtschaftspolitiker nicht auf dem hohen Ross. Der Chefökonom, Zhu Baoliang, gibt offen zu: Wie effektiv das große Konjunkturstimulierungsprogramm der Regierung gewesen sei, könne er nicht ganz klar beantworten. Einerseits habe es offensichtlich sehr effektiv das Wachstum angetrieben, doch andererseits seien dabei manche strukturellen Probleme nicht gelöst, sondern eher noch verschärft worden. Zudem gebe es bereits Zeichen der Überhitzung im Akkumulationsprozess.

Auf der zentralen Wirtschaftskonferenz der KP seien deshalb als Ziele für 2010 festgelegt worden, dass in China ein Wirtschaftswachstum von über 9% angestrebt werde. Zugleich soll die Preissteigerung auf 3% begrenzt bleiben. Neue Investitionsprojekte seien deshalb jetzt nur noch in den ärmsten Regionen mit dem größten Nachholbedarf einzuleiten Die staatlichen Großkonzerne, mit ihren wirtschaftlichen Effizienzproblemen, müssten eher gebremst und stattdessen wieder die privaten kleinen und mittleren Unternehmen gefördert werden. Die Staatsfirmen neigten zur Monopolbildung und hätten sich daher in der Krise aus den Auflagen wieder herauswinden können. Staatliche Großunternehmen sollten aus dem Immobiliensektor und aus anderen nichtstrategischen Branchen ausgeschlossen werden. Den partiellen Überkapazitäten in der Großindustrie müsste mit Auflagen begegnet und stattdessen moderne Produktionen verstärkt gefördert werden.

Tiefgreifende Reformen sind laut Zhu auch nötig, um der Ungleichgewichte in der Einkommensverteilung und dem Außenhandel Herr zu werden. Damit es der Landbevölkerung besser geht, sollten Wanderarbeiter mehr verdienen und leichter dauerhaft in die Städte ziehen können. Wenn Chinas Firmen allmählich für Energie und Wasser mehr bezahlen müssten, würde das nicht nur Umweltprobleme lösen, sondern auch zur Modernisierung beitragen und effektiver als eine Aufwertung des Yuan die chronischen Handelsbilanzüberschüsse ausgleichen helfen.

Die zentrale Wirtschaftskonferenz hat 2010 in China zum Jahr der strukturellen Reformen ausgerufen. Am Ende des Jahres werden die Ergebnisse an diesen Zielen gemessen werden müssen.

Chinas Wirtschaft hat in den letzten Monaten des Jahres 2009 zusehends an Fahrt aufgenommen (siehe hierzu auch die Angaben in der Tabelle weiter vorn). Am stärksten erhöht hat sich mit 9,5% die Industrieproduktion. Dies, obwohl die Exporte um einen Sechstel eingebrochen sind. Das ist vor allem der Schwerindustrie zu verdanken und hat inzwischen in verschiedenen Sektoren bereits zu verschärften Problemen mit Überkapazitäten geführt. Ganz offen werden von chinesischen Wirtschaftsfachleuten die offenen Punkte des Strukturwandels markiert. Die Exportstruktur müsse optimiert werden. Es gelte, künftig wettbewerbsfähigere und technisch höherwertige Produkte anzubieten. China müsse das Wachstumsmuster ändern, um zu einem effizienteren und höherwertigen Wachstum zu gelangen.

Es gebe weiterhin 150 Millionen Arme im Land, die mit weniger als einem US-Dollar auskommen müssten. Das sind mehr als 11% der Gesamtbevölkerung. Trotz aller Erfolge sei China noch immer ein Entwicklungsland. Daher sei es enorm wichtig, den Wohlstand auf dem Land zu erhöhen. Die Zahl der WanderarbeiterInnen habe sich 2009 um 1,7 Mio. auf 149 Mio. erhöht. Der Unterschied zwischen Stadt und Land wachse.

Vor allem Finanzfachleute befürchten eine Überhitzung des Akkumulationsprozesses in China. Diese Gefahr wird von den nationalen Wirtschaftspolitikern gesehen und deshalb soll die zur Krisenbekämpfung gelockerte Geldpolitik zurückgenommen werden. Die Zentralbank hat bereits die Mindestreserveanforderungen an die Banken erhöht und die Renditen für bestimmte Staatspapiere angehoben. Eine expansive Politik birgt natürlich auch in China die Gefahr von Fehlinvestitionen, Überschuldung und einem steigenden Teuerungsdruck. Die Bankaufsichtsbehörden haben die Finanzinstitute denn auch aufgefordert, mit der Neuvergabe von Krediten vorsichtiger zu sein und sich, wo nötig, besser zu kapitalisieren. Aufs ganze Jahr gesehen sind die Preise zwar noch gesunken, doch im Dezember haben sich die Konsumentenpreise bereits wieder um 1,9% und die Produzentenpreise um 1,7% erhöht. China hat bei aller Anerkennung der Erfolge noch nicht zu einem neuen, weniger auf Export und stärker auf inländische Nachfrage abgestützten, nachhaltigen Wachstumsmodell gefunden.

Abbildung: Chinas Wachstum nutzt vor allem den Städten
Quelle: FAZ vom 22.1.2010

Nicht zuletzt Dank der Erhöhung staatlicher Transfers und Subventionen hat sich das verfügbare Einkommen der Haushalte zum ersten Mal seit Jahren stärker erhöht als die Wirtschaftsleistung. Wieder verstärkt hat sich hingegen das Wohlstandsgefälle zwischen Stadt und Land (vgl. die vorstehende Abbildung). Die Landbevölkerung, die immer noch die Hälfte der chinesischen Bevölkerung ausmacht, hat pro Jahr und Kopf weniger als ein Drittel des Einkommens der StädterInnen zur Verfügung. Das Wachstum der landwirtschaftlichen Produktion hat 2009 nur unterdurchschnittliche 4,2% betragen.

Westliche Beobachter erwarten für 2010 ein BIP-Wachstum um 11% und einen Anstieg des Verbraucherpreisindexes um 3,5%, nach minus 0,7% in 2009.

Mit seinem wirtschaftspolitischen Erfolg hat China dazu beigetragen, dass der asiatische Raum die Funktion einer Lokomotive der Globalökonomie übernehmen konnte. Allein in Asien zeigt sich ein "V-förmigen Wiederaufschwung", von dem die Ökonomen in anderen Regionen der Globalökonomie bloß fantasieren. In 2010 rechnen Experten mit einer Wachstumsrate von 6,6% für Asiens Entwicklungs- und Schwellenländer.

Asien wurde von der Finanzkrise weniger als der Westen betroffen, weil seine Finanzmärkte regulierter sind. Die Banken waren nicht im gleichen Maße in Derivaten engagiert. Die Reserven sind hoch, damit war den Politikern Handlungsfreiheit gegeben. Auch weil viele Länder der Region – allen voran China – keine entwickelten Demokratien sind, konnte die Staatsführung schnell riesige Ausgabenprogramme durchsetzen.

China hat zudem mit seinen Devisenreserven von über 2.400 Mrd. US-Dollar eine Basis, um ein rigoroses Gegensteuern außenwirtschaftlich abzusichern. Die Volksrepublik wird mit Blick auf eine Neuordnung des Währungs- und Finanzsystems ein wichtiger Faktor der Weltökonomie, hat durch die Finanzkrise an Bedeutung gewonnen. Das Vertrauen in den Westen, allen voran in die USA, und westliche Organisationen ist in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern massiv geschwunden.

Das Land baut vor diesem Hintergrund seinen Einfluss als internationale Finanzmacht kontinuierlich aus. Mittlerweile ist die Volksrepublik Anteilseigner aller regionalen Entwicklungsbanken, von Lateinamerika über Afrika bis Asien. Zuletzt stockte China seinen IWF-Anteil um 50 Mrd. US-Dollar auf. Zusammen mit Hongkong hat das Land im Frühjahr 2009 38 Mrd. US-Dollar in die Chiang-Mai-Initiative gepumpt, das asiatischen Pendant zum Währungsfonds.

Die Initiative wurde nach der Asienkrise 1997/98 auf Bestreben der Japaner gegründet, um kurzfristige Liquiditätsengpässe in der Region zu überbrücken. Im Falle einer Währungskrise können die Mitglieder, zehn südasiatische Länder plus China, Japan und Südkorea, Devisenswaps ziehen, um ihre Währung zu stützen.

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