4. Juni 2012 Joachim Bischoff / Richard Detje

Neue Krisenpläne für den Euro-Club

Im Euro-Club werden erneut die Krisenpläne überarbeitet. Arbeitstitel: Roadmap. Ein Begriff, der in der Vergangenheit für gescheiterte Krisenprozesse im Nahen Osten stand. In der Tat gibt es Parallelen: Solange die Mehrheit der politischen Klasse in Israel nicht zu einem territorialen Kompromiss mit den Palästinensern bereit ist, werden alle Varianten der Roadmap scheitern. Und solange EU-Kommission, Zentralbank und der Europäische Rat der Regierungschefs keinen Weg zum Abbau der ökonomischen Ungleichgewichte und damit der realwirtschaftlichen Erneuerung eingeschlagen, bleibt die Währungsunion im Krisensumpf stecken.

Hintergrund für neue Krisenpläne ist – trotz aller Brisanz – weniger die Entwicklung in Griechenland. Dort sind die politischen Kräfteverhältnisse nach den Neuwahlen am 17. Juni abzuwarten. Szenarien eines Plan B mit dem Austritt Griechenlands aus der Währungsunion wurden längst ausgearbeitet. Doch die bleiben zwangsläufig abstrakt, da sie nicht in Brüssel exekutiert, sondern im Parlament in Athen umgesetzt werden müssten, in dem die überwiegende Mehrheit – einschließlich Syriza – keinen nationalen Alleingang präferiert.

Je nach Wahlausgang wird es Verhandlungen über Konditionen und Neuauflagen, Laufzeiten und Zusatzkredite geben, an deren Ende erst über »Euro oder Drachme« zu entscheiden ist. Die Sommerwochen bieten sich auch für jede Menge Wirren, Missverständnisse und Irrungen an – während sich die Lage im Devisenhaushalt mit dem Absturz des Tourismus weiter verschlechtert.

Es sind die jüngsten Entwicklungen bei der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt und bei der Regierung Rajoy in Madrid, die neue Krisenpläne erzwingen.

In Frankfurt muss man einräumen, dass selbst ein für Europa historisch beispielloses Kreditprogramm in Höhe von gut einer Billion Euro recht schnell verpuffen kann. Diese Summe wurde Banken für einen Zeitraum von bis zu drei Jahren zu dem äußerst profitablen Zinssatz von einem Prozent zur Verfügung gestellt. Drei Ziele sollten damit erreicht werden:

  • In Spanien und Italien, die nicht via EFSF/ESM-»Rettungsschirm« von den Finanzmärkten abgeschirmt sind, galt es, den Ankauf von Staatsanleihen durch die großen nationalen Kreditinstitute am Laufen zu halten und die steigenden Zinslasten durch hohe »Risikoprämien« zu drücken.

  • In allen »Krisenländern« musste die Liquidität der Banken sichergestellt werden, wenn diese auslaufende Bankanleihen nur noch schwer durch neue ersetzen können.

  • Und: Die Kreditklemme, also der Rückgang der Kreditvergabe an die nichtfinanziellen Unternehmen – die Realwirtschaft – muss überwunden werden.

Von diesen Zielen konnte das erste temporär realisiert werden: der Ankauf von Staatsanleihen mit billigem EZB-Geld. Gleichzeitig steigen aber ausländische Kreditinstitute aus dem Geschäft mit der Verschuldung des spanischen und italienischen Marktes aus, mit der Folge, dass sich die Refinanzierungskosten beider Staaten wieder verschlechtern.

Das zweite Liquiditätsziel schien zunächst auch aufzugehen, aber mittlerweile kommen andere Dimensionen ins Spiel. Zur Refinanzierung der Banken sind nach eigenen Schätzungen der EZB in den kommenden drei Jahren mindestens 1,5 Billionen erforderlich, sodass die Eigenkapitalnöte bleiben.

Das dritte Ziel wurde klar verfehlt, obgleich es das eigentliche Zentrum der Operation war: die Ankurbelung der Kreditvergabe an Unternehmen und private Haushalte. Unternehmenskredite sind rückläufig. Nicht alles davon deutet auf eine manifeste Kreditklemme hin – in Krisenzeiten sinkt selbstverständlich auch die Nachfrage nach Investitionsfinanzierung. Aber unstrittig ist, dass sich die Finanzierungsprobleme der Unternehmen in den Krisenstaaten verstärken.

Was die EZB, die EU-Kommission und die Finanzminister der Euro-Gruppe also nicht für möglich gehalten haben: Nach noch nicht einmal einem halben Jahr ist die Feuerkraft der als »Bazooka« oder »Dicke Bertha« titulierten Liquiditätsprogramme erschöpft. Deshalb muss etwas Neues her.

Zumal der Krisenfall der Regierung Rajoy hinzu kommt. Damit ist gar nicht in erster Linie das Verfehlen der Entschuldungspläne gemeint. Das spanische Haushaltssaldo wird nach jüngsten Kommissionsdaten nach -6,4% im laufenden Jahr auch im kommenden Jahr auf annähernd gleichen Niveau verharren (-6,3%), statt – wie die Vorgabe aus Brüssel lautet – auf unter 3% zu sinken. Doch das Verfehlen einer derart illusionären Vorgabe überrascht niemanden. Die Probleme sind substanzieller.

Auch vier Jahre nach dem Platzen der Immobilienblase stürzen die Märkte in Spanien weiter ab. Selbst nach einem Preisverfall von mehr als 22% bei Häusern und Wohnungen ist der Tiefpunkt noch nicht erreicht. Prognosen gehen von weiteren Rückgängen bis 2015 aus (FAZ vom 3.5.2012). Mit der Zahlungsunfähigkeit und der Privatinsolvenz spanischer Familien potenzieren sich die Verluste der Banken. Die Probleme der verstaatlichten Bankia sind nur die Spitze des Eisberges. Ende letzten Jahres beliefen sich die Immobilienkredite aller Banken und Sparkassen auf 310 Mrd. Euro, von denen 184 Mrd. als »problematisch« und 122 Mrd. als »gesund« bewertet worden waren.

Doch die Grenzen sind – krisenbedingt – fließend, wobei die Flussrichtung eindeutig in Richtung »problematisch« geht. Als Notmaßnahme hat die Regierung Rajoy Mitte Mai verordnet, dass die Kreditinstitute ihre Rückstellungen auf alle Hypotheken von sieben auf durchschnittlich 30% erhöhen müssen. Und damit sind wir wieder bei den zuvor diskutierten Problemen: Was bleibt für den Kauf spanischer Staatsanleihen, was zur Liquiditätsversorgung und der Bedienung von Bankanleihen, was zur Unternehmensfinanzierung etc. pp.? Wer kalkuliert angesichts dieser Situation noch mit einer nachhaltigen Rückführung der Staatsschuld in Spanien?

Was schlägt die EU-Kommission in dieser Lage vor? Was wird als Roadmap verhandelt? Eine Vertiefung der Integration von einer Währungs- zu einer Fiskalunion soll Leitfaden der Entwicklung in den nächsten fünf bis zehn Jahren sein.

Einen ersten Punkt hat EU-Kommissionspräsident Barroso ausgeplaudert: eine »Bankenunion« mit zentralisierter EU- oder euroweiter Aufsicht und einem Sicherungsfonds für Spareinlagen sowie – nach EZB-Vorgaben – einem europäischen »Banken-Rettungsfonds«. Möglicherweise zeichnet sich hier eine Rochade ab: Nachdem die Finanzmarktkrise zunächst in eine Staatsschuldenkrise umdefiniert wurde, steht künftig die Staatsfinanzierung nur noch vermittelt über die Bankenfinanzierung im Zentrum. Die Staaten sollen sich über die Staatsbürger absichern, im Zentrum steht das Überleben der Banken – finanzmarktkapitalistische Krisensteuerung par excellence!

Dafür steht der zweite Punkt: Verschärfung der Strategie »Ende des Wohlfahrtsstaates« (Draghi). Dazu fällt allerdings auch Neoliberalen nichts Neues ein. Dass die Mantra »mehr Sparen« in die deflationäre Sackgasse führt, dürfte ihnen nicht entgangen sein. Was will man noch herauspressen, wenn Löhne und Sozialleistungen bereits um 20-30% heruntergefahren wurden? Schwerpunkt dürften neue Anstrengungen bei der Verstärkung der Privatisierung öffentlicher Daseinsvorsorge sein – zugunsten privater Versicherungsunternehmen.

Der dritte Punkt: verstärkte europäische Steuerung der nationalen Haushaltspolitik. Das ist exakt der Auftrag des Fiskalpakts. Offenkundig soll die Schraube eines autoritären Fiskalregimes – allen Widerständen zum Trotz – auch prozedural noch stärker angezogen werden. Dies gilt es mit hoher Aufmerksamkeit weiter zu verfolgen.

Der vierte Punkt betrifft die Profilierung der EU durch eine gemeinsame Finanz- und Steuerpolitik sowie Außen- und Sicherheitspolitik. Die ersten beiden Punkte gehen sachlich in die vorhergehend genannten Maßnahmenpakete ein – was die Sicherheitspolitik anbelangt droht eine weitere Militarisierung angesichts der Kriegsgefahren im Nahen Osten – Israel, Syrien, Iran.

Diese Roadmap zu einem »neuen Europa« (Welt am Sonntag vom 3.6.2012) ist gefährlich – und Widerstand gegen Austeritätspolitik und autoritäres Fiskalregime tut Not. Gefährlich ist sie aber auch deshalb, weil sie nicht klappen wird. Die Herrschenden sind nicht Souverän, sondern Getriebene des Krisenprozesses. Die bisherigen Planungen der Roadmap sehen Maßnahmen zur wirtschaftlichen Erneuerung nur in Kleinstdosierung vor – gerade so viel, dass die neue französische Regierung ihr Gesicht wahren kann.

Die fundamentalen Ungleichgewichte zwischen den Volkswirtschaften, die den Krisenprozessen zugrunde liegen, werden nicht bearbeitet und im Rahmen eines langjährigen europäischen New Deal überwunden. Die Crux besteht darin, dass jeder Beleg für die auseinanderlaufenden Konkurrenzpositionen in Europa im herrschenden Verständnis mit Austeritätspolitik und »Strukturreformen« im Sinne von Unternehmenskostensenkungen beantwortet und Europa damit weiter im Krisenprozess gehalten wird. Gegen diese Politik ist Europa neu zu begründen.

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