10. April 2013 Joachim Bischoff / Bernhard Müller

Pleite-Zyprer reicher als Deutsche!?

Wie vermögend sind die Europäer? Auf diese Frage versucht eine europaweite Studie der Europäischen Zentralbank [1] (EZB) eine Antwort zu geben. Mit teils überraschenden Ergebnissen: So hat laut Studie ein durchschnittlicher spanischer oder zypriotischer Haushalt mehr Vermögen als ein deutscher.

Der mittlere deutsche Haushalt (also der, der im nationalen Vermögensranking genau in der Mitte wäre) hat ein Nettovermögen von nur 51.400 Euro. Das ist der niedrigste Mittelwert (Median) aller 15 untersuchten EU-Kernländer. Im Länderschnitt liegt der bei 109.000 Euro. Der Durchschnittshaushalt in Spanien (182.700 Euro), Italien (173.500 Euro) oder Griechenland (101.900 Euro) ist deutlich reicher als in Deutschland.

Die mit Spannung erwarteten Ergebnisse der Umfragen der Euro-Notenbanken zu Armut und Reichtum in ihren Ländern, haben in der Berliner Republik zu einigen Irritationen geführt. Die deutschen Steuerzahler zahlen laufend in der EU-Krise, obgleich die die anderen Privathaushalte in Europas Krisenländern viel reicher sind.

Angesichts der vielen Milliarden Euro an »Stabilisierungshilfen« für Länder wie Griechenland, Portugal und Zypern bergen solche Zahlen einigen politischen Sprengstoff. Das sei auch ein Grund, warum die EZB die Veröffentlichung der Daten so lange hinausgezögert habe, bis das Stabilisierungsprogramm für Zypern beschlossen wurde. Die EZB begründet die relativ späte Veröffentlichung allerdings damit, dass die letzten Daten erst Anfang März eingetroffen und für die Studie noch einige statistische Arbeiten erforderlich gewesen seien.

Für die im europäischen Ländervergleich relativ niedrigen privaten Vermögen in Deutschland gibt es ein Bündel von Erklärungen:

  • Erstens ist die Ungleichheit in der Verteilung der Vermögen in Deutschland besonders groß. Die Berliner Republik weist bei der Vermögensverteilung mit einem Gini-Koeffizienten von 78 die größte soziale Schieflage im Euroraum aus. So verfügt der Medianhaushalt mit 51.400 Euro nur über 26% des Vermögens des Durchschnittshaushalts (195.200 Euro). Im Durchschnitt des Euroraums liegt der entsprechende Wert bei 47%. Das hat zum einen mit der wachsenden Ungleichheit bei den Primäreinkommen (drastisch sinkende Lohnquote) in den letzen 20 Jahren zu tun, aber zum anderen auch mit der die Vermögenden in diesem Land enorm begünstigenden Steuerpolitik (Abschaffung Vermögenssteuer, Steuersenkungen für Unternehmen und Vermögensbesitzer).
  • Zweitens gibt es in Deutschland einen vergleichsweise niedrigen Anteil von Eigenheimbesitzern. In Spanien beispielsweise leben 83% der Haushalte in einer eigenen Immobilie, in Italien sind es 69%. In Deutschland ist die selbst genutzte Immobilie zwar ebenfalls der wichtigste Aktivposten beim Vermögensaufbau. Allerdings spielt Immobilienbesitz für das Gros der Bevölkerung eine deutlich geringere Rolle als etwa im Süden Europas. So liegt der Anteil der Eigentümer mit einem Hauptwohnsitz im gesamten Bundesgebiet bei 44,2%. In Ostdeutschland fällt er mit 33,7% sogar noch geringer aus.
    Das Grundeigentum hat in den letzten Jahrzehnten große Preis- und Wertschwankungen durchlaufen. Bis zum Platzen der Immobilienpreisblasen sind die Werte vor allem in den heutigen Krisenländern wie Spanien, Zypern, Griechenland und Italien gleichsam explodiert, während der bis heute anhaltende Wertsenkungsprozess in den meisten Ländern noch nicht abgeschlossen ist. Diese Entwertung von fiktivem Kapital ist in den Daten der Europäischen Zentralbank z.T. noch gar nicht erfasst, weil etwa für Spanien nur erst die Zahlen für 2008 vorliegen. Für Zypern stammen die Daten aus 2010, damals erreichten die Hauspreise auf der Insel ihren Höhepunkt, sie hatten sich seit 2002 mehr als verdoppelt, während es in Deutschland in diesem Zeitraum nicht zur Ausbildung einer Immobilienpreisblase gekommen ist.
    Bei der Bewertung der in der EZB-Studie ausgewiesenen privaten Vermögen in den einzelnen Ländern des Euroraums muss außerdem in Rechnung gestellt werden, dass die Daten zum einen auf persönlichen Befragungen basieren, die Befragten also Schätzungen über den Wert ihres Vermögens machen, die über- oder untertrieben sein können, und zum anderen Haushalte und nicht Einzelpersonen betrachtet wurden. Das aber hat Folgen, da in deutschen Haushalten im Durchschnitt deutlich weniger Personen leben als in spanischen oder italienischen. Rechnet man auf das Pro-Kopf-Einkommen um, ist das durchschnittliche Privatvermögen in Westdeutschland höher als in Griechenland, Spanien und Frankreich.
    Während in anderen Ländern also selbst genutzte Immobilien zu einem nicht unerheblichen Teil in den Vermögensvergleich einfließen, ist der typische Haushalt in Deutschland oder auch Österreich ein Mieterhaushalt. In Österreich zum Beispiel ist ein großer Anteil der städtischen Wohnungen – in Wien wohl mehr als die Hälfte – im Besitz der öffentlichen Hand. Diese Art von Vermögen taucht in den Statistiken über die privaten Vermögen nicht auf. Für Deutschland spricht die Bundesbank in diesem Zusammenhang von einem »breiten und differenzierter Markt für Mietwohnungen«, der »fortwirkendes Resultat der Wohnungsbaupolitik im Gefolge des zweiten Weltkriegs« ist. Allerdings sind auch in Deutschland die Zeiten des öffentlichen Wohnungsbaus seit geraumer Zeit passé.
  • Drittens fehlen im Ländervergleich der Vermögen gänzlich die öffentliche Infrastruktur (Sozialwohnungen, Strassen, Schulen etc. – also das öffentliche Eigentum), die den BürgerInnen zur Verfügung steht, und die Sozialsysteme, die in den Ländern mit relativ niedriger Wohneigentumsquote in der Regel entwickelter sind, als in denen mit großen privatem Vermögen und hoher Wohneigentumsquote. So tauchen etwa die Ansprüche an die staatliche Rentenversicherung in keiner Statistik auf. »Für viele decken die Sozialversicherungen und die vom Staat bereitgestellten öffentlichen Güter die meisten der Lebensrisiken und Grundbedürfnisse zumindest prinzipiell ab: Arbeitslosigkeit, Alter, Krankheit, Pflegebedürftigkeit, und die Bildung auf Schulen und Universitäten.« (Bundesbank) Allerdings haben die Privatisierungs- und Deregulierungs- im Zusammenspiel mit der Steuersenkungspolitik auch in Deutschland die Rolle des öffentlichen Eigentums und der öffentlichen Dienstleistungen für die Lebensverhältnisse der Bevölkerung stark reduziert und das »soziale Eigentum« (Castel) der Lohnabhängigen durch Kürzung der Sozialleistungen drastisch gemindert.
  • Viertens spielt auch die deutsche Wiedervereinigung und der Einkommenstransfer in die neuen Bundesländer für die relativ niedrigen Vermögen in Deutschland eine Rolle. Betrachtet man allein Westdeutschland, dann beträgt das Durchschnittsvermögen wie in Frankreich rund 230.000 Euro und der Median knapp 79.000 Euro ähnlich wie in Österreich, wo der Immobilienbesitz genauso selten ist wie hierzulande. Umso geringer sind die Vermögen im Osten Deutschlands, wo die Haushalte im Durchschnitt ein Nettovermögen von 67.000 Euro haben und im Median nur 21.400 Euro.
  • Fünftens: Zu ganz anderen Ergebnissen kommt man auch, wenn man gar nicht auf das Vermögen, sondern auf die finanzielle Leistungsfähigkeit der Haushalte schaut. Mit weitem Abstand ist das Einkommen pro Haushalt in Luxemburg am höchsten: Im Durchschnitt liegt es bei 83.700 Euro pro Jahr. Der Median liegt immerhin noch bei 64.800 Euro. Über weit weniger, aber immer noch mehr als die meisten anderen Euro-Länder, verfügen Belgien (49.500 Euro/Median: 33.700 Euro), die Niederlande (Durchschnitt: 45.800 Euro/Median:40.600 Euro), Finnland (Durchschnitt: 45.100 Euro/Median: 36.300 Euro), und Deutschland (43.500 Euro/Median: 32.500 Euro). Zum Vergleich: In der Eurozone liegt das durchschnittliche Einkommen pro Haushalt bei 37.800 Euro, der Median nur bei 28.600 Euro – ein Unterschied von 30 Prozent. Das ist deshalb so wichtig, weil eben genau diese Abweichung einen Hinweis auf die Verteilung der Einkommen gibt. Auch hier zeigt sich der Zahlmeister Deutschland als Spitzenreiter in Sachen sozialer Spaltung. Es ist das Land mit der höchsten Abweichung (35%) zwischen Durchschnitts- und Medianwert.

Die im EZB-Bericht dokumentierte krasse Ungleichheit in der Verteilung der Vermögen (und der Einkommen) innerhalb und zwischen den Nationen des Euroraums unterliegt die wachsende Spreizung der Primäreinkommen. Diese Disparitäten in der Einkommens- und Vermögensverteilung sind aber nicht nur sozial ungerecht, sondern bedrohen auch die weitere wirtschaftliche Entwicklung. Stagnierende bzw. sinkende Lohneinkommen und Sozialtransfers wie auch die durch die steuerliche Begünstigung der Vermögenseinkommen erzwungene Begrenzung der Staatsausgaben (Kürzungen öffentlicher Ausgaben für die Infrastruktur und Dienstleistungen) schwächen die inländische Nachfrage. Um aus deflationären Konstellation herauszukommen, gibt es reichlich gesellschaftliche Stellschrauben Dazu gehören auch die massive Eingriffen in die Verteilungsstrukturen (Erhöhung der Einkommenssteuer für Besserverdienende, Wiedereinführung der Vermögenssteuer etc.), die die Vermögensbesitzer zur Finanzierung öffentlicher Investitionen (Erhalt und Ausbau des öffentlichen Vermögens) und zur Begrenzung der staatlichen Verschuldung heranziehen. Für einen solchen Kurswechsel zeichnen sich allerdings gegenwärtig keine mehrheitsfähigen gesellschaftlichen Bündnisse ab.


[1] www.ecb.europa.eu/pub/pdf/other/ecbsp2en.pdf

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