6. März 2013 Bernhard Müller: Die aktuellen Arbeitsmarktzahlen

Prekarisierung ist europäisch

Anders als in Deutschland ist die Situation auf den Arbeitsmärkten in vielen europäischen Nachbarstaaten bedrückend. Eurostat schätzt, dass im Januar 2013 in der EU27 insgesamt 26,217 Mio. Männer und Frauen arbeitslos waren, davon 18,998 Mio. im Euroraum. Gegenüber Januar 2012 nahm die Zahl der Arbeitslosen in der EU27 um 1,890 Mio. und im Euroraum um 1,909 Mio. zu.

Damit belief sich die saisonbereinigte Erwerbslosenquote in der Eurozone (EZ 17) auf 11,9% und in der Europäischen Union (EU 27) auf 10,8%. Von den Mitgliedstaaten verzeichneten Österreich (4,9%), Deutschland und Luxemburg (je 5,3%) sowie die Niederlande (6,0%) die niedrigsten Arbeitslosenquoten. Die höchsten Quoten meldeten Griechenland (27,0% im November 2012), Spanien (26,2%) und Portugal (17,6%).

Die höchsten Anstiege meldeten Griechenland (von 20,8% auf 27,0% zwischen November 2011 und November 2012), Zypern (von 9,9% auf 14,7%), Portugal (von 14,7% auf 17,6%) und Spanien (von 23,6% auf 26,2%).

Besonders hart trifft die ökonomische Unsicherheit die junge Generation: So waren im Januar 2013 in der EU27 5,73 Mio. Personen im Alter unter 25 Jahren arbeitslos, davon 3,64 Mio. im Euroraum. Gegenüber Januar 2012 stieg deren Zahl in der EU27 um 264.000 und im Euroraum um 295.000. Die Jugendarbeitslosenquote lag im Januar 2013 in der EU27 bei 23,6% und im Euroraum bei 24,2%. Im Januar 2012 hatte sie 22,4% bzw. 21,9% betragen. Die niedrigsten Quoten verzeichneten Deutschland (7,9%), Österreich (9,9%) und die Niederlande (10,3%) und die höchsten Quoten Griechenland (59,4% im November 2012), Spanien (55,5%) und Italien (38,7%).

Und die Aussichten sind trübe. So rechnet die Europäische Kommission für 2013 mit einem weiteren Rezessionsjahr im Euroraum. In ihrer aktuellen Schätzung geht sie von einem Schrumpfen der Wirtschaftsleistung um 0,3% gegenüber 2012 aus. Dabei bleibt das größte Problem in vielen Euro-Ländern die Arbeitslosigkeit. Sie wird im Durchschnitt 2013 auf eine Quote von 12,2% steigen.

Die unterschiedliche ökonomische Entwicklung und damit die Arbeitslosigkeit in den Ländern der Europäischen Union drückt sich entsprechend in den Lebensverhältnissen der Bevölkerung aus. So sind die von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffenen Teile der Bevölkerung besonders hoch in den ost- (mit einigen Ausnahmen) und südeuropäischen Ländern. Die Krisenländer Irland (29,2%), Griechenland (31,0%), Italien (28,2%), Spanien (27,0%) und Portugal (24,4%) liegen teils deutlich über dem Durchschnitt der EU27 von 24,2%.[1] Aber selbst in den ökonomisch relativ stabilen skandinavischen Ländern und Deutschland (19,9%) Frankreich (19,3%), Österreich (16,9%) und den Niederlanden (15,7%) sind 15-20% der Bevölkerung von sozialem Ausschluss betroffen.

Ganz generell sind dabei in allen Ländern der EU27 Kinder stärker von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht als der Rest der Bevölkerung: im Jahr 2011 waren es 27% der Kinder unter 18 Jahren, 24% der Erwachsenen (zwischen 18 und 64 Jahren) und 21% der Älteren (65 Jahre und älter). Die höchsten Anteile der Betroffenen unter 18 Jahren gab es in Bulgarien (52%), Rumänien (49%), Lettland (44%), Ungarn (40%) und Irland (38% in 2010) und die niedrigsten Anteile in Schweden, Dänemark und Finnland (je 16%), gefolgt von Slowenien (17%), den Niederlanden (18%) und Österreich (19%).

Besonders betroffen von Armutsgefährdung sind Erwachsene und Kinder mit Migrationshintergrund. Im Jahr 2011 waren 32% der Kinder, die mit mindestens einem im Ausland geborenen Elternteil zusammenlebten, in der EU27 von Armut bedroht, gegenüber 18% der Kinder, deren Eltern im Inland geboren wurden. Dabei variierte der Anteil im Jahr 2011 deutlich zwischen den Mitgliedstaaten. Er reichte von 15% in der Tschechischen Republik, 17% in Estland und 18% in Malta bis 46% in Spanien, 43% in Griechenland und 39% in Frankreich. Der Anteil der Kinder mit im Inland geborenen Eltern war in Dänemark und Österreich (je 8%) am niedrigsten und in Rumänien (33%) am höchsten.

Deutschland gehört zu den wenigen Ländern in der Europäischen Union, in denen die Wirtschaftsleistung das Vorkrisenniveau wieder erreicht bzw. leicht überstiegen hat. Aber auch hierzulande hat sich der Wachstumspfad deutlich abgeflacht und wurde zuletzt verlassen. 2012 ist das reale Bruttoinlandsprodukt nach Angaben des Statistischen Bundesamtes nur um 0,7% gewachsen, nach +3,0% im Jahr 2011. Im vierten Quartal 2012 ist die Wirtschaft saisonbereinigt sogar um 0,6% geschrumpft. Die schwache Dynamik ist Ausdruck des rezessiven Sogs, der weite Teile der Eurozone infolge der europäischen Staatsschuldenkrise erfasst hat. Die Hoffnung, dass die Unsicherheit an den Finanzmärkten nicht wieder ansteigt und die Konjunkturerwartungen wieder in den positiven Bereich drehen, ist wenig begründet.

Diese Entwicklung hat auch Spuren auf dem bis dahin relativ stabilen Arbeitsmarkt hinterlassen. So wurden im Februar im Vergleich zum Vorjahr 46.000 oder 1% mehr Arbeitslose registriert. Arbeitslosengeld haben 1,10 Mio. Menschen erhalten, das waren 48.000 mehr als im Monat zuvor. In saisonbereinigter Rechnung haben damit 15.000 mehr Menschen Arbeitslosengeld bezogen. Gegenüber dem gleichen Monat des Vorjahres hat die Zahl der Arbeitslosengeldbezieher um 111.000 zugenommen. Dieser Anstieg geht mit einem deutlichen Rückgang der Arbeitsmarktpolitik – insbesondere bei der Selbständigenförderung – im SGB III einher.

Auch die Unterbeschäftigung (ohne Kurzarbeit) hat gegenüber dem Vormonat um 44.000 oder 1% zugenommen. Im Februar belief sie sich auf 4.075.000. Im Vergleich zum Vorjahr ist sie um 74.000 oder 2% Prozent zurückgegangen. Dieser Rückgang hängt ausschließlich damit zusammen, dass entlastende Arbeitsmarktpolitik durch die Kürzungspolitik der schwarz-gelben Bundesregierung im Saldo rückläufig war. Das größte Minus verzeichnete die Förderung der Selbständigkeit (-96.000). Weitere Abnahmen gab es bei Maßnahmen mit vorruhestandsähnlichen Wirkungen (Saldo von -34.000), bei Beschäftigung schaffenden Maßnahmen (einschließlich Beschäftigungszuschuss; -23.000).

Ob sich die Bremsspuren am Arbeitsmarkt in den nächsten Monaten weiter verstärken, hängt nicht zuletzt von der weiteren Entwicklung der Finanzkrise und der außereuropäischen Absatzmärkte (USA, China etc.) ab, die bisher die Einbrüche auf dem europäischen Binnenmarkt mindestens abgefedert haben.

Zudem darf nicht vergessen werden, dass das deutsche Jobwunder der letzten Jahre vor allem auf einer im Rekordtempo aufgebauten prekären Beschäftigung beruht, die bei einem Rückgang der Wirtschaftsleistung besonders gefährdet ist. Neben Teilzeitbeschäftigung, Leiharbeit und befristeter Beschäftigung gehören zu den so genannten atypischen Beschäftigungsverhältnissen auch 7,4 Mio. Minijobs. Davon sind 2,5 Mio. Nebenjobs.

Im Vergleich zu anderen Formen atypischer Beschäftigung (Leiharbeit, Befristung) haben Minijobs am deutschen Arbeitsmarkt eine herausragende Bedeutung: Während im Jahr 2011 über die Hälfte aller Betriebe Minijobber einsetzte, beschäftigten nur rund 4% der Betriebe Leiharbeiter und rund 17% befristet Beschäftigte. Auch bei der Gesamtbeschäftigung zeigt sich, dass auf Leiharbeit bzw. Befristung mit zuletzt etwa 2 bzw. 8% deutlich geringere Anteile entfallen als auf die Minijobs.

Insbesondere die Branche Nahrungs- und Genussmittel, das Gastgewerbe sowie der Einzelhandel weisen hohe Anteile an Betrieben auf, die mindestens einen Minijobber beschäftigen. Auch der Anteil an den Beschäftigten ist im Einzelhandel, im Gastgewerbe und in den sonstigen, überwiegend personenbezogenen Dienstleistungen besonders hoch. Im Gastgewerbe ist sogar rund jeder dritte Beschäftigte ein Minijobber. Die sektorale Verteilung der Minijobber zeigt darüber hinaus, dass fast 60% aller geringfügig Beschäftigten in nur vier der neunzehn Branchen zu finden sind: im Einzelhandel, im Gastgewerbe, im Gesundheits- und Sozialwesen sowie im Bereich wirtschaftliche, wissenschaftliche und freiberufliche Dienstleistungen. Vor allem in Klein- und Kleinstbetrieben kommt es dabei zu einer massiven Verdrängung von sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung.[2]

Zum Bereich prekärer Beschäftigung muss auch ein großer Teil der so genannten Solo-Selbständigen[3] (Selbständige ohne Lohnarbeiter) gezählt werden. Seit 2000 hat sich ihre Zahl um 800.000 oder 40% erhöht. Dieser Zuwachs hat dazu geführt, dass die Zahl der Selbständigen insgesamt viel stärker gewachsen ist als die der Lohnabhängigen. Nach den Ergebnissen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung stieg die Zahl der Lohnabhängigen von 2000 bis 2012 um 5%, die der Selbständigen dagegen um 14%.

Dieser Aufschwung war im Rahmen der Politik der Flexibilisierung des Arbeitsmarkts (Agenda 2010) auch politisch gewollt. So kam es zu einer enormen Erhöhung der Zahl der Solo-Selbständigen ab dem Jahr 2003, weil damals die Förderung (für »Ich-AG’s«) erheblich ausgeweitet wurde. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit stieg die Zahl der Bezieher des 2003 eingeführten Existenzgründungszuschusses bis Ende 2004 auf 220.000.

Bei den Gründungsmotiven für das Kleingewerbe lassen sich zwei große Gruppen unterscheiden. Die eine, größere Gruppe verfolgt vorrangig Ziele, die üblicherweise mit Selbständigkeit verbunden werden: die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, die Umsetzung eigener Ideen oder ein höheres Einkommen. Bei der anderen Gruppe standen Arbeitslosigkeit, fehlende Beschäftigungsalternativen oder Probleme am vorherigen Arbeitsplatz im Vordergrund – also eher eine Notlage.

Im europäischen Vergleich ragt Deutschland bei den Solo-Selbständigen deutlich heraus: Nirgendwo sonst in Europa – abgesehen von Belgien – ist der Anteil derjenigen mit einer akademischen Ausbildung so hoch wie hier (44% im Vergleich zu 27% im EU-Durchschnitt). Ein Blick auf die Anteile bei den Berufen lässt die Spezialisierungsmuster der Solo-Selbständigen deutlich werden: künstlerische Berufe, Lehrer/Dozenten (darunter auch solche für Erwachsenenbildung), Dolmetscher, Publizisten, Psychologen, pflegerische Berufen, Kosmetiker und Heilpraktiker.

Die zahlenmäßig meisten Solo-Selbständigen sind indes als Händler und Vertreter sowie in landwirtschaftlichen oder gärtnerischen Berufen tätig; hier hat die Zahl der Solo-Selbständigen allerdings deutlich abgenommen. Bei den Zuwächsen in absoluten Zahlen stehen Bauberufe an der Spitze; allein auf die Ausbauberufe entfiel knapp ein Zehntel der gesamten Erhöhung von 2000 bis 2011. Hier machte sich u.a. bemerkbar, dass es ab dem Jahr 2004 in einigen Handwerken nicht mehr nötig war, einen Meisterbrief vorzuweisen, um Zugang zum Markt zu bekommen. Stark zum Wachstum beigetragen haben auch Lehrer und Dozenten, bildende Künstler, Steuer- und Wirtschaftsberater sowie IT-Kräfte und Personen in Pflegeberufen. Auffallend ist zudem ein starker Zuwachs an Hausmeistern unter den Solo-Selbständigen.


Die Prekarität von Solo-Selbständigen zeigt sich vor allem an deren finanzieller Situation. Zwar erzielt ein Teil dieser Personen recht hohe Einkommen, im mittleren Bereich der Verteilung sind die Erwerbseinkünfte allerdings geringer als bei den Arbeitnehmern, und knapp ein Drittel erreicht lediglich Einkünfte wie im Niedriglohnsektor. Der Niedrigeinkommenssektor hat bei den Solo-Selbständigen ein größeres Gewicht als unter den abhängig Beschäftigten. Etwa 800 000 Personen oder knapp ein Drittel aller Solo-Selbständigen gehören zu diesem Bereich, darunter ein nicht geringer Teil gut Qualifizierter.

Mit dem große Segment prekärer Beschäftigung bei Lohnabhängigen (35%), den Solo-Selbständigen und einer auf den Abbau von arbeitsmarkt- und strukturpolitischen Maßnahmen ausgerichteten Haushaltskonsolidierung der schwarz-gelben Bundesregierung sind die Aussichten für den deutschen Arbeitsmarkt bei stagnierender oder gar rückläufiger Wirtschaftsleistung mehr als trübe.

[1] Diese Zahlen stammen aus einer Veröffentlichung von Eurostat, dem statistischen Amt der Europäischen Union, und basieren auf Daten der EU Statistiken zu Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC). Personen, die von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht sind, sind von mindestens einer der folgenden drei Bedingungen betroffen: von Armut gefährdet, unter erheblicher materieller Entbehrung leiden oder in einem Haushalt mit sehr niedriger Erwerbstätigkeit leben.
[2] Siehe dazu: Christian Hohendanner/Jens Stegmaier, Umstrittene Minijobs. Geringfügige Beschäftigung in deutschen Betrieben, IAB Kurzbericht 24/2012
[3] Siehe zum Folgenden: Karl Brenke, Allein tätige Selbständige: starkes Beschäftigungswachstum, oft nur geringe Einkommen, in DIW Wochenbericht 7/2013, S. 3ff.

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