31. Dezember 2015 Joachim Bischoff: Die »Troika« hat auch dort miserable Arbeit gemacht

Portugals Linksregierung muss Banken retten

Die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Weltwährungsfonds (IWF) habe gravierende Probleme im Bankensektor übersehen, klagte der sozialistische Regierungschef Portugals António Costa. Das Euro-Mitgliedsland war 2011 mit einem Hilfsprogramm von 78 Milliarden Euro vor einem Staatsbankrott bewahrt worden. Dafür musste sich das Land zu drastischen Einsparungen verpflichten und seine Finanzen einer Kontrolle der Troika unterstellen.

Die Inspektoren der Geldgeber hätten viel Zeit damit verloren, die Finanzen der Regierung, der Bezirke und der Gemeinden zu überprüfen, nicht aber die der Banken. In der Tat wurden die Risiken in Portugals fragilem Bankensektor schon seit längerer Zeit unterschätzt; sie standen eindeutig im Schatten der drängenderen Haushaltsprobleme. Auch der IWF hat im vergangenen Jahr die geringe Profitabilität als größte Herausforderung für die von der Krise gezeichneten Finanzinstitute hervorgehoben – und die Probleme zugleich unter den Teppich gekehrt.

Portugals Wirtschaft hat eine leichte Erholung hinter sich. Nach der Rezession der Jahre 2011 bis 2013 war das Bruttoinlandprodukt (BIP) im Jahr 2014 erstmals wieder leicht gewachsen. Nach dem Abschluss des dreijährigen Hilfsprogramms der »Troika« im Mai 2014 hatte die kürzlich abgelöste bürgerliche Regierung dieses Jahr damit begonnen, einige Austeritätsmaßnahmen zu lockern. Inzwischen liegt die Arbeitslosenquote, die auf dem Höhepunkt der Krise auf über 17% geklettert war, bei rund 12%, – nicht zuletzt freilich dank starker Emigration.

Die neue sozialistische Minderheitsregierung – toleriert von den kleineren Linksparteien – plant die verfügbaren Einkommen zu erhöhen, um die Binnenwirtschaft weiter zu stärken. Vorgesehen sind die Reduzierung des krisenbedingten Aufschlages auf die Einkommenssteuer, die rasche Annullierung der Gehaltskürzungen im Staatsdienst sowie eine leichte Anhebung der seit 2010 eingefrorenen Renten und anderer Sozialleistungen. Zudem denkt die Regierung an eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns von jetzt 505 € monatlich, den derzeit rund 20% aller Arbeitnehmer beziehen, auf 530 € im nächsten Jahr und auf 600 € bis 2019.

Als Beleg für die Notwendigkeit von weiteren Wachstumsimpulsen werden die Prognosen der Zentralbank (Banco de Portugal) für die Entwicklung des BIP bis 2017 gewertet. Sie hat das erwartete Wirtschaftswachstum für 2015 um 0,1 Prozentpunkte auf 1,6% zurück genommen und für 2016 und 2017 werden Raten von 1,7% beziehungsweise 1,8% erwartet. Denn die Erholung ist in der Tat nicht in allen Sektoren zu spüren. Während etwa der Tourismus boomt und eine rege private Bautätigkeit ins Auge sticht, sprechen Vertreter der Bauwirtschaft mit Blick auf die öffentlichen Aufträge von 2015 als »historisch schlechtem Jahr«.

Mit Hochdruck arbeitet die Regierung zudem an der Erstellung eines Entwurfs für das Staatsbudget für 2016. Sie will das Defizit auf 2,8% des BIP begrenzen, womit sie deutlich hinter der Vorgabe der abgewählten bürgerlichen Regierung zurückbleibt. Diese wollte 1,8% erreichen, nach einer geplanten Reduzierung des Defizits auf 2,7% in diesem Jahr. Kaum im Amt, musste die neue Regierung konstatieren, dass Portugal das Ziel für 2015 nicht erreichen werde. Um das Defizit wenigstens unter 3% zu halten, beschloss die Exekutive bereits einige noch nicht quantifizierte Sondermaßnahmen wie den Aufschub nicht ganz so dringender Ausgaben. Sie will damit erreichen, dass die EU das seit Jahren laufende Verfahren wegen überhöhter Defizite einstellt.

Kritiker sind skeptisch: Es genüge nicht, das Haushaltsdefizit unter 3% zu drücken, da der Fiskalpakt auch eine Senkung der strukturellen Fehlbeträge um 0,5% des BIP vorsehe. diese Vorgabe werde von der sozialistischen Regierung nicht eingehalten werden können.

In diese nicht einfach politische Konstellation platzt eine Verschärfung der Bankenkrise. Das Parlament musste eine Korrektur am Staatsbudget 2015 vornehmen, um Hilfen von über 2 Mrd. € zur »Abwicklung« des kleinen Bankinstituts Banif zu ermöglichen. Der neue Finanzminister, Mário Centeno, hat zwar unterstrichen, dass die Regierung keine weiteren Steuermittel für die Lösung von Problemen im Bankensektor einsetzen will, aber die aktuellen Probleme mit den Banken hat natürlich eine Vorgeschichte.

Denn die Probleme begannen nicht erst mit der Wirtschafts- und Finanzkrise, die das Land im Jahr 2011 zwang bei den europäischen Geldgebern um Unterstützung zu bitten. Von de bewilligen 78 Mrd. € hohen Notkredit der »Troika« waren 12 Mrd. € für die Stärkung von privaten Banken reserviert. Davon riefen drei Institute – Banco Comercial Português (BCP), BPI und Banif – 2012/13 insgesamt 5,6 Mrd. € ab. Öffentliche Hilfe aus anderen Töpfen erhielt zudem die staatliche Caixa Geral de Depósitos. Schon vorher traten bei einigen Instituten indes auch hausgemachte Probleme auf.

Im Sommer 2014 folgte die Abwicklung des Banco Espírito Santo (BES). Zum Verkauf steht noch immer die good bnk Novo Banco, die von dem Abwicklungsfonds mit 4,9 Mrd. € refinanziert wurde. Den Löwenanteil davon stellte der Staat als Kredit aus Troika-Mitteln zur Verfügung. Um den Ruf des Bankensektors steht es äußerst schlecht, die aktuellen Turbulenzen haben ihn weiter beschädigt.

Denn nach dem Ende des EU-Rettungsprogramms muss – nach dem BES – nun Banif vom Staat vor dem Zusammenbruch gerettet werden. »Man hat nicht dort hingeschaut, wo man hätte hinschauen müssen«, äußerte der neue sozialistische Regierungschef Costa. Portugal muss zum zweiten Mal binnen zwei Jahren mit Milliardenlasten für den Steuerzahler eine Bank retten. Banif wird auf Staatskosten an den spanischen Finanzkonzern Santander verkauft, dessen Tochter Totta übernimmt für 150 Mio. € das Geldhaus. Zugleich bekommt die vergleichsweise kleine Bank eine staatliche Kapitalspritze von knapp 2,3 Mrd. €. Die EU-Kommission genehmigte dies. »Banif hat bereit viele Staatshilfen bekommen und ist aus eigener Kraft nicht existenzfähig«, erklärte die zuständige EU-Kommissarin Margrethe Vestager.

Ministerpräsident Costa sagte in einer Fernsehansprache, die Kosten für den Steuerzahler seien »sehr hoch«: 489 Mio € kämen vom portugiesischen Bankenfonds, 1,77 Mrd. € direkt vom Staat. Es sei rechtlich aber die einzige Möglichkeit, Bankkunden zu schützen und die Stabilität des Finanzsystems zu gewährleisten. Bereits 2014 musste der Staat das zweitgrößte heimische Geldhaus Banco Espirito Santo retten – mit insgesamt 4,9 Mrd. €, es  existiert unter dem neuen Namen Novo Banco weiter.

Banif hat einen Marktwert von 91 Mio. €, Ende September beliefen sich die Einlagen auf 6 Mrd. €. Die Bank war ins Schlingern geraten, nachdem sie mehr als 700 Mio. an Krediten – die der Staat während der Finanzkrise gewährte – nicht zurückzahlen konnte. Dieser übernahm deshalb 60,5% der Aktien. Santander kauft nur die gesunden Teile, die problematischen Teile werden ausgelagert.

Der Ministerpräsident wirft der vorherigen bürgerlichen Regierung vor, das Problem Banif vor sich hergeschoben zu haben. Um Hilfen und Garantien in Höhe von 2,26 Mrd. € zu erlauben, hat das Kabinett den Nachtragshaushalt des Budgets 2015 beschlossen. Damit erhöht sich das Defizit laut Finanzminister Centeno um über einen Prozentpunkt, dies werde jedoch die erhoffte Einstellung des EU-Verfahrens wegen überhöhter Defizite voraussichtlich nicht beeinträchtigen.

Die Kosten für die öffentliche Hand könnten sich allerdings auf bis zu 3,8 Mrd. € ausweiten. Neue Hilfen von gegen 3 Mrd. € hat die Europäische Kommission gebilligt. Verloren wären zudem bis zu 825 Mio. € an Kapitalspritzen von insgesamt 1,1 Mrd. €. Für 400 Mio. € zeichnete der Staat vor drei Jahren Wandelanleihen, Banif blieb die Rückzahlung von 125 Mio. € jedoch schuldig.

Banif konnte trotz früherer Staatshilfe weder dauerhaft saniert noch ohne Beihilfen verkauft werden. Deshalb wird das Kreditinstitut nun abgewickelt, also ordentlich aufgelöst. Aktiva und Passiva im Umfang von etwa 11,1 Mrd. € erhält die Santander-Gruppe. Um diesen Verkauf zu ermöglichen, sind Hilfsmaßnahmen im Umfang von 2,255 Mrd. € nötig. Zudem sind »faule« Aktiva mit einem Nettobuchwert von 2,2 Mrd. € mit dem Ziel eines späteren Verkaufs an eine Zweckgesellschaft im Besitz des portugiesischen Bankenabwicklungsfonds übertragen worden, was mit weiterer Hilfe von 422 Mio. € verbunden ist.

Schließlich gewährt der Staat eine Garantie, um möglichen Wertänderungen der vom Banco Santander übernommenen Teile zu begegnen. Mit den drei Maßnahmen erreicht die gesamte neue Staatshilfe also bis zu 3 Mrd. €. Sie gesellt sich zu einer staatlichen Kapitalspritze von 1,1 Mrd. €, die Brüssel im Januar 2013 vorläufig genehmigt hatte und nun definitiv gebilligt wurden.

Santander Totta übernimmt nicht die Bank, sondern ihre Aktivitäten und steigert den eigenen Marktanteil im Land laut einem Communiqué um 2,5 Prozentpunkte auf 14,5%. Die problematischen Teile von Banif gehen auf einen neuen Fonds über. Unter dem Dach des Banif bleiben dabei nur wenige Aktiva.

Anders als nach dem Kollaps des BES ist bei Banif klar, wer das Geschäft langfristig weiterführen soll. Noch immer gehört der »gute« BES-Nachfolger Novo Banco dem Abwicklungsfonds, der das Institut im August 2014 mit einem überwiegend staatlich finanzierten Startkapital von 4,9 Mrd. € ausstattete. Geplant ist ein Verkauf des Instituts, der im September im ersten Anlauf aber scheiterte, da alle Angebote zu niedrig waren. Wie der Kollaps des BES wird auch jener von Banif ein politisches Nachspiel haben. Ministerpräsident Costa sprach von der dringen Notwendigkeit, die Bankenaufsicht neu zu ordnen. Zudem zeichnet sich eine parlamentarische Untersuchung ab.

Der Bankensektor ist inzwischen auch vom nationalen Rechnungshof untersucht worden. In einem Gutachten über die Staatsfinanzen 2014 bezifferte dieser den Brutto-Aufwand öffentlicher Institutionen für sieben Banken in den Jahren 2008 bis 2014 auf 17,6 Mrd. €, das wären 10,2% des BIP des Jahres 2014. Die Europäische Zentralbank habe den öffentlichen Aufwand für den Finanzsektor in der gesamten Euro-Zone auf 8% des BIP beziffert. Nach Rückflüssen von 5,8 Mrd. € belaufe sich der Netto-Aufwand in Portugal dagegen auf 11,8 Mrd. €. Noch nicht berücksichtigt sind die jüngsten Hilfen für Banif. Festzuhalten bleibt: Der Bankensektor ist seit längerem marode und die Troika hat ihre Aufgaben ebenso einseitig erledigt wie in Griechenland.

Deshalb ist die Kritik seitens der seit Ende November amtierenden Linksregierung mehr als berechtigt: Nicht nur habe die vorherige bürgerlichen Koalition die bekannten Probleme ausgesessen, auch die internationalen Gläubiger, repräsentiert durch die »Troika«, tragen eine gehörige Mitschuld. Sie zeigten in ihrem Kontrollverhalten das aus Griechenland bekannte Muster. In Kooperation mit den korrupten wirtschaftlichen Eliten habe man die Probleme des Bankensektors verniedlicht. Jetzt müsse die linke Reformpolitik das überhaupt erst einmal wieder in Ordnung bringen, für eine Refinanzierung und effektive Kontrolle des Finanzsektors sorgen.

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