5. Januar 2018 Joachim Bischoff/Bernhard Müller

Rechtes Überholmanöver: eine »bürgerlich konservative Wende in Deutschland«

Foto: flickr.com/BM für Verkehr und digitale Infrastruktur

Der bayrischen CSU passen die aktuellen politischen Kräfteverhältnisse nicht. Bei den Bundestagswahlen haben sowohl CDU/CSU wie auch die Sozialdemokratie eine krachende Niederlage eingefahren. Mit dem Einzug der AfD hat sich die politische Landschaft in der Berliner Republik nachhaltig verändert.

Vom Vertrauensverlust bei den WählerInnen war auch die CSU betroffen, die deutlich unter die 40%-Marke gedrückt wurde, und für die Landtagswahlen im Herbst den Verlust der absoluten Mehrheit fürchten muss.

Schon im Bundestagswahlkampf kämpfte die CSU für eine Rechtswende der bürgerlichen Parteien. Erfolgreich war dieser Kurs nicht. Die CSU verlor 10,4% der Stimmen und erreichte nur mehr einen Stimmenanteil von 38,9%. Die AfD kam demgegenüber mit 12,4% auf das stärkste Stimmergebnis in den alten Bundesländern. Konsequenz: Der Rechtskurs wurde radikalisiert. Heimat, Patriotismus, Leitkultur – mit konservativen Kampfbegriffen wirbt die CSU für einen Rechtsruck der Union. In einem Zehn-Punkte-Plan formuliert die Partei Thesen für eine »bürgerlich-konservative Erneuerung«.

Jetzt steigert der frühere Generalsekretär der CSU, dann Minister für Verkehr und digitale Infrastruktur im Kabinett Merkel und neuer Vorsitzender der CSU Landesgruppe im Deutschen Bundestag, Dobrindt, erneut das Tempo und ruft  zu einer konservativen Revolution der Bürger auf: Fünfzig Jahre nach 1968 sei es an der Zeit »für eine bürgerlich konservative Wende in Deutschland. Linke Ideologien, sozialdemokratischer Etatismus und grüner Verbotismus hatten ihre Zeit. Der neue Islamismus attackiert Europas Freiheitsidee und Selbstverständnis und darf seine Zeit gar nicht erst bekommen. Darum formiert sich in Deutschland eine neue Bürgerlichkeit. Auf die linke Revolution der Eliten folgt eine konservative Revolution der Bürger.«

Diese absurde Weltsicht – nach Jahren der hektischen Kommunistenjagd, der Berufsverbote, nach bundespräsidialen Ruck-Aufforderungen, einer »Neujustierung« der sozialen Sicherungssysteme, jahrzehntelanger Hartz IV-Bürokratie-Herrschaft und brutaler Sanierung der Finanzwirtschaft etc.– überzeugt selbst die einfallslosen politischen Gemüter im bürgerlichen Lager nicht. Warum also dieser nimmermüde politische Krawall, vorgetragen und orchestriert von dem einstigen »Maut-Minister«?

Der unter Merkel vollzogene Schwenk in die liberale politische Mitte zulasten des konservativen Flügels ist in den Augen des rechten Flügels der CDU/CSU ein schwerer Fehler, der jetzt radikal korrigiert werden müsse. »Wenn bis auf die CSU alle etablierten Parteien links der Mitte wahrgenommen werden, dann ist das ein Problem.« Die Union dürfte sich niemals damit abfinden, dass sich rechts von ihr eine Partei wie die AfD breitmachen könne. »Wir müssen die AfD knallhart bekämpfen – und um ihre Wähler kämpfen.« Die AfD sei keine Alternative für Deutschland, sondern eine Alternative zur NPD. »Deshalb brauchen wir eine bürgerliche Ordnung der Freiheit: das heißt einen durchsetzungsfähigen Staat, eine klare Begrenzung der Zuwanderung und einen Richtungspfeil für die Integration«, fordert die CSU. Darüber hinaus müssten ein gesunder Patriotismus und Heimatliebe wieder selbstverständlich werden sowie der »Geist der Alt-68er« überwunden werden. »Debatte muss wieder in der ganzen Breite stattfinden, nicht nur hinter vorgehaltener Hand oder in den Meinungshöhlen im Internet.«In letzter Konsequenz: Die rechtskonservative Partei muss die nationalistisch-völkische AfD kopieren oder rechts überholen.

Die CSU klagt: Nach wie vor dominiere in vielen Debatten »eine linke Meinungsvorherrschaft eine dieses Schauspiel ertragende bürgerliche Mehrheit«. Dies habe ihren Ursprung im Jahr 1968. »Damals haben linke Aktivisten und Denker den Marsch durch die Institutionen ausgerufen und sich schon bald Schlüsselpositionen gesichert in Kunst, Kultur, Medien und Politik. Sie wurden zu Meinungsverkündern, selbst ernannten Volkserziehern und lautstarken Sprachrohren einer linken Minderheit.« Aus dem Aufbruch der Studenten sei ein ideologischer Feldzug gegen das Bürgertum geworden, »mit dem Ziel der Umerziehung der bürgerlichen Mitte«.

Diese blödsinnige Behauptung einer bis heute anhaltenden linken Meinungsführerschaft, die dann auch für die gesellschaftlichen Fehlentwicklungen seither verantwortlich gemacht werden kann, gehört in der Tat zum Standardrepertoire rechter Ideologeme. Spätestens mit den Berufsverboten Anfang der 1970er Jahre war klar, dass es mit der Meinungsführerschaft der linken Opposition nicht weit her war. Das (sozialdemokratische) Versprechen von »Mehr Demokratie wagen« fand hier schon seine Grenzen. Auf die Ära Brand/Schmidt folgte die Ära Kohl, in der der neoliberale Umbau der Republik seinen Anfang nahm. Die rot-grüne Bundesregierung unter Schröder hat dann mit der Agenda 2010 die Politik der Deregulierung und des Sozialstaatsabbaus einen weiteren Schub gegeben. Nach zwei weiteren Großen Koalitionen und Schwarz-Gelb haben sich die ökonomisch-sozialen Verhältnisse in der Berliner Republik (wie in den anderen kapitalistischen Metropolen) gründlich verändert. Die Ungleichheit in der Verteilung von Einkommen und Vermögen hat massiv zugenommen, die soziale Spaltung produziert bei vielen BürgerInnen Ängste vor der Zukunft und Abstiegsängste.

Bei Dobrinth findet das Thema Ungleichheit, und der (Mit-)Verantwortung bürgerlicher Politik für diese Fehlentwicklungen, keinerlei Erwähnung. Das absurde 68er-Eliten- und Medien-Bashing zielt daher in erster Linie darauf, die relative Unabhängigkeit der Medien in Frage zu stellen – in anderen Ländern ist der autoritäre Zugriff auf die Meinungsfreiheit ja schon weit fortgeschritten.
Die von Dobrinth beschworene »bürgerlich-konservative Wende« erschöpft sich denn auch in dem vorurteilgeladenen Appell an Heimat, Familie und Nation, der von AfD-Positionen kaum zu unterscheiden ist: »Wir lieben unsere bayerische Heimat, wir sind deutsche Patrioten. Linke haben seit 1968 Heimat diffamiert als einen angeblich reaktionären Ort der Engstirnigkeit. Wir schützen unsere Heimat. Die Sehnsucht nach den Wurzeln und Herkunft wird im Globalisierungszeitalter immer stärker. Konservative sind Patrioten ihrer Heimat. Wir lieben unser Vaterland und achten die Vaterländer der anderen.«

Daher die Forderungen nach einer massiven Beschränkungen von Zuwanderung und Abschaffung des Asylrechts: »Unsere Wertegemeinschaft wird dort tangiert, wo ihr andere Weltanschauungen entgegenstehen. Zum Schutz einer Wertegemeinschaft gehört deshalb auch, diese Grenzen aufzuzeigen um die Stabilität der Wertegemeinschaft zu erhalten. Wir setzen uns daher ein für eine wirksame Begrenzung der Zuwanderung auf ein Maß, das unsere Integrationsfähigkeit nicht überfordert. Nur so bleibt Europa auch in Zukunft die Wiege der westlichen Wertegemeinschaft.«

Das mündet dann in einem kruden Antislamismus. Heimat und Nation müssten geschützt werden gegen fremde Einflüsse: »In unseren Klassenzimmern hängen Kreuze, bei uns geben sich Mann und Frau die Hand, bei uns nehmen Mädchen am Sportunterricht teil, wir zeigen in der Öffentlichkeit unser Gesicht. Das muss jeder akzeptieren, der in Deutschland wohnt. Scharia und Burka, Kinderehen und Zwangsverheiratungen, islamistische Hasspredigten und religiöse Hetze haben in unserem Land keinen Platz. (…) Wer in Deutschland sein will, muss mit uns leben – nicht neben uns oder gegen uns. Wer dazu nicht bereit ist, kann gehen. Falsch verstandener Integrationsgehorsam, wie das Abhängen von Kreuzen oder die Umbenennung vom Martinszug in Lichterfest oder von Weihnachtsmärkten in Wintermärkte lehnen wir entschieden ab.«

Diese weltfremde und geschichtslose Rhetorik gleicht den Positionen von Gauland, Storch, Höcke und dem AfD-Vorsitzenden Meuthen. Professor Meuthem brachte einen AfD-Bundesparteitag zum Toben mit dem Angriff auf 68: »Wir wollen weg vom links-rot-grün-versifften 68er-Deutschland und hin zu einem friedlichen, wehrhaften Nationalstaat.« Deutschland habe sich in die falsche Richtung entwickelt. Der »links-grünen Paradigmenwechsel«, der in der Bundesrepublik seit Jahrzehnten durchgesetzt worden sei, müsse rückgängig machen. Dazu gehöre, dass der christlich-abendländischen Kultur wieder der gebührende Platz eingeräumt wird. »Die Leitkultur ist nicht der Islam, sondern unsere christlich-abendländische Kultur. Der Ruf des Muezzin kann nicht die gleiche Wertigkeit haben wie der Klang von Kirchenglocken.«

Die AfD hat mit dieser Positionsbestimmung den rechten Rand der Berliner Republik erobert und radikalisiert. Sie liegt in aktuellen Umfragen auf Bundesebene bei Zustimmungswerten von 12-14%. Auch in Bayern hält sie sich stabil bei den bei der Bundestagswahl erreichten 12%.
Der von politischen Kleingeistern wie Dobrindt, Scheuer u.a. vorangetriebene Rechtsruck von CSU und CDU wird dies Stabilisierung und Ausweitung der rechtspopulistischen AfD nicht aufhalten können. Die Anpassung an AfD-Positionen macht diese eher noch gesellschaftsfähiger. Wie das Beispiel Österreich zeigt, droht die »konservative Revolution der Bürger« in der Perspektive in einem insgesamt massiv nach rechts verschobenen bürgerlichen Lager zu münden mit fatalen Konsequenzen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Entwicklungsperspektiven der Berliner Republik.

Die CSU bedient zweifellos den Zeitgeist, wie wir in Mittelosteuropa, aber auch in Österreich bereits als Regierungsprogrammatik sehen: »Es gibt keine linke Mehrheit mehr«, bilanziert die CSU und jubelt, dass inzwischen »selbst der Zeitgeist konservativ ist«. Das Konservative sei das neue Moderne. »Anders gesagt: Konservativ ist wieder sexy.«

Die Angriffe auf die angeblich links dominierten Medien sollen letztlich wie in Österreich in einer rechten Zensur enden. Die neue österreichische »Bundesregierung plant zur Vorbereitung ihres Medien-Maßnahmenpakets, speziell hinsichtlich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die Abhaltung einer umfassenden Medien-Enquete unter Beteiligung aller Stakeholder sowie der Zivilgesellschaft.« Seit jeher werfen die Freiheitlichen trotz privater Konkurrenz dem öffentlichen Sender ORF vor, er sei von »linkslinken« Redakteuren unterwandert. »Verschärfung der Transparenzbestimmungen zur Sicherung einer objektiven und unabhängigen Berichterstattung«, heißt es in der medienpolitischen Absichtserklärung der neuen Regierung. FPÖ-Chef Strache, nunmehr Vizekanzler, schob bei der Präsentation düster nach: »Auch im ORF wollen wir Optimierungen vornehmen, was die Objektivität betrifft.« Im Lenkungsgremium des ORF, dem Stiftungsrat, haben die Koalitionsparteien dazu eine bequeme Mehrheit.

Mit der Ausrichtung der öffentlich-rechtlichen Medien kann dann die Islamophobie als Staatsaufgabe umgesetzt werden: Der Kampf gegen den »politischen Islam« steht ganz oben auf der Agenda der neuen österreichischen Bundesregierung und anderer Regierungen in Mittelosteuropa. »Kampf gegen den politischen Islam – Österreich gewährleistet die Glaubens- und Religionsfreiheit, aber bekämpft den politischen Islam. Unter politischem Islam versteht man Gruppierungen und Organisationen, deren ideologisches Fundament der Islam ist und die eine Veränderung der politischen und gesellschaftlichen Grundordnung bis hin zur Ablehnung unseres Rechtsstaates im Sinne einer Islamisierung der Gesellschaft anstreben. Der politische Islam, der zu Radikalisierung, Antisemitismus, Gewalt und Terrorismus führen kann, hat keinen Platz in unserer Gesellschaft.«

Zurück