7. September 2012 Joachim Bischoff: Die Beschlüsse der Europäischen Zentralbank

Masterplan oder wieder nur Zeitgewinn?

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat geliefert. EZB-Chef Mario Draghi hatte bereits vor Wochen – in Anknüpfung an einen Kompromiss auf dem letzten Gipfeltreffens der EU-Staats- und Regierungschefs – Konturen eines Masterplans für die Währungsunion publik gemacht. Jetzt ist der Gouverneursrat der EZB diesem Vorschlag gegen die Stimme des Bundesbank-Chefs gefolgt.

Die Idee: Die EZB kauft massenhaft Staatsanleihen überschuldeter und am Finanzmarkt unter Druck stehender Länder auf – aber nur, wenn diese Staaten unter den Euro-Rettungsschirm schlüpfen und damit strenge Auflagen erfüllen. Und wenn es die EZB für geboten hält, am Markt zu intervenieren – also durch ihre unbegrenzte Finanzmacht die Refinanzierungskosten deckelt.

 

Dieser Masterplan wird nicht nur von einer deutlichen Mehrheit der Euro-Länder unterstützt, sondern auch von den internationalen Organisationen wie IMF und OECD, die für das Öffnen geldpolitischer Schleusen und ein striktes Festhalten an der Architektur des Euro eintreten.

Teile der Politik und der deutschen Presse sind enttäuscht und reden von einem Vertragsbruch und dem offenen Übergang zu einer verbotenen Staatsschuldenfinananzierung. Insbesondere die Bundesbank hat massive Bedenken gegen ein Ankaufprogramm zugunsten der Krisenländer, da damit die Grenze zur verbotenen Staatsfinanzierung verwischt werde und der Reformdruck auf die Länder dadurch nachlasse. Draghi rechtfertigt seine Pläne damit, dass es zum Erhalt des Euro außergewöhnlicher Maßnahmen bedürfe. Die Europäische Zentralbank werde in völliger Unabhängigkeit und nur aus geldpolitischen Erwägungen heraus entscheiden.

Keine Frage: Mit der praktischen Umsetzung des Masterplans bricht eine neue Ära an. Die Kritik an der unzureichenden parlamentarischen Kontrolle der EZB und den Entscheidungsprozessen ohne Rückkoppelung an die nationalen Parlamente wird sich verstärken. Stärker noch als die EU-Kommission wird die EZB zu einer Supranationalen Institution ohne demokratischen Unterbau.

Was sind die Elemente des Masterplans? Schon bislang hatte die EZB am Sekundärmarkt Staatsanleihen angekauft; dieses Programm wurde bei einem Volumen von 211 Mrd. Euro eingestellt. Im Gegensatz zum bisherigen Kaufprogramm (SMP) sieht das neue Programm zudem strikte Konditionen, Käufe nur von kurzlaufenden Anleihen, mehr Transparenz und keinen bevorrechtigten Status der EZB vor.

Angekauft werden nur Anleihen von Staaten, die an einem Programm der Rettungsfonds (EFSF oder ESM) teilnehmen. Dies kann ein volles makroökonomisches Anpassungsprogramm sein, wie es die Länder durchzuführen haben, die bislang unter den Rettungsschirm geschlüpft sind. Es kann sich aber auch um ein vorbeugendes Programm handeln, das die Möglichkeit beinhaltet, dass EFSF oder ESM am entsprechenden Primärmarkt für Staatsanleihen aktiv werden. Die Beteiligung des IWF an der Erstellung und Überwachung der Programme wird ausdrücklich begrüßt.

Gekauft werden sollen Staatsobligationen mit kurzer Laufzeit oder Restlaufzeit, wobei das Augenmerk auf der Spanne zwischen einem und drei Jahren liegen soll. Die EZB verzichtet bei diesen neuen Käufen von Bonds auf ihren vorrangigen Gläubigerstatus. Um den direkten Inflationsdruck aus den Eingriffen in Schach zu halten, will sie zudem die Geldausweitung durch entsprechende Kreditoperationen neutralisieren. Darüber hinaus sichert sie volle Transparenz zu: Wöchentlich sollen aggregierte Daten zu den Käufen veröffentlicht werden, monatlich sollen auch die durchschnittliche Laufzeit und eine Aufteilung nach Ländern offengelegt werden. Es gibt keine mengenmäßige Obergrenze für den Ankauf von Staatsobligationen.

Ziel dieser Maßnahmen ist die Senkung der Zinslasten auf Staatsanleihen von Krisenländern, wobei dies letztlich auch dazu führen soll, dass die Unternehmen in der Euro-Zone eine bessere und preiswertere Kreditversorgung erhalten. Diesem Ziel dient auch die Lockerung der Anforderungen für die Sicherheiten bei Beleihungen von Staatsanleihen. Es gelten künftig für alle Staatsanleihen und vom Staat garantierte Titel von Programmländern mit Ausnahme Griechenlands keine Mindestanforderungen an die Bonität mehr. Zudem können neu auch in der Euro-Zone ausgegebene Anleihen in ausgewählten Fremdwährungen beliehen werden. Die Lockerung ist ein weiterer Versuch, die Kreditvergabe in der Euro-Zone zu beleben.

Den Übergang zum Masterplan begründet die EZB mit den anhaltenden Spannungen an den Finanzmärkten und dem erhöhten Maß an Unsicherheit, die sowohl Risiken für das Wachstum als auch für die Preisentwicklung enthalten. Vor diesem Hintergrund will sie eine kohärente Geldpolitik in allen Ländern des Euroraums sicherstellen.

Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger verteidigt den Masterplan. Eine Finanzaufstockung der Rettungsfonds (ESFS und ESM) sei politisch in der Euro-Zone nicht mehr durchsetzbar gewesen. Dies habe die Unsicherheit massiv befördert, denn die Anleihenmärkte für Länder wie Italien und Spanien seien massiv gestört. Die überhöhten Zinsen konterkarierten alle Anstrengungen zur Haushaltskonsolidierung. Auch der US-Ökonom Eichengreen befürwortet diese Linie: »Wenn die EZB in der Krise Staatsanleihen aufkauft, um das System der Kreditvergabe in Europa zu stabilisieren, dann ist das sicher auch für das Wirtschaftswachstum hilfreich. Auf der anderen Seite sollte man diese Hilfe konditionieren: Man muss dafür Reformen verlangen.« (Interview in der FAZ vom 1.9.2012)

Unbestritten ist aber von den Befürwortern auch: Die Anleihekäufe dürften nicht zum Dauerzustand werden. Entscheidend wird sein, ob die sich abzeichnende Rezession in der Euro-Zone abgefedert werden kann und mit der Rückkehr zu einem Wirtschaftswachstum nicht nur die Realökonomien sondern auch die öffentlichen Finanzen aus dem Anpassungsstress herauskommen.

Der Masterplan schafft allerdings wie alle vorangegangenen Kriseninterventionen auch wieder nur mehr Zeit, anstelle eines wirklichen Auswegs. Die Idee, die Krisenländer der Euro-Zone sollten möglichst schnell ihre Haushaltsdefizite und ihren Schuldenstand zurückfahren, ist falsch. Wenn ein Land in der Rezession steckt und das Bruttoinlandsprodukt jeden Tag schrumpft, dann treibt eine Sparpolitik es noch tiefer in die Rezession und bewirkt nie, die Verschuldung abzubauen. Schließlich geraten die Banken in Mitleidenschaft und müssen gerettet werden, was die öffentliche Verschuldung noch erhöht.

Angesichts der rezessiven Entwicklung ist es stattdessen wichtig, die EU-Konjunktur durch neue Wachstumsimpulse zu beleben. Diese Impulse müssten zudem so ausgerichtet sein, dass für die Krisenländer ein Übergang auf neue Wirtschaftsstrukturen eingeleitet wird. Der Gipfelbeschluss einer Umwidmung von 120 Milliarden Euro aus verschiedenen EU-Töpfen zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung ist einerseits richtig, bleibt aber angesichts der aufgetürmten Probleme deutlich hinter den Anforderungen zurück. Die Gemeinschaftswährung kann dauerhaft funktionieren, aber nur über eine abgestimmte wirtschaftliche Entwicklung. Und die Sanierung der öffentlichen Finanzen muss mit Veränderungen der Realökonomie Hand in Hand gehen.

Zu Recht wird sich die Kritik an der unzureichenden Kontrolle und der mangelnden demokratischen Legitimation der EZB und der anderen europäischen Institutionen verstärken. Denn eine grundlegende Erneuerung in Europa, ein Politikwechsel und der Übergang auf eine sozialökologische Entwicklungslogik sind nur durch breite politische Partizipation und Kontrolle umzusetzen.

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