6. Januar 2010 Richard Detje

Relativ ''robust'', aber mit prekären Aussichten

Auch die schwarz-gelbe Regierungskoalition betont, dass die schwere Finanz und Wirtschaftskrise noch nicht ausgestanden ist. Allerdings: Die befürchtete große Entlassungswelle ist in 2009 ausgeblieben. Auch im Dezember ist die Zahl der Arbeitslosen nur leicht auf 3,28 Mio. angestiegen.

 

Im Jahresdurchschnitt 2009 waren damit bei der Bundesagentur für Arbeit 3,42 Mio. Menschen ohne Erwerbsarbeit registriert - 155.000 mehr als im Jahr zuvor. Die Arbeitslosenquote stieg auf 8,2%.

 

Nach wie vor entlastet Kurzarbeit den Arbeitsmarkt in erheblichem, wenn auch rückläufigem Maße. Seit dem Höhepunkt im Mai 2009 mit 1,5 Mio. davon betroffenen Beschäftigten ist die Kurzarbeit bis Jahresende auf ca. 1 Mio. gesunken. In diesem Tempo wird es nach Schätzung der Bundesagentur für Arbeit weitergehen. Für 2010 rechnet sie mit einer weiteren Halbierung auf 530.000 KurzarbeiterInnen. Ohne diese sowie weitere arbeitsmarktpolitische Maßnahmen wären 4,49 Mio. Menschen offiziell ohne Arbeit ("Unterbeschäftigung ohne Kurzarbeit") und läge die Arbeitslosenquote bei 10,6%.

Zudem profitiert der Arbeitsmarkt von der demografischen Entwicklung. Im Saldo: Während im Jahresdurchschnitt 2009 rund 218.000 Arbeitsplätze abgebaut wurden, stieg die Arbeitslosigkeit "nur" um 155.000.

"Robust" nennt der Vorstandsvorsitzende der BA, Frank-J. Weise, diese Entwicklung. Zu Recht, gemessen an den Spuren, die ein Absturz in der Weltwirtschaftskrise von 5% des BIP ohne massive Arbeitszeitverkürzung (Kurzarbeit, Streichung von Überstunden und "Leerung" der Arbeitszeitkonten teilweise weit unter Null) gehabt hätte. Das sollte ein für allemal dokumentieren: Arbeitszeitverkürzung sichert Arbeitsplätze!

Allerdings haben die Beschäftigten das im Wesentlichen aus der eigenen Lohntüte bezahlt: So ist die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden zuletzt um 8,9% auf 653 Mio. gesunken; gleichzeitig gingen die Entgelte (Bruttolohn- und -gehaltssumme) um 6,6% zurück. Soviel zur "Überlastung" der Unternehmen.

Angst einflößend ist die Lage aus Sicht der gegenwärtig und künftig Betroffenen. Beschäftigungs- und Arbeitsmarktsystem schotten sich ab. Zuerst traf es die LeiharbeiterInnen, denen gekündigt wurde, um die Stammbelegschaften mit Kurzarbeit zu halten. In dem Maße, in dem diese abgebaut werden, wächst die Konkurrenz auf dem Leiharbeitsmarkt und den anderen Märkten prekärer Beschäftigung.

Dies führt dazu, dass die "Langzeitarbeitslosen", die seit mehr als einem Jahr erfolglos auf Arbeitsplatzsuche sind, ihre Perspektiven weitestgehend beerdigen können. Bürokratisch formuliert: Erst steigt die Arbeitslosigkeit mit ALG I, dann die im SGB II mit ALG II. So werden soziale Existenznöte und -krisen "von oben nach unten" durchgereicht. Wobei das "Oben" immer häufiger schon "prekaritätsbedingt" ein "Unten" ist.

Wer eine Zahl neben dem Anstieg von Mini-Jobs und geringfügiger Beschäftigung haben möchte: 1,8 Mio. Beschäftigte waren bereits 2007 zu ihrer Existenzsicherung auf einen Zweitjob angewiesen - neuere Daten aus der aktuellen Krisensituation liegen bislang nicht vor! Der Arbeitsmarkt und das Arbeitsverhältnis des Januar 2010 ist mit dem des Jahres 1999 kaum noch vergleichbar: Heute gibt es 1,4 Mio. Vollzeitstellen weniger (-6%), hingegen 1,3 Mio. mehr Teilzeitbeschäftigte (+36%) und 7 Mio. Minijobs (in der Vor-Hartz-Zeit unbekannt).

Auf 4,1 Mio. schätzen Bundesregierung und BA den Anstieg der Arbeitslosigkeit für 2010 - ein Anstieg um rund 700.000. Das klingt weniger "robust", ist aber nur ein Teil der Botschaft. Der andere Teil lautet: Auch in den nachfolgenden Jahren wird die Arbeitslosigkeit bei einem bestenfalls geringen Wirtschaftswachstum weiter zunehmen - und damit eine neue Stufe auf der Treppe dauerhafter Massenarbeitslosigkeit erklimmen. Das ergibt sich allein schon aus dem Vergleich der makroökonomischen Kennziffern von geringem Wirtschaftswachstum und darüber liegender Produktivitätsentwicklung.

Doch selbst die Prognose eines schwachen Wirtschaftswachstums ist äußerst unsicher. Mitte des Jahres, wenn europaweit die Konjunkturförderprogramme auslaufen, Unternehmen in eine Kreditklemme geraten, die Kaufkraft auch durch steigende Arbeitslosigkeit sinkt und die Staaten beginnen, Haushaltsdefizite zurückzufahren, könnte es schnell zu einer neuen Rezession kommen. Auf der soeben beendeten Jahrestagung der "American Economic Association" war man sich jedenfalls einig wie selten, dass zumindest in den USA die Chancen für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum äußerst gering sind.

Gleichzeitig wissen wir, dass Krisenphasen Zeiten eines massiven Strukturwandels sind. Die Automobilindustrie steht dabei vorne an und die Kapazitäten im Maschinenbau sind gerade noch zu 70% ausgelastet. Das waren bis vor kurzem noch Schlüsselindustrien. Die "Zukunftsmärkte" sind seit langem die gleichen: Informations- und Umwelttechnologien, sowie Gesundheit und Pflege.

Das Problem Nr. 1: Über Marktkonkurrenz organisiert sich kein beschäftigungssichernder Strukturwandel. Problem Nr. 2: Mit einer krisenbedingten Deindustrialisierung verengen sich die Korridore des Strukturwandels, weil produktionsorientierte Dienstleistungen mit in den Abgrund gerissen werden. Problem Nr. 3: In Folge von nationaler Schuldenbremse und europäischem Stabilitätspakt erfasst die politische Magersucht ab Mitte 2010 erneut Herrschaft über den bereits abgemagerten Wettbewerbsstaat.

Problematisch ist also nicht nur die kurzfristige Konjunkturentwicklung. Öffentliche Zukunftsinvestitionsprogramme sind über einen mittleren Zeitraum gefordert, das Wirtschafts- und Beschäftigungssystem neu auszurichten. Ohne dies wächst die Gefahr, dass Strukturkrisen in eine umfassende Deindustrialisierungskrise münden, die heute noch stabilisierend wirkende Dienstleistungsbereiche mit in den Krisenstrudel hineinzieht. Dann wäre ein Tsunami auf dem Arbeitsmarkt gewiss.

 

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