12. Juli 2017 Joachim Bischoff/Bernhard Müller

AfD: Politischer Zenit überschritten?

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Die Stellvertreterin des Thüringer AfD-Chefs Björn Höcke, Steffi Brönner, tritt zurück. Als Grund nannte sie rechtsextremistische Tendenzen in der Partei. Die AfD besetze in Thüringen »zentrale Funktionen mit Personen, die in ihrer Vergangenheit tief im rechtsextremistischen Bereich tätig« gewesen seien, sagte Brönner der Thüringer Allgemeinen.

AfDDie Partei mache rechtsextremes Gedankengut »salonfähig«. Sie werde ihren Posten daher niederlegen. Das Vorstandsmitglied der Thüringer AfD zählt sich selbst zum »wertkonservativ-liberalen Lager« und nennt in diesem Zusammenhang die AfD-Bundessprecherin Frauke Petry.

Der Streit in der Partei um die künftige Ausrichtung dauert schon seit Monaten an und gipfelte zuletzt in der Auseinandersetzung zwischen der Bundessprecherin Frauke Petry und dem Thüringer Landessprecher und Fraktionschef Björn Höcke. Gegen Höcke läuft zurzeit ein Parteiausschlussverfahren. Auslöser des Verfahrens ist eine umstrittene Rede Höckes. Mit Bezug auf das deutsche Geschichtsverständnis sprach er von einer »dämlichen Bewältigungspolitik« in Deutschland. Der Vorwurf, dass die Partei rechtsextremistisches Gedankengut salonfähig mache, ist eine neue Qualität der parteiinternen Auseinandersetzung. [1]

Der stellvertretende AfD-Chef Thüringens, Stefan Möller, blendet diesen parteiinternen Streit aus und bewertet den Rückzug von Brönner als private Angelegenheit. Er führt die Entscheidung von Brönner auf persönliche Enttäuschung zurück: Sie sei mit ihrer Bewerbung für einen aussichtsreichen Listenplatz bei der Bundestagswahl gescheitert und habe sich von einer »300-prozentigen Höckejanerin« – die sie nach der Höcke-Rede im Januar noch gewesen sei – zur Verbündeten von Petry gewandelt. Außerdem hielt der AfD-Vize seiner bisherigen Kollegin vor, ihre Kritik nie im Landesvorstand thematisiert zu haben.

Dieser Konflikt in Thüringen ist exemplarisch. Gesellschaftspolitisch ist die AfD seit einiger Zeit deutlich nach rechts gerückt und hat zugleich das Problem, die Distanzierung gegenüber einer rechtsextremen, völkisch-nationalistischen Position aufrechtzuerhalten. Zu Recht wird einem Drittel der Mitglieder und Funktionäre ein rechtsextremes, autoritäres Weltbild nachgesagt.

Parteichefin Frauke Petry handelte sich auf dem Bundesparteitag bei dem Abgrenzungsversuch gegenüber der völkischen Rechten eine krasse Niederlage ein. Ihr Vorstoß, mit einem »Zukunftspapier« ein »Entdiabolisierungsprogramm« gegenüber der äußersten Rechten zu erreichen, wurde mit deutlicher Mehrheit nicht zur Beratung angenommen. Petry wollte eine Richtungsentscheidung erzwingen zwischen einem »fundamental-oppositionellen Kurs« oder einem »realpolitischen Kurs«, bei dem auch Regierungsbeteiligungen nicht ausgeschlossen sein sollten. In ihrer Eröffnungsrede hatte sie dies damit begründet, dass das Außenbild der AfD seit Längerem durch das Agieren Einzelner geprägt sei (»einer kleinen und lauten Minderheit«), und die Auffassung der Mehrheit der Parteimitglieder immer im Schlepptau der fundamentalistischen Sichtweise bleibe. Die AfD müsse sich entscheiden: Wolle sie das bürgerliche Lager erobern – was bei dem derzeitigen Image nicht möglich sei – oder wolle sie weiterhin auf einen reinen Oppositionskurs setzen, so Petry.

Auch Petry ist im sächsischen Landesverband in diesen Streit verwickelt. Im November 2016 war Petry auf einem Landesparteitag mit 92 Prozent Zustimmung zur sächsischen Spitzenkandidatin gewählt worden. Sie führt die Landesliste an und ist mit deutlicher Mehrheit in einem Wahlkreis als Direktkandidatin nominiert worden. Seit Wochen versuchen Parteimitglieder diese Entscheidung rückgängig zu machen. Jetzt hat ein Parteitag des AfD-Kreisverbands Sächsische Schweiz-Osterzgebirge den Antrag, Petry als Direktkandidatin für die Bundestagswahl abzuwählen, mehrheitlich abgelehnt. Die Entscheidung fiel mit 19 Stimmen für und 33 gegen den Antrag deutlich aus.

Hintergrund der Auseinandersetzung ist auch hier der Richtungsstreit: Wie nationalistisch und völkisch soll die AfD sein? Wie fremdenfeindlich? Gemeinsame Sache mit Pegida? Entzündet hat sich der Krach an Personen wie dem Thüringer AfD-Fraktionschef Björn Höcke und seinem Unterstützer in Sachsen, dem Dresdner Richter Jens Maier.

 

Flügel- und Richtungsstreit

Die AfD erscheint – auch in den Medien – mittlerweile als eine rechtspopulistische Partei mit einem starken völkisch-nationalistischen Flügel. Diese Einfärbung existiert nicht überall, auch nicht alle an der Parteispitze verfolgen diese Linie. Aber das dynamische Zentrum der Partei um Björn Höcke und André Poggenburg ist auf diesem Kurs.

In fast allen Bundesländern toben Machtkämpfe zwischen rechts und extrem rechts. Der Vorstand scheitert wiederholt an der Schiedskommission mit der Abgrenzung gegen jene, die mit Neonazis der NPD wie im Saarland kooperieren. Die Partei ist weithin in der Hand des rechten Flügels und ein deutsches Spezifikum, dass ihre Ausdehnung auch begrenzt – vielfach verflochten mit extremen neuen Rechten, aber auch, wie in Thüringen, mit breiten Gewaltszenen.

Die Mitgliedschaft in den Landes- und Kreisverbänden wird im politischen Alltag immer wieder aufgeschreckt, weil die Richtungsauseinandersetzungen und Machtintrigen die Parteiarbeit überstrahlen. Der Imageschaden drückt die Umfragewerte. Noch vor einem halben Jahr standen die demoskopischen Werte der AfD bei zwischen 12% und 14%. Seitdem hat die Partei an Akzeptanz verloren. Ein Teil der Beobachter sieht den Beginn des Endes des bundesdeutschen Rechtspopulismus. Die angeführten Gründe sind wie folgt:

  • Der Niedergang der rechten Populisten in den europäischen Nachbarländern (FPÖ, Front National, UKIP, Partei von der Freiheit etc.);
  • Erschöpfung des gesellschaftlichen Resonanzbodens. Das Publikum sei der ständigen Kritik am Islam und den Migranten überdrüssig. Die AfD zahle den Preis für die Bewältigung der Flüchtlingsfrage. Der AfD als zukunftsängstliche Empörungsbewegung fehle das »Mobilisierungs-Momentum«, sagt der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte. »Die Flüchtlingspolitik ist aus der Wahrnehmung der Wähler weitgehend verschwunden.«
  • Es werde immer deutlicher, dass auch in der AfD die abstoßenden Werte und Verhaltensweisen des politischen Establishments fest verankert seien – Gier nach Diäten, Korruption und Intrigen als Hauptmittel der politischen Kultur

Diese Prognose vom Niedergang des rechten Populismus ist so einseitig wie die frühere These vom unaufhaltsamen Aufstieg. Trotz massiver personalpolitischer Konflikte, organisatorischer Defizite und programmatischer Richtungsauseinandersetzungen behauptet die AfD in der Mitgliederbewegung und in Umfragen ihre Position: Die AfD – inzwischen siebtgrößte Partei und seit Juni in allen Landesparlamenten außer in Bayern, Hessen und Niedersachsen vertreten – freut sich über deutlichen Mitgliederzuwachs. Trotz interner Querelen und Skandale zieht die AfD vor der Bundestagswahl neue Mitglieder an. Die Partei erreichte jetzt die Rekordmarke von 28.000 Mitgliedern. Zum Vergleich: Am 1. Januar 2017 hatte die AfD 23.802.

Außerdem: Die AfD schwankt bei der Sonntagsfrage um Werte zwischen 7% und 9%. Mit diesen Zahlen kann die rechtspopulistische Partei deutlich ihre Position gegenüber den Bundestagswahlen 2013 ausbauen. Auch wenn die AfD in den Umfragen aktuell schlechter abschneidet, dürfte sie doch bei der Bundestagswahl im September die Fünf-Prozent-Hürde überwinden. Sie selbst hat sich zum Ziel gesetzt, als drittstärkste Fraktion in den Bundestag einzuziehen.

 

Basis der modernen Rechten

Die moderne Rechte stützt sich auf Veränderungen in den Strukturen der kapitalistischen Gesellschaft und des politischen Systems. Zukunftsängste, Sorgen vor Globalisierung und Überfremdung oder arrogante Eliten – all dies sind mehr oder minder plausible Erklärungsversuche, um zu erklären, weshalb Menschen die rechtspopulistischen Parteien unterstützen. Ein einfacher Grund bleibt meist unerwähnt: Regierungen und das politische Establishment machen offenkundig immer wieder eine Politik, die bei BürgerInnen Unverständnis und Kopfschütteln hervorruft. Auf diese Weise finden altbekannte Gesichter wie Marine Le Pen und Geert Wilders neue AnhängerInnen, oder es entstehen neue Bewegungen wie die AfD in Deutschland. Daraus folgt. Zum einen sehen wir seit Längerem einen Anstieg der rechten Populisten und zum anderen wird der politische Aufstieg von Phasen der Stagnation und des Rückschlages unterbrochen.

Die modernen rechtspopulistischen Bewegungen zeichnen sich in Absetzung von der extremen Rechten durch drei zentrale Merkmale aus:

  • Sie bündeln und artikulieren die in breiteren Bevölkerungsschichten vorhandenen Ängste und Ressentiments, die sich in erster Linie auf künftige Statusverluste, aber auch auf kulturelle Verunsicherungen gründen.
  • Der Rechtspopulismus sieht die einheimische Bevölkerung als Opfer gegenüber Fremden (MigrantInnen, Flüchtlingen). Die Benachteiligten seien angeblich von politischer Mitwirkung ausgeschlossen, müssten jedoch die Folgen in punkto Finanzierung und Sicherheit ausbaden.
  • Die moderne Rechte grenzt sich unter Berufung auf das Volk radikal gegen die »herrschende politische Klasse« ab, der eine Politik der schleichenden Auswechselung der Bevölkerung unterstellt wird. Die rechtspopulistischen Bewegungen fordern die Einrichtung einer autoritär-charismatisch gelenkten »Bürgerdemokratie«. Grundlage der politischen Mobilisierung sind Anti-Establishment-Affekte. Populistische Parteien sind Anti-Establishment-Parteien, die vorgeben, für das wirkliche Volk zu stehen.

Auch die AfD versteht und inszeniert sich als Gegenstimme zu den »Alt-Parteien«. Gegenüber der auf Affekten gestützten radikalen Ablehnung des politischen Establishments und der Medien (»Lügenpresse«) tritt die Programmatik der AfD in den Hintergrund. Die Partei selbst entwickelt und verändert ihre Ziele, die marktradikalen, neoliberalen Forderungen und Begründungen verlieren an Bedeutung. Dem Großteil der WählerInnen und UnterstützerInnen der AfD sind die programmatischen Bausteine im Detail unbekannt. Ihnen genügt das öffentliche Bild, das über die AfD im Umlauf ist: gegen die Altparteien, gegen Einwanderung, gegen den Islam, gegen die EU. Die WählerInnen lassen sich wenig davon beeinflussen, dass die Parteiführung in politische und personelle Konflikte über den weiteren politischen Kurs verstrickt ist.

Die etablierten Parteien haben keine wirkliche Antwort darauf, wie die sozial-kulturellen Spaltungstendenzen in den heutigen modernen kapitalistischen Gesellschaften bekämpft werden können. Rechtskonservative, rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien stützen sich vor allem auf soziale Mittelschichten und verfolgen das Ziel, eine nationalstaatliche Ausrichtung durchzusetzen, wobei das unterliegende Staatsverständnis sich an autoritären Strukturen orientiert. Die Parteien des rechten Spektrums verfolgen eine Identitätspolitik, in der eine bedrohte nationale Gemeinschaft mobilisiert und stabilisiert werden soll. Rechte Parteien befürworten eine repressive Law-and-Order-Politik, die Maßnahmen wie Videoüberwachung, Aufstockung von Sicherheitspersonal und mehr Befugnissen für die Polizei beinhaltet. Die Flucht- und Einwanderungsbewegung soll durch Ausgrenzung aus den sozialen Sicherungssystemen und staatsrechtliche Beschränkungen zurückgedrängt oder ganz unterbunden werden.

Die Resonanz der rechtspopulistischen Parteien speist sich aus einer scharfen Abgrenzung gegenüber der überlieferten politischen Klasse und Elite. »Die-da-Oben« hätten nur ihren eigenen materiell-finanziellen Interessen im Kopf, daher seien Unfähigkeit und mehr oder minder offene Korruption zur alltäglichen Erscheinungsform geworden. Mindestens indirekt wird für einen kompletten Wechsel der politischen Repräsentation gekämpft.

Die Bezugnahme auf das »Volk« zielt auf eine Abgrenzung vom Pluralismus und Absetzung von den Eliten. Das Charakteristische bei den populistischen Bewegungen und Parteien ist also, dass sie einen Alleinvertretungsanspruch anmelden. Ihre Behauptung: Sie allein vertreten das wahre Volk. Diese Anrufung des »Volkes« in einer Konstellation eines gesellschaftlichen Umbruchs und Auf- wie Ablösung hegemonialer Machtblöcke hat die Funktion einer Komplexitätsreduktion: Der unterstellte Bezug auf das Volk schließt jedweden multikulturell geprägten Pluralismus aus. Zum Anti-Elitären, das die Populisten vertreten, wenn sie in der Opposition sind, gehört auch immer diese im Kern antipluralistische Orientierung, dieser exklusive Volksvertretungsanspruch. Mit der Dichotomie von Elite und Volk gewinnt die politische Abgrenzung von der Logik und Lebensweise des Establishments Konturen und polemische Schärfe.

Der Bedeutungszuwachs des Rechtspopulismus in der politischen Arena basiert einerseits auf dem politischen Bankrott der bisher dominierenden konservativ-bürgerlichen und Mitte-links-Kräfte, andererseits auf einer wachsenden Verunsicherung größerer Teile der BürgerInnen über die Gefährdungen und Fehlentwicklungen im Finanzmarktkapitalismus.

Zu den Faktoren, die diese Erfolgsbilanzen entscheidend beeinflussen, und die z.T. schnelle Folge von Aufstieg und Niedergang des modernen rechten Populismus erklären, gehören zum einen die Organisationsstruktur und innere Verfasstheit der neuen Rechtsparteien, zum anderen die Reaktion der etablierten Parteien auf die störenden neuen Rivalen im politischen System.

In Reaktion auf die Erfolge rechtspopulistischer Parteien und Bewegungen haben sich die traditionellen Parteien häufig größere Teile der Programmatik der Rechtsparteien, insbesondere in den Bereichen innere Sicherheit, nationale Identität, Migration und Asyl zu Eigen gemacht und ihnen damit z.T. das Wasser abgegraben. Indirekt haben die Rechtspopulisten damit eine deutliche Verschiebung des politischen Koordinatenkreuzes nach rechts ausgelöst und die Entwicklung hin zu einem autoritären Kapitalismus mit massiven Einschränkungen der sozialen und Bürgerrechte beschleunigt. Dieser Rechtsruck in der politischen Ausrichtung vor allem des bürgerlichen Lagers reicht aber zumeist nur aus, um den ungeliebten rechten Konkurrenten zeitweise wieder zu verdrängen, denn die unterliegenden sozialen Probleme und Mentalitäten wurden durch diese Politik nicht beseitigt, sondern z.T. noch verschärft bzw. ausgebaut.

Der parteiinterne Streit zwischen einer nationalkonservativen und einer offen völkisch-nationalistischen Strömung kann stets die Qualität annehmen, dass die gesellschaftliche Akzeptanz der rechtspopulistischen Parteien stagniert oder rückläufig ist. Es ist gleichwohl oberflächlich von diesen Auseinandersetzungen einen Niedergang dieser modernen Rechten abzuleiten. Die Herausbildung des rechten Populismus hängt mit verbreiteten Ressentiments und tiefsitzender Enttäuschung über das politische Establishment zusammen. Zu den Faktoren, die diese Erfolgsbilanzen entscheidend beeinflussen, und die z.T. schnelle Folge von Aufstieg und Niedergang des modernen rechten Populismus erklären, gehören zum einen die Organisationsstruktur und innere Verfasstheit der neuen Rechtsparteien, zum anderen die Reaktion der etablierten Parteien auf die störenden neuen Rivalen im politischen System. Von einer Entwarnung kann daher keine Rede sein.

 

[1] Wir kommen im September-Heft von Sozialismus ausführlicher auf das Thema Rechtspopulismus und AfD zurück.

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