9. Juli 2011 Redaktion Sozialismus

Portugal im Würgegriff der Finanzmarktakteure

Die Ratingagentur Moody's hat die langfristigen portugiesischen Staatsanleihen auf »Ramsch«-Niveau abgestuft. Sie gelten somit als »nicht geeignet für ein Investment«. Die Begründung: Portugal werde wahrscheinlich ein zweites Rettungspaket benötigen. Ähnlich wie im Fall Griechenland wird von der Agentur prognostiziert, dass Portugal sich ab Mitte 2013 nicht zu erträglichen Zinsen auf den internationalen Kapitalmärkten refinanzieren könne.

Das Volumen eines weiteren Hilfspakets wird auf 25 bis 35 Mrd. Euro taxiert. Bei einer Auktion dreimonatiger Schatzwechsel im Wert von 848 Mio. Euro muss die nationale Schuldenagentur aktuell einen Zinssatz von durchschnittlich 4,9% bieten. Die Rendite der zehnjährigen portugiesischen Staatsanleihen kletterte auf 12,4%. Bei den zweijährigen Papieren stieg sie auf 16%. In der Konsequenz wird Portugal durch diese Einstufung weiter von den internationalen Finanzmärkten abgehängt. Auch ein Land, das über eine leidlich wettbewerbsfähige Ökonomie verfügt, könnte eine solche Zinsenlast nicht schultern.

Diese Herabstufung der Kreditwürdigkeit Portugals hat Kritik ausgelöst. Die EU-Kommission monierte den »unglücklichen« Zeitpunkt. Portugal habe gerade ein hartes Sparprogramm beschlossen. »Wir sollten dem Land, der Regierung zumindest die Chance geben, die Maßnahmen umzusetzen.«

Die Ratingagentur hat große Zweifel, dass Lissabon ab Mitte 2013 wieder einen Teil seines Finanzierungsbedarfs selbst decken kann. Grund ist das anhaltende Misstrauen der Finanzmärkte.

Die Regierung hat zugesagt, das Haushaltsdefizit von zuletzt 9,1% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bis 2013 auf 3% zu senken. Gemessen an der Wirtschaftsleistung beliefen sich die Verbindlichkeiten des Staates 2010 auf 93%. Das BIP lag im vergangenen Jahr bei 173 Mrd. Euro und die Rückführung auf die Schuldenquote von 3% entspräche einer Einsparsumme von rund 10 Mrd. Euro. Allerdings wird die Krise das Steueraufkommen um vier Prozentpunkte sinken lassen. Mit einem kaufkraftbereinigten BIP pro Kopf von 75% des EU-Mittels ist Portugal das ärmste der 15 »alten« EU-Länder und rangiert hinter vier neuen Mitgliedern. Fast 25 Jahre nach dem Beitritt zur heutigen EU beträgt der gesetzliche Mindestlohn 475 Euro pro Monat.

Im Fokus der Kürzungspolitik steht der öffentliche Dienst. In der staatlichen Verwaltung werden frei werdende Stellen gestrichen, überflüssige Einheiten abgeschafft, alle Abläufe überprüft. Bis Jahresende muss der Staat seine Anteile an den beiden Energieunternehmen EDP und REN sowie der Fluggesellschaft TAP verkaufen. Zudem soll die Regierung die Zahl der mehr als 4.500 Städte und Gemeinden reduzieren. Hinzu kommen Kürzungen in Höhe von 370 Mio. Euro im Bildungs- und von 925 Mio. Euro im Gesundheitssystem. Auf Beamtenpensionen über 1.500 Euro monatlich wird ab 2012 eine Sondersteuer erhoben, die 445 Mio. Euro pro Jahr einbringen soll. Die Gehälter werden bis Ende 2013 eingefroren.

Die Zentralbank (Banco de Portugal) hatte für 2011 einen Rückgang des Bruttoinlandproduktes (BIP) um 1,4% veranschlagt, danach könnte die Wirtschaft 2012 wieder um 0,3% zulegen – wenngleich eher theoretisch. Wie das Institut erläuterte, gingen nur die schon gebilligten Maßnahmen zum Abbau des überhöhten nationalen Haushaltsdefizits in diese Prognosen ein. Nicht berücksichtigt wurden die von der Regierung geplanten zusätzlichen Maßnahmen, die in dem am 23. März vom Parlament verworfenen Programm für Stabilität und Wachstum vorgesehen waren. Die Regierung hatte deren Gewicht auf 0,8% des BIP in diesem Jahr und auf 2,5% im Jahr 2012 beziffert.

Der wirtschaftliche Ausblick ist also düster. Staat, Unternehmen und Bürger sind überschuldet. Im letzten Jahr lag das staatliche Haushaltsdefizit bei 9,1 des BIP. In diesem Jahr soll es auf 5,9% fallen und 2012 auf 3,0%. Die Umsetzung der hierfür erforderlichen Maßnahmen werde auch 2012 noch einen ähnlichen Rückgang der wirtschaftlichen Aktivität auslösen wie im laufenden Jahr. Auch gehe ein notwendiger Abbau der Verschuldung von Unternehmen und Banken in die Prognosen nicht ein.

Unterdessen stehen die privaten Haushalte mit rund 130% ihrer verfügbaren Jahreseinkommen bei den Banken im Minus. Den Banken, die sich stark im Ausland finanziert hatten, um daheim für billige Kredite werben zu können, sitzt das Geld nicht mehr so locker. Als Euro-Land kann Portugal seine Schräglage auch nicht mehr durch Abwertungen korrigieren. Seine Warenimporte sind nur zu etwa zwei Dritteln durch Exporte gedeckt. Mit 10,3% des BIP gehörte das Leistungsbilanzdefizit 2009 zu den höchsten der EU.

Sein Abbau erfordert höhere Exporte, was mehr Wettbewerbsfähigkeit und eine höhere Produktivität voraussetzt. Wie die OECD hervorhebt, lag der jahresdurchschnittliche Zuwachs der Produktivität 2001-2006 bei nur 0,6%. Im Zeitraum 1995-2000 war unter dem Einfluss des Strukturwandels noch ein Plus von im Schnitt 2,0% gelungen.

Wie die Regierung und die Troika von EU, IMF und EZB betonten, sieht das Programm nicht nur die Haushaltssanierung vor. Geplant sind, mehr als in Griechenland und Irland, auch Strukturreformen, die dem Wirtschaftswachstum und der Beschäftigung zugute kommen sollen. Ein Zuwachs des Bruttoinlandproduktes (BIP) wird aber erst für 2013 erwartet. Die OECD rät u.a. zu Verbesserungen des Geschäftsklimas, auch nach der schon erfolgten Vereinfachung diverser administrativer Verfahren und schon vollzogenen Änderungen des Arbeitsrechts. Nötig sei etwa, Genehmigungsverfahren und die berüchtigt lange Dauer gerichtlicher Prozesse zu verkürzen.

Auch soll das Land den Ausbau industrieller Cluster fördern und die Verzahnung von Unternehmen mit Forschung und Entwicklung stärken. Zu wünschen seien zudem weitere Anstrengungen bei Bildung und beruflicher Qualifizierung sowie ein Abbau des Dualismus am Arbeitsmarkt durch eine Lockerung des Kündigungsschutzes bei festen Arbeitsverhältnissen. In diesem Sinne hatte die zurückgetretene Regierung eine Senkung der bei Entlassungen fälligen Abfindungen geplant.

Gleichwohl gibt es auch Lichtblicke: Die portugiesische Wirtschaft wuchs im ersten Quartal 2011. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg gegenüber dem Vorquartal um revidiert 1,1%. Damit ist die portugiesische Wirtschaft erstmals seit sechs Quartalen wieder auf Jahressicht gewachsen. Die Verbraucherausgaben lagen im ersten Quartal auf Jahressicht um 2,7%höher, die Exporte nahmen um 8,5% und die Importe um 5,2% zu.

Die neue portugiesische Regierung hat die Sparmaßnahmen verschärft. Der frischgebackene Premier Pedro Passos Coelho will u.a. eine einmalig zu zahlende Einkommenssteuer erheben. Die Steuerzahlung soll in etwa der Hälfte des Weihnachtsgeldes entsprechen. Auf diese Weise hofft der konservative Regierungschef, die anvisierte Defizitgrenze von 5,9% des BIP zu erreichen. Zu dieser hat sich Portugal im Rahmen des 78 Mrd. Euro schweren Rettungspakets mit EU und IWF verpflichtet.

Bis Ende Juli muss ein Käufer für die 2008 verstaatlichte Bank BPN gefunden sein. Außerdem muss die neue Regierung erklären, wie sie ihr Steuersystem haushaltsneutral reformieren will, um geringere Arbeitskosten und eine steigende Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen. Coelho kündigte schon an, er werde die Arbeitnehmer-Sozialbeiträge kräftig senken.

Der höheren Wettbewerbsfähigkeit dient eine ganzen Batterie struktureller Reformen: Arbeitslose sollen maximal 18 Monate lang statt bisher drei Jahre Transferleistungen bekommen. Abfindungen im Falle einer Kündigung entsprechen künftig dem Lohn von zehn Arbeitstagen pro absolviertes Arbeitsjahr statt bisher von 30 Tagen. Auf dem Wohnungsmarkt werden die Rechte der Vermieter gestärkt. Viele langjährige MieterInnen zahlen geradezu symbolische Mieten, während die Eigentümer kein Geld für die Instandhaltung haben.

Coelho gab die einmalige Einkommenssteuererhöhung im Rahmen der Parlamentsdebatte über sein Regierungsprogramm bekannt. Das Programm sieht vor, die schon im letzten Jahr angehobene Mehrwertsteuer erneut für einige Produkte zu erhöhen. Die Privatisierung der staatlichen Fluggesellschaft TAP, des Flughafenbetreibers ANA, der Post, des Versorgers EDP und eines öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders soll beschleunigt werden. Außerdem wird der Bau des Hochgeschwindigkeitszugs von Madrid nach Lissabon trotz großen Protests von Seiten des Nachbarlands Spanien auf Eis gelegt.

Die Herausforderung ist gewaltig: Die Regierung muss die Neuverschuldung dieses Jahr noch um fast 3% des BIP senken. Denn das Statistikamt gab diese Woche bekannt, dass das Haushaltsdefizit zum Ende des ersten Quartals nur auf 8,7% des BIP gefallen war, von 9,2% drei Monate zuvor. Die sozialistische Vorgängerregierung hatte sich Hoffnungen gemacht, dass das Defizit in den ersten Monaten sehr viel stärker fallen würde, weil da erstmals die Senkung der Beamtengehälter spürbar wurde. Zwar sind die Einnahmen in dem Zeitraum tatsächlich deutlich gestiegen, aber auf der Ausgabenseite hat sich nichts getan.

1986 wurde Portugal in die EU aufgenommen und bekam massive Finanzhilfen, die es nicht optimal nutzte. 1989 begannen die Privatisierungen staatlicher Unternehmen. Während sich allmählich eine wirtschaftliche Normalität einspielte, bekam Portugal als Industriestandort neue Konkurrenten in Mittel- und Osteuropa mit noch tieferen Löhnen, oft aber besser qualifizierten Arbeitskräften. Portugal modernisierte derweil seine Infrastruktur und vollzog marktwirtschaftliche Reformen. Es baute auch den Staatsapparat und das Sozialsystem aus.

Überraschend gehörte Portugal auch zu den Gründungsmitgliedern der Euro-Zone. Erst in den 1990er Jahren waren die einst hohen Kreditzinsen in den einstelligen Bereich gefallen, was – wie in anderen Ländern auch – eine Expansion der Immobilienpreise und die Ausweitung der Verschuldung der privaten Haushalte beförderte. Ernüchterung brachte bald die Einsicht, dass der Staat bei der Senkung seines Haushaltsdefizits auf unter 3% des BIP vor allem vom Zinsrückgang profitiert und die nachhaltige Konsolidierung versäumt hatte. 2001 war Portugal das erste Euro-Land, das die 3%-Marke wieder überschritt.

Angesichts einer Arbeitslosenquote von über 10% ist für viele PortugiesInnen die Euphorie der späten 1990er Jahre längst Vergangenheit. Schon im Jahr 2002 leitete die EU gegen Portugal als erstem Euro-Land ein Verfahren wegen eines zu hohen Haushaltsdefizits ein. Daraufhin erfolgten Steuererhöhungen und Sparpakete, aber auch z.B. eine Rentenreform, so dass das Defizit 2007 bis auf unter 3% zurückgeführt werden konnte. Mit der großen Krise in den Jahren 2008ff. wurden die Konsolidierungserfolge hinweg gefegt.

Nach dem letzten, sehr wachstumsschwachen Jahrzehnt hat Portugal nun erneut eine gravierende Krise vor sich. Dagegen soll ein »ehrgeiziges« Privatisierungsprogramm auf den Weg gebracht werden, z.B. im Transport- und Energiesektor sowie in der Assekuranz. Vorgesehen ist außerdem, dass die von den Arbeitgebern zu tragenden Sozialabgaben abgesenkt sowie Änderungen des Arbeitsrechts auf den Weg gebracht werden, um Flexibilität zu steigern und Abfindungen zu verringern. Zudem soll es Änderungen am Mietrecht geben.

Auch wenn in Portugal im Unterschied zu Griechenland wirtschaftspolitische Zielsetzungen im Sanierungsprozess erkennbar sind, dürfte die Ökonomie in den nächsten zwei bis drei Jahren nicht in ein normales Akkumulationsfahrwasser zurückfinden. Es kann keine Illusionen mehr über den Charakter der Rettungsoperationen geben: Kein Finanzmarktakteur glaubt an die Fiktion, dass die Länder ihre Staatsschulden nominal ablösen könnten.

Der Transfer der europäischen Gelder und die Kredite vom IMF dienen ausschließlich dazu, Zeit zu gewinnen. Im Ergebnis dieses Zeitgewinnes wird aber auch die wirtschaftliche und soziale Struktur der Gesellschaften massiv beschädigt werden. Es geht eben nicht darum, der Bevölkerung dieser Länder eine wirtschaftliche und soziale Perspektive zu eröffnen, sondern die bislang in das Schuldenkarussell involvierten Akteure (Banken, Versicherungen) sollen Zeit erhalten, eine für sie günstige Umschuldung vorzubreiten.

Nicht die Gemeinschaftswährung Euro wird einer massiven Krise ausgesetzt. Wir sind vielmehr mit einer massiven Schuldenkrise einiger Länder an der Peripherie der EU konfrontiert. Mit dem Argument, man müsse die europäische Währung retten, sind diese Länder tiefer in die Schuldenkrise hineingetrieben worden. Es geht es nach einer langen Phase der Aneignung umfangreicher Kredite für die Finanzmarktakteure jetzt und in nächster Zeit um die Sozialisierung der Verluste. Die Hauptlast trägt die breite Mehrheit der Bevölkerungen in diesen Ländern, den etwas kleineren Part sollen die europäischen SteuerzahlerInnen übernehmen.

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