8. März 2010 Joachim Bischoff

Schuldenexplosion und Währungsspekulationen

Die Situation der öffentlichen Haushalte hat sich in Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise in allen kapitalistischen Hauptländern stark verschlechtert. Laut IMF betrugen die Staatsschulden gemessen an der Wirtschaftsleistung in den entwickelten kapitalistischen Ländern noch 2007 im Schnitt 73%.

Der Internationale Währungsfonds (IMF) schätzt, dass dieser Quotient für die betrachteten 32 Länder bis 2014 auf 109% steigen wird. In einem Simulationsrechnung kommen die Ökonomen des IMF zu der Einschätzung, dass es schwierig werden wird wieder zu soliden Staatsfinanzen zurückzukehren.

Damit die Schuldenquote in den kapitalistischen Staaten bis zum Jahr 2030 auf 60% zurückginge, der Grenze also, die im Wachstums- und Stabilitätspakt der Euro-Zone proklamiert wird, müsste ein deutliches Wirtschaftswachstum sichergestellt und zugleich eine massive Sparpolitik praktiziert werden. Bislang hat die Bevölkerung in einzelnen Ländern wie Irland und Griechenland die Politik der massiven Einschnitte in öffentliche und soziale Leistungen hingenommen. Der Fall Griechenland zeigt aber auch, dass der Widerstand deutlich zunimmt.

Im Jahr 2010 wird in den kapitalistischen Hauptländern im Schnitt mit einem Primärdefizit (Staatseinnahmen minus Ausgaben, ohne Zinszahlungen) von 4,3% des Bruttoinlandproduktes (BIP) gerechnet. Um die Schuldenquote auf 60% zu drücken, müsste beim Primärsaldo bis 2020 ein Plus von 3,7% des BIP erreicht werden. Diesen Überschuss gälte es dann bis 2030 fortzuschreiben. Laut IMF haben immerhin gut 20 Länder in den vergangenen 40 Jahren einen ähnlich starken Wechsel von einem Primärdefizit zu einem -überschuss bewerkstelligt. Einen positiven Primärsaldo dann aber während zehn Jahren durchzuhalten, ist eine große zusätzliche Hürde. Voraussetzung wäre etwa, dass die Sozialausgaben "nur" im Umfang des BIP wachsen.

Nicht übersehen werden darf bei dieser Betrachtung allerdings, dass außerbilanzielle Posten, die aktuelle Verpflichtungen in die Zukunft verschieben, seit längerem zum normalen Geschäft von Regierungen gehören. Man denke dabei nur an die diversen, von vielen Ländern durchgeführten Private Finance Initiatives (PFI) oder Public Privat Partnerships (PPP) zur Finanzierung von Infrastrukturvorhaben oder an die Finanzierungsvehikel zur Übernahme von Forderungen an staatliche Pensionskassen oder Sozialversicherungen. Und dann gibt es noch die riesigen Pensionsverpflichtungen, für die nicht genügend Rückstellungen vorhanden sind. Schätzungen über die effektiven Belastungen der Staaten kommen deshalb zu ganz anderen Größenordnungen (siehe die folgende Abbildung).

Abbildung 1

Angesichts dieser Größenordnungen wird die Refinanzierung und Umschuldung der Staaten zu einem relevanten Problem der internationalen Finanz- und Kapitalmärkte. Allein der Finanzbedarf der Euro-Länder im Jahr 2010 wird auf rund eine Billion Euro geschätzt. Im Jahr zuvor lag dieser Finanzbedarf noch bei gut 900 Mrd. Euro. Größter Schuldner wird dabei die Bundesrepublik Deutschland mit ca. 220 Mrd. Euro sein. Großbritannien als Nicht-Euro-Mitglied beansprucht 315 Mrd. US-Dollar, Japan 521 Mrd. US-Dollar und die USA sind Spitzenreiter mit 1.846 Mrd. US-Dollar. Demgegenüber haben die Unternehmensanleihen weltweit ein deutlich geringeres Volumen.

Das massive Volumen der öffentlichen Schuldtitel schlägt mehr und mehr auf die Währungsverhältnisse durch. Wir sahen in den zurückliegenden Wochen deutliche Schwächeanzeichen der britischen Währung und des Euros.

Keine Frage: Die Griechenland-Krise hat die Achillesfersen der Euro-Währungsunion schonungslos aufgedeckt. Die griechischen Finanzprobleme gehen allerdings weit hinter die Zeit der Gründung der Euro-Zone und des Eintritts Griechenlands in die gemeinsame Währung zurück. Sie haben ihre Wurzeln in ökonomischen Strukturproblemen. Insofern ist die Finanzkrise hausgemacht. Die akkumulierten Fehlentwicklungen wurden durch die Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007 verstärkt. Gleichwohl verdeutlicht die Finanzkrise in Griechenland strukturelle Probleme des ganzen Währungsraums.

In der Währungsunion, die heute 16 Mitgliedstaaten umfasst, ist nur die Geld- und Währungspolitik zentralisiert. Für die Finanz- und Wirtschaftspolitik bleiben die Mitgliedstaaten verantwortlich. Die Teilnahme war deshalb stets an die Forderung geknüpft, dass jedes Mitglied eine solide Finanzpolitik praktiziert und sich um seine Wettbewerbsfähigkeit kümmert. Vor allem die erste Forderung ist im Stabilitätspakt auch quantifiziert: Der Staatshaushalt soll über den Konjunkturzyklus hinweg möglichst ausgeglichen werden, so dass das Defizit selbst im Abschwung 3% des Bruttoinlandprodukts (BIP) nicht überschreitet. Die Staatsverschuldung soll nicht über 60% des BIP liegen. Die beiden Referenzwerte gehören auch zu den Aufnahmekriterien in die Euro-Zone.

Gleichwohl: Das erste Jahrzehnt der Euro-Zone hat wenig Fortschritte in der Herausbildung einer gemeinsamen Ökonomie gebracht. Das Scheitern der Lissabon-Strategie, die im Jahr 2000 von der EU-Kommission und den Regierungen proklamiert wurde, hat ihren Hauptgrund in der Konzentration der Wirtschaftspolitik auf den Gesichtspunkt der Wettbewerbsfähigkeit. Faktisch wurde damit eine Vergrößerung der Kluft zwischen den Mitgliedsländern programmiert – statt die erhoffte Konvergenz in den ökonomischen Verhältnissen, Lebens- und Arbeitswelten zu verwirklichen. Die längere Phase der finanzgetriebenen Kapitalakkumulation erlaubte auch Ländern mit massiven Strukturproblemen wie Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien eine Teilnahme an der Kreditexpansion und einer massiven Entkoppelung der Immobilienmärkte von der Realökonomie.

Da im Nachgang der großen Krise fast keine Veränderungen und Regulationen auf den Finanzmärkten durchgesetzt wurden, sind die Akteure auf diesen Märkten jetzt auch darauf aus, an der Schuldenpolitik und der durch diese Parameter verursachten Volatilität der Währungsverhältnisse zu verdienen. Die Spekulationen gegen die europäische Gemeinschaftswährung hat die Aufsichtsbehörden in den USA und in Deutschland auf den Plan gerufen. Ob die Spekulation gegen das Euro-Währungssystem und gegen das britische Pfund einen Kurswechsel in Sachen überfällige Regulation auf den Finanzmärkten bringt, ist eher skeptisch einzuschätzen.

Der entscheidende Grund liegt in der Größe der Währungstransaktionen. Im Grundsatz müssten hier weit entschiedenere Maßnahmen als eine internationale Steuer auf Finanztransaktionen durchgesetzt werden. Da schon eine solche Finanztransaktionssteuer auf offenen Widerstand stößt, ist die Bereitschaft zu einer weitergehenden Regulierung marginal.

Der Devisenhandel ist der größte Finanzmarkt der Welt. Unternehmen und Vermögensverwalter sichern sich täglich gegen Währungsschwankungen ab. Außerdem beeinflussen Regierungen und Zentralbanken durch gezielte Zu- oder Verkäufe die Kurse. Die Bedeutung von Spekulanten hat in den letzten Jahren sprunghaft zugenommen. Im Jahr 2001 betrug das tägliche Devisenhandelsvolumen im Schnitt 1.610 Mrd. US-Dollar. Im Jahr 2009 war es mit 3.724 Mrd. US-Dollar mehr als doppelt so groß.

Angesichts dieser Marktgröße ist es auch für Hedge-Fonds schwerer geworden, die Kurse durch spekulative Eingriffe gezielt zu beeinflussen – wenn sie isoliert handeln. Was auch immer der Auslöser ist: Ende Januar standen an der Chicago Mercantile Exchange (CME) Short-Positionen von insgesamt 4,9 Mrd. Euro aus, Ende Februar hat sich das Volumen auf 8,9 Mrd. Euro erhöht – laut US-Regulierer CFTC der höchste Stand seit der Einführung der Währung auf den Devisenmärkten im Jahr 1999. "Der Euro steht unter massivem Druck von Spekulanten", sagt Paul Kavanaugh, Analyst bei PFGBEST. "Und das lässt sich auf das Wirken der Hedge-Funds zurückführen." Dabei bilden die Daten der Chicagoer Börse nur einen Bruchteil des Marktes ab. Der größte Teil des Devisenhandels findet außerbörslich statt.

Zurück