8. November 2011 Joachim Bischoff/Richard Detje: Arbeitsmarkt und Konjunktur gehen wieder bergab

»Nur noch kurzes Zeitfenster«

Die Weltwirtschaft steht am Rande einer erneuten Rezession auf dem Arbeitsmarkt. So lautet die neueste Prognose der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Dem »World of Work Report 2011« zufolge verzögert sich die globale wirtschaftliche Erholung. Daher habe sich die Beschäftigungslage in fast zwei Drittel aller Industrieländer und in der Hälfte der Entwicklungs- und Schwellenländer wieder verschlechtert. Schon Ende 2010 waren mehr als 200 Millionen Menschen arbeitslos.

In 45 von 118 untersuchten Ländern – vor allem in den Industrieländern, aber auch in der arabischen Welt und zum Teil in Asien – bestehe ein deutlich erhöhtes Risiko sozialer Unruhen. Das ergaben Berechnungen der ILO, die auf Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Gallup basieren. Demnach hängt die Unzufriedenheit nicht nur mit der hohen Arbeitslosigkeit, sondern auch damit zusammen, dass die Lasten der Krise ungleich verteilt sind.

Die ILO (Institut für Arbeitsmarktstudien) warnt: »Wir haben nur noch ein kurzes Zeitfenster, um eine erneute Rezession auf den Arbeitsmärkten zu verhindern«. 80 Millionen Arbeitsplätze müssten in den nächsten zwei Jahren geschaffen werden, um wieder zu einem Beschäftigungsniveau wie vor der Krise zu gelangen. Derzeit sehe es jedoch danach aus, als seien es höchstens halb so viele. In den Industrieländern dürfte frühestens 2016 wieder ein Niveau wie vor Ausbruch der Krise erreicht werden. Dort ist die Lage besonders schlecht in den akuten Krisenländern der Euro-Zone, den USA und Großbritannien.


Deutschland stellt eine Ausnahme dar, denn sowohl die Wachstums- als auch die Beschäftigungsraten liegen hier über dem Niveau vor Ausbruch der Krise 2008. Die ILO bestätigt jedoch andere Studien dahingehend, dass 75% des Beschäftigungszuwachses zwischen 2009 und 2010 auf das Konto der so genannten atypischen Beschäftigungsverhältnisse gehen: befristete Verträge, Teilzeitarbeit, Minijobs und insbesondere Leiharbeit. 2010 waren infolgedessen 7,84 Millionen Menschen, das heißt jeder vierte Arbeitnehmer, atypisch beschäftigt.

Diese Beschäftigungsverhältnisse gehen mit unterdurchschnittlichen Löhnen einher und verstärken damit die Schwäche der Kaufkraft auf dem Binnenmarkt. Da der Aufschwung in Deutschland vor allem vom Export getrieben wurde, leidet inzwischen allerdings das Geschäftsklima unter der sich verschlechternden globalen Konjunktur.

Die Bundesregierung hat ihre Wachstumsprognose für 2012 von 1,8 auf 1,0% gesenkt und liegt damit etwas oberhalb der Erwartung der Wirtschaftsforschungsinstitute (0,8%). Die Unsicherheiten sind – wie in der Gemeinschaftsprognose vermerkt – ausgesprochen groß, sodass es keineswegs ausgeschlossen ist, dass die Wirtschaft in eine Rezession gerät – also mindestens zwei Quartale in Folge schrumpft. Dem langjährigen Exportweltmeister droht somit wegen der Schwäche wichtiger Absatzmärkte in der EU und den USA und der chronischen Schwäche der Binnenkonjunktur ein sich von zwei Seiten verstärkender Rückschlag.

Dabei geht die OECD davon aus, dass sich die Wirtschaft in der Eurozone noch schwächer entwickelt als bislang befürchtet. Für die Euro-Länder erwarten die OECD-Ökonomen im kommenden Jahr nur noch ein Wirtschaftswachstum von 0,3%. Im vergangenen OECD-Ausblick aus dem Monat Mai hatte die Prognose noch bei 2,0% gelegen.

Ähnlich verschlechtert haben sich die Aussichten in den USA. Dort werden nur noch 1,8% Wachstum erwartet. Im Mai hatte die OECD noch ein Plus von 3,1% vorhergesagt. Für die weltweit führenden Volkswirtschaften (G20) liegt die Prognose für 2012 bei 3,8%. Auch die US-Notenbank bleibt pessimistisch – eingedenk der schlechten Lage auf dem Arbeitsmarkt und auf den Immobilienmärkten. Für das laufende Jahr wird nur noch ein BIP-Plus von 1,6 bis 1,7% erwartet, nachdem im Sommer noch 2,8% vorhergesagt worden waren.

Den Leitzins beließen die Notenbanker erwartungsgemäß bei null bis 0,25%. Ben Bernanke sagte bei der Pressekonferenz nach dem Zinsbeschluss, das Wachstumstempo werde »frustrierend langsam« bleiben. Die Notenbanker bekräftigten, dass der Schlüsselzins für die Versorgung der Banken mit Zentralbankgeld aller Voraussicht nach bis Mitte übernächsten Jahres auf diesem extrem niedrigen Niveau bleiben dürfte. Gelder aus auslaufenden Anleihen würden in Immobilienpapiere reinvestiert, um den Häusermarkt zu stützen. Damit will die FED das langfristige Zinsniveau drücken.

2012 soll die Wirtschaftsleistung in den USA den FED-Prognosen zufolge um 2,5 bis 2,9% zulegen (Junischätzung: 3,5%). Für den Arbeitsmarkt erwartet Bernanke im kommenden Jahr eine leichte Besserung mit einem Rückgang der Arbeitslosenquote noch über 9 auf auf 8,5 bis 8,7% im kommenden Jahr. Damit bleiben die offiziellen Werte für US-amerikanische Verhältnisse extrem hoch – eine schwere Hypothek für Obamas Präsidentschaftswahlkampf.

Eine Rezessions-Prognose für den Euro-Raum bedeutet, dass die Zielmarken für den Schuldenabbau in Griechenland, Portugal, nun auch wieder Irland, das bislang von einer Exportkonjunktur profitiert hatte, sowie Italien und Spanien verfehlt werden und die Schuldenquoten bis 2014 steigen. Auch andere Länder werden mit angezogener Schuldenbremse mit fiskalpolitischer Austerität reagieren. Dies wird das Wirtschaftswachstum belasten.

Die deutliche Abschwächung der Konjunktur, politisch verstärkt durch die Austeritätspolitik, schafft für die kommenden Monate eine massive Verschärfung der Schuldenkrise. »Auf absehbare Zukunft werden Griechenland, Irland und Portugal daher nicht an den Kapitalmarkt zurückkehren können... Es kann sogar sein, dass Italien und Spanien ihren Marktzugang verlieren und gestützt werden müssen.« Spaniens Zehnjahresrendite kletterte vergangene Woche auf 5,58% und Italien muss für Schuldpapiere jetzt über 6,5% Zinsen zahlen. Nach Berechnungen von Banken müsste Italien vor Abzug der Zinszahlungen einen Haushaltsüberschuss von 5,25% des BIP erzielen, um seinen Schuldenstand bis 2030 auf tragbare 90% zu reduzieren. Gegenwärtig liegt der Primärsaldo bei null. Wahrlich keine guten Aussichten.

Nach Berechnungen von Bloomberg müssen Euro-Banken allein 2012 rund 660 Mrd. Euro refinanzieren und entsprechend Anleger finden; 284 Mrd. £ müssen britische Banken aufnehmen. Gegen 1 Bio. Euro haben Euro-Staaten und über 100 Mrd. £ Großbritannien zu refinanzieren. Den größten Appetit hat der italienische Staat (327 Mrd. Euro); hinzu kommt der Bedarf der italienischen Banken (137 Mrd. Euro). Diese Zahlen lassen viele Beobachter zu dem Schluss kommen, dass nicht Griechenland, sondern Italien das Hauptproblem der Euro-Region ist.

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