29. Mai 2012 Redaktion Sozialismus: Votum über Austeritätspolitik und Fiskalpakt

Referendum in Irland

In Irland wird über den europäischen Fiskalpakt abgestimmt. Der politische Druck ist groß: Nicht erneut soll ein irisches Referendum den europäische Geleitzug aufhalten wie 2008 bei der Abstimmung über den Lissabon-Vertrag. In den letzten Meinungsumfragen erreichen die Befürworter eine relative Mehrheit von 49%.

Die Gegner dieser verschärften Schuldenregelung auf europäischer Ebene kommen auf 35% und die Unentschlossenen auf 16%. Irland ist das einzige Land, in dem das Volk über den von Deutschland angestoßenen Fiskalpakt abstimmt. Doch diesmal hat man vorgebaut: Mussten die irischen WählerInnen 2009 noch ein zweites Mal »europakompatibel« abstimmen, tritt der Fiskalpakt nun bereits in Kraft, wenn 12 von 27 europäischen Ländern eine Ratifizierungsurkunde hinterlegt haben.

Dem Ausgang des irischen Referendums kommt eine erhöhte Aufmerksamkeit zu, weil mit ihm über den ökonomisch-fiskalischen Sanierungsprozess abgestimmt wird. Seit fast fünf Jahren ist die irische Bevölkerung einem harten Austeritätskurs unterworfen: Gehälter und Sozialleistungen wurden gekürzt, Steuern erhöht, neue Abgaben eingeführt. Die Arbeitslosenquote schoss von 4,5 auf über 14% hoch. Und wie in den anderen Krisenländern in Europa ist auch in Irland kein Ende in Sicht: Zwar erfüllen die Regierungen in Dublin konsequent die Sparauflagen der »Troika« aus Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und EU-Kommission, seitdem die mittlerweile abgewählte konservative Regierung Ende 2010 den Euro-Rettungsschirm in Anspruch genommen hatte, um den Staatsbankrott zu verhindern. Das Finanzpaket von 85 Mrd. Euro macht das Land bis 2013 von den internationalen Finanzmärkten unabhängig. Seitdem kommt die irische Wirtschaft allerdings nicht aus der Abwärtsspirale heraus.

Auch Irland ist ein Opfer einer geplatzten Immobilienblase. Ermutigt durch das billige Geld nach der Einführung des Euro, das die generelle Niedrigzinsphase noch verstärkte, setzte sich ein klassisches Schnellballsystem in Bewegung: Laut OECD betrugen die realen Einkommenssteigerungen zwischen 1999 und 2009 im Privatsektor jährlich 2%, die Lohnstückkosten kletterten gar um 3,3%. Und die Beschäftigung wuchs noch schneller, nicht zuletzt dank der Zuwanderung aus Mitteleuropa und der Rückkehr zahlreicher früherer Emigranten. Niedrige Zinsen führen zu steigenden Immolinienpreisen, die in einer Preisspirale nach oben drehten. Damit verbunden war eine über die natürliche Nachfrage hinausgehende Bautätigkeit. Die Blase wurde kreditfinanziert, wobei die Kredite gewährenden Banken und Investoren gleichermaßen an ewig steigende Preise glaubten wie die Kreditnehmer.

Die Häuserpreise kletterten je nach Standort auf das Zweieinhalb- bis Vierfache der langfristigen Entwicklung (gemessen am Jahreseinkommen). In den USA war im Schnitt eine Verdoppelung zu beobachten. Noch viel extremer war aber der Unterschied in der Bautätigkeit. Während in Amerika die Errichtung von Wohnbauten im Normalfall um die 4% des Bruttoinlandproduktes (BIP) liegt und im Spitzenwert auf 6,3% stieg, machte dieser Anteil in Irland zeitweise über 15% aus. Entsprechend entwickelte sich ein massives Überangebot – dieses wird auf rund 300.000 Einheiten geschätzt. Dies hat die Preise massiv nach unten gedrückt und lässt sie immer noch fallen. Die Häuserpreise stürzten bislang um durchschnittlich 43% nach unten.

Die Schulden des Staates erreichten über 100% des BIP. Bis 2015 soll das Haushaltsdefizit als Ergebnis der radikalen Sparmassnahmen auf nur noch 3% absinken. Das würde bedeuten: Der irische Staat hat so stark gekürzt, dass die Staatsquote um 16% reduziert werden konnte.

Außerdem ist damit begonnen worden, Maßnahmen zur Bereinigung der Vermögenswerte zu treffen. Dazu ist Anfang 2010 die National Asset Management Agency (Nama) gegründet worden. Ihre Aufgabe ist es, Kredite der Banken im Bereich des kommerziellen Baus zu übernehmen. Mit der Tätigkeit der Nama werden aber nur die Probleme bei kommerziellen Immobilien neutralisiert. Ein weiteres Verlustpotenzial unbestimmten Ausmaßes schlummert in Hypotheken auf Wohnbauten. Bei ihnen verschlechtert sich die Kreditqualität ebenfalls zusehends. Jüngsten Angaben der irischen Zentralbank zufolge sind 5,1% aller Hypotheken mit mehr als 90 Tagen im Zahlungsrückstand. Hypotheken, die seit mindestens 180 Tagen nicht mehr bedient worden waren, erreichten einen Anteil von 3,6%.

Von 2007 bis 2010 schrumpfte das irische BIP um rund 18%, der Privatkonsum um 13%. Für 2012 prognostizierte die irische Zentralbank zunächst ein Wachstum von 1,8%; wenig später reduzierte die OECD diese Vorhersage auf bescheidenere 1,0%. Für das Gesamtjahr 2011 fiel die Bilanz positiv aus, denn die Wirtschaftsleistung lag mit 161 Milliarden Euro um 0,7% höher als im Jahr 2010. Damit verbuchte Irland zum ersten Mal seit 2007 wieder ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts.

Der Anstieg der öffentlichen Schulden ist die Folge der Rekapitalisierung der Banken. Die Regierung hatte 63 Milliarden Euro in die Bankenbranche gepumpt, um diese nach dem Zusammenbruch des Immobilienmarktes am Leben zu halten. Im Rahmen der Rettungshilfen von 85 Milliarden Euro stellte Irland aus eigenen Mitteln 17,5 Milliarden Euro bereit. Im Herbst 2012 will das Land mit kurzfristigen Papieren an die Kapitalmärkte zurückkehren. Ab 2013 ist eine vollständige Finanzierung über die Märkte geplant. Die irische Zentralbank warnt jedoch, dass zehn Prozent der Hauskäufer ihre Hypotheken nicht bedienen können und die Banken diesen »Stresstest« nicht ohne weitere Hilfen überstehen würden. Daher schlägt der IWF vor, den Rettungsschirm EFSF/ESM flexibler zu gestalten, um Irland dabei zu unterstützen, zu vernünftigen Kosten an die Finanzmärkte zurückzukehren.

Um die kritische Konstellation wegen der anhaltend rezessiven Entwicklung in Europa zu überbrücken, ist die Auszahlung von Geldern beschleunigt und von der zweiten Jahreshälfte aufs erste Quartal 2012 vorgezogen worden. IWF und Europa haben Irland bisher fast 30 Milliarden Euro ausgezahlt. Im laufenden Jahr steht die Zahlung von mehr als 23 Milliarden Euro an.

Mit der Großen Krise ist das bisherige »Geschäftsmodell« der Europäischen Integration gekippt. Nahezu alle Wege zur schrittweisen Ausgleichung der höchst unterschiedlichen ökonomischen Entwicklungsniveaus mündeten an Absturzstellen: der griechische Weg einer per öffentlichem Kredit finanzierten Ausweitung des Binnenmarktes; der irische Weg einer finanzmarktkompatiblen Dienstleistungsgesellschaft; der spanische Weg eines spekulativen Immobilienbooms. Mit der Krise sind die finanzmarktabhängigen Wege unpassierbar geworden. Eingesperrt in ein als »Rettung« etikettiertes Austeritätsregime werden in den Krisenstaaten die binnenwirtschaftlichen Wachstumsmotoren gedrosselt. Doch während Griechenland, Portugal und zunehmend auch Spanien in der ökonomischen Abwärtsspirale stecken, soll Irland gleichsam auf deutschem Wege zu exportgestützter Wachstumsstärke zurückfinden.

Die Konstruktion ist äußerst wackelig: Das florierende Dienstleistungszentrum Irlands wird es trotz niedriger Unternehmenssteuern nicht geben, solange die Immobilienkrise nicht ausgestanden ist. Angesichts der enormen Abschreibungsbedarfe kann das noch einige Zeit in Anspruch nehmen.

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