1. Mai 2012 Redaktion Sozialismus

Parlamentswahlen in Athen

Die Griechen sind zur Wahl eines Parlaments aufgerufen. Allerdings: »Die derzeitige Politik zur Bewältigung der Euro-Krise kann nur als ein Notstandsregime qualifiziert werden, das die demokratischen Prozesse in den Mitgliedsstaaten ausschaltet, und dem auch auf der europäischen Ebene die demokratische Legitimation fehlte.«[1] Die von den internationalen Kreditgebern vorgegebenen Rahmenbedingungen schränken den Handlungsspielraum der Wahl und damit jeder künftigen Regierung in Athen erheblich ein.

Die Große Krise des 21. Jahrhundert geht jetzt in das fünfte Jahr. Immer wieder veränderten sich die Erscheinungsformen der Krisen-Kaskade. Ausgelöst wurde der große Entwertungsprozess durch den Absturz der Häuser- und Immobilienpreise in den USA. Diese Subprimekrise zeigte sich nach und nach auch in anderen kapitalistischen Hauptländern. Die durch die Verbriefungen international gegebenen Wertverluste bei Hypotheken und anderen toxischen Wertpapieren setzten sich um in eine Bankenkrise. Darauf folgte dann die Staatsschulden- und Eurozonenkrise.

Dazu gesellten sich in vielen Ländern Rezessionen und später dann Sorgen über einen neuerlichen Abschwung in den USA sowie eine harte Landung der Wirtschaft in China. Diesen Gefahren und der Angst vor einem Systemzusammenbruch traten die Notenbanken weltweit mit einer historisch beispiellos exzessiv expansiven Geldpolitik entgegen. Damit verhinderten die Notenbanker der Federal Reserve (Fed), der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Bank of England (BoE) unbestritten einen großen Absturz. Zugleich wurde aber die Reinigungsfunktion der Krise ausgesetzt und verlängert.

In der anhaltenden Krise der Eurozone wird deutlich, dass die Finanzmärkte trotz einiger Korrekturmaßnahmen noch immer nicht unter Kontrolle sind. Es gibt Fortschritte in der Regulierung, z.B. die höhere Eigenkapitalausstattung der Banken. Doch da es über die Ursachen der Krisen keine Einigkeit gibt, sind auch die Antikrisenmaßnahmen strittig. Die Mehrheit der politischen Klasse in Europa meint, dass überhöhte Staatsdefizite und unverantwortliches Verhalten der Entscheidungsträger der Länder mit Leistungsbilanzdefiziten die Krise verursacht haben. Aus dieser Sicht kann das Rezept nur lauten: Verschärfung der fiskalpolitischen Auflagen – geringere Defizite, Sanktionen, härtere Schuldenregelungen etc. Bis die Regeln wirken, sollen so genannte Rettungsschirme – internationale Kredite – die Zeit überbrücken. Dieser Kurs führt allerdings immer tiefer in eine ökonomische und politische Sackgasse. Exemplarisch zeigt sich dies an Griechenland.

Fünf Jahre dauert die Talfahrt der griechischen Wirtschaft nun schon an, und ein Ende ist nicht in Sicht. Trotz aller Finanzierungspakete der EU-Mitgliedstaaten und des IMF rechnet die Bank of Greece damit, dass die Wirtschaftsleistung in diesem Jahr erneut um etwa 5% zurückgeht. 2011 war die griechische Wirtschaft um 6,9% geschrumpft.

Im März 2012 hatten sich Griechenlands europäische Partner und der Internationale Währungsfonds darauf geeinigt, dem Land nach einem ersten Finanzpaket von 110 Mrd. Euro erneut mit 130 Mrd. Euro unter die Arme zu greifen, damit es unabhängig von den internationalen Finanzmärkten 2014 oder 2015 einen Sanierungsprozess erreichen kann. Die Bedingungen für diese Kredite haben in der griechischen Gesellschaft tiefe Wunden hinterlassen. Die Haushaltseinschnitte sind zentrales Thema der bevorstehenden Wahlen.

Der Austeritäts- und Sparkurs sorgte schon bisher für eine jahrelange Talfahrt und seine Folgen werden immer unübersehbarer. Bis Ende des Jahres hat das Land im Vergleich zu 2008 fast ein Fünftel seiner Wirtschaftsleistung eingebüßt.

  • In der Privatwirtschaft sind die Gehälter nach OECD-Berechnungen 2011 um rund ein Viertel eingebrochen. Nominal belief sich der Rückgang im Vergleich zum Jahr 2010 auf gut 23%, inflationsbereinigt sogar auf über 25%.
  • Mehr als jeder fünfte Grieche ist arbeitslos. Bei Jugendlichen unter 25 Jahren ist es die Hälfte. Obdachlosigkeit, Privatinsolvenzen, Kriminalität, Selbstmorde und Gesundheitsprobleme haben zugenommen. Junge, gut ausgebildete Griechen suchen ihr Glück im Ausland. Es findet eine massive Abwanderung von griechischen Fachkräften und Akademikern statt.
  • Die Verluste der vier größten Banken wegen des Umschuldungsprogramms werden auf 28 Mrd. Euro geschätzt. Als eine der letzten Operationen hat das Kabinett Papadimos eine Brückenfinanzierung in Höhe von 18 Mrd. Euro für die vier großen Kreditinstitute des Landes genehmigt. Für jede einzelne Bank wird ein Sonderkonto in der Zentralbank errichtet, in dem die vorgesehenen Mittel (in Form von EFSF-Anleihen) eingelegt werden. Diese Anleihen dürfen von den Banken nicht verkauft oder übertragen werden, sie zählen aber zu deren Eigenkapital und werden von der Bankenaufsicht bei der Beurteilung mitberechnet. Es handelt sich dabei um eine Zwischenlösung, um die Stabilität des Kreditsystems bis zum Abschluss der Rekapitalisierungsaktion zu gewährleisten.
  • Einer der wichtigsten Wirtschaftszweige Griechenland ist der Tourismus. Aber auch dort sieht es eher durchwachsen aus: Die Einnahmen sind im Januar und Februar im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 44,7% geschrumpft.

In den beiden vergangenen Jahren wurde das Haushaltsdefizit um 6,5% vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) gedrückt. Das ist die größte Konsolidierungsleistung, die jemals ein Euro-Staat in einem solchen Zeitraum erbracht hat. Aber mit 9,1% des BIP lag die Defizitquote 2011 immer noch beim Dreifachen der Dreiprozentgrenze, die der Stabilitätspakt vorsieht. Der Chef der griechischen Notenbank fordert, das Land müsse zu seinen Reformen und zu den Sparauflagen aus den Rettungspaketen stehen. Griechenlands Mitgliedschaft in der Währungsgemeinschaft stehe auf dem Spiel, falls das Land seinen Verpflichtungen nicht nachkomme – vor allem nach den Wahlen am 6. Mai.

Die erste Aufgabe einer neuen griechischen Regierung nach den Wahlen soll es sein, weitere Sparmaßnahmen in Höhe von 11 Mrd. Euro zu implementieren. Das Land hatte den internationalen Geldgebern versprochen, möglichen Lücken in den Staatshaushalten 2013 und 2014 vorzubeugen.

Die Pasok erklärt im Wahlkampf über ihren Spitzenkandidaten Venizelo: Im Falle eines Wahlsiegs sollen keine neuen Steuern eingeführt werden. Die Pasok wolle zudem nach und nach die Abgaben zurückführen. Die neuen Sparmaßnahmen, die im Juni auf Griechenland zukommen, würden Niedrigverdiener und Pensionäre nicht betreffen. Generelle Einschnitte bei Löhnen und Gehältern lehnte er ab. »Kein griechischer Mann und keine griechische Frau sollte Angst vor den Maßnahmen im Juni haben.« Venizelos, bis März griechischer Finanzminister, will die Maßnahmen über drei Jahre strecken, statt über zwei Jahre wie vorgesehen. »Unser Ziel ist es, dass Griechenland spätestens in drei Jahren wieder finanziell unabhängig und ein gleichberechtigtes Mitglied der Eurozone ist.«

Seit November 2011 führt Ministerpräsident Lucas Papademos eine Interimsregierung, die sowohl von der sozialistischen Pasok-Partei als auch von der konservativen Nea Dimokratia gestützt wird. Sie hat die Maßnahmen für die Griechenland-Rettung verhandelt und überwacht. Entscheidend für den Sanierungsprozess sind freilich die Auflagen aus der Führungsebene der Euro-Zone, die im Land durch eine Troika aus EU, EZB und IMF vertreten wird.

Die Wahlen am 6. Mai 2012 sind die ersten in dem Land seit dem Ausbruch der Eurokrise. Im Oktober 2009 waren die Sozialisten unter Giorgos Papandreou mit 44% an die Macht gekommen. Zwei Jahre später musste dieser als Ministerpräsident zurücktreten, nachdem eine politische Krise Zweifel über den Verbleib des Landes in der Eurozone angefacht hatte.

Die Krise hat Griechenlands Parteienlandschaft radikal verändert. Die beiden »Volksparteien«, die 2009 fast 80% der Wähler an sich binden konnten, kamen bei der letzten Sonntagsfrage zusammen nur noch auf 35,5%. Die konservative Nea Dimokratia (ND) und die sozialistische Pasok hatten das politische Leben Griechenlands seit dem Ende der Obristendiktatur 1974 maßgeblich geprägt.

Nach allen repräsentativen Umfragen werden am 6. Mai die Konservativen als stärkste Kraft mit 21 bis 25% (2009: 34%) der WählerInnenstimmen aus den Wahlen hervorgehen – viel zu wenig für eine Alleinregierung. Die Sozialisten kämen auf 17 bis 19% (2009: 44%). Für beide Parteien wäre dies das schlechteste Ergebnis seit 1974. Zusammen könnten sie vielleicht knapp eine Mehrheit im 300-köpfigen Parlament haben.

Demnach bliebe nichts anderes als eine große Koalition. Eine erste Probe hat es ja bereits gegeben. Schweren Herzens stimmten im vergangenen November Sozialisten und Konservative der Bildung einer Übergangsregierung unter dem heute noch amtierenden Ökonomen und Bankier Papademos zu. Dessen Regierung brachte mit der Unterstützung einer großen Mehrheit im Parlament einen Rekordschuldenschnitt von knapp 107 Mrd. Euro über die Bühne und verabschiedete weitere harte Sparmaßnahmen.

Dramatisch wäre es, wenn die beiden großen Parteien nicht die absolute oder nur eine hauchdünne Mehrheit im neuen Parlament hätten. Denn im Juni ist eine weitere Kontrollmission der Troika angesetzt. Und diese will dann eine handlungsfähige Regierung vorfinden, um mit ihr zu entscheiden, wie es weitergehen soll.

Insgesamt 32 Parteien treten bei den Wahlen am 6. Mai in Griechenland an. Etwa zehn von ihnen haben nach Umfragen eine Chance, die 3%-Hürde zu überspringen, um Abgeordnete ins Parlament schicken zu können:

  • Nea Dimokratia (ND). Die Konservative Partei wird vom Ökonomen Antonis Samaras (60) geführt. Die Partei hatte Griechenland 1981 in die damalige Europäische Gemeinschaft geführt und spricht sich vehement für den Verbleib im Euroland aus. Samaras hat den Gläubigern des Landes zugesichert, dass er und seine Partei auch nach den Wahlen das Stabilisierungs- und Sparprogramm für Griechenland in die Tat umsetzen werden.
  • Panhellenische Sozialistische Bewegung (Pasok). Die bis vergangenen November regierenden Sozialisten unter ihrem neuen Chef Evangelos Venizelos (55) sind wie die Konservativen für den Verbleib Griechenlands in der Eurozone. Dafür müsse das Sparprogramm konsequent durchgesetzt werden. Die Sozialisten müssen mit schweren Verlusten rechnen.
  • Kommunistische Partei Griechenlands (KKE). Die Kommunisten sprechen sich offen für den »Austritt Griechenlands aus der Eurozone und der EU jetzt« aus. Kein Cent solle an die Gläubiger gezahlt werden. Die Partei liegt in Umfragen bei etwa 9%.
  • Bündnis der Radikalen Linken (Syriza). Ein buntes Bündel linker Bewegungen. Syriza ist zwar für den Verbleib in der EU und dem Euroland. Athen sollte aber einseitig erklären, es zahle seine Schulden nicht. Umfragen sehen das Bündnis bei etwa 9%.
  • Demokratische Linke (DA). Eine Abspaltung aus dem Bündnis der Linken. Die gemäßigten Linken setzen sich für den Verbleib im Euroland ein. Umfragen geben dieser Partei etwa 8%.
  • Unabhängige Griechen (AE). Eine Abspaltung der konservativen Nea Dimokratia. Die Führung der Unabhängigen Griechen meint, das Land sei von den Geldgebern »besetzt« und müsse »befreit« werden. Athen sollte nichts an die Banken zurückzahlen.
  • Völkische Orthodoxe Gesamtbewegung (LAOS). Eine rechtsorientierte Partei, die für den Verbleib im Euroland eintritt. Das Sparprogramm müsse aber neu ausgehandelt werden. Migranten sollten sofort das Land verlassen. Die Partei liegt in Umfragen bei etwa 4,5%.
  • Goldene Morgenröte (XA). Eine rassistische, ausländerfeindliche und faschistische Partei. Die Partei spricht sich für die »Vertreibung« aller Migranten aus Griechenland aus. Viele ihrer Mitglieder sind gewaltbereit. Umfragen sehen die Ultrarechten bei 3 bis 4,5%.

Darüber hinaus gibt es zahlreiche Parteien und Protestbewegungen, wie etwa die griechischen Piraten, die bislang noch keinen Erfolg hatten, sowie Maoisten und andere linke und rechte Splitterparteien.

Es ist zynisch, wenn die Pasok jetzt um Verständnis für den Sparkurs wirbt. Der einzige Weg, die Zukunft Griechenlands zu sichern, sei, dass sich mehrere pro-europäische Parteien in einer Koalition zusammenschlössen. »Mehr als 75% der Menschen sind für Europa und den Euro. Das muss auch seinen Ausdruck finden.« Die Gefahr, dass einem desaströsen Sanierungskurs jetzt eine nachhaltige Krise des politischen Systems folgt, ist groß.

[1] Fritz W. Scharf, Rettet Europa vor dem Euro, in: Berliner Republik, Heft 2/2012, S. 60

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